YACHT-Leser fragen, Bobby Schenk
antwortet
14.10.2010
Sehr geehrter Herr Hoffmann,
muss schon sagen, ganz schön anspruchsvoll,
Ihr Gymnasium! Freut mich, dass Sie sich mit so einem Thema auseinandersetzen,
das sich ja in den Augen vieler wegen GPS erledigt hat. Was nicht stimmt, denn
in der Navigation gilt immer noch der Grundsatz, dass Redundanz vorhanden sein
soll, also ein Backup-System, das einspringen kann, wenn das GPS-System, aus
welchem Gründen auch immer, keine richtigen Daten mehr liefert. Und Ersatz kann
nun mal auf offener See nur die Navigation mit Himmelskörpern sein, so, wie sie
halt seit ein paar hundert Jahren praktiziert worden ist wird.
Aber das System von St.Hilaire ist nicht so
einfach zu erklären, wie Sie sich das vielleicht vorstellen. Immerhin sind Bücher
zu diesem Thema vollgeschrieben worden, zum Beispiel mein Buch Buch ASTRONAVIGATION - siehe
hier.
Trotzdem möchte ich mal versuchen, Ihnen
einen Überblick in der gebotenen Kürze geben: Zunächst einmal: Es gibt keine
Navigationsmethode, bei der mit einer Messung ein Standort nach geographischer Länge
und Breite gewonnen werden könnte. Die Messung eines Himmelskörpers kann in
der Praxis nur eine Standlinie ergeben, also eine Linie auf der Erdoberfläche,
auf der Sie sich befinden. Einen Fixort bekommen Sie erst dann, wenn Sie zwei
Standlinien haben, die sich in einem möglichst deutlichen Winkel schneiden.
Diese können mit Hilfe der Messung eines anderen Gestirns gewonnen werden, aber
auch mit der Messung desselben Gestirns ein paar Stunden später, denn dann ist
die Position des Gestirns (fast immer die Sonne) eine ganz andere als bei der
ersten Messung, es handelt sich sozusagen um ein "anderes" Gestirn.
Das
Prinzip der Astronavigation ist insofern einfach, als sich alles auf der
Erdoberfläche abspielt. Wenn Sie von der Sonne eine Linie zum Erdmittelpunkt
ziehen würden, bekämen Sie auf der Erde den sogenannten Bildpunkt. Und der ist
maßgeblich für alle Berechnungen. In den Nautischen Jahrbüchern (Almanachen)
sind die exakten Bildpunktkoordinaten nach Länge und Breite für jede Sekunde
angegeben, denn der Bildpunkt ändert sich ja rasend schnell, er saust in 24
Stunden um die Erde. Klar? Deshalb ist bei jeder Sextantmessung die dazugehörige
Zeit (UTC) so wichtig.
Jetzt stellen Sie sich mal vor, Sie würden
die Sonne irgendwo auf dem Atlantik genau mit 90 Grad, also exakt senkrecht über
Ihnen messen. Dann wären Sie doch präzise auf dem Bildpunkt der Sonne, und Ihr
Schiff (oder Flugzeug) hätte die gleiche Koordinate wie der Bildpunkt in dieser
Sekunde. Natürlich wird dieser Fall kaum vorkommen. Sie werden zum Beispiel nur
80 Grad messen. Damit können Sie, das ist der geniale Gedankensprung in der
Astronavigation, sagen, dass Sie nicht im Bildpunkt, sondern vom Bildpunkt 90
minus 80, also 10 Grad entfernt sind. 10 Winkelgrad sind 600 Meilen, weil jeder
Grad eben 60 Winkelminuten und damit 60 Seemeilen hat. Damit wäre schon sehr
viel gewonnen, denn Sie müssen in die Seekarte nur den Bildpunkt der Sonne für
die exakte Messzeit aus dem Nautischen Jahrbuch heraussuchen, diesen in die
Karte einzeichnen und einen Kreis mit dem Radius von 10 Grad, gleich 600 Meilen,
ziehen und schon haben Sie eine schöne Standlinie, also eine Linie, auf der Sie
sich befinden.
So ist tatsächlich noch im 19.Jahrhundert,
auch in der Praxis, navigiert worden.
Bei hohen Sonnenständen funktioniert dies
ganz gut und ich hab zum Beispiel diese Methode in der Nähe von Galapagos um
den 21. März auch benutzt.
Was aber ist im Normalfall, wenn die
Entfernung des Beobachters zum Bildpunkt ein paar tausend Meilen entfernt ist,
wenn also Bildpunkt und Schiffsposition so weit auseinanderliegen, dass beide
nicht mehr in ein- und dieselbe Seekarte eingezeichnet werden können?
Das
ist der Moment, wo der Seeoffizier Commandant Marcq de Saint-Hilaire
die Weltbühne der Navigation betritt. Seine Überlegung ist genial, auch
einfach, wenn man genau mitdenkt und sich die Sache gründlich durch den Kopf
gehen läßt: Saint-Hilaire sagte sich folgendes: Gut, Bildpunkt und(!)
mein gegißter (geschätzter) Schiffspunkt liegen nicht auf der Seekarte, weil
sie zu weit voneinander entfernt sind. Ich kann aber - mach ich auch jeden Tag,
wenn ich die Entfernung zum Zielhafen (der auch noch nicht auf der Seekarte
drauf ist) mit Logarithmentafeln ausrechne - die Entfernung vom gegißten
Schiffsort zum Bildpunkt ausrechen. Und so, wie sich aus dem gemessenen Höhenwinkel
unmittelbar die Entfernung zum Bildpunkt ergibt - siehe oben - so kann
ich, vice versa, aus der Entfernung zum Bildpunkt den Winkel ausrechnen, den ich
gemessen hätte, wenn ich tatsächlich auf dem gegißten Schiffsort gewesen wäre.
Um im obigen Beispiel zu bleiben: Habe ich 600 Meilen zum Bildpunkt
ausgerechnet, dann müsste ich am Sextanten 90 Grad minus 600 : 60, also 80 Grad
messen.
In der Praxis wird dieser errechnete Winkel
von dem gemessenen abweichen. Um wieviel? Das kommt drauf an, wie genau der gegißte
Schiffsort war. Ist der gemessene Winkel zum Beispiel 20 Winkelminuten größer
als der errechnete, dann bedeutet das ganz einfach, dass ich 20 Meilen näher am
Bildpunkt dran bin, als ich geschätzt (gegißter Schiffort) hatte. Ich brauch
also nur den gegißten Schiffsort in Richtung zum Bildpunkt verschieben, eine
Gerade senkrecht zur Richtung (die ich so wie einen Kurs auch berechnen kann)
durch den verschobenen gegißten Schiffsort zu zeichnen - und schon hab
ich eine Linie, auf der ich mich befinde, eine Standlinie. Nicht mehr und nicht
weniger.
Das ist das gesamte Prinzip der astronomischen
Navigation und der Trick von St.Hilaire.
Mit freundlichen Grüßen
Bobby Schenk
zur
Home-Page
Impressum und Datenschutzerklärung
|