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YACHT-Leser fragen, Bobby Schenk
antwortet
Frage von
Ingrid und Norbert von der HARLEKIN
Hallo Ingrid und Norbert,
dass Ihr Euch diese Frage stellt, daran haben letztlich die
Satelliten schuld. "Etmal" ist ein Begriff aus
der Segelschiffahrt der vergangenen Jahrhunderte und ist nichts anderes
als die Strecke, die ein Schiff in einem Tag zurücklegt.
"Etmal" war und ist ein wichtiger Begriff in der
Blauwassersegelei, weil er hilft, die Leistungsfähigkeit eines Segelschiffes
einigermaßen zu beschreiben.
Unter "Tag" versteht man in diesem Zusammenhang
freilich nicht "von 12 Uhr bis 12 Uhr", erst recht nicht "24
Stunden", sondern es ist die Strecke, die von Schiffsmittag
bis Schiffsmittag gesegelt wird. Würde man nämlich Leistung eines
Schiffes über beliebige 24 Stunden hinweg gelten lassen, dann würde man die
Segeleigenschaften seiner Yacht schönen, indem man sich halt die beste
24-Stundenleistung herauspickt.
Auch "12 Uhr bis 12 Uhr" gilt hier nicht, denn
hierbei müsste man noch festlegen, ob es sich hierbei um Weltzeit,
Ortszeit oder Zonenzeit handelt.
Dagegen ist die Definition "Schiffsmittag
zu Schiffsmittag" eindeutig und sicher auch im Sinne der klassischen
Segelschifffahrt. Schiffsmittag ist, überall auf der Erdkugel dann, wenn
die Sonne den eigenen Meridian (Längengrad) passiert,
also exakt(!) im Süden oder Norden des Schiffes steht. Andersrum: Wenn sie den
höchsten Punkt auf ihrem scheinbaren Lauf von Horizont zu Horizont erreicht
hat.
Mit dem Sextanten in der Hand, kann dieser Zeitpunkt sehr gut
bestimmt werden, wenn nämlich der Winkel Kimm-Sonne
nicht mehr größer wird, sondern - scheinbar- für einige Minuten gleich
bleibt. Früher als es noch keine Satelliten gab, war dies - logisch - der
Zeitpunkt, an dem man mit Hilfe der "Mittagsbreite"
die geographische Schiffsbreite bestimmt hat. Ein oder zwei Stunden vorher war
schon eine Sonnenmessung vorgenommen worden, sodass diese Standlinie nur noch
mit der Mittagsbreite zum Schnittpunkt gebracht werden musste. So ergab sich
nicht nur die "Mittagszeit", sondern auch der Mittagsort,
und durch Vergleich mit dem Mittagsort vom vorigen Tag,
das Etmal.
Selbt in den jüngeren Zeiten, als man mit Hilfe von modernen
Tafeln und der Sonne navigierte, und auf die Mittagsbreite nicht mehr unbedingt
angewiesen war, behielt man die Bestimmung der
Mittagsposition in dieser Weise bei, weil die Sonne zur Mittagszeit
besonders leicht zu messen war, blieb sie doch für mehrere Minuten auf gleicher
Höhe "stehen".
Hinzu kam, dass die Mittagszeit identisch war mit der "stomache
time" - wie Churchill den Zeitpunkt des größten Hungers nannte - ,
sodass sich die Mittagszeit als Tagesmittelpunkt geradezu aufdrängte: Die
Schiffsposition war bestimmt, man wusste, wie gut man seit gestern gesegelt war
und Mittagessen gabs obendrauf.
Der Mittagszeitpunkt war also in der Eintönigkeit weiter
Ozeanreisen so etwas wie der Höhepunkt des Tages.
Auf vielen Schiffen wurde deshalb die Uhr (nicht der Schiffschronometer)
zu Schiffsmittag auf 12 Uhr gestellt, man hatte "Ortszeit" an Bord,
wobei noch zwischen "wahrer Ortszeit" (WOZ)
und "mittlerer Ortszeit" (MOZ)
unterschieden wurde.
Logisch: Wenn ein Schiff nicht
gerade nach Norden oder Süden segelte, änderte sich mit
jedem Tag die Mittagszeit. Was selbstverständlich auch einen Einfluss
auf das Etmal hatte. Bei einem Etmal von 100 Meilen,
die man jeder Fahrtenyacht als "Pflicht" abverlangen muss, macht dies
auf West- oder Ostkurs am Äquator immerhin mehr als 6 Minuten aus. Bei
Spitzenetmalen von fast 400 Meilen, wie sie vor 150 Jahren von den Teeclippern
und heute von fast 500 Meilen von den Rennmaschinen angepeilt werden, sind das
immerhin schon fast eine halbe Stunde mehr Zeit für ein Rekordetmal. So ist es
kein Zufall, sondern logisch, dass Rekordetmale
meist nach Westen gesegelt worden sind.
Ein Etmal ist nicht etwa die Strecke, die am Log abgelesen wird,
gar noch mit Kreuzschlägen, sondern die Strecke über
Grund - nichts anderes. So kann ein Etmal - hoch am Wind mit all dem
Gekrache - enttäuschend ausfallen, wenn trotz "gesegelten" 120 Meilen
nur ein Etmal von 30 Meilen übrigbleibt. Umgekehrt war die Spannung vor dem
Mittagessen immer sehr groß, wenn früher das Walker-Schlepplog schon vor der
Mittagsbreite 130 Meilen signalisierte. Wieviel Strom hatten wir gehabt? Mittagslänge
und Mittagsbreite verrieten es. Wie langweilig ist heute der fortlaufende
Blick aufs GPS?
Danke für Eure Bekanntschaft und Smooth Sailing auf Eurem
weiteren Weg um die Welt!
Bobby
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