YACHT-Leser fragen, Bobby Schenk antwortet



Frage von Michael Baar

Sehr geehrter Herr Baar,

ich habe Ihre "Frage" gerne so (lang) stehen lassen, weil Sie ein Thema berührt, das sicher alle interessiert, die auf die "hohe" See hinausfahren. Und Ihr Erlebnis ist ja wirklich lehrreich für uns alle. Zum größten Teil haben Sie sich die richtige Antwort ja schon gegeben.

Also: Die absolute Sicherheit gibt es nirgendwo. Nicht ganz, denn Sie könnten ja aus Sicherheitsgründen auf das Segeln schlechthin verzichten. Ein anderer ("Draufgänger") könnte nun die Behauptung aufstellen, dass das Segeln ohnehin ungefährlich, sein Leben ihm im übrigen egal sei und er deswegen auch ohne jegliche Sicherheitsausrüstung in einem Flying Dutchman im Winter über die Biskaya segeln könne.

Irgendwo zwischen diesen beiden Extremen liegt nun "die Wahrheit", um es genau zu sagen, die ganz persönliche, individuelle Einstellung.

Als Newcomer lässt man sich, wie sollte es anders sein, in dieser Situation der Orientierungslosigkeit, leicht einschüchtern. Vor allem von den Sprüchen der "alten Hasen". Man weiß eben nicht, dass kaum jemand von den Freizeitseglern jemals in seinem Leben in wirklich schlechtes Wetter kommt. Da ist schon die Statistik davor. Deshalb ist von unschätzbarem Wert das Buch von Adlard Coles "Schwerwettersegeln" (Delius Klasing Verlag), in dem dieser nicht eigene, sondern eben gesammelte Erfahrungen anderer Yachten uns Skipper zusammengestellt und versucht hat, Lehren aus den beschriebenen Stürmen zu ziehen. Bei dieser Lektüre darf man aber nicht übersehen, dass dieses Buch aus Zeiten stammt, wo eine 9-Meter-Yacht als groß und damit als äußerst seetüchtig galt.

Ich glaube, dass meine Frau und ich, schon von der Anzahl der Meilen und von den Revieren her, ein Stückchen mehr Erfahrung gesammelt haben, als viele  Gelegenheitssegler, mögen sie auch "den ganzen Sommer" lang unterwegs gewesen sein.

Es mag Sie beruhigen, dass wir in unserem Leben an schwerem Wetter (nach meiner heutigen Erinnerung) lediglich selbst durchgemacht haben:

  • den stärksten Hurricane, der in der Südsee jemals verzeichnet wurde - im Hafen!
  • im Golf von Lyon einen Herbst-Maestrale drei Tage lang. Wir mußten uns mit ihm und den 9 Bft, drei Tage lang, beigedreht abfinden!
  • zwei Tage 11 Windstäken den brüllenden Vierzigern kurz vor Kap Hoorn

Beigedreht lagen wir also nur ein einziges Mal, und zwar in einem 10-Meter-Schiff. Rückblickend bin ich überzeugt, dass in meinem nächsten Schiff (Stahl, 48 Fuß) ein Beidrehen nicht notwendig gewesen wäre.

Die Erkenntnis ist entscheidend: Interessant ist niemals die Windgeschwindigkeit, sondern nur der Seegang. Deshalb sind die Feststellungen mancher Segelfreunde in ihren Urlaubserinnerungen "die Nadel des Windmessers stand bei 60 Knoten am Anschlag" nicht besonders beeindruckend. 60 Knoten, nicht mal 120 Stundenkilometer, kann jeder in einem langsamen Auto spüren, wenn er mal auf der Autobahn auf der Kriechspur die Hand zum Fenster hinaushält. Ungefährlich, wenn er nicht gerade das Steuer verreißt!

Die Sicherheit auf See hängt also immer vom Seegang ab und damit gleichzeitig(!) von der Größe der Yacht. Je größer diese ist, - das ist physikalisches Gesetz - umso sicherer ist sie, weil - relativ - der Seegang kleiner ist. Auch hierzu kann ich aus meiner eigenen Erfahrung folgendes feststellen: Auf einer Weltumsegelung in einem 10-Meter-Schiff ist dreimal ins Cockpit eine "See" eingestiegen, auf einer 48-Fuß-Yacht während einer vierjährigen Weltreise (Kap Hoorn eingeschlossen) nicht ein einziges Mal. Ich hab sogar das Wort "See" in Anführungszeichen gesetzt, weil ich mir nicht mal sicher bin, ob es richtig massives Wasser war, oder nur die Gischt eines überkippenden Wellenkamms, die unser Cockpit aufgefüllt hat.

Warum immer wieder Autoren ihren Lesern gerne einreden (wollen), dass auch kleine Schiffe "extrem seetüchtig" sind, liegt  ganz einfach am größeren Leserkreis. Welcher "Kunde"  hört schon gerne, dass sein kleines Schiffchen lebensgefährlich ist.

Sie haben die Airbags im Auto erwähnt. Warum glauben Sie wohl, dass bei der Lufthansa keine Fallschirme verteilt werden? Obwohl mit Sicherheit (seltene) Situationen vorstellbar sind, wo so ein Ding Menschenleben retten könnte? Weil der Aufwand zum extrem unwahrscheinlichem Erfolg in keinem vernünftigen Verhältnis mehr steht. Gleiches gilt für "unsinkbare" Kielschiffe, wo mit Gummischläuchen, Tischtennisbällen, automatischen Aufblasvorrichtungen verhindert werden soll, dass so eine Yacht absäuft. Erfindungen dieser Art gab und gibt es unzählige. Durchgesetzt haben sie sich nicht. Mir ist auch kein Fall bekannt, wo so ein Patent ein Unglück verhindern hätte können. Von den Nachteilen (Wohnraum, Kosten) mal ganz zu schweigen. Und eine Rettungsinsel erfüllt - preiswerter - den gleichen Zweck.

Ein wenig verhält es sich auch so mit den früher gepredigten "Patentrezepten" gegen schlechtes Wetter. Öl nach Luv ausbringen ist, wenn überhaupt praktikabel, wahrscheinlich mehr ein psychologisches Hilfsmittel (die See scheint geglättet zu sein), als ein wirkliche Waffe. "Beidrehen" ist nur bei Windstärken (und Seegangshöhen) möglich, bei denen die heutigen (größeren) Yachten viel bequemer vor dem Wind ablaufen können und sich nicht  mit verschiedenen Segelführungen abquälen müssen. Denn ehrlich: Wer kann den bei 11 oder 12 Bft auch nur noch einen Quadratzentimeter  Segel setzen?

Aus unzähligen Unterhaltungen mit weltmeererfahrenen Yachties weiß ich übrigens, dass im Falle des Falles jede Theorie versagt und die See gnadenlos diktiert, was zu tun ist. Meistens wird es auf ein Ablaufen vor dem Wind hinauslaufen (was auch am bequemsten ist), wobei nach Einholen aller Segel die Geschwindigkeit (eventuell durch Nachschleppen vor irgendetwas) in der Nähe der Rumpfgeschwindigkeit zu halten ist.

Oh ja, ich kenne den berühmten Einwand: Moitesier - "die Seen in einem Winkel von 20 Grad zu nehmen". Wenn das nur stimmen würde! Mir selbst hat er augenzwinkernd erzählt, dass er bei seiner späteren Reise eineinhalbmal um die Erde ("der verschenkte Sieg") diese Taktik nie mehr angewendet hat.

Letzte Frage: Was ist, wenn ich - Legerwall - nicht mehr vor dem Wind ablaufen kann? Das ist der Moment, wo der Faktor Seemannschaft ins Spiel kommt, wo Segeln zum Schachspielen wird. Ein guter Skipper kommt eben gar nicht erst in diese Situation, so wie ein guter Flugzeug-Pilot niemals erleben wird, dass er mit seinem Sprit trotz Nebel, Eis und geschlossenem Flugplatz keine Landebahn erreichen wird. Ein Fenster musst Du Dir als Skipper immer offenhalten.

Und jetzt können Sie selbst Ihre Schlüsse für sich ganz persönlich ziehen, ob es sinnvoll ist, eine Unmenge Geld (und Gewicht) für einen "kentersicheren" Mast oder ähnliches auszugeben, oder sich lieber dafür ein etwas größeres Schiff zuzulegen?

Mast- und Schotbruch

Bobby Schenk

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