Wenn der Blitz einschlägt

von Harry Neumayer, WNB-Ausbildungsreferent des YACHT CLUB AUSTRIA

Jeder Segler kennt Blitzeinschläge, wenn ein Gewitter tobt, egal, ob an Land oder am Wasser: Eine Naturgewalt, vor welcher wir alle nicht gefeit sind. Eines ist klar: Bei einem Gewitter ist es nicht ratsam, sich auf dem offenen Wasser aufzuhalten. Aber das kann man sich nicht immer aussuchen, vor allem, wenn man auf Blauwasserfahrt ist. Erstes Problem mit Segelyachten: Der Mast das ist das höchste Objekt, und der Blitz sucht sich oft, nicht immer, das höchste Objekt aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Segelboot jedoch tatsächlich von einem Blitz getroffen wird, ist zwar statistisch gesehen gering und daher auch kein Grund, sich davor zu fürchten, aber eben nicht ausgeschlossen. Zudem: Selbst wenn der Blitz nicht direkt, sondern in der Nähe einschlägt, können die elektrischen und elektronischen Bauteile einer Yacht durch Überspannung irreparabel, aber auch das Boot selbst beschädigt werden.

Die Wahrscheinlichkeit, dass man es mit Himmelsmächten an Land oder auf See zu tun bekommt, ist nicht ausgeschlossen. Deshalb sollte man sich als Segler Gedanken über die Vermeidung von Einschlägen machen, aber auch Vorsorge zur Schadenminimierung treffen.

Ich wurde schon mal Zeuge eines direkten Blitzeinschlags: Cirka 10 Meter entfernt am gegenüberliegenden Steg zerstörte ein Blitztreffer einem GFK-Boot nicht nur den Verklicker, sondern bescherte ihm sogar drei ungefähr fingerdicke Löcher im Rumpf. Das kleine Segelboot drohte durch das eindringende Wasser unterzugehen.

Am 22.09.2020, gegen 21.10 Uhr waren wir auf dem Rückweg von Chioggia Richtung Aprilia Marittima, wo wir gegen 16.00 Uhr in Jesolo die Marina del Cavallino als Nachtquartier ansteuerten. An Dalben und am Steg machten wir fest, die elektronischen Geräte wurden ausgeschaltet, nur die notwendigen Geräte wie Kühlschrank, Druckwasserpumpe, Kabinenlicht liefen.

Schon tagsüber hatten wir eine Regen-/Gewitterfront umschifft, die südlich beim Po-Delta sich ankündigte. Später zog sie über Chioggia. Bis zum Abend erstreckte sie sich über die gesamte Küste zwischen Venedig bis hinüber nach Porece.

Wir waren schon länger unter Deck und hofften, wie schon oft zuvor, dass eine solche Unwetterfront möglichst schnell auch wieder durchziehen würde. Denn es krachte über uns im Minutentakt, der Abendhimmel war abwechselnd hell erleuchtet und darauf folgend immer wieder dieser ohrenbetäubende Donnerlärm.

Plötzlich, ein extrem lauter Knall, als hätte es eine Lampe am Steg zerfetzt. Wir schauten sofort raus ins Cockpit, es schien aber soweit alles in Ordnung zu sein, auch die Lampe am Steg leuchtete noch.

Zurück unter Deck bemerkten wir einen komischen Geruch – es roch nach verschmortem Plastik. Unter Deck fanden wir eine verschmolzene LED-Lampe in der Heckkabine auf der Steuerbordseite. Außerdem funktionierte der USB-Anschluss auf der Backbordseite nicht mehr. Am Rumpf der JO EH schien alles in Ordnung sein. Die Bilge war trocken. Auch das sonstige Licht an Bord und sogar der eingeschaltete Laptop funktionierten einwandfrei. Selbst der Motor ließ sich ohne Probleme starten, und auch die Batterien waren normal in Betrieb. Zu diesem Zeitpunkt waren wir überzeugt, dass der Blitz in der Nähe eingeschlagen haben muss und nur die Lampe und der USB-Anschluss kaputt gegangen war.

Am nächsten Tag das bittere Erwachen beim Ablegen: Als wir die elektronischen Navigationsinstrumente einschalteten, gingen diese zwar an, aber mehr als drei Querstriche waren auf den Displays nicht zu erkennen. Keine Logge, keine Tagesmeilen, keine Tiefenanzeige, keine Geschwindigkeit, keine Windanzeige, kein Kurs, einfach nichts mehr wurde angezeigt. Der Raymarine-Plotter mit der Navionics-Karte funktionierte hingegen.

Skipper Harald tauchte während der Überfahrt in den Heimathafen Punta Gabbiani in Aprilia Marittima sofort in die Tiefen der JO EH ein und begann, alles mögliche an und unter Deck abzubauen, um alle Geber, Switche und Verbindungen des Raymarine-Systems durchzukontrollieren.

Je länger und je mehr er mit dem Messgerät prüfte, umso ernster und besorgter wurde er, denn es wurde immer wahrscheinlicher, dass uns tatsächlich der Blitz in der Marina getroffen hatte.

Die Liste mit den beschädigten Teilen wurde länger und länger:

1) Plotter - keine Verbindung zum iTC-5 und den Wind-Logge-Lot-Gebern, Netzwerkeingang tot,
2) drei i70-Daten-Anzeigegeräte keine Verbindung zum iTC-5, Netzwerkverteiler tot,
3) Autopilot Fluxgatekompass-Daten vorhanden, aber auch hier keine Verbindung zum Plotter,
4) AIS tot,
5) Antennensplitter tot,
6) Autopilot Fehlfunktion,
7) Ausgangstransistoren zu Hydraulikpumpe verschmort,
8) UKW Antenne am Masttop fehlt komplett,
9) Glas des Ankerlichts verschwunden,
10) Antennenkabel und Versorgungsleitungen (Toplicht, Dampferlicht und Deckslicht) im Mast geschmolzen,
11) Halterung des Windgebers durchgeschmolzen,
12) LED-Lampe in Heckkabine steuerbord verschmolzen,
13) USB-Anschluss in Heckkabine backbord ohne Funktion

Die Frage der Fragen: Hätte man den Einschlag verhindern können?

Oder zumindest den Schaden in Grenzen halten? Ich denke, es gibt zwei grundsätzliche Lösungsansätze, denn die JOEH verfügt über eine Erdungsplatte am Rumpf. Dies ist eine etwa 30 x 30 cm große Metallplatte unter Wasser, die mit dem Mastfuß verbunden ist.

Sollte also ein Blitz in den Mast einschlagen, kann dieser über diese Platte ins Wasser abgeleitet werden, und die Wahrscheinlichkeit, dass der Rumpf beschädigt wird, ist geringer. Nachteil ist jedoch, dass es den Blitz nun eher anzieht als ein isolierter Mast.

Aufgrund dieser Eigenschaft wäre es wohl sinnvoll, am offenen Meer, wo man jegliche Beschädigung des Rumpfes vermeiden will, diese Erdung zu verwenden. Im Trockendock oder wenn vor allem grössere Yachten um einen herum stehen, wird vermutlich die isolierte Variante die Blitzschläge eher vermeiden. Aber das ist quasi eine Glaubensfrage!

Zur Schadensverhütung ist alles soweit zu entfernen, dass der Blitz den diversen Geräten nichts anhaben kann. Bekannt ist, dass man Handys ins Backrohr legen soll, um den Effekt eines faradayschen Käfigs zu nutzen. In unserem Fall ist der Blitz anscheinend in die Funkantenne eingeschlagen und hat zuerst Antennensplitter und AIS vernichtet; von dort aus das Netzwerk von Raymarine. Durchaus sinnvoll wäre es, die Verbindungen vom Mast bei Gewitter zu unterbrechen, die 12 V Leitungen und das Funkkabel. Diese sollten aber mindestens 30 - 50 cm getrennt werden, um dem Blitz keine Chance zu geben, überspringen zu können.

Sinnvoller Blitzschutz fängt meiner Meinung nach beim Entwurf einer Yacht an: ausreichende Erdungen. Verbindungen sämtlicher leitender Materialen des Riggs und Reling im Aussenbereich, Isolation des Innenraums, um die Crew zu schützen. Wenn diese Faktoren bereits beim Bau der Yacht berücksichtigt werden, entstehen kaum Mehrkosten.

Nachträglich ist es oft nur die zweitbeste Lösung.


Anmerkung B.S.: Besonders der letzte Satz im Artikel von Harry Neumayer (blog.neumayer.org) ist bedeutungsvoll: Einen absoluten Schutz gegen Blitzeinschläge gibt es nämlich nicht, man kann nur beim Bau der Yacht und dann bei Gewitterwarnung Vorsorge treffen, um die Chancen eines Einschlags auf der Yacht oder daneben und die daraus folgenden Schäden wenigstens zu minimieren. Aber selbst dann, sind alle (!) denkbaren Schäden möglich - wenn auch die Elektronik, in erster Linie alle nautischen Geräte, in vorderster Front stehen. Besonders wir Blauwassersegler sollten das stets im Hinterkopf behalten. Auf alle möglichen Notfälle bereiten wir uns vor, vom Schiffsuntergang (Rettungsinsel!) bis zum Piratenüberfall (Waffen), zur Blinddarmentzündung auf hoher See und so fort, doch die viel wahrscheinlichere Gefahr durch Blitzeinschlag - und dadurch möglicherweise der Verlust der gesamten Elektronik, also auch aller (!) Navigationsinstrumente, wird oft ignoriert. Wahrscheinlich auch deshalb, weil man leider kaum was dagegen machen kann. Abwegig? Sie werden auf dieser Webseite eine ganze Reihe von Schilderungen von Blitzeinschlägen mit schweren Verlusten an Navigationseinrichtungen finden, jedenfalls viel mehr als Berichte über andere Notfälle.

zur Home-Page

Page by Bobby Schenk
E-Mail: mail@bobbyschenk.de
URL of this Page is: https://www.bobbyschenk.de/n001/blitz2.html

Impressum und Datenschutzerklärung