Der Auftakt der Saison 2003 war also mit dem
Mini-Shakedown-Cruise von Tahiti nach Huahine, lediglich 100 Meilen, nicht sehr
vielversprechend. Als nächstes Ziel hatte Carla Vavau im Königreich Tonga
eingeplant....
Juni 2003 - Ins Königreich
Tonga - ein schauriger Törn!
Bora-Bora, lediglich 35 Meilen von Huahine entfernt, reizte uns
nicht mehr. Logisch, es ist ein Muß für alle Südseefans, aber wir hatten es
bereits an die zwei Dutzend Male besucht und danach, so fanden wir, gibt es
nicht mehr viel her.
In Huahine wurden wir nochmals auf unsere Geduld
geprüft, als der Wetterbericht eine satte Maraamu-Lage vorhersagte, Südwind
mit viel Schwell und "very rough seas". Darauf konnten wir verzichten
und so brachten wir in der Bai Davea den Danforth als zweiten Anker aus und
langweilten uns bei Regen und unfreundlicher See, selbst innerhalb des
schützenden Riffs.
Schon in meinem Buch "Freiheit hinterm
Horizont" habe ich vor 20 Jahren geschrieben, dass der Yachtsmann bis
Bora-Bora relativ einfach kommt, ab da würde es ungemütlich. Muß ja nicht
immer zutreffen, zumal wir ja eine Woche Schlechtwetter schon vor Anker
zugebracht hatten.
Endlich zeigte sich der Himmel von seiner blauen Seite und
wir machten uns Sorgen, an wen wir unsere Polynesischen Francs im Wert von 200
Euro tauschen sollten, denn die würden wir nirgendwo mehr ausgeben können.
Aber der letzte Einkauf im gutsortierten Supermarkt von Fare enthob uns komplett dieser Sorge. Bei 8 Euro fürs Kilo Tomaten ("lokal")
kein
Wunder!
Als wir bei totaler Flaute durch den
Pass nach
draußen motorten, lagen über 1300 Meilen vor uns. Über die Windstille waren
wir nicht unglücklich, denn am besten akklimatisiert sich der Magen dabei an
die hohe See. Ein Blick zurück zeigte uns die Kulisse von Huahine und mit ein
bisschen Wehmut nahmen wir Abschied von Polynesien, dem landschaftlich
schönsten Teil der ganzen Welt - wie wir meinen.
In der Abenddämmerung konnten wir aus der Ferne
sogar noch einen Blick auf Bora-Bora zum Abschied werfen und ganz allmählich
versank die Inselpracht in der aufkommenden Dämmerung.
Üblicherweise segeln wir meist mit vollen
Dieseltanks los, denn die Zeiten, wo Carla und ich eine Woche auf dem Atlantik
bei stehendem Motor und ohne Segel in der Flaute zugebracht haben, sind -
ehrlich - längst vorbei. Aber in Polynesien hatten wir nicht aufgetankt, denn
wir waren uns sicher, dass wir auf dem Weg nach Westen nicht in ausgedehnte
Flautenlöcher geraten würden.
Aber nach 24 Stunden unter Motor begann die
Rechnerei. Gut, nochmals 24 Stunden spendierten wir uns, das mußte genug sein.
Wir benutzten ohnehin nur einen Motor, mit dem wir an die 4,5 Knoten machen,
während wir mit zwei Motoren bei 2100 Drehzahl auch nur 6 Knoten laufen, dabei
aber den doppelten Spritverbrauch haben.
Auch diese 24 Stunden vergingen, das blaue Meer
wirkte immer noch ölig. Kein Windhauch regte sich, es war sinnlos, die Segel zu
setzen. Also Maschine stopp! Pause! Obwohl eine ganz lange Dünung wanderte, lag
der Kat so ruhig wie im Hafen. Ein Mono hätte hier mangels seitlichem Halt ganz
anders gedümpelt.
Der nächste Tag wurde von
einem aufregenden
Sonnenaufgang eröffnet. Der Himmel schien wolkenlos, nur im Osten baute sich
vor der Sonne ein Wolkenhaufen so auf, dass ein deutlicher Schatten aufs
Firmament geworfen wurde. Wie war das bei scheinbar wolkenlosem Himmel
möglich? Da konnten eigentlich nur ganz hohe Cirren dafür verantwortlich
sein. Und Cirren verheissen nicht Gutes. Aber daran dachten wir in diesem Moment
nicht.
Später am Tage dann der erste Windhauch, laut
Windmesser um die fünf Knoten aus Norden. Aber auch mit gesetztem Vollzeug kam
der Speedometer kaum über die 2 Knoten. Bei einbrechender Dunkelheit stand dann
das mit Bullenstander gesicherte Groß gar back. Ich spielte mich mit dem Ruder,
aber was ich auch anstellte, ich brachte den Wind nicht von der richtigen Seite
ins Segel.
Vielleicht bring ich ihn mit dem Bug durch den "Wind"?
Fahrtaufnehmen bis der Speedometer über 1,5 Knoten anzeigt und dann bei vollem
Ruderausschlag durch den Wind! Und tatsächlich: Das Segel füllte sich von der
richtigen Seite. Die Luft fühlte sich ziemlich kalt an, plötzlich, von einer
Sekunde zur anderen wurde es warm und der Windmesser begann zu steigen. 10
Knoten, ja 15 Knoten - einen prima Segelwind würde das geben.
Die THALASSA nahm
Fahrt auf und ehe ich mich versah, stand das Speedometer im zweistelligen
Bereich. Bei 15 Knoten Wind? Nein, ungläubig blickte ich auf den Windmesser,
sah, wie der die 30 überschritt, auf mehr als 40 Knoten stieg und das alles innerhalb von
ein paar Sekunden. Und er blies nicht mehr aus dem Norden, sondern geradewegs
aus dem Süden. Ich hatte Mühe, das Ruder so zu halten, dass der Kat möglichst
vor dem Wind blieb, damit die Windstärke etwas "reduziert" würde.
An ein
Bergen oder Reffen des Großsegels oder auch nur an ein Wegdrehen der Genua war
bei diesem überfallartigen Windeinfall gar nicht zu denken. Mit teilweise 14
Knoten rauschten wir nach Norden, ohne auch nur eine Meile nach Vavau
gutzumachen.
Langsam bekamen wir die Situation unter Kontrolle.
Die Genua wurde auf die Hälfte weggedreht und das Groß zunächst mal ganz
geborgen. Das "zunächst" dauerte genau eine Woche lang.
Der Törn wurde genauso ungemütlich, wie wir es
befürchtet hatten. Der Wind pendelte sich auf SE mit ständigen 35 Knoten ein -
tagein, tagaus. Die See achteraus war konfus. Das war nicht mehr das
langsame Heben und Senken im Passat, an das man sich sehr gut gewöhnen kann,
weil es eben harmonisch ist, sondern da liefen konfus die Seen aus Süden,
Südosten und Nordosten durcheinander, versuchten sich gegenseitig zu stören
und prallten mehr als einmal gegen die Hecks der THALASSA oder donnerten
seitlich gegen die Rümpfe, wobei der Kat schon mal deutlich spürbar "aus
der Spur" gerissen wurde. Die Geschwindigkeit, diesmal in der richtigen
Richtung, 250 Grad, lag derweil so zwischen sechs und acht Knoten.
Nur? Wir hätten das stark gereffte Groß setzen
sollen, dann wäre der Kat sicher im zweistelligen Bereich gesegelt. Aber dazu
hatten wir nicht die geringste Lust. Das Cockpit war ohnehin wegen der häufigen
Salzwasserduschen "unbewohnbar" geworden und auch unter Deck begann es
mangels Belüftung zu miefen. Trotz der widrigen Umstände gelang es Carla,
immer noch ein warmes Essen aus der Pantry auf den Tisch zu bringen. Aber
gemütlich war das nicht mehr. Einmal krachte der Kat derart in ein Wellental,
wobei es ihn so verriss, dass ein volles Bierglas auf dem Tisch umfiel. Das war
noch nie passiert.
Was an einem derartigen Segeln schön sein soll,
weiß ich auch nicht. Die Tage wurden mit Lesen in der Koje und Warten auf
besseres Wetter totgeschlagen. Lichtblicke waren die täglichen Verabredungen
auf Funk mit anderen Yachtsleuten, vor allem mit der Harlekin. Ingrid und Norbert
saßen
derweil noch in Bora-Bora und klagten ebenfalls über das dortige trostlose
Wetter - Regen und Böen.
Es tat gut, jeden Tag an Freunde die genaue
Position rausgeben zu können und das Gefühl zu haben, da draußen ist jemand,
der mitfühlt mit der misslichen Lage. Dabei war sie ja - objektiv, vor allem im
Nachhinein betrachtet - gar nicht so schlecht. Wir bewegten uns immerhin auf
direktem Weg zum Ziel Vavau und die Wetterlage hätte um einiges schlechter
sein können. Leichter Gegenwind zum Beispiel hätte schon ausgereicht, um bei dieser
konfusen See jeden Fortschritt in Richtung Tonga zunichte zu machen.
Oder Sturm? Oder gar ein Hurricane? Nein, damit mussten wir nicht rechnen, denn schließlich waren wir ja ein halbes Jahr in
einem Hurricane-Hole in Tahiti gesessen um ja ganz sicher das Ende der
Hurricane-Saison abzuwarten.
An die täglichen Wettermeldungen, die wir mit
Hilfe von Pactor empfingen, gewöhnten wir uns langsam da sie praktisch jeden
Tag gleich lauteten:
"EAST TO SOUTHEAST WINDS 25 TO 30 KNOTS SOUTH OF 13S AND WEST OF 140W.
ROUGH TO VERY ROUGH SEAS. A MODERATE TO HEAVY SOUTHEAST SWELL. WINDS GUSTING TO
40 KNOTS IN THUNDERSTORM SQUALLS NEAR CZ1 AND CZ2 . ROUGH SEAS."
Dabei ging es uns genaugenommen bestens, wenn wir
an Captain Bligh dachten . Der war doch von den Meuterern auf seinem Schiff Bounty kurz nach
Tahiti in einem Kutter zusammen mit einigen Getreuen ausgesetzt worden und damit
seinem Schicksal überlassen worden. Der Rest ist Seefahrtsgeschichte. Mit
unglaublicher Zähigkeit ruderte der Kutter zunächst nach Tonga (auf unserer
Strecke zu unserem Ziel),
wo Bligh allerdings aus Furcht vor den angeblich kriegerischen Tonganern seinen
Mannen untersagte, an Land zu gehen, bis er schließlich nach weiteren vielen
tausend Meilen Dilly auf Timor im Indischen Ozean erreichte. Ohne bis dahin
einen einzigen Mann verloren zu haben. Eine solcher Gewalttörn in dieser konfusen, bösartigen See,
wie wir sie achteraus hatten, mit einem Kutter? Nein, ohne mich!
Trotz der defensiven Segelei konnten sich die Etmale sehen lassen: 150, 170, 160, 170. Die GPS-Geräte zeigten dann auch am 8
Tag an: Noch 300 Meilen nach Vavau. Und noch immer SE 25 Knoten, obwohl der Wetterbericht
aus Nadi/Fijii schon vor ein paar Tagen "easing", also Nachlassen des
Windes angesagt hatte. An diesem Tag aber enthielt er eine neue, doch recht
überraschende Variante:
PART 1 : WARNING Hurricane Warning 015 issued from RSMC NADI Jun 07/1927 UTC
2003 UTC. Tropical Cyclone GINA [950hpa] was located near 17 decimal 4 South 161
decimal 9 East at 071800 UTC.Position Poor.Repeat
position 17.4S 161.9E at071800 UTC. Cyclone moving south-southwest at about 05
knots.Expect average winds of 80 knots close. Expect winds above 63 knots within
30 miles of centre above 47 knots within 50 miles of centre and above 33 knots
within 150 miles of centre in the southern semicircle and within 100 miles
elsewhere.
All vessels within 300 nautical miles of centre are requested to send reports
every three hours to WFC Brisbane...
Nicht dass uns diese Meldung besonders beunruhigt
hätte, denn GINA war ja nun wirklich weit weg. Noch, jedenfalls! Aber, die
Hurricane-Saison war doch längst zu Ende? So war GINA nur ein
statistischer Ausreißer. Für diejenigen in seiner unberechenbaren Zugbahn aber
ein tödlicher. Denn, so meine Meinung nach vielen Jahren Auseinandersetzung mit
diesem Thema: Ein ausgewachsener Hurricane, der Dich direkt trifft, ist ein
Killer. Auch wenn Du Dich in einem sogenannten Hurricane-Hole befindest. Als
erst vor drei Monaten solch ein Orkan über Neukaledonien gezogen ist, belegten
die Fernsehbilder vom dortigen "sicheren" Yachthafen eindrucksvoll:
Von den Yachten war nur noch Kleinholz übriggeblieben.
Der deutsche Segler Winfried
auf der ANNAMARIA gab jeden Tag für seine Segelfreunde unterwegs einen eigenen
Wetterbericht über Funk durch, und zwar in hervorragender Qualität. Er
schätzte die Zugbahn von Gina ebenfalls als "Australien" ein, wies
jedoch darauf hin, dass sich GINA bald statistischen "Umkehrpunkten"
nähere, wo die Wahrscheinlichkeit schon nennenswert sei, dass sogar
Neukaledonien wieder in die Zugbahn gerate. Und wir? "Ihr habt wohl nichts
zu befürchten, aber es ist gut, GINA weiter zu beobachten, jetzt seid ihr ja
sensibilisert!"
Vor allem aber waren wir nahe am Ziel, zwei Tage
höchstens, wenn der Wind so bliebe. Und damit wären wir jedenfalls schneller in
Vavau als eine umherirrende GINA. Jetzt konnten wir uns vor der Segelarbeit
nicht mehr länger drücken, und eine Stunde später rauschte die THALASSA
mit 10 Knoten dem Ziel, Vavau, entgegen.
Noch einen, viel unwichtigeren, Grund hatten wir, möglichst
noch am Freitag anzukommen. Am Wochenende werden für die Einklarierungsmodalitäten
erhebliche "Overtime"-Gebühren beim Zoll fällig, die wir uns sparen
wollten.
Es lief - bestens. Am elften Tag im Morgengrauen,
motorten wir in Lee von Vavau durch die fjordartige Einfahrt und suchten uns den
verwinkelten Weg nach Neiafu. Bis vor zwei Jahren war dies ein anerkanntes
Hurricanehole, was ihm auch seit Alters her den vertrauenserweckenden Namen "Port of Refuge"
einbrachte. Wie gut tat es, nach diesem Törn voller Böen und Schauer, Land zu
riechen, nicht mehr das Windgepfeife zu hören, sondern nur noch das beruhigende
Gebrummel der beiden Diesel.
Eine ganz andere Landschaft als in Tahiti empfing
uns. Die Farbe Smaragdgrün fehlte, obwohl das Wasser selbst am Ende der rund 6
Meilen langen Einfahrt noch wunderbar klar war. Die Tiefen von regelmäßig
über 40 Meter wiesen auf den vulkanischen Ursprung der Insel hin.
Kein Mensch, keine Fischerboote, keine Yacht war an
den Ufern auszumachen. Aber als wir, geführt von den Richtbaken, zum letzten
Mal um die Ecke bogen, sahen wir im ersten Morgenlicht zahlreiche Masten
blinken. Vielleicht 40 Yachten lagen da auf spiegelglattem Wasser. Nicht viel,
denn Port of Refuge ähnelte mehr dem Ammersee, auch von der Größe her, denn
einem Südseerevier. Anker klar? Das Echolot zeigte auch in Landnähe über 40
Meter.
"Wart mal!"
Auf einer anderen Yacht sprang jemand ins Beiboot
und rauschte uns entgegen, hob den Tampen einer Mooring hoch und legte ihn in
den Bootshaken. Leinen fest!
Erschöpft setzten wir uns ins Cockpit und sagten
erst mal gar nichts. Wir genossen den Blick auf diesen wunderbaren Hafen,
dachten vor allem nicht zurück an die letzten 1300 Meilen.
In unsere Erinnerung aber wird dieser Törn als
einer der unangenehmsten eingehen. Im Moment aber galt nur: Hauptsache: Gut
angekommen. Und rechtzeitig vorm Wochenende fürs Einklarieren. Der freundliche
neuseeländische Helfer gab uns die ersten Tipps: Am besten ist, Ihr lasst Euch
heute beim Zoll gar nicht erst sehen, denn heute ist Samstag, also Wochenende,
und da wird es teuer.
Ach ja, die Datumslinie? Die hatten wir glatt
vergessen!
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