YACHT-Leser fragen, Bobby Schenk
antwortet
1.7.2013
Hallo Herr Heidorn,
danke für Ihre ehrliche Mail und die
interessante Frage. Die Antwort darauf ist leicht, sie lautet "Ja"!
 Eigentlich! Denn was ist schon normal? Entspricht
es irgendwelchen Normen, wenn sich Paare so einfach aus dem Arbeitsleben
ausklinken, um es sich ein paar Jahre auf einer Yacht gut gehen zu lassen?
Andererseits: Wer sagt denn, dass ich täglich um 8 Uhr an einem Arbeitsplatz
sein muß, nur um Geld zu verdienen, die Familie zu versorgen? Wenn es auch
anders geht. Wenn ich nicht auf den Mammon angewiesen bin. Und was ist an
unserer Gesellschaft schon normal - allgemein gesprochen?
 Man müßte die Schar der Langfahrtsegler danach
klassifizieren, was sie vom "Durchschnittsbürger" - auch so ein
schwammiger Begriff - abhebt. Negativ oder positiv aus der Sicht des Autors. Der
Beruf kan es nicht sein, denn auf den Ankerplätzen frinden sich praktisch alle
Berufe: Vom Techniker über den Universitätsprofessor, vom Olypiasieger im
Segeln bis zum Arbeiter, vom Arbeiter bis zum Arzt oder hohem Militär.
 Ein paar Eigenschaften wird man dem
Langstreckensegler von vorneherein nicht absprechen können: Da ist an erster
Stelle sein Drang, etwas Unübliches zu unternehmen. Denn wer gibt denn sonst
schon seine feste Bleibe zu Hause in Europa zugunsten eines doch im Ergebnis
unstetem Lebens auf einer Yacht vor wechselnder Kulisse in fremden Ländern auf?
Die Motive sind da nicht mehr sehr einheitlich. Die einen
suchen das kalkulierte
Abenteuer (ein Widerspruch in sich selbst), die anderen ein Leben in absoluter
Freiheit. Wobei nahezu alle Langfahrtsegler diese Illusion schon nach ein paar
Monaten auf dem Schiff begraben müssen. Denn der Zwang zur regelmäßigen
Arbeit wird bald abgelöst durch die meist nervenaufreibende Routine, die Yacht
technisch auf Vordermann zu
halten. Denn wo ist denn da der
wesentliche Unterschied zwischen dem Arbeitnehmer zu Hause, der im Büro vor seinem Computer
sitzt und Zahlen verrechnet oder dem Yachtsmann, der vor Anker in der Naviecke
auf seinem Notebook die Details zur Ersatzteilbestellung zusammensucht?
Letzteres sicher nicht der Regelfall, doch viel häufiger als alle, die noch
nicht losgefahren sind, glauben.
 Die Motive der Langfahrtsegler, auf
Weltumsegelung zu gehen oder zumindest längere Zeit an Bord zu leben, sind so
verschieden wie die diversen Lebenseinstellungen der Landratten. Trotzdem kann
man ein paar Motive schon in den Vordergrund stellen: Zu Beginn einer
"Karriere" auf dem Wasser steht sicher die
vermeintliche absolute Unabhängigkeit, verbunden mit einer unbändigen Liebe
zum Segeln. Doch wie alles im Leben ist sie nicht von unbegrenzter Dauer. Denn
wie sonst kann erklärt werden, dass zahlreiche Weltumsegler nach Erreichen des
Ziels ihr Schiff verkaufen, um sich aufs Land (oder auch in den Wohnwagen)
zurückzuziehen?
 Eine Eigenschaft wird man wohl allen
Weltumseglern bescheinigen können: Nahezu grenzenlose Zielstrebigkeit. Der Laie
ahnt ja schon die Schwierigkeiten, die die Yachtsleute auf sich nehmen, um ihr
Ziel zu erreichen, aber die Dimension dieser Bemühungen unterschätzt er meist: Wenn man mal von den ganz wenigen Langfahrtseglern absieht, die mit
links ihre Zukunft auf dem Wasser, sozusagen aus der Portokasse, finanzieren. Solche finden sich auf den internationalen Ankerplätzen ganz wenige,

vielleicht weil denen das Leben auf dem Wasser zu asketisch ist. Die
überwiegende Mehrzahl der Dauersegler hat hart - unter Verzicht auf viele
Annehmlichkeiten, die das bürgerliche Leben so bietet - jahrzehntelang arbeiten
müssen, um sich nun ein Leben ohne regelmäßiges Einkommen leisten zu können.
"Ich kann mir das nicht leisten, auf Langfahrt zu gehen", hätten
nahezu alle Yachtsleute ein paar Jahre zuvor sagen können. Aber sie haben halt
nicht resigniert und das Ziel des "Ausstiegs" mit harter Arbeit
erreicht. Das ist die Regel, jedenfalls dann, wenn das Rentenalter noch nicht
erreicht ist.
 Paradebeispiele hierfür sind Sven und Annett von
der Raroia (hier klicken!). Als junges Pärchen aus der damaligen DDR
kauften sie sich für 6000 Mark ein genietetes Stahlschiff, die RAROIA (die
viele von uns nicht für langfahrttauglich gehalten hätten, und segelten
anschließend mit einem Monatsbudget von 600 Mark mehrere Jahre um die Welt. Der
Satz "ich krieg keine Arbeit" galt für die beiden anschließend
nicht. Nach der Zeit auf dem Wasser bekamen die beiden zwei Kinder und fanden
einen adäquaten Job. Exzellente Seemannschaft
 in jeder Beziehung eben!
Ein anderes Beispiel ist der damals 20-jährige Sebastian Pieters - siehe
hier. Seine Pläne,
um die Welt zu segeln, reiften, als er noch ohne Schiff und Geld da stand. Viele
werden jetzt einwenden, er hatte halt das Glück, einen großzügigen Lehrer zu
haben, der ihm ein Schiff geliehen hat. Schon richtig, aber Sebastian hat eben
nicht gesagt: "Ich hab weder Geld noch Schiff, also kann ich meine Träume
begraben. Aber ist er deswegen nicht ganz normal?
 Nein, in der community der Langfahrtsegler findet
sich alles, was man auch in unserer bürgerlichen Gesellschaft vorfindet:
Tüchtige, bescheidene oder ehrgeizige Zeitgenossen, aber auch - zum kleinen Teil - Angeber,
Hochstapler, Betrüger, Kriminelle. Letztere Gruppe unter den europäischen
Langfahrtseglern wird ausgedünnt, je weiter sie vom Mittelmeer und anderen
heimischen Gewässern entfernt sind. Denn die See macht demütig.
 Der gesellschaftliche Feinfilter ist dann Panama,
da bleiben viele in der Karibik hängen - der Atlantik hat demütig gemacht: Denn jedem ist bewusst, dass es im
nachfolgenden Pazifik kein Zurück mehr gibt, jedenfalls nach Osten. Signifikant
ist dann die europäische Yachtszene von den oben genannten Randgruppen fast
frei. Aber auch viele andere Langfahrtsegler haben die Nase voll und
nehmen den schnellen Heimweg über den Atlantik. Sie sehen, Herr
Heidorn, alles ganz normale Leute!
 Vor vielen Jahren, als es noch was ganz
Besonderes war, um die Welt zu segeln, meinte ein enttäuschter
Möchtegern-Weltumsegler in der Karibik: "Der Herr Meyer bleibt der Herr
Meyer, auch wenn er über den Atlantik gesegelt ist." Und fuhr nach Hause.
Späte Einsicht!
Gute Fahrt!
Bobby Schenk
   
zur
Home-Page
Impressum und Datenschutzerklärung
|