Zum ersten Mal in ihrem Leben hat die THALASSA
auf ihrem Weg nach Neukaledonien beigedreht. Nicht, weil das Wetter so
stürmisch, gar gefährlich war, sondern weil es sich einfach nicht mehr
ausgezahlt hat, gegenan zu bolzen.
September 2003 - von
Kanaky zum fünften Kontinent
Die
Passatstörung ist schon wieder Vergangenheit, das heißt nicht ganz. Schon
wieder kein Passat und dabei waren die Wettervorhersagen für unseren Tripp von
Neukaledonien nach Brisbane/Australien so gut. Sowohl Winfried als auch der Hafenkapitän versprachen mehrere
Tage Passatsegeln. Und jetzt, 100 Meilen nach dem Auslaufen aus Noumea, läuft
schon wieder die (Stb-)Maschine.
Aber der Reihe nach. Zuletzt hatte ich mich
gemeldet, als wir mehrere Tage beigedreht hatten - nicht wegen des stürmischen Wetters, sondern einfach
deshalb, weil es keinen Sinn gemacht
hätte, gegen 30 bis 40 Knoten gegenan zu gehen. Der Luvgewinn wäre minimal
gewesen, doch wegen der körperlichen Anstrengung hart erkauft. Ein Trumpf beim
Blauwassersegeln, so sollte es wenigstes sein, ist der fehlende Zeitdruck.
Natürlich macht es keinen Spaß, fast einen ganzen Tag auf einen Punkt zuzusegeln,
an dem man schon vor vier Tagen gewesen ist, aber dafür kann man ja die Zeit
mit Lesen in der Koje totschlagen. Sicher ein Zustand, den sich manche, vom
Erwerbsleben gehetzte Landratte, herbeisehnt.
Die letzten paar Tage unseres 1000-Meilen-Törns
von Vavau (Tonga) nach Neukaledonien verliefen dann auch ereignislos, wenn man
mal davon absieht, dass wir größerer Umwege wegen einiger Vigias machten. Das
sind Eintragungen in der Seekarte ("Brecher berichtet 1982"), die
wahrscheinlich bedeutungslos sind, aber eben nur "wahrscheinlich".
Besser man geht ihnen großzügig aus dem Weg, vor allem, wenn sie aus der
GPS-losen Zeit stammen, als man dem Kapitän mit dem Sextanten (plus Koppeln
zwischen den Messungen) durchaus eine Ungenauigkeit von 5 Meilen zutrauen musste.
Eines machte uns noch Kopfzerbrechen: Neukaledonien
ist von riesigen Riffen geradezu umzingelt. Und, das wussten wir, der Zoll würde
es nicht gerne sehen, wenn wir nach der Passdurchfahrt irgendwo vor Anker
gingen, um eine günstige Zeit für die restlichen 10 bis 20 Meilen nach der
Hauptstadt Noumea abzuwarten. Wir mussten also frühmorgens ankommen. Der
wegmäßig günstigste Pass war die Savannah-Passage, aber die Angaben in den
Handbüchern machten nachdenklich : "Sometimes dangerous overfalls...".
Von Ingrid (HARLEKIN) hatte ich die Email-Adresse von Monika und Jochen auf
ihrer NEREUS bekommen, die sich in Neukaledonien aufhalten sollten. Mit
Pactor das Mail versandt, hatte ich ein paar Stunden später die Antwort mit
allen Angaben, die ich brauchte, um je nach Tiden die günstigste Zeit für die
genannte Passage zu berechnen. Gut!
Letztlich war es dann sehr viel unkomplizierter. Wir
segelten um die Südspitze von Neukaledonien in einem weiten Bogen, denn dort
soll ein Schiff in den 90er Jahren einen 18 Meter hohen Felsen, dem Riff fünf
Meilen vorgelagert, gesehen haben. Merkwürdig, denn man sollte doch annehmen,
dass so etwas in dieser weitgehend zivilisierten Gegend doch verifiziert worden
wäre. Aber trotzdem...
Am
nächsten frühen Morgen, wie geplant, tauchte dann einer der eindrucksvollsten
Leuchttürme in der ganzen Südsee auf, der 35 Meter hohe Amedee. Mit einem
kleinen, kaum sichtbaren Beacon vornedran wies er durch diese Deckpeilung exakt die
Mitte durch den Pass, dessen Breite an dieser Stelle nicht viel mehr als 200
Meter beträgt. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass die Durchfahrt durchs Riff
auch von der Grossschifffahrt benutzt wird und nur wenige Meter an den
Brechern auf dem tödlichen Riff vorbeiführt.
Die letzten 13 Meilen
zeigten uns dann zahlreiche
Tonnen den Weg in den Hafen von Noumea, der Hauptstadt von Neukaledonien. Was
sofort auffiel: Tausende von Yachten waren in den Marinas auszumachen, hunderte
kamen uns unter Segel an diesem sonnigen Sonntagmorgen entgegen. Über Kanal 67
war schnell eine Verbindung zur Marina Mosselle hergestellt. Hinter dem gelben
Kreuz würde die Marina-Equipage warten, um die Leinen abzunehmen.
Auch
Jochen und Monika standen schon für die Leinen bereit, als wir dann Sonntag
morgens am "visitors dock" von Port Moselle anlegten. Ein schönes
Willkommen. Auch deshalb, weil die dortige Marina wirklich etwas bietet, was
heute mancherorts rar geworden ist: Freundlichkeit. Ein Liegetag am Steg (mit
Wasser und Strom) ist kostenlos(!).
Außerdem
gibt es einen
Gratisdrink im
stilechten Restaurant der Anlage. Dieser Punsch brachte uns aber gleich auf die
Realitäten von Neukaledonien zurück. Da er so gut schmeckte, bestellten wir
noch einen zweiten, der zwar doppelt so groß war, aber eben nicht mehr gratis,
sondern schlichte 10 Euro kostete. Unser Erstaunen hielt
sich in Grenzen, denn
Neukaledonien gehört zu den teuersten Stätten der Welt. Aber, das gleich
vorweg, es gilt auch: "Leistung und Gegenleistung!"
Ein
paar Stunden später waren die Einklarierungsbehörden an Bord, allen voran die
Zollbeamten, ein Franzose chinesischer Abstammung und ein Tahitianer. Sehr freundlich und sehr genau! Die
Nummern von sämtlichen Kameras, Videokameras, Fotoapparaten, allen(!)
Objektiven, Radios und Computer mussten zusammengesucht und eingetragen werden.
Ein besonderes Problem waren unsere Schnapsvorräte. Denn wir nutzen in jedem
Hafen, wo es Schiffshändler für zollfreie Spirits gibt, den vielen Stauraum
auf unserem Kat. Und so haben sich, mehr oder weniger zufällig, soviel Flasche
angesammelt, die wir nie mehr trinken können. Früher war das kein Problem,
denn für die Branntweinvorräte haben sich die Zollbehörden kaum jemals interessiert. Aber auch das ist anders geworden. Jede Flasche, die auch nur
andeutungsweise Alkohol enthielt, musste einzeln aufgelistet werden.
Anschließend wurden alle im Schrank verplombt, nachdem beide Zöllner uns
herzlich aufgefordert hatten, die Flaschen rauszunehmen, die wir als notwendig
für unseren Aufenthalt in Kanaky (wie es in der Eingeborenensprache heißt)
brauchten.
Neukaledonien
ist französisch und deshalb haben auch die ursprünglichen Eingeborenen, die
Kanaken, einen französischen Pass mit allen Rechten, und - logisch - inklusive dem
Wahlrecht. Wenn man dieses blühende Land sieht, dann kann man nicht umhin,
einzuräumen, dass die Franzosen hier Hervorragendes geleistet und mit dem
Nickelvorkommen sicher auch nicht schlecht verdient haben. Trotzdem haben sie
den Wohlstand gebracht, der auch den Kanaken zu Gute kommt (medizinische
Versorgung, Bildungswesen). Doch es ist nicht zu übersehen, dass die
Kanakendörfer, meist gekennzeichnet mittels eines tücherbehängtem
Totempfahls, mit ihren Wellblechhütten sich doch sehr von den Villenvierteln
der Franzosen unterscheiden. Allerdings sieht man auffällig viele, zumindest männliche, Kanaken
mit monströsen Kofferradios am Straßenrand
sitzen, oftmals vor ihren total verrosteten Autowracks. Die Frauen allerdings
trifft man häufig in Arbeitsstellungen in Geschäften und Restaurants.
Als Kurzzeitbesucher ist man außerstande zu den
politischen Verhältnissen aus eigener Sicht ein Urteil abzugeben, aber Tatsache
ist nun mal, dass viel Geld aus Frankreich (und damit aus der EG!) nach
Neukaledonien fließt. Trotzdem sind die Kanaken nicht mit ihrer Rolle zufrieden, nachdem sie
immerhin 50 Prozent der Bevölkerung stellen. Vor einem Jahrzehnt kam es sogar
zu einem Nahezukrieg, den Frankreich mit Hilfe von eingeflogenen
Fallschirmjägern schnell und blutig (man spricht von annähernd hndert Toten) beendete. 2013 soll eine Volksabstimmung
über die Unabhängigkeit Kanakys entscheiden. Die Kanaken wären schön blöde,
wenn...
Von Neukaledonien hatten wir zum ersten Mal
gehört, als wir auf unserer Weltumsegelung 1972 in den Marquesas das
französische Brüderpaar Jaques und Hubert mit ihrer Amel-Yacht ULYSSE getroffen hatten. Damals schon hatten sie uns von ihrer Heimat Neukaledonien
vorgeschwärmt, aber diese riesige Insel lag eben nie auf unseren Routen. Wir
kannten ihre Vornamen, wussten, dass sie in Neukaledonien ein Optikergeschäft
besaßen. Kommissar Zufall: Der tahtianische Zollbeamte erzählte uns stolz,
dass er der Nationalmannschaft von Neukaledonien im Harpunenfischen angehöre.
"Dann müssten Sie auch die Supertaucher Jaques und Hubert kennen?"
Tatsächlich, der Zöllner konnte sich an ein Optikergeschäft "Optic 2000" erinnern.
Dessen Pächter erzählte uns,
dass Jaques längst "pensioniert" sei. "Der will wohl nichts mehr
arbeiten, der faule Kerl", dachte ich mir und übersah hierbei schlicht die
drei Jahrzehnte, die seit unserem Treffen vergangen waren. Er war aber durchaus
noch zu
erkennen, halt ein wenig älter (was ich in meiner Hochmut übersehen hatte),
nämlich 71 Jahre und da hat ja wohl jeder das Recht auf ein Rentnerdasein.
Jaques
fuhr nach der ersten Wiedersehensfreude gleich mit uns zum Yachthafen, wo tatsächlich immer noch die
ULYSSE (auf dem Foto im Hintergrund) lag. Zwar nicht mehr in Jaques's Besitz hatte
sich die Amel nicht verändert in den dreißig Jahren. Yachten werden eben
nicht älter, sondern nur kleiner. Damals war die ULYSSE mit ihren 28 Fuß an
der Waterfront in Papeete eine der auffällig großen Yachten, heute fiel sie
nicht einmal mehr im Yachthafen von Noumea besonders auf. Jaques lebt heute
als Schriftsteller in einem kleinen Appartement. Bescheiden? "Ja", was die Größe
seiner Behausung angeht, "nein" in Bezug auf die Örtlichkeit. Seine Wohnung liegt mitten im Yachthafen mit
Blick auf seine Motoryacht. Das Gästebuch der ULYSSE lag griffbereit im
Bücherregal:
"Aus Wiedersehen in Noumea - für Jaques und Hubert", stand da.
Den
Bruder von Jaques, Hubert, und dessen Frau
hat es aufs Land gezogen. Er bewohnt ein Haus 30 Kilometer vor den Toren Noumeas.
Mit Jaques fuhren wir zum Teil über eine sechsspurige
gebührenpflichtige Autobahn, vorbei an unzähligen Buchten. Man muss schon
einen Blick auf die Landkarte werfen, um ermessen zu können, was für ein
riesiges Paradies dieses Neukaledonien ist. Rund vierhundert Kilometer ist die
Insel lang und es gibt Dutzende, nein hunderte von Traumankerbuchten. Ganz
einsam oder mit einem Restaurant, je nach Wunsch. Jaques und
Hubert haben ihr Leben diese Ankerbuchten mit ihren Yachten abgefahren und
kennen bei weitem nicht alle.
Hubert hat
seine eigene Bucht vor der
Haustüre zu seiner Villa. Und, wie es sich für diese Breiten gehört, einen
Süßwasserpool auf dem Weg zum Meeresstrand. Für uns war es zu kalt zum Baden,
das Wasser hatte nicht einmal 23 Grad. Denn Neukaledonien ist am Rande "der
Südsee". Was wiederum den Vorteil eines ausgesprochen erfrischenden Klimas
ist.
Der Tag in Huberts Haus verging wie im Fluge.
"Kannst Du Dich noch erinnern?" - Und ob! Alle die Geschichten waren
für uns vier gegenwärtig. Schallend
lachten wir, als wir daran erinnerten, wie sich in den Tuamotus die Besatzung
der ULYSSE die Haare mit ordinärem Petroleum einparfümiert hatte, weil
sie sich Besuch von den örtlichen Vahines versprochen hatten. "Makes You very
strong!"
Nachzulesen auch in meinem Buch
"Freiheit hinterm Horizont" Übrigens: Ohne Scheu konnte ich den
beiden das Buch in die Hand drücken. Ich hatte damals,
als ich die gemeinsamen Erlebnisse mit ihnen auf vielen Seiten geschildert
hatte, nicht geflunkert. Obwohl ich doch nicht damit zu
rechnen brauchte, dass sie jemals in den Besitz dieses
Buches kommen würden.
Das war Neukaledonien.
Die letzte Etappe in diesem Jahr liegt vor uns,
nämlich die 700-Meilen-Strecke nach Brisbane. Nicht gerade viel, wenn der Wind
paßt. Aber leider haben wir im Moment gerade mal 5 bis 9 Knoten aus Süd. Und
da macht auch unsere schnelle THALASSA nicht viel mehr als 3 Knoten,
gerade mal soviel, dass die Segel stehen und Ruder für den Automaten im Schiff
ist. Was wieder mal bestätigt, dass die Schnelligkeit einer Yacht beim
Blauwassersegeln von sehr untergeordneter Bedeutung ist. Was hilft mir ein
großes Geschwindigkeitspotential, wenn solche Bedingungen selten sind. In
unserem Falle, das ganze Jahr über, waren die Tage an einer Hand abzuzählen,
wo wir mal auf 10 bis 12 Knoten gekommen sind. Und zwar auch nur stundenweise,
sodass es bei einem Spitzenetmal von 190 Meilen geblieben ist. Das ganze Jahr
über!
Noch was Bemerkenswertes: Vor ein paar Minuten hat
das GPS einen grundfalschen Standort angezeigt. Das GPS setzte die THALASSA
um 150 Meilen neben ihren (richtigen) Standort, was in diesem Fall sofort
aufgefallen ist, weil die Geschwindigkeit unmögliche 220 Knoten anzeigte. Aber
stur zeigte der Empfänger 15 Minuten lang die falschen Werte an. Ein harmloser
Rechenfehler der Software? Oder Satellitenfehler? Was ist, wenn die
Geschwindigkeit plausibel ist und der Schiffsort nur um ein Dutzend Meilen
verlegt ist? Man denke an die angebliche System-Genauigkeit von 10 Meter des
Systems!
Erst als ich das Gerät ein- und ausgeschaltet
habe, bequemte er sich zur richtigen Anzeige: 23°49,342'S, 161°54,331'E
Macht sehr nachdenklich!
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