Rückblick: Die ersten drei Jahre Leben auf dem Meer

von Kerstin Heller,  SY Menevado


Viele Segel-Reiseberichte sind ja geschönt. Vielleicht nicht absichtlich, aber im Nachhinein sind Schwierigkeiten, Fehler bei der Planung und Vorbereitung oder eigene Unvollkommenheiten allzu schnell vergessen oder - logisch - von den schönen Erlebnissen überdeckt. Kerstin Heller aus Fürth, Gynäkologin im zivilen Beruf, macht da eine Ausnahme. Ehrlich berichtet sie über die ersten Jahre auf dem Wasser mit ihrer Familie. Dass es, neben der Erziehung der netten Tochter Luca immer noch eine bemerkenswerte seglerische Leistung ist, vom Mittelmeer bis nach Australien zu segeln, also weiter als um die halbe Welt, das lässt sie unter den Tisch fallen. Auch wenn es "nur" auf der Barfußroute ist.

Apropos "Barfußroute". Denjenigen, die dieses Wort so gedankenlos (primitiv oder  stupide) in den Mund nehmen, um anderer Leistungen herbzuwürdigen, sei gesagt: Weder in der Nordsee, noch in der Biskaya, noch in der Nähe der großen Kaps (Hoorn und Gute Hoffnung) hab ich so verheerendes Wetter und Stürme erlebt, wie auf der "Barfußroute"!


21.3.2004 - Bestandsaufnahme in Brisbane - Australien

Wir, das sind Bernd, Kerstin und Luca Heller, an Bord der Me Ne Vado , einer Sunbeam 44  von der österreichischen Schöchl Werft.

Im Jahre 2000 bekamen wir unser nagelneues Traumschiff, sehr elegant in dunkelblau! Diese Farbe fanden wir an Segelyachten von jeher besonders edel. Manfred Schöchl , der Werftchef warnte uns noch, ob wir wirklich blau möchten, denn die Erhaltung dieses Farbtons bei ständiger UV-Belastung in den Tropen  sei sehr problematisch- doch wer will das schon hören, wenn nun mal die Lieblingsfarbe dunkelblau ist! Nach 3 Jahren aufopferungsvollem Polieren und Wachsen finden wir, das auch ein weißes Segelboot recht schön anzusehen ist ! Vor allem, da unsere ehemals dunkelblaue Yacht, trotz ständiger Pflege, einen fürchterlichen Hang zum  sonnenausgebleichten hellblau hat.

Die ersten Törns unternahmen wir nach Italien und Kroatien, lernten unser Schiff in allen erdenklichen Situationen gut kennen und waren mit unserem zuverlässigen Boot mehr als zufrieden. So soll es sein, denn wir wollten ja die Welt umsegeln.

Stellte sich die nächste Frage: welche Zusatzausrüstung ist unbedingt notwendig? Antwort: Wir brauchen alles! Also auf zur nächsten Bootsmesse und eingekauft. Schlauchboot, Außenborder, Wassermacher, Windgenerator, Epirb, Funkgeräte ( SSB und VHF) , Iridium-Telefon, Barograf, Navtex, Wasserzähler, Stromzähler usw. die Liste ließe sich noch  fortsetzen, wegen der vielen  Kleinigkeiten, die ich jetzt nicht alle erwähnen möchte.

Wir hatten ja schließlich die einschlägige Fachliteratur gelesen, wollten unterwegs nicht feststellen müssen irgendetwas Elementares vergessen zu haben. Außerdem haben wir jede Menge Leute befragt und jeder konnte uns weitere Tipps geben (sinnvolle und weniger sinnvolle) - alles prima, irgendwann war unsere Me Ne Vado randvoll.

Das nächste echte Event war der Einbau unserer 100 Kleinigkeiten. Damals noch gänzlich unerfahren vertrauten wir natürlich auf die sogenannten Spezialisten. Das Orakel von Delphi wäre genauso zuverlässig gewesen. Kurz gesagt, einer von 50 kann wirklich etwas und dieser Ärmste muss dann den Mist den die Vorgänger verbrochen haben mit auslöffeln. Das Beste ist immer noch, man kramt sich die Gebrauchsanleitung des betreffenden Objekts heraus und versucht es selbst. Dadurch lernt man die Geräte an Bord besser kennen und hat häufiger als man zu hoffen wagt, ein echtes Erfolgserlebnis!

Unser Schiff war nun ausgerüstet für die große Fahrt! Der Termin für die Atlantiküberquerung stand fest: November 2001. Jetzt hieß es in Deutschland klar Schiff zu machen. War das eine Rennerei! Haus auflösen, Autos verkaufen, Versicherungen stilllegen, Pässe verlängern, einfach alles abmelden- das fällt einem gar nicht so leicht, wenn es dann Wirklichkeit wird. Das Schlimmste ist, sich von allen Freunden und der Familie zu verabschieden. Viele gaben uns unabsichtlich das Gefühl als stünde unsere Beerdigung kurz bevor.

 Am 1.November flogen wir zu unserem Schiff nach Gran Canaria mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich war reif für einen Erholungsurlaub - aber da stand ja die ARC schon vor der Tür.

Von Erholung keine Spur. Bei unserer Ankunft waren die Vorbereitungen für die ARC bereits in vollem Gange. Seminare über Seminare, und wir wollten natürlich nichts versäumen, denn wir waren Neulinge auf der Langstrecke. Gleichzeitig wuselten diverse Mechaniker in unserem Schiff herum um letzte Servicetaten zu vollbringen und das Boot täglich in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Bereits jetzt mussten Mängel der Arbeiten behoben werden, die durch sogenannte Spezialisten durchgeführt worden waren. ( die Liste ließe sich auch in Gran Canaria beliebig fortsetzen).

Zu guter Letzt, versagte unser Kühlschrank den Dienst! Ausgerechnet als ich loslegen wollte, um den Großeinkauf für die Atlantiküberquerung zu machen. Das war eine Woche vor Start der ARC. Dank der schnellen Hilfe unserer Werft hatten wir drei Tage später ein neues Kühlaggregat in Händen, denn mit warmen Bier über den Atlantik war nach Ansicht von Adi Meisel, Werkmeister unserer Werft, eine Zumutung. Der Kühlschrank funktionierte mit dem neuen Teil wieder tadellos.

Der Einkauf war natürlich noch nicht erledigt, dafür standen schon unsere Freunde vor der Tür,  die uns zum Abschied zuwinken wollten und unsere Freunde die mit uns die erste Etappe unserer langen Reise segeln wollten. Mittlerweilen drängte die Zeit. Nur noch drei Tage bis zum Start der ARC und noch immer kein Proviant an Bord. Wir waren immerhin zu fünft- da musste noch etliches an Bord geschafft werden. Wie ich im Verproviantierungsseminar gelernt hatte, möglichst alles ungekühlt und marktfrisch, das hielte sich am längsten.

Nur große Preisfrage, wie viel? Die Schiffe an unserem Steg hatten schon tonnenweise Lebensmittel geliefert bekommen und wuschen seit Tagen ihr Obst und Gemüse am Steg. Das soll vor Kakerlaken an Bord schützen! Nun ja, was soll ich sagen, wir taten es ihnen gleich und reihten uns in die Gruppe der Wäscher ein, luden Tonnen von Lebensmittel an Bord, schweißten Frischfleisch in Folie und füllten die Me Ne Vado bis zur Obergrenze. Wir mussten ja schließlich auch noch mit.

Vor lauter Werkeln schafften wir leider in den ganzen 3 Wochen kein einziges Mal, zum Sundowner um 17.00 zu gehen. So sehr hatten uns die Vorbereitungen gefangen genommen.

Zum Start der ARC waren wir recht müde, aber Erholung war leider wieder nicht drin, denn jetzt gings ja über den Atlantik.

Drei der Besatzungsmitglieder hatten gleich zu Beginn eine leichte Lebensmittelvergiftung (nicht von unseren Lebensmitteln an Bord, sondern vom Abschiedsessen im Restaurant am Vortag) , sodass unsere immensen Vorräte zunächst unangetastet blieben. In der Zwischenzeit verdarb viel der empfindlicheren Obst- und Gemüsesorten, die daraufhin über Bord wanderten, gefolgt von 2/3 unseres Fleischvorrats, der plötzlich Verwesungsgeruch verbreitete. ( Man hatte uns die wohl nicht mehr ganz taufrische Ware angedreht). Trotzdem  haben wir 18 Tage lang auf dem Atlantik prima gespeist.

Noch heute finde ich Dosen aus Gran Canaria in meinen Vorräten.!

Aus heutiger Sicht, nach fast 20000 sm war die Antlantiküberquerung eine tolle Fahrt.16 Tage lang stetiger Wind aus 180 Grad, Sonnenschein und blauer Himmel, keine Arbeit mit den Segeln. Die Passatbesegelung wurde am 2. Tag gesetzt und kurz vor St.Lucia geborgen. Wind zwischen 20 und 25 kn. Perfekt! Sage ich heute. Vor allem der Empfang durch das Zielboot via Funk, auf dem ein echter Brite saß, der behauptete: „You are looking beautiful today – compliments, you crossed the Atlanik“

Damals sah die Sache ganz anders aus. Kurz vor St. Lucia überraschte uns ein Squall mit Böen bis 45 kn . Geistig weilten wir bereits im Hafen, doch da gings richtig zur Sache.

Zur Ankunft am darauf folgenden Morgen schüttete es wie aus Eimern. Das war vielleicht ein Empfang nach 18 Tagen: Wasser, schon wieder überall Wasser. Wir konnten kaum das Schiff verlassen. Dazu war es feuchtheiß an Bord.

Allmählich drängte sich mir der Gedanke auf , was ich hier eigentlich verloren habe? Das Wetter war schlecht, die Kariben nicht übermäßig freundlich, alles sehr teuer und beschwerlich, ich wollte heim. Vom eigentlichen Yachty-Leben hatte ich bis dato noch nichts kennen gelernt, aber das konnte ich ja nicht wissen. Ich hatte bislang nur die Schwierigkeiten erlebt und glaubte das ginge immer so weiter.

Als unsere Freunde nach Hause fuhren (ihr Urlaub ging zu Ende), habe ich sie beneidet. Wie gerne wäre ich mitgefahren!

Außerdem überlegte ich ständig, ob eine weitere Reise unserer damals 3 1/2 - jährigen Tochter zuzumuten sei. Keine Freunde, wenig Bewegungsfreiraum, widrige Wetterbedingungen auf See!

An diesem Punkt beschlossen wir im selben Jahr wieder nach Hause zu segeln, die geplante Weltumsegelung abzubrechen. Mit einem deutschen Ehepaar segelten wir die Inselwelt entlang und erlebten zum ersten Mal ein wenig Cruising Life. Das war  gar nicht so schlecht!

Beinahe jeden Abend saßen wir zusammen, unternahmen viel, kamen mit den Einheimischen in Kontakt und mit vielen anderen Seglern. Eine Bootsparty jagte die nächste. Alle hatten unwahrscheinlich viel Ruhe und Zeit. Welch eine Erfahrung.!

Im Februar 2002 besuchten wir, um die Karibik abzurunden, Trinidad zur Karnevalszeit. Neben uns in der Marina lag die Thalassa. Wie in Seglerkreisen üblich trafen wir eines Abends Carla und Bobby Schenk zum Sundowner. Wir erzählten uns natürlich wie die Reise weitergehen sollte, für Schenks in die Südsee, für uns zurück nach Europa. Bobby meinte zum Schluss: "Was ? Jetzt am Tor zur Südsee, dem Paradies willst du umkehren? Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein Überlege dir das gut! Morgen zeige ich euch einen Film über Polynesien."

Er erzählte außerdem noch viele verlockende Dinge, die mir die Entscheidung weiterzusegeln, in meinem mittlerweile wieder erholten Zustand sehr leicht machten.

Wir  segeln nun doch um die Welt. Meine persönliche Reise begann jedoch erst in Martinique, nachdem wir Carla und Bobby getroffen hatten und uns von den Atlantikseglern verabschiedet hatten. Ab diesem Zeitpunkt war die Reise ein  Erlebnis und ein Genuss. Wir haben unvergessliche Eindrücke gesammelt, zum Beispiel die Durchquerung des Panama-Kanals, die Galapagos-Inseln, die Pazifiküberquerung, Polynesien, Tonga , Fiji  - um nur einige Highlights zu nennen. Die beschwerlichen Seiten, wie Reparaturen auf hoher See oder am Ankerplatz, Bootspflege, Proviantbeschaffung bei großer Hitze und umständliches An-Bord-Schaffen mit dem kleinen Dinghi, zeitraubende Suche von Ersatzteilen in den wenigen Läden kleiner Inseln ( das kann einen ganzen Tag in Anspruch nehmen) gibt es natürlich immer noch, aber es hat an Wertigkeit verloren. Man  nimmt diese Dinge als gegeben hin und lässt sich davon nicht die Reise vermiesen, denn die schönen Erlebnisse wiegen dies bei Weitem auf und es gehört einfach dazu. Wir haben ja auch die Zeit!

Eine große Rolle dabei spielt die Routine und die Erfahrung, die von Meile zu Meile mehr wird. Ich erinnere mich mit Freuden an unsere Vorbereitungen zur Reise über den Pazifik von I.Isabella( Galapagos) aus. Die Reparaturen waren getätigt, Benzin hatten wir schon auf der Hauptinsel gebunkert, denn hier gab es sowieso keines, Provianteinkauf war sehr übersichtlich, denn außer ein paar Eier, Kartoffeln , Karotten und Huhn gab es nichts. Den Rest hatten wir noch aus Panama. Also kein Einkaufsstress! Der Wetterbericht war günstig und so beschlossen wir spontan nach einem ausgedehntem Frühstück mit unseren Freunden die 3200 Seemeilen loszusegeln. War eine prima Überfahrt!

Unsere Tochter, mittlerweile schon beinahe 6 Jahre alt, hat durch die Segelei nur profitiert. Sie wurde nie seekrank, hat überall Spielkameraden gefunden und findet Segeln als Einzige an Bord immer Klasse. Egal wie lange es dauert, ob es regnet oder stürmt, die Wellen riesig sind oder flache See, sie findet immer etwas Positives und steckt uns oft mit ihrem Optimismus an. Zur Zeit besucht sie in Australien die Preschool und lernt ganz nebenbei Englisch. Das Schiff ist ihr Zuhause geworden und sie genießt die Reise durch die vielen fremden Länder.

Hervorheben möchte ich ganz besonders die Hilfsbereitschaft in allen Lebenslagen unter den Seglern. Wir haben viele liebe Freunde gefunden, die uns  weiter durch die Meere begleiten und wie ich denke darüber hinaus, wie auch diese einzigartige Reise uns für immer geprägt hat.

 

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