YACHT-Leser fragen, Bobby Schenk antwortet



Frage von Marcus H.

Lieber Marcus H.,

es lässt sich so leicht fordern: Es ist ein Gebot der Seemannschaft, immer die neuesten Seekarten des betreffenden Reviers  an Bord zu haben.

Diese Behauptung in dieser Allgemeinheit ist natürlich Nonsens. Das würde bedeuten, dass eine Yacht auf einer Atlantiküberquerung sämtliche Seekarten der Atlantikanrainer (jedenfalls in der Passatregion) plus Hafenpläne plus Übersegler mit sich führen müsste. Denn immerhin könnte man im Falle eines Mastbruchs oder eines Notfalls weißgottwohin verschlagen werden! Auf einer Weltumsegelung müsste man soviel Karten an Bord haben, dass man sich die schon vom Stauraum her nicht leisten kann, vom Geld her mal ganz zu schweigen.

Wie immer liegt die reine Wahrheit in der Mitte. Neulich hat sich mal im Internet jemand darüber aufgeregt, dass auf einer Atlantiküberquerung "nicht mal ein Übersegler" an Bord war. Ja, für was brauch ich denn den? Zwischen den Kanaren und Barbados ist keine einzige Untiefe, nur tiefes Wasser und auf der Seekarte nur Papier mit einem Gradnetz (das ich auch selber zeichnen kann) und ein paar für Yachten belanglose Tiefenangaben. Wenn ich meinen GPS-Standort mit Datum/UTC ins Notizbuch eintrage, dann ist der Logbuchpflicht genauso Genüge getan, wie ein paar Kreuzchen in der unförmigen Seekarte. Der fehlende Übersegler macht nur Mitseglern Angst, die von der Navigation nicht all zuviel verstehen. Nervös würde ich allerdings werden, wenn von Barbados keine Karte an Bord wäre.

Andererseits wäre es kriminell, zum Beispiel in der Themsemündung rumzusegeln, ohne die neuesten, zumindest peinlich berichtigten Karten auf dem Navi-Tisch liegen zu haben. Es kommt also sehr auf das Revier an, wieviele Karten und welche Seekarten ich verwende. In Gebieten, in denen rasche Veränderungen eintreten können, also speziell in Gewässern mit ausgeprägten Tiden, starkem Strom oder mit viel Schiffsverkehr muss(!) der Skipper auf die neuesten Informationen zugreifen können.

Wie immer ist es nicht ganz leicht, einen guten Kompromiss zwischen diesen beiden Extremen und der Belastung der Bordkasse zu finden. Auf einer Weltumsegelung vor vielen Jahren, als wir noch ziemlich unerfahren waren, haben wir selbstverständlich alle allerneuesten Karten eingekauft, was ein tiefes Loch in unser Budget gerissen hat. Als wir dann zwei Jahre später im Indischen Ozean waren, wären Seekarten, die auf Frachtern ausgemustert und weggeschmissen wurden, aktueller gewesen, als unsere eigenen sündteuren Karten. Inzwischen haben wir gelernt - so wie viele andere. Ich kenne heute kaum Weltumsegler, die nicht auch mal eine Seekartenkopie oder eine von entgegenkommenden Yachten eingetauschte alte (nicht veralterte) Seekarte benutzen würden.

Es kommt immer aufs Revier an. In vielen Gegenden, meist in der Südsee, wurden bis vor kurzem auch von der Handelsschifffahrt Karten benutzt, die auf Vermessungen vor hundert Jahren beruhten. Dort völlig ausreichend! Warum sollte - unabhängig von urheberrechtlichen Fragen - eine gute Fotokopie von einer Seekarte in Schwarzweiß nicht völlig ausreichen? Auf der erwähnten Weltumsegelung haben wir Yachtsleute getroffen, die, mangels Kopiermöglichkeiten auf der einsamen Insel, von anderen Yachten Seekarten durchgepaust haben. Ja, warum nicht, wenn man sich der Fehlermöglichkeiten bewusst ist? Oder benutzen wir nicht manchmal auch Skizzen aus Hafenhandbüchern zur Orientierung? Neuere Seekarten "für die Sportschifffahrt" werden gelegentlich nicht mit der gleichen Akribie erstellt, wie "amtliche" Seekarten und trotzdem können sie an Bord mit der nötigen Vorsicht eingesetzt werden!

Welche Seekarten? Generell lässt sich sagen, dass die Seekarten aus lokaler Produktion sicher die besten und aktuellsten sind. In der Türkei würde ich also mit türkischen, in Kroatien mit kroatischen, in England mit englischen und in Polynesien mit französischen Seekarten herumsegeln. Nur in Japan oder China würde ich es da anders machen. Gibt es keine Karten lokaler Hersteller, dann greife man generell zu englischen oder amerikanischen Seekarten. Zwischen beiden glaube ich einen Unterschied in der Kartenphilosophie bemerkt zu haben: Die Engländer versuchen in alle Karten soviele Informationen wie möglich einzuarbeiten. Das heißt, auf Karten größeren Maßstabes finden sich die gleichen Details wie auf den Karten in kleinerem Maßstab. Die Amis mit ihrem Sinn fürs Praktische verzichten in den Überseglern auf viele Details, die sich dann in den Küstenkarten finden. Wenn ich also sparen muss, kaufe ich englische Karten, aber (je nach Revier) nicht komplett. Von den übersichtlichen amerikanischen Karten brauche ich komplette Sätze.

Vorbehalte gelten auch elektronische Seekarten auf CDs. Nur sollte man da noch vorsichtiger sein: In diesem boomendem Markt werden sich einige Hersteller das schnelle Geld versprechen ohne die Sorgfalt aufzuwenden, die beispielsweise staatliche Stellen (BSH), denen ja eine Kosten-Nutzen-Rechnung wurscht ist, investieren. Im übrigen ist jede Seekarte aus Papier besser als die Elektronen. Wenn wir schon von Seemannschaft sprechen: Leichtsinnig handelt der, der zwar eine Seekarte auf der CD, nicht aber auf Papier an Bord hat.

Immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel wünscht Bobby Schenk!

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