Sehr geehrter
Herr Krüger,
Ihre Gedanken und Zweifel wegen dieses "Problemchens"
kann ich sehr gut nachvollziehen. Man möchte alles richtig machen, aber es
sollte mit nicht allzu (vermeintlich ) unnötigen Aufwand verbunden sein.
Freilich, eine einfache Antwort von mir würde lauten: "Alle Ventile
schließen!". Aber damit ist Ihnen ja verständlicherweise nicht gedient.
Zunächst einmal: Es ist heute sicher nicht mehr
richtig, Regeln, die aus der Zeit des beginnenden Fahrtensegelns, also aus
der ersten Hälfte der vergangenen Jahrtausends stammen, stur, blind, meist
verkleidet als Gebot der "guten" Seemannschaft, zu übernehmen. In Ihrem Fall
mit den 14 Ventilen schon gar nicht. Unter anderem wegen Ihres Hinweises auf
die Bilgpumpe, die ja im Falle des vorgeschaltenen Ventils ausser Funktion
gesetzt würde.

Dies gilt, und das macht die Sache etwas
transparenter, auch für andere "Regeln", mit denen wir aufgewachsen sind.
Zum Beispiel: Soll man die Rettungsweste immer tragen? Auch, wenn man vom
Schiff auf den Steg steigt, um zum Hafenkapitän zu laufen? Soll man die
"Schwimmweste" (wie sie viele immer noch bezeichnen) anbehalten, wenn man
unten in der Pantry kocht? Unsinn natürlich! Aber regelkonform!
Nein, es gibt so vieles im Schiffsbetrieb, wo das
Ermessen des Skippers zum Tragen kommen muss! Regeln sind da vielleicht eine
gute Entscheidungshilfe, aber letztlich muss sich der Skipper selbst sich ein
Urteil auf Grund seiner Erfahrung und seines praktischen (!) Wissens ein
Urteil bilden
und danach entscheiden - unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit, der
Performance, der Bequemlichkeit und der Freude am Fahrtensegeln - und zwar in
dieser Reihenfolge, jedoch nicht unter Auslassung aller praktischen
Gesichtspunkte.
Das bedeutet für sie:
Eine Wertung, wie hoch das
Risiko für die Yacht ist, wenn sie darauf verzichten, jedesmal bei Ihrem
Verlassen alle 14 Seeventile zu schließen - was ja unzumutbar und
wahrscheinlich auch nicht nötig ist - müssen allein Sie vornehmen.
Ich kenne Ihre Ventile, die Position, die Funktion,
den technischen Zustand und die Art der Betätigung (Funktion, Position,
elektrisch, mechanisch, Schieberegler, Kunststoff oder Bronze, eine oder
zwei Schlauchschellen) nicht. Sie sollten sich also konkret überlegen, was
passieren kann, wenn es zu einem Problem in ihrer Abwesenheit kommt, wenn
zum Beispiel ein Ventil offen bleibt und der Schlauch dahinter
abrutscht. Sie kommen also nicht umhin, bei jedem Ventil abzuwägen, wie hoch
das Risiko ist, dass ihrer Yacht ernster Schaden
zugefügt wird. Das können nur Sie als der verantwortlicher Skipper.
Und, weil Sie auch nach dem Versicherungsproblem gefragt haben: Wenn Sie
diese Abwägung sorgfältig also jedenfalls nicht grob fahrlässig ("es wird
schon nichts passieren!") vorgenommen haben, sind Sie damit auch im
Versicherungsfall gegenüber einer seriösen Versicherung auf der richtigen
Seite. Denn eine gesetzliche Vorschrift, die regelt, welche Ventile Sie beim
Verlassen Ihrer Yacht zu schließen haben oder gar, dass Sie alle Ventile zu
schließen haben - , gibt es nicht.
Bei dieser Entscheidung werden Sie in
erster Linie darauf achten, wie wahrscheinlich eine Fehlfunktion eines
Ventils ist, und was das Malheur anrichten kann. Wenn Sie nur für einen Tag
weg sind, dann kann ein abgerutschter Viertel-Zoll-Schlauch
Ihrem Schiff vermutlich keinen erheblichen Schaden zufügen, - je nach
Schlauchdurchmesser und Einbautiefe unter Wasser. Haben Sie schon mal
beobachtet, wie lange es dauert, bis Ihre Badewanne
randvoll gefüllt ist? Und da geht nicht mal eine zehntel Tonne Wasser rein?
In Ihrem Fall würde ich also raten,
eine Liste der Ventile anzulegen, und unter Berücksichtigung der
genannten Punkte, aber auch des Liegeplatzes (unruhig, vor Anker etc)
schriftlich festzulegen, ob sie zu schließen sind. Es sind dabei sicher
Ventile dabei, die immer geschlossen werden müssen (und vielleicht auf See unbedingt zu
öffnen sind), aber auch solche, um die Sie sich kaum kümmern müssen, die also
offen bleiben können.
Um dem Thema einen etwas heitereren Anstrich zu
geben, zum Schluss eine wahre Geschichte, die einer der Pioniere im
Weltumsegeln, Ernst-Jürgen Koch, gerne wiedergegeben hat: Nachdem
Ernst-Jürgen seine KAIROS (eine 10-m-Stahlyacht) morgens dem Käufer
übergeben hatte, erreicht ihn am Abend der aufgeregte Anruf von eben diesem
Segler: "Herr Koch, es gibt Schwierigkeiten mit einem Ventil, Ihr Schiff
sinkt. Ernst-Jürgern zunächts mal: "Es ist nicht mein Schiff, sondern
Ihres!". Aber selbstverständlich hat Ernst-Jürgen dann geholfen.
Herzliche Grüße!
Bobby Schenk
Meinung des
Fragestellers hierzu:
Lieber Herr Schenk, das war doch mal eine ausführliche und umfängliche Antwort. Dafür
herzlichen Dank. Ich werde Ihrem Rat folgen und die bereits angefertigte
„Lage- und Funktionsübersicht“ der Seeventile entsprechend ergänzen.
Ihre Überlegungen haben mir sehr geholfen. Noch einmal herzlichen Dank und beste
Grüße
Ihr Michael Krüger"
