YACHT-Leser fragen, Bobby Schenk
antwortet
Hallo Herr Thiele,
schön, dass Sie sich mit
Astronavigation befassen. Wer weiß, ob das nicht wieder notwendig wird. Denn
nach wie vor ist die Navigation mit den Gestirnen auf hoher See das einzige
Backup-System, wenn das GPS zum Beispiel durch Blitzschlag ausfallen würde.
Na, ja, ein richtiges Üben, das
auch Vorteile für die Praxis auf See bringen würde, ist in München nicht
möglich. Höchstens dann, wenn Sie an der Nordspitze vom Ammersee oder
Starnberger See zur Mittagszeit, einen freien Blick übers Wasser haben. Warum
diese Einschränkung?
Bei der Astronavigation wird, und
das ist jetzt wichtig, nicht der Winkel zwischen Gestirn und Kimm (das ist der
sichtbare Horizont) gemessen, obwohl man dies oft lesen kann. Einen Winkel
zwischen einem Punkt (Gestirn) und einer Geraden (Kimm) gibt es nämlich gar
nicht. Präzise gesagt, wird der Winkel zwischen dem Gestirn und dem genau(!)
senkrecht darunter liegenden Punkt ermittelt.
Wie ermittelt man aber diesen Punkt,
der ist ja in der Natur nicht durch einen Pfeil oder ein Kreuz gekennzeichnet?
Die Landvermesser, das hat jeder von
uns schon mal beobachtet, benutzen bei ihren Arbeiten Stativ, Wassserwaage und
Pendel. Das sind auf See untaugliche Mittel, die selbst bei Flaute und
spiegelglatter See nichts bringen würden. Denn, mangels optischer Referenz und
wegen der kaum wahrnehmbaren Bewegung des Schiffes, läßt sich eine Senkrechte
nicht darstellen. Da gibt es nur den Trick der Schwenkbeobachtung (Sextant wird
um die Fernrohrachse geschwenkt), der dann die Sonne einen Bogen beschreiben
lässt, wobei erst die tiefste Stelle des Bogens den Punkt exakt senkrecht unter
der Sonne (Mond, Sterne) bezeichnet. Ungenauigkeiten oder Schätzungen der
Senkrechte führen auf einer Yacht zu erheblichen Fehlern, bis zu 100 Seemeilen,
die eine solche Messung unverwertbar machen.

Was ergibt sich daraus: Sie müssten
also in München und Umgebung in der Lage sein, einerseits den Horizont zu
sehen, und andererseits die Senkrechte darzustellen.
Beides geht kaum. Wo sich der
Horizont im Wasser (nur dort ist er ja eine genaue Gerade) befindet, läßt sich
leicht nach einer einfachen Formel berechnen: Entfernung in Seemeilen = 2,1 mal
Wurzel aus der Augeshöhe. Wenn Sie also nicht schon mit den Beinen im Wasser
des Ammersees stehen, dann beträgt die Augeshöhe mindestens zwei Meter. Um
dann die Kimmentfernung auszurechnen, brauchen wir nicht mal einen
Taschenrechner, wenn wir am Internet sind. Geben Sie bei Google ein:
sqrt(2) * 2
und bekommen schlagartig den Abstand
der Kimm in Seemeilen, nämlich:
sqrt(2) * 2 = 2.82842712
Sie müssten also schon an die 5
Kilometer freie Sicht übers Wasser haben. Ein Blick in das kostenlose Google
Earth (http://earth.google.de/download-earth.html) auf die dort angegebenen
Breitenkoordinaten (links unten) belehrt uns, dass Sie also an einem Sonnentag
um die Mittagszeit (Sonne steht im Süden) sowohl am Ammersee als auch am
Starnberger See üben könnten. Wobei auch hier die Schwenkbewegung notwendig
ist. Es sei denn, sie arbeiten von einem genau justierten Stativ aus. Was aber
mit der Bordpraxis nichts zu tun hat. Abzuraten ist von der Verwendung eines
praxisfremden künstlichen Libellen-Horizont. Auch dann, wenn es sich um ein
Präzisionsinstrument handelt. Testmessungen am Ankerplatz durch extrem
hochsee-erfahrene Personen haben bei spiegelglatter See Messunterschiede einigen
hundert Seemeilen ergeben, sind also nicht verwertbar, nicht mal im
Notfall.
Wenn Sie dann Ihre Messungen
berechnen wollen, müssen Sie bei einer Augeshöhe von 2 Metern (oder ähnlich)
eingehen und nicht etwa mit 586 Meter (Nordspitze Ammersee über Meeresspiegel -
siehe ebenfalls Google Earth).
Falls es Ihnen nicht zu langweilig
wird, jedesmal dasselbe oder ein ähnliches Ergebnis zu bekommen, nämlich Ihren
Übungsstandort, können Sie sich auch beim Messen so behelfen, wie es der
unvergessenen Karl Vettermann in seinem Barawitzka-Buch "Lauter Kapitäne,
keine Matrosen" (Verlag Delius Klasing) beschrieben hat:
Feuerbill sah mich mit dem
Sextanten hantieren und lehnte sich an die Wagentür. „Sag, hast du eigentlich einen Aufsatz mit einem künstlichen Horizont? Ich frage mich nämlich, was du hier als Horizont nimmst."
„So was habe ich leider nicht. Da muß es eben eine mit Wasser gefüllte Schüssel tun. Die Wasseroberfläche ist immer waagrecht."
„Davon habe ich gehört, allerdings nur in der Theorie. Hast du so was schon gemacht? Ich meine Landnavigation."
„Vor vielen Jahren war ich in Libyen mit Engländern auf einem Wüstentrip. Die navigierten mit einem Sextanten wie Kapitäne auf See. Hatten das angeblich im
Afrikafeldzug gelernt. Ich hab' damals ein wenig probieren dürfen. Hoffentlich funktioniert's."
„Kann ich mitmachen?" fragte Feuerbill. Ich war froh, einen so erfahrenen Helfer zu haben. Wir stellten eine schwarze Plastikschüssel auf
die Motorhaube, füllten sie mit Wasser, und während ich meinen Sextanten vorbereitete, richtete Dick seine Uhr nach dem Satelliten und für sich Notizpapier und
Bleistift her. „Von mir aus kann's losgehen", meinte er dann. „Wie fängst Du's an?"
Ich erklärte ihm die besonderen Tricks dabei: „Ich kann nur sehr helle Sterne oder Planeten verwenden, denn sie müssen sich im Wasser der Schüssel so spiegeln,
daß ich sie erkennen kann. Außerdem dürfen sie nicht höher als 60° über dem Horizont sieben. Ich muß sie ja mit dem
gespiegelten Bild in der Wasserschüssel zur Deckung bringen, das heißt, den doppelten Winkel messen, und der Limbus des Sextanten geht ja nur . . ."
„Bis 120°". nickte Feuerbill. „Jetzt wird mir die Sache klar. Was wirst du anpeilen?"
„Ich setze auf den Sirius, den Jupiter und die Capella. Ihre Azimute und die ungefähren Höhen habe ich vorausberechnet. Die stehen auch in einem günstigen Winkel zueinander. Fertig?"
Im Dunkeln hatten sich einige Neugierige mit dampfenden Teetassen um uns versammelt. Als sich der
erste über meine primitive Versuchsanlage beugte, schnauzte ich ihn an: „Kazunga! Bleibt
bitte von der Wasserschüssel weg! Die ist mein künstlicher Horizont, aber wenn ihr euch an den Wagen lehnt oder mir ins Wasser atmet, dann schlägt es Wellen, und ich kann keine Messungen anstellen.'' Die Schatten traten zurück. Die Nacht war kristallklar und windstill. Dick stoppte die Zeiten und notierte
Sextantenhöhen, und dann übernahm ich seine Arbeit, während er die Höhen schoß.
Diese Methode hat also den Vorteil,
dass Sie hierzu nicht an einen See fahren müssen, sondern direkt in München
ihren Sextanten auspacken können. Übrigens: Statt Wasser nehmen Sie besser ein
Öl, das ist nicht so luftzugempfindlich, wie es Karl Vettermann hier
beschrieben hat.
Wenn Sie aber etwas
abwechslungsreicher ihren Sextanten einsetzen wollen, dann messen Sie doch
einfach irgendwelche Horizontalwinkel, also den Winkelabstand zwischen einem
Kirchturm und einer Hügelspitze oder Ähnlichem, es gibt hierfür unendlich
viele Motive. Wenn Sie dann Ihre Messungen in eine Karte oder einem
großformatigen Google-Ausdruck einzeichnen, können Sie die Genauigkeit Ihrer
Messungen gut beurteilen.
Herzliche Grüße
Bobby Schenk
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