Allen Ernstes hatten wir uns überlegt, nach
Südamerika zu segeln, um dort durch die Magellanstrasse den Pazifik zu
erreichen. Derart hat uns der bevorstehende Panama-Kanal genervt. Zwei kürzliche
Totalschäden von Segelyachten im Kanal haben unseren Sorgen neue Nahrung
gegeben. Dabei waren wir zuvor schon fünfmal durch den Kanal. Aber, wie heißt
es im Fußball? "Das nächste Spiel ist immer das schwerste..."
11.6.02 -
Panama-Kanal, ein echtes Weltwunder
"Du musst Dir einen Agenten nehmen!"
"Die Taxifahrer machen alles alleine!" "Du brauchst
professionelle Linehandler!" "Am besten ist es, andere Yachtsleute
mitzunehmen!" "Du mußt den Adviser Cooper, genannt CC (=Crash-Cooper),
zurückweisen!" "Du mußt als Cruising Speed über 8 Knoten angeben,
sonst lassen Sie Dich nicht an einem Tag durchfahren!" "Du mußt auf
jeden Fall Center Lock angeben, ja nicht längseits an einem Tug-Boat!"
Die Ratschläge schwirrten uns um den Kopf.
Schließlich folgten wir dem Tipp aus dem Büro des Panama Canal Yacht Clubs in
Colon: "Vermesser anrufen und abwarten!" Der kam, vermaß und bald
hatten wir einen Termin: Montag 5 Uhr!
Inzwischen hatten wir uns mit einem sympathischen
Taxifahrer arrangiert, der uns den Anruf bei der Kanalbehörde wegen
Terminbestätigung abnahm. Was von uns etwas einfältig war, denn am Montag hatte der
schon eine Kanalpassage und - wie es der Zufall will - unser Montagstermin wurde
auf Dienstag 4 Uhr verschoben.
Die sehr aktiven Taxifahrer vor dem Yachtclub
hatten uns alte
Autoreifen als zusätzliche Fender besorgt - das Stück zu vier Dollar. Je mehr,
umso besser, meinte die Kanalbehörde und hatte damit wohl recht. Schließlich
zierten 16 Autoreifen die THALASSA. Wir waren gerüstet auf die gefürchteten
Karambolagen mit den rauen Kanalmauern.

Ich hatte zwar schon fünf Kanalpassagen hinter
mir, aber seit die Panamesen die Oberhand über den Kanal hätten, so wurde
gemunkelt, verliefen die Passagen lange nicht so glatt wie unter den
Amerikanern. Tatsächlich ist es kein Geheimnis, dass Yachten im Kanal nicht
beliebt sind. Sie machen viel Arbeit und bringen kein Geld. Was leider stimmt.
Ein Biggy, vor allem ein "Panamax" (Schiff, das genau in die Maße des
Panamakanals reinkonstruiert wurde und runde 1000 Fuß Länge misst) bringt an
Gebühren 200 Tausend Euro bei einer einzigen Passage. Wir mit unseren fast 50
Fuß Länge zahlen dagegen nur knappe 500 Euro.
Unangenehme Erinnerungen hatten wir an die letzte
Durchfahrt mit unserer THALASSA II aus Stahl, die vor 20 Jahren auf
"Anweisung" des panamesischen Lotsen in die Pier geknallt ist und sich
eine drei Meter lange Beule geholt hatte.
Es war nicht so einfach, das Team für die
Kanaldurchfahrt zusammenzustellen. Der Panama Kanal Yacht Club in Colon war
zwar überfüllt mit Yachten, die meisten von ihnen waren aber unbewohnt, die
Eigner irgendwo "zu Hause". Das ist heute leider eine Randerscheinung
beim Langfahrtsegeln, dass es immer mehr Yachten gibt, die hängen bleiben und
den Yachten unterwegs den Platz wegnehmen. Die
Weltumsegelträumer scheitern oft (im Gegensatz zu früher, wo die Schiffe
kleiner, der Mut aber größer war), was vor allem daran liegt, dass die
Industrie diesen Leuten einredet, mit der richtigen Ausrüstung sei schon
nichts dabei, um die Welt zu segeln. Auch lässt sich nicht leugnen, dass die
Langfahrtsegler im Schnitt älter geworden sind - oft zu alt!
Und ein weiteres
Problem ist daran schuld, dass die Häfen an den Knotenpunkten voll mit
vergammelten Booten sind: Das Geld. Es sind einfach zu viele "Low-Budget-Sailors"
unterwegs, wie sich manche vornehm ausdrücken. Die Amerikaner sagen es
direkter: "Gipsy-Sailors" (was heutzutage ohne Anzuecken nicht mehr ins Deutsche
übersetzt
werden darf ). Kurzum, auf den unbewohnten Booten in Colon war niemand zu
finden, der eine der Leinen bei der Passage bedienen konnte. Vier "Linehandlers"
aber waren vorgeschrieben.
Draußen auf dem öden Ankerplatz, auf den Flats,
fand ich endlich einen französischen Segler, der sofort begeistert zusagte,
auch wenn er schluckte, als ich ihm den Termin nannte: Morgen 3 Uhr!
Mit dem Franzosen kamen in der Dunkelheit noch
drei Taxifahrer mit als Linehandlers an Bord. 55 Dollar Gage für jeden hatten sie
vorher ausgehandelt, was wegen der "Low Season" sogar 5 Dollar
billiger war als sonst. Eine Viertelstunde später brachte das Lotsenboot den
Adviser, einen Panamesen augenscheinlicher chinesischer Herkunft. Als Jimmy Lee
stellte er sich vor.
Früher, bei den Amis, fuhren nur "Kapitäne
auf Großer Fahrt" als Lotsen mit den Yachten mit, heute bekommt ein Boot
unter 60 Fuß "nur" einen Adviser. Das Sagen (und die Verantwortung)
hat weiter der Skipper. Auch wenn es sicher klug ist, nach dem Willen des
Advisers zu handeln.
Der Tag graute und ging nicht gut an. Der Adviser
fragte als erstes, wie ich das Fußballspiel der Deutschen in einer Stunde
tippe. Dann tadelte er mich, weil ich angeblich 9,5 Knoten als Cruising Speed
angegeben hatte (in Wirklichkeit hatten wir die 9,5 Knoten als "Topspeed"
angegeben) und schließlich eröffnete er mir, dass wir nicht "Center
Lock" fahren würden, sondern in der Schleuse an eine Motoryacht längseits
gehen würden und zudem an Backbord selber eine kleine Segelyacht längseits
nehmen müssten. Das war die Variante, die wir uns am wenigsten gewünscht
hatten.

Langsam wurde es hell. Vor uns wartete die Explorer
II aus Valetta, dahinter die 30-Meter-Motoryacht, darauf, dass endlich die
Gatun-Schleusen geöffnet wurden. Der Adviser klärte mich zwischenzeitlich
darüber auf, wie Deutschland gegen Kamerun spielen müsse, um sich zu
qualifizieren und dass es doch prima sei, dass die Franzosen draußen seien.
Alles Dinge, die mich im Moment herzlich wenig interessierten. Er redete und redete. Besonders
misstrauisch wurde ich, als er mir klarmachte,
dass er alles etwas anders machen würde, als die Offiziellen erwarten, er würde
nämlich mitdenken und eben nicht alles automatisch immer gleich machen, weil
man es immer so gemacht hätte. Bei einer offiziellen Lotsenprüfung würde er
sicher deshalb durchfallen. Prima! Das konnte heiter werden...
Endlich war die Explorer II in der ersten
gewaltigen Schleuse, eine südafrikanische 9-Meter-Yacht mit einem verängstigt
wirkenden Skipper und fünf dunkelhäutigen Panamesen war bei uns an Backbord
längseits gegangen, wobei "meine" Linehandler mit unseren Leinen die
schwächlichen Polypropylenleinen des Südafrikaners verstärkten. Schließlich
hatten wir jede Menge Leinen an Bord, viermal 50-Meter-Liros-Panamaleinen, die
vorgeschrieben sind, aber eben nur bei "Center Lock" benötigt werden.
Anschließend bugsierten wir uns an die Motoryacht. Deren Skipper hatte vorher bei der
Kanalgesellschaft allen Ernstes verlangt, dass wir an seiner Seite nicht die
Autoreifen verwenden dürften, die weiße Yacht könnte ja einen Gummistreifen
abkriegen.
Die
drei Gatunschleusen heben die Schiffe in drei Schritten runde 25 Meter höher
auf das Niveau des Gatun-Sees. Es ist klar, dass hierzu gewaltige Wassermassen
notwendig sind, um die Schiffe diesen Höhenunterschied gewinnen zu lassen.
Nachdem dies in ein paar Minuten bewerkstelligt werden muss, sind die
Wasserbewegungen vor allem für ein kleine Yacht so erheblich, dass sie während
dieser Zeit nicht außer Kontrolle geraten darf. In unserem Falle mit der
Motoryacht am Steuerbord, diese an der Schleusenmauer, hatten wir zwar aktiv
nichts zu tun, hingen aber auch davon ab, dass die Crew des Gin-Palastes beim
"Aufstieg" ihre Leinen kontrollierten und fortlaufend bedienten - und
dass unsere (und die der anderen beiden Yachten) Klampen halten, wenn die THALASSA in den gewaltigen Wasserstrudeln
an den Trossen zerrt.

Unsere "Linehandler", der Franzose, die
Taxifahrer Beckham (Vordergrund), Rudi (Hintergrund) und der schweigsame Victor
arbeiteten blitzschnell. Als wir bei der Motoryacht anlegten, genügte mir ein Blick auf
die Leinen, um zu sehen, dass hier echte Profis am Werk waren. Kein
Wunder, hatte doch "unser" Victor alleine über 200 Kanaltransits
schon auf dem Buckel. Also alles o.k. bei
uns und auf der Motoryacht, bei denen jeder ein Funkgerät "im Ohr" hatte, mit denen die Mannschaft oben mit
Skipper
und Lotsen kommunizierten!
So
verlief der erste Aufstieg glatt, als die Wassermassen in die Schleusenkammer
mit großen Wirbeln eindrangen. Deutlich spürten wir, wie wir Meter um Meter
emporkletterten. Und als das Rauschen dann verstummte, konnten wir hinter uns,
nein unter uns schon den nächsten Biggy sehen, der seinerseits auf das
Öffnen der Schleusentore wartete.
Damit
war erst der erste Teil der Aufregung in den Aufstiegsschleusen erledigt. Aber ebenso gefürchtet wie die Strudel des einströmenden Wassers ist der Schwall,
den der Biggy erzeugt, wenn er zur Unterstützung der Loks einen Schub mit der
Schraube nach vorne gibt. Die Wassermassen, die dabei auf die Yachten am Ende
der Schleusenkammer geschoben werden, haben schon
viele Klampen aus Segelschiffen herausgerissen. Das Unangenehme dabei ist,
dass man nichts dagegen tun kann. Eine Klingel ertönt, dann kräuselt sich die
Wasseroberfläche ganz harmlos, aber dann, je nach Schraubendurchmesser, wird das
Wasser unter dem Heck des "Großen" hügelig und eine Sekunde später
wähnt man sich in einem reißenden Gebirgsfluß. "Ungefähr Stärke
Drei", kommentierte unser Adviser die Wasserbewegung. Wieso? "Wenn ich
den Schraubenbewegungen eine Skala von 1 bis 10 unterlege, war dies Stärke
drei!" Das klang kompetent, langsam fasste ich Vertrauen zu Jimmy Lee.

Nachdem die Explorer II in der nächsten Schleuse an
ihrem Platz war, begann das Spiel von Neuem. Ablegen von der Motoryacht, warten,
bis die fest ist und Anlegen..."Ist ja fast schon Routine", dachte ich,
wobei ich meine früheren Kanalfahrten mit einrechnete. Unsere Crew arbeitet mit
den Leinen souverän, aber noch war die THALASSA nicht fest.
Irgendetwas stimmte da nicht! Plötzlich waren
am Heck der Explorer II oben auf jeder Seite zwei Loks, wo nur eine sein sollte, Drahtseile
fielen ins Wasser, behelmte Männer auf der Pier hoch oben schossen ihre
Wurfleinen ab, und rund ein Dutzend Männer in blauen Arbeitshemden liefen
hektisch auf dem Achterschiff des Großen hin und
her.

Jetzt hatten auch wir auf den drei Yachten bemerkt,
dass da was nicht stimmte. Das Heck des Biggy war ohne Halt durch eine Lok.
Offensichtlich hatte es nicht so schnell geklappt, eine Drahtseilverbindung
herzustellen. Warum, kann ich nicht erklären, jedenfalls setzte sich das
schwarze Heck vor uns ungehalten langsam in Bewegung und schob sich Meter für
Meter und
unheildrohend über uns. Vier Mann oben brachten endlich eine oberschenkeldicke
Trosse zu einem Poller aus, die wohl einstweilen das Schiff halten sollte, bis
es wieder an die Lock gebunden war. Die Trosse (Pfeil) spannte sich und, ich
sah etwas, was ich nie vergessen werde: Sie explodierte. Man kann es wirklich nicht
anders beschreiben. Sie riss nicht, nein, mit einem Knall zerlegte sie sich in
Millionen Teile und wie Konfetti regnete es die verbliebenen Mikroteile auf
die behelmten Männer, die sich alle auf den Boden geworfen hatten, herab.
Schreck lass nach! Das schwarze Heck bewegte sich wieder
langsam auf uns zu, um uns zu zerquetschen. Auf der Motoryacht wurde die Achterleine losgeworfen, um
vor dem drohenden Riesen zurückweichen zu können. Aber da waren nur
noch wenige Meter bis zum Schleusentor, das Ende der Welt für uns Yachten in
diesem Moment.
Der Käpt'n hoch oben machte das einzig Mögliche in
dieser Situation. Er gab mit der eigenen Schraube den von uns so gefürchteten
Schub, um seinen Vieltausendtonner zum Stillstand zu bringen. Und, welch ein
Glück, obwohl weder Motoryacht noch wir feste Leinenverbindung hatten, geriet
keine der Yachten im Wasserschwall außer Kontrolle.
Der Adviser klärte auf: Routinemäßig sollten bei
Schichtwechsel auch die Loks ausgetauscht werden, Aber die Leinenverbindungen
klappten eben nicht gleich und dann brach die Trosse...
Souverän handlten unsere Taxidriver die THALASSA
durch die letzte Gatunschleuse. Wir waren damit im Gatunsee. Wildnis empfing uns mit
Urwald bis zu den Ufern. Doch die Natur hatte hier etwas Steriles. Keine Häuser
deuteten auf menschliche Gegenwart, nur die wie mit dem Lineal gezogenen
Tonnenstriche - rot an Steuerbord - deuteten darauf hin, dass da der Mensch
gewirkt hatte. Und wie!
Zur Statistik des Panama-Kanals gibt es eine Reihe
von plastischen Zahlen. Die eindrucksvollste ist wohl die: Würde man das
gesamte Erdreich, das im wesentlichen aus dem Gatun-See beim Bau des Kanals
geholt werden musste, auf einen Güterzug laden, hätte der eine Länge, dass er
viermal um die Erde reichen würde.
Vier Stunden lang lief jetzt Frischwasser durch den
"Salzwasser"-Kühlkreislauf unserer Perkins-Motoren. Carla hatte im
Clubrestaurant ein paar Liter chinesischer Suppe vorbereiten lassen, die jetzt
mit sichtlichem Genuß von Crew und Adviser verzehrt wurden. Unmengen von
Softdrinks ergossen sich bei 35 Grad im Schatten in die Kehlen der durstigen Männer. Ein Bier?
"Nein, wir trinken an Bord keinen Alkohol!"
Ständig
wurden wir von anderen Schiffen passiert. Vor dem Gaillard-Cut, eine Engstelle,
deren Felsgestein beim Bau kaum zu bezwingen war - dreißigtausend
Menschen waren beim jahrelangen Kanalbau an Seuchen und Unfällen gestorben - mussten wir eine halbe Stunde an einer riesigen Kunststoffboje auf einen
Gegenkommer warten, denn dort ist Einbahnverkehr.
Unser Adviser bekam endlich aus dem Radio die
erwünschten Fußballergebnisse, die von den Männern mit großer Freude
quittiert wurden, weil Deutschland sich fürs Achtelfinale qualifiziert hatte.
Nachdem Jimmy auf seinem Palmtop die Tabellen auf den neuesten Stand gebracht
hatte, verlangte er nach Papier. Mit dem Schreiber in der Hand erklärte er mir
seine "Taktik" für die letzten Schleusen: "Wir gehen zunächst
längseits an die Pier, aber nicht an die Stelle, wo Dir beim letzten Mal der
Lotse Deine Yacht beschädigt hat. Dort reißt nämlich beim Füllen der
Schleuse ein starker Sog, der Deine Yacht in den Beton getrieben hat. Da müssen
wir 10 Meter weiter. Dort gibt es keine Probleme."
Wo er Recht hat, hat Jimmy recht. Tatsächlich
wurde damals das Schiff wie von Geisterhand unwiderstehlich an die Pier gerammt.
Aha, der Sog von der Schleuse wars.
Jimmy Lee fuhr fort: "In der Schleuse gehen
wir an einem großen Schlepper längseits. Du wirst sehen, abwärts geht es ganz
sanft. Nur beim Verlassen der Kammer musst Du aufpassen, da kriegst Du eine
starke Strömung von achtern, vom Biggy hinter Dir. Auch wenn Deine Yacht dann
vielleicht schräg nach vorne fährt, gib nicht zu wenig Schub, Du brauchst
Fahrt im Schiff, um manövrierfähig zu bleiben. Und: "Reverse is Your last
option!"
Und genauso kam es. Eigentlich war's ganz
gemütlich. Unsere Linehandler hatten mit jetzt schon gewohnter Souveränität
das Schiff längseits eines 500-Tonnen-Tugboats gebracht. Noch nie in meinem
Leben hab ich eine Crew gesehen, die derart geschickt mit Leinen hantierte -
ohne Stress mit viel Können. Besonders Beckham beeindruckte, wie er eine Leine
aus 10 Meter Entfernung auf Slip warf - punktgenau um einen Poller. Auf Slip!
Das bring ich aus zwei Metern Distanz kaum zusammen und auf 10 Meter werfe ich
eine Leine ohne Windunterstützung ohnehin nicht. Und dann noch auf Slip...!
Mit
der Zweimann-Besatzung des Schleppers kamen wir ins Gespräch. Carla langte zwei
Coldies rüber, zurück kam eine Mango, fein säuberlich in eine Serviette
eingewickelt. Man merkte es den beiden Panamesen in ihren roten Arbeitswesten
an. Eine Schleusung ist ihr tägliches Brot.
Mit
einer Hand(!) kontrollierte der Mann auf dem Vorschiff das Absteigen des
Schleppers mit den beiden Yachten längseits. Er hatte gerade soviel Windungen
über den großen Doppelpoller auf dem Heck gelegt, dass sich die 1000 Tonnen
des Schleppers beim Abschleusen die nötigen Meter von der Achterleine selber
holten - Zentimeter für Zentimeter, so austariert, dass es eigentlich gar keine
Leinenbedienung bräuchte.
"Eigentlich"! Das hatte sich ein Mann am
Doppelpoller vor ein paar Monaten auch gedacht, als er die Schweizer Yacht Antares
Royale und daran die amerikanische Yacht Nepenthe längseits hatte. Während also sich die Leine automatisch verlängerte,
geriet sie ausser Kontrolle, machte sich selbstständig und glitt vom Poller. Die Folgen waren katastrophal. Das
Tugboat riss aus, logisch, stellte sich quer und trieb unter das Großschiff,
wobei die Takelage der Segler sofort in die Binsen ging.
Schlimmer
noch: Wie sich später herausstellte: Totalschaden. Glücklicherweise
hatte die deutsche Crew alles auf der Videokamera festgehalten und da konnte dann
auch die Kanalgesellschaft nur noch klein beigeben und Schadenersatz
versprechen - nur, weil eine Leine nicht ständig kontrolliert und
beobachtet wurde...
Dreimal verließen wir noch die Schleusenkammern,
schon den Pazifik vor Augen. Jedesmal, wenn die THALASSA Fahrt aufnahm und in
die nächste Kammer schoß, und zwar metergenau an der Stelle, die der Adviser
vorhergesagt hatte, wollte ich instinktiv die Gase auf "rückwärts"
legen, doch dann zuckte ich doch wieder zurück: "Reverse is Your last
option!" Wirklich superclever dieser Adviser, mein Gott, das sind echte Profis!
Eine Szene war besonders unvergesslich. Wieder mussten -
warum gerade bei uns? - die Loks gewechselt und eine Leinenverbindung zum Heck
des gewaltigen Container-Schiffes hergestellt werden. Dieses Mal aber mussten die
Linehandler an
der Pier ihre Wurfleine nach oben schießen, 15 oder 20 Meter oder so.
Unmöglich! Da sah ich einen dieser Artisten eine weitausholende
Armbewegung machen und schon schoss die "Affenfaust" nach oben - so wird das
bleibeschwerte Ende der Wurfleine genannt (weshalb wir auch zum Schutz vor
diesem Geschoß unsere Solarzellen mit Styropor und Fender abgedeckt hatten). Und jetzt kommt's: Statt
am Höhepunkt der Flugbahn müde zur Erde zurückzufallen, beschrieb das
bleibeschwerte Ende der Wurfleine einen seitlichen Bogen und verschwand oben auf
dem Vorschiff. Hätte ich das nicht selber gesehen, ich würde es nicht
glauben, dass man so mit Leinen umgehen kann, auch, wenn es deren Beruf ist. Wie
uns Jimmy erklärte, trainieren die Linehandlers den Umgang mit den Wurfleinen regelmäßig,
tragen auch Meisterschaften im Leinenwerfen aus. Endlich eine vernünftige
sinnvolle Sportart!
Das letzte Schleusentor öffnete sich, das Tor zur
Südsee stand weit offen für die THALASSA. Salz vermischte sich sprudelnd mit
dem Süßwasser des Gatun-Sees und erzeugte nochmals beeindruckende Wirbel im
kochenden Wasser. Mit den Worten "mindestens 6 Knoten musst Du hier drauf
haben" hatte Jimmy mir einen Kringel aufs Papier gezeichnet, genau an der
richtigen Stelle. Es war als würde die Miraflores-Schleuse unseren Kat
ausspucken.
In
Spanien hatte Freund Hanspeter zur gleichen Zeit dieses Bild auf dem Bildschirm.
Unseren kleinen Kat, gefolgt von einem monströsen Biggy, hat so die
Miraflores-Webcam gesehen, wegen der kein Schiff ungesehen vom Atlantik in
den Pazifik durch den Kanal schippern kann. Empfehlenswert: Im Internet auf www.pancanal.com
gehen, dort "Livecamera" anklicken und schon kann man im Geiste durch
den Kanal gehen. So einfach kann man sich heute auf eine Weltumsegelung
vorbereiten...

Als wir kurz vor Dunkelheit unsere vorbestellte
Muring beim Balboa Yacht Club erreichten, waren alle müde. Ein Bier: "Nein
wir trinken keinen Alkohol!" Die Linehandlers und unser französischer
Freund haben es eilig. Sie müssen noch zurück zum Atlantik - mit dem Zug durch
den Dschungel. Eilig drücken wir jedem der Taxifahrer die Dollarscheine in die
Hand. Selten hatten wir Geld so gut angelegt.
Allein, setzen sich Carla und ich uns noch beim
Sundowner zusammen zu einem Fazit, während keine 50 Meter von uns entfernt der Welt-Schiffsverkehr
vorbeizieht: Die Kanalpassage war dank einer zuvor noch nicht erlebten
hochprofessionellen Mannschaft mit Jimmy Lee an der Spitze ein spannendes
Vergnügen. Vorher gewusst, hätten wir uns darauf gefreut.
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