YACHT-Leser fragen, Bobby Schenk antwortet



Frage von Gerhard Bengesser

Lieber Gerhard Bengesser,

nur noch wenige kümmern sich um solche Fragen. Da werden mit ganz normalen Fahrtenschiffen zur Unzeit bekannt riskante Seegebiete befahren, da sticht man bei Sturmwarnung in See oder man schleicht bei angesagtem auflandigem Starkwind unter der Küste herum. Da werden in einem Novembersturm in der Biskaya die Yachtsleute von fünf(!) Yachten abgeborgen und jeder freut sich über die Effektivität unserer Rettungsorganisationen. 

Und kaum jemand fragt: "Was zum Teufel treiben diese Yachten im November in einem der berüchtigsten, weil sturmhäufigsten, Seegebiete der Welt?"

Kein Zweifel, unsere Yachten sind in den letzten Jahrzehnten viel besser geworden als die in den ersten Ausgaben des klugen Buches "Schwerwettersegeln" beschriebenen Rennyachten. Und vor allem: Sie sind größer geworden. Es wird immer wieder vergessen, dass selbstverständlich die Seetüchtigkeit auch(!) mit der Schiffsgröße zunimmt. Weil eben die Seetüchtigkeit entscheidend vom Verhältnis Wellenhöhe, Wellenlänge und Schiffsgröße beeinflusst wird.

Die Materialien sind widerstandsfähiger geworden. Kunststoffsegel zerfetzen eben nicht so leicht im Sturm als die von Adlard Coles beschriebenen Segel aus Naturfaser. Und nicht zuletzt: Kunststoffschiffe sind erheblich reißfester als die früheren Holzschiffe, von Ausnahmen einmal abgesehen: Einen Unfall, wie den der Morning Cloud des damaligen englischen Premierminister, deren Plastikrumpf schlicht in zwei Hälften zerrissen wurde, hat es in 20 Jahren nicht mehr gegeben.

Mit einer Sunbeam besitzen Sie ein Schiff, wie es besser verarbeitet kaum sein könnte. Und unter "normalen" Umständen sollte Ihnen damit auch nie etwas passieren. Wenn Sie mit der gebotenen Vorsicht navigieren und nicht überheblich in Richtung Seetüchtigkeit werden. In der YACHT geisterte mal ein ganz dummer Spruch herum. Da hat einer sein Schiff, es war eine nur acht Meter lange Laurin Coster (oder so ähnlich) als "unbegrenzt seetüchtig" bezeichnet. Das ist Quatsch. So wie es den perfekten Seemann nicht gibt. In der Fliegerei wird gerne Anfängern eine Weisheit mitgegeben, die man auch Yachtsleuten in weniger dramatischer Form ins Logbuch schreiben möchte: "Es gibt alte Piloten und es gibt mutige Piloten. Aber es gibt keine mutigen, alte Piloten!"

Kurzum: Die beste Vorkehr gegen schlechtes Wetter ist Vorsicht. Das beginnt schon bei der Törnplanung. Ist die an einen starren Zeitplan gekoppelt (bei Chartertörns leider nicht unüblich) schafft man damit vielleicht schon die Ursache für spätere Unbill! Dass man bewusst nicht in schlechtes Wetter hineinsegelt ist eigentlich selbstverständlich und dass man schlechtes Wetter nach Möglichkeit umsegelt, gehört zur Seemannschaft. Beim Absegeln sollte die Yacht immer in einem Zustand sein, als ob es in Kürze einen Sturm gibt. Man beurteile mal seine Yacht danach nach dem Ankeraufgehen in der Badebucht im sommerlichen Mittelmeer! 

Manchmal lässt es sich nicht vermeiden, mit schlechtem Wetter, gar Sturm, konfrontiert zu werden, das ist im Laufe eines Fahrtenseglerlebens nicht zu umgehen. Und das kann schon beim nächsten Törn passieren. Wer beim Herannahen eines Sturms sich erst Gedanken zur Sturmtaktik, zum Zustand seines Schiffes macht, ist schlecht dran, wird sicher falsche Entscheidungen treffen. Ich weiß, dumme Mitmenschen mögen über diesen Skipper lachen, aber Tatsache ist, dass jener kaum jemals in Schwierigkeiten gerät: Derjenige, der sein Schiff vor dem Auslaufen in einem Zustand hält, als ob ein Sturm unmittelbar bevorsteht.

Wer erst bei Herannahen der ersten Böe anfängt, auf dem Schiff aufzuräumen, sich Gedanken über die Seetüchtigkeit seines Schiffes macht, verliert wertvolle Zeit, ist nicht mehr in der Lage, kluge Entscheidungen zur Sturmtaktik zu treffen. Eigentlich selbstverständliche Seemannschaft!

Unsere heutigen Yachten sollten keiner besonderen Vorbereitung bedürfen. Vergessen wir nicht: Moderne Yachten mit jollenähnlichen Rümpfen sind grundsätzlich seetüchtiger als die alten tiefgehenden Yachten vor dreißig Jahren. Warum? Sie kommen dem Ideal eines auf der Wasseroberfläche treibenden Korkens viel näher, bieten den angriffslustigen Wellenkronen viel weniger Widerstand als Rümpfe, die sich fest im Griff massiven Wassers befinden.

Schlagblenden vor den Fenstern waren vielleicht bei früheren Holzyachten mit großen Glasscheiben angebracht, würden heute aber eher lächerlich wirken, wenn das Schiff aus einer sicherheitsbewussten Werft stammt. Überhaupt hat sich die Ansicht zur Sturmtaktik geändert. Die See ölen war früher mal eine grundlegende Sicherheitstaktik. Heut spricht man nicht mehr davon und das hat nicht nur Umweltgründe. Der Treibanker ist aus den Stauräumen gänzlich verschwunden und die Autoreifen zum Nachschleppen hat wohl auch niemand mehr dabei. Beidrehen im Sturm hat kaum jemand in einem echten Achter oder Neuner praktiziert und so gibt es auch kaum ernstzunehmende Erfahrungsberichte darüber aus neuerer Zeit, mit modernen Kunststoffyachten.

Man wird immer versuchen, vor dem Sturm abzulaufen, notfalls ohne Segel am Mast, das beweisen die schrecklichen Luftaufnahmen vom Unglücks-Hobart-Race. Freilich - genügend Seeraum wird vorausgesetzt. Das wiederum gehört zur Sturmtaktik. Fehlt Platz nach Lee, dann wird man versuchen Schutz in Lee einer Insel oder in einem anerkannten Sturmhafen zu suchen. Dazu gehört aber auch, dass das Ankergeschirr klar ist. Eine Selbstverständlichkeit.

Man glaube ja nicht, dass man in einem echten Sturm "gegenan" segeln kann. Wer es trotzdem mal gemacht hat, nun, der war nicht in einem echten Sturm mit 50 Konten und darüber. Das geht schon eher: Mit blanken Masten in den Wind, wenn eine starke Maschine da ist. Ein Segel am Mast wäre wegen der starken Lage und der ausfallenden Ölung der Maschine ihr Tod. Und das ist etwas, was wir in dieser Situation am wenigsten brauchen.

Also, die Yacht sollte allzeit für einen Sturm bereit sein. Trotzdem: Ist alles festgezurrt, kann sich nichts losreißen, selbstständig machen? Es gibt bei schwerem Wetter nichts unangenehmeres als nur deshalb aufs Vorschiff zu müssen, weil die Rollgenua nicht richtig gegen Ausrollen gesichert war.

Die wichtigste Sturmvorbereitung auf einer richtigen Hochseeyacht aber sollte der Mannschaft, dem Skipper zuteil werden. Sind die Seekrankheitstabletten griffbereit? Ist die Mannschaft in ihre Rollen eingewiesen. Ist den Mitseglern klargemacht worden, dass ein Seekranker mitsamt Pütz in die Koje oder auf den Boden im "Salon" gehört und nicht an der Reling rumflacken darf? Hat jeder einen Sicherheitsgurt zur Hand? Kann er ihn in Sekundenschnelle auch anlegen? Weiß jeder, wie die Epirb ausgelöst wird (und was eine grundlose Aktivierung kostet)? Kann jeder das Funkgerät zur Not bedienen?  Wie wird die Rettungsinsel aktiviert? Ist genügend Suppe in der Thermoskanne? Ist ein Alkoholverbot und Pinkelverbot an der Reling ausgesprochen? 

Vor allem sollte man die Mannschaft darauf hinweisen, dass unzählige Notfälle auf See immer wieder bewiesen haben, dass das Schiff  viel stärker ist als seine Besatzung. Oder wie soll man die zahlreichen Fälle werten, wo Mannschaften in die Rettungsinsel geflüchtet sind oder vom Hubschrauber abgeborgen wurden und die Yacht Tage danach unversehrt treibend gefunden wurde? Dass Yachten in einem Sturm einfach verschwunden sind, das kommt Gott sei Dank fast niemals vor.

Die Sturmtüchtigkeit einer Yacht, auch der Ihren, wird fast ausschließlich von der Seemannschaft bestimmt.

Dazu wünsche ich Mast- und Schotbruch

Bobby Schenk

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