Südseeträume (3): - mit SY SARITA zu den schönsten Inseln dieser Welt
Abschied von den Felskathedralen
Zunächst segelten wir bei leichter Brise an der Nordküste von Ua Pou entlang, in respektvollem Abstand zur Felsküste. Nicht dass dort mit vorgelagerten Riffen zu rechnen gewesen wäre, doch ich misstraute unserer Maschine. Das einzig Zuverlässige an ihr war das sichere Absterben bei 1800 Umdrehungen. Dann füllten sich die Segel, und wir spürten bald den Passatwind, unbeeinflusst von den Landmassen der Marquesas-Inseln. Jetzt war es Zeit, sich über die Wacheinteilung zu unterhalten. Schließlich würden wir in die Tuamotus bei gutem Wind fast eine Woche unterwegs sein. Wir einigten uns auf einen Wachwechsel alle drei Stunden. Es sollten jeweils zwei Personen im Cockpit sein, und wenn Segelmanöver notwendig würden, sollten sie jederzeit Verstärkung holen können. Das würde aber kaum passieren, denn die SARITA war bestens ausgestattet. Die große Genua war mittels Rollreff vom Cockpit aus leicht ein- oder auszurollen, und auch das Großsegel war mit einer Rollreffeinrichtung ausgestattet. Um aber die Fläche des Großsegels zu verändern, war es schon notwendig, zum Mast zu gehen, denn auf Grund des Drucks des Segels gegen die Mastnut musste das Segel je nach Winddruck weitergeratscht werden. Wer noch nie auf einem offenen Ozean gesegelt ist, weiß nicht, dass auch auf Raumschotkursen, erst recht auf Vorwindkursen, das Großsegel wegen der Rollerei im Seegang immer für kurze Momente keinen Druck gegen den Mast ausübt und so sogar vor dem Wind mit Geduld, ohne das Tuch zu strapazieren, leicht eingerollt werden kann.
Jetzt waren wir voll in der Dünung des Pazifiks und rauschten mit über acht Knoten dahin. Der Passat zeigte sich von seiner besten Seite, blies also mit guten fünf Windstärken aus der „richtigen“ Richtung. Die „Trade Winds“, wie die Engländer zum Passat sagen, zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr beständig in Richtung und Stärke wehen, selten Sturmstärke erreichen, aber genauso selten ganz wegbleiben. Es ist aber keineswegs gesagt, dass der Südost-Passat nun stur aus Südost weht. Solange keine Passatstörung vorliegt, pendelt er um ungefähr 135 Grad, er kommt halt aus dem östlichen Quadranten.
Für uns jedoch hingen die Reisepläne direkt von seiner genauen Richtung ab, nämlich davon, was wir gerade noch hoch am Wind anlegen konnten. Denn wir wollten möglichst weit nach Osten in die Tuamotus einlaufen, um dann später die Kette der Inseln vor dem Wind abzuwandern. Von daher war unser Traumziel Amanu, von dem wir nur wussten, dass es nahezu niemals von Yachten angelaufen wird und dass hier vor einigen Jahrzehnten einer der wenigen archäologischen Funde gemacht worden war - ein vergammeltes Kanonenrohr.
Wir gingen auf Kurs, und siehe da, wir konnten die Richtung nach Amanu ganz gut anliegen. Noch etwas mehr Höhe legten wir dann auf der elektrischen Selbststeueranlage fest, zur Reserve. Denn es war unwahrscheinlich, dass der Wind mehrere Tage aus einer so günstigen Richtung wehen würde. Und aufkreuzen wollten wir nicht, es war schon hart genug, hoch am Wind zu segeln.
Über das Vorschiff kam jetzt Wasser, so dass wir alle Luken geschlossen halten mussten. Stickig heiss wurde es unten, denn Lüfter auf Yachten funktionieren sowieso nie, jedenfalls nicht so, dass sie für einen angenehmen Durchzug sorgen. Ich verstehe gar nicht, warum auf diese unnützen Dinger mit dem schönen Namen „Doradelüfter“ nicht verzichtet wird. Wahrscheinlich, weil sie so schön schiffig aussehen, und weil am Stegliegeplatz etwas Luft reinkommt und das Holz im Salon bei langen Liegezeiten nicht vergammelt.
Wer noch nicht in der Dünung eines Ozeans gesegelt ist, kann sich nicht vorstellen, wie hart es ist, gegenan zu gehen. Die Yacht müht sich, auf der steilen Seite des Schwells zum Kamm zu steigen und fällt auf der anderen Seite ins Wellental. Liegt man in der Koje, wie meistens, wenn man nicht am Ruder stehen muss, fühlt man sich wie auf der Achterbahn. Den Kopf tief ins Kissen vergraben, erwartet man den Ruck, der jedes Mal durchs Schiff läuft, wenn der Bug krachend ins Wellental einsetzt. Wird die Yacht dadurch fast bis zum Stillstand abgebremst, hört man das Wasser an der Schiffswand entlanggurgeln. Dann fühlt der Körper, wie die Segel vom Wind wieder zur Seite gepresst werden, sich füllen und die Yacht mühselig wieder Fahrt aufnimmt, um dem nächsten Wellenberg entgegenzusteigen.
Wenn man dann das Ohr an die Kojenwand legt und förmlich jede Wasserblase hört, sich intensiv überlegt, dass das Meer nur ein paar Zentimeter entfernt ist, und dass man von einer Wassertiefe von mehreren tausend Metern nur durch 1 Zentimeter Kunststoff getrennt ist, dann, ja dann kann der Magen schon mal signalisieren, dass die Seekrankheit so fern nicht ist. Schönes Segeln? Nur wenige sind so ehrlich, zuzugeben, dass dies nicht die begeisternde Seite des Segelsports ist. So wie beim Bergsteigen! Aus eigener Erfahrung weiss ich es nicht - ich hasse Bergsteigen, deshalb segle ich ja -, aber mir kann niemand erzählen, dass es schön ist, seinen Körper mühsam Tritt für Tritt mit Blasen an den Füßen über steilen Fels zu schleppen. Der Bergsteiger freut sich über den Ausblick, die herrlich frische Luft, oben auf dem Gipfel hat er das Gefühl, seinen wehleidigen Körper besiegt zu haben, oder, sicher das Wichtigste, eine besondere persönliche Leistung erbracht zu haben.
Beim Segeln ist es ähnlich. Die größte Befriedigung bezieht der Ozeansegler daraus, ein Meer erfolgreich, also ohne Schäden an Mannschaft und Schiff, möglichst schnell und aus eigener Kraft bezwungen zu haben. Wenn auf einem typischen Langfahrtseglerankerplatz, sagen wir mal in der Carlisle Bay auf Barbados, eine Yacht einläuft, dann wird fast immer als erstes die Frage an den Neuankömmling hinübergerufen: „Wie lange habt ihr gebraucht?“ Die Angelsachsen bringen die Schönheit des Blauwassersegelns auf den Punkt: „Das Schönste am Segeln ist der erste Drink auf der anderen Seite des Ozeans.“ Treffend, denn das Gefühl ist wirklich so, als ob man einen Lebensabschnitt erfolgreich abgeschlossen hätte!
Selten, sehr selten sind auf dem offenen Ozean die Momente, in denen die Mannschaft im Cockpit sitzt, sich die Sonne ins Gesicht lachen lässt und gebannt lauscht, wie sich die Yacht, meist bei raumem Wind, rauschend den Weg über das Meer sucht. Die Seen, die nunmehr das Schiff begleiten, schieben, sind kein Hindernis mehr, sie verleihen dem Schiff Höchstgeschwindigkeit, und gelegentlich hat man am Speedometer sogar eine zweistellige Anzeige. Das Deck bleibt dabei trocken, und man nimmt deshalb gerne die Gelegenheit wahr, sich auf dem Vorschiff unter die Genua zu legen, um mit dem Ohr möglichst nahe an der Bugwelle zu sein, die die Yacht machtvoll vor sich herschiebt. Das sind die Augenblicke, in denen man das Rauschen der Seen übertönen möchte: „Segeln ist herrlich!“
Wir alle kommen - seglerisch - aus kleinen Verhältnissen, haben vielleicht an einem kleinen Binnensee unsere ersten Schläge unter Segel gemacht oder sind auf der Ostsee ein kleines Stück von der Küste weggesegelt. Dort ist eine vergleichsweise glatte See die Norm, und höchstens bei sehr viel Wind, weit weg vom Ufer, sieht man mal ein Wellenbild, das man Seegang nennen könnte. Aber eine See, die eine 20 Tonnen schwere Yacht ein paar Meter hochreisst oder von achtern her mit einem Gischtteppich zudeckt, das kennen wir in heimatlichen Gewässern nicht. Meistens scheint die Yacht dort unter ihren weißen Schwingen über das Wasser zu gleiten, ja zu schweben. Dieses phantastische Segelgefühl ist verführerisch, man denkt sich: Wenn schon das Segeln an der Küste so faszinierend ist, wie schön und aufregend muss es erst auf dem Ozean sein? Ein Trugschluss
Elektrische Seemannschaft
Am 7. Juni hatten wir die nördlichsten Inseln der Tuamotus schon querab. In sehr sicherem Abstand an Steuerbord, mit GPS-Standort errechnet, lagen Inseln mit dem einladenden Namen Iles du Disappointement, was auch ohne Französischkenntnisse zu verstehen war. An Backbord lag ebenfalls, unsichtbar für uns, eine Insel, deren tahitianischen Namen wir aus der Karte mit Pukapuka, auch Puka Puka geschrieben, erfuhren. Ich bin nie dahintergekommen, warum gerade im Tahitianischen diese Wortwiederholungen so häufig sind. Ist es eine Form der Verstärkung? Eita Pea Pea (kein Problem) deutet darauf hin, aber warum in der Geographie wie bei den Inseln Tahiti-Iti (kleines Tahiti), den Motus Hereheretue, NengoNengo, Vanavana oder Bora Bora?
Tahitianische Inselnamen scheinen für viele Segler zauberhaft zu klingen, wie sonst ist es zu erklären, dass zahlreiche Yachtnamen ihre Südseeherkunft nicht verleugnen können. Da gibt es die deutschen Yachten MOTU, BORABORA, die RAROIA, der wir noch begegnen sollten, die Yacht eines Freundes heißt MOOREA, und das deutsche Weltumseglerpaar Bufe nannte seine Yacht nach dem Motu HIKUERU. Ich bin mir sicher, dass schon bei der Schiffstaufe von der Südsee geträumt wurde.
Die SARITA suchte sich den Weg nach Süden. Der elektrische Selbststeuerautomat arbeitete genau und nicht zu hart, was man am sanften Einrucken unter dem Cockpit-Boden ganz gut hören konnte. Dann kam das Piepsen des Alarms. Die Selbststeueranlage war rausgeflogen. Ein Knopfdruck, und es ging weiter. Es ist doch merkwürdig, wie leicht sich der Mensch gerne selbst belügt. Hatte ich nicht in den acht Jahren, die ich ständig auf Yachten zugebracht hatte, immer wieder von neuem gelernt, dass auf einer Yacht (und natürlich auch im sonstigen Leben) nichts geschieht, ohne eine Ursache zu haben. So hätte ich eigentlich wissen können, was bald geschehen würde. Der Automat fing wieder zu piepsen an, das Spiel begann von vorne, bis es offensichtlich war, dass die Batterien keinen Strom mehr hatten, um das Ruder der SARITA ZU bewegen. Das war nicht weiter schlimm, denn schließlich waren wir ja zu sechst an Bord, um uns hinter das große Rad zu setzen. Etwas anderes war bedenklich: Wir hatten die Tage zuvor die Maschine (wegen der Kühlanlage) jeden Tag mindestens zwei Stunden laufen lassen, so dass eigentlich die Batterien hätten randvoll sein müssen. Also, was war los?
Ich kannte die Antwort! Die Batterien waren schlicht verbraucht, alt, zum Wegwerfen. Schließlich hatte ich den Denkprozess in meinem Fahrtenseglerleben schon einige Male durchgemacht. Zunächst denkt man an schlechte Kontakte, dann verdächtigt man die Lichtmaschine. Als nächstes ist der Regler dran, der zu wenig Leistung „durchlässt“. Meistens probiert man sogar diese Möglichkeiten durch, bis man dann endlich zur wahren und teuren Einsicht kommt, dass die Batterien am Ende sind. Warum weigert man sich zunächst, an diese Möglichkeit zu glauben? Weil wir es von unseren Autos gewohnt sind, mit der Batterie nicht konfrontiert zu werden. Höchstens im Winter mal machen sie bei einem ansonsten intakten Auto Schwierigkeiten. Aber sonst? Tatsache ist, dass Batterien in Autos kaum belastet werden. Sie müssen für ein paar Sekunden den Motor andrehen, aber im Übrigen beziehen unsere Scheinwerfer ihren Strom in erster Linie über die Lichtmaschine, ebenso das Autoradio und die sonstige Elektrik im Wagen.
Anders bei einer Segelyacht. Solange die Maschine nicht mitläuft, wirkt jeder Stromverbraucher, jedes Lämpchen über der Koje oder am Kompass direkt auf die Batterien, die ja letztlich nichts anderes als ein Stromtank sind. Wird Elektrizität nicht „nachgeschüttet“, ist der Tank irgendwann einmal leer. Je älter die Batterie und je schlechter sie behandelt worden ist, desto kleiner wird der Tank, bis schließlich kaum mehr etwas in ihm gestaut werden kann, obwohl die Lichtmaschine mit ihrer ganzen Kraft von 80 Pferdestärken in die altersschwache Batterie hineinlädt. Genau diese Situation hatten wir jetzt.
Die einzige Lösung für dieses Problem war, neue Batterien einzubauen. Wir würden solche in Tahiti kaufen können, aber in den Tuamotus bestimmt nicht, da gibt es im Umkreis von 1000 Kilometern nicht ein einziges Geschäft. Und hier draußen mussten wir mit dieser Situation einfach klarkommen. Was sollten wir schon tun? Das händische Rudergehen war nicht so schlimm, das Hauptproblem war nachts die Beleuchtung. Denn unter Segel müsste die Yacht vorne am Bug die beiden Navigationslichter rot und grün und am Heck die weiße Hecklaterne führen, drei sehr hungrige Verbraucher. Mit unseren großen, doch altersschwachen Batterien hätten wir die Lampen keine Stunde mehr füttern können.
Nun hätten wir uns damit beruhigen können, dass wir in einer der einsamsten Gegenden der Welt herumsegelten und schon kein anderes Schiff unseren Weg kreuzen würde. Bei den allgegenwärtigen Stromproblemen auf allen Segelyachten (auch mit neuen Batterien) ist die Versuchung tatsächlich groß, ohne Lichter durch die Gegend zu rauschen, gar noch mit schlafender Besatzung. Doch seemännisch ist dies nicht. Als Carla und ich einst von Argentinien ins Mittelmeer segelten, waren wir immerhin 72 volle Tage unterwegs, ohne ein einziges Schiff zu sichten. Andererseits sind schon Yachten von den Weltmeeren verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Es ist viel wahrscheinlicher, dass diese von einem großen Schiff untergemangelt worden sind, als dass sie, aus welchen Gründen auch immer, auf Tiefe gegangen sind. Denn es fällt auf, dass unter den vermissten Yachten der Anteil von Einhandseglern besonders hoch ist. Kein Wunder - wie soll ein einziger Segler an Bord vierundzwanzig Stunden am Tag wachbleiben, gar Wache gehen? Werden diese Seehelden interviewt, dann faseln die meisten etwas von Weckerstellen, alle 10 Minuten Ausguck halten und so fort. Mir kann da keiner was erzählen, für mich pennen die genauso wie andere Segler zwischendurch und verlassen sich eben ein paar Stunden auf die Statistik, die da besagt, dass sich auf dem riesigen Ozean zwei Schiffe höchstwahrscheinlich nicht so nahe kommen, dass sie zusammenstoßen.
Als es zu dämmern begann, einigten wir uns darauf, soviel Strom wie möglich zu sparen. Wir würden also ohne Navigationslichter segeln, wohl aber ein weißes Licht setzen. Beim Herannahen eines anderen Schiffes könnten wir dann die vorgeschriebenen Lichter führen. Wir segelten mit erhöhter Wachsamkeit. Doch so sehr wir uns anstrengten, wir sahen kein anderes Schiff. In dieser Nacht nicht, in der folgenden auch nicht. Der Wind änderte seine Richtung, jedoch nur wenig. Manchmal drehte er zu unseren Gunsten. Dann machten wir die Drehung mit, blieben also wegen der Reservehöhe hoch am Wind. Trotzdem war es unwahrscheinlich, dass wir über die 500 Meilen tatsächlich Amanu halten könnten. Seit unserer Abfahrt in Ua Pou fuhren wir die Segel an Steuerbord. Manchmal, wenn der Windspeed über 20 Knoten ging, drehten wir das Groß ein wenig ein, um den Druck auf das Ruderblatt zu verringern, ließ der Wind nach, zogen wir das Segel wieder aus dem Mast. Die Genua ließ sich leicht vom Cockpit aus bedienen; um das Groß zu rollen, musste einer zum Mast. Aber die SARITA lag so ruhig im Passat, dass es - trotz Kurs gegenan - mehr ein Spaziergang in gebückter Haltung war, um die Spiere im Inneren des Großbaums mit der Ratsche ein paar Umdrehungen zu bewegen. Ich war lange Zeit ein Gegner von Rollreffanlagen, der Gedanke an ein Versagen der Mechanik hatte mich so vorsichtig gemacht. Aber heute sind die Anlagen ausgereift, das Problem mit den Lagern im Salzwasser scheint gelöst. Deshalb plane ich auch für meinen Neubau eine Rollreffeinrichtung ein, fürs Vorsegel und für das Großsegel. Und für den Besan? Den wird es bei mir nicht geben, denn ich bin ein Fan von (einfachen) Einmastern. Doch das ist ein anderes Thema.
Hoch am Passat
Nach vier Tagen fuhren wir die Segel immer noch an Steuerbord, und Amanu wäre jetzt - wegen der „Reservehöhen“ der letzten Tage - so gut anzulegen gewesen, dass der Wind ruhig hätte vorlicher kommen können. Ja, wir waren so nahe an Amanu herangekommen, dass wir das kurze Stück notfalls auch aufgekreuzt wären. Kurzum: Es passte alles. Und wenn Kurs, Wind und die Farben am Himmel stimmen, dann ist auch die Stimmung an Bord gut.
Die leisen Anzeichen der Seekrankheit lagen weit hinter uns, es gab keine neuen Probleme am Schiff. Wir machten gute Fortschritte, alle Etmale lagen über 130 Seemeilen. Gelegentlich segelten wir nachts durch einige Regenschauer hindurch, aber das gehört zum Passat-Segeln. Man weiß, dass der Regen nur ein paar Minuten, höchstens eine Stunde dauert, und am nächsten Tag lacht die Sonne wieder vom blauen Himmel herunter. Außerdem bringt der Wolkenbruch keine Kälte, so dass das Ölzeug nur zum Schutz gegen die Nässe benötigt wird.
Da machen es sich die Ölzeugkonstrukteure so schwer, einen vernünftigen Schutz gegen die Unbilden der See zu entwickeln, aber an uns Tropensegler hat noch niemand gedacht. Wir bräuchten nur ein sehr leichtes (wegen des Fluggepäcks), aber absolut wasserdichtes Ölzeug, in dem man andererseits nicht schwitzen sollte. Das wäre preiswert herzustellen und würde fürs Segeln im Passat voll ausreichen. Richtig im Seegang zu arbeiten ist ohnehin in den Tropen kaum nötig, weil bei funktionierender Selbststeueranlage der Wachführer wettergeschützt unter dem Klappverdeck sitzt und halt gelegentlich zu einem Rundblick aufsteht. Den harten Kampf mit dem großen Vorsegel auf dem Vorschiff bei überkommendem grünen Wasser erspart uns heute die Rollfock. Und wenn am Mast das Großsegel verkleinert werden muss, dann fällt der vernünftige Skipper für eine Minute ab, geht fast auf Vorwindkurs und bringt so Ruhe ins Schiff, damit die Arbeit am Mast problemlos verläuft. Vorwindkurs und Großsegel reffen - ja geht denn das, wird der Küstensegler fragen? Haben wir nicht gelernt, in den Wind zu schießen, um das Großsegel an der Segelnut am Mast zu entlasten? Das wäre auf einer Fahrtenyacht im Ozeanschwell anfängerhaft, denn jede Yacht wird im Seegang auf einem Beinahe-Vorwindkurs mäßig rollen. Bei jeder Rollbewegung wird der Druck des Segeltuchs gegen den Mast so gering, dass das Groß fast von selbst herunterrutscht oder mit nur wenig Kraft hochgezogen werden kann.
Wir genossen es, nicht allzu schnell zu sein, so hatten wir etwas mehr von diesem wundervollen Passattörn. Die Küche, fast das Wichtigste für das Wohlergehen an Bord, war perfekt, schließlich waren unsere Backskisten mit den gleichen Vorräten gefüllt, die wir auch zu Hause hatten, und die irren Preise waren längst vergessen, schließlich lebten wir an Bord umsonst. Auch beim besten Willen lässt sich an Bord einer Yacht auf hoher See kein Geld ausgeben. Unsere Obstvorräte wurden sichtbar weniger, das Netz, das quer durch die Kajüte wie eine Hängematte gespannt war, schaukelte mit seinen Limonen im Rhythmus des Seegangs. Limonen wurden am meisten verbraucht, und zwar zum täglichen Sundowner. Wer diesen Brauch nicht kennt, dem empfehle ich ihn zum Nachmachen.
Bei Carla und mir gehört der Sundowner zur absoluten Bordroutine. Er ist nichts anderes als ein Drink vor dem Abendessen, hat aber darüber hinaus eine symbolische Bedeutung. Er wird zum einzig beständigen Treffpunkt für die Crew. Denn es ist so, dass sich bei kleiner Mannschaft die Leute nicht gerade auf die Zehen treten. Diejenigen, die wachfrei haben, liegen fast immer in den Kojen und werden höchstens mit dem Ruf „Reise, reise ...“ ins Cockpit gerufen, um die neue Wache zu übernehmen. Nur abends, vor dem Essen, geht man nicht schleunigst in die Koje, sondern verharrt im Cockpit, um den Sonnenuntergang (und den Sundowner) zu genießen. Man läßt den Tag revue passieren, überlegt, ob am Schiff alles für die dunkle Nacht vorbereitet ist, vielleicht wird für die Nacht vorsichtshalber noch etwas gerefft. Es ist kein großes Geheimnis, dass bei schlechtem Wetter der Sundowner etwas stärker gerät, schon um sich gegenseitig Mut zu machen.
Nicht etwa, dass man auf einer Ozeanüberquerung Angst hat, aber das ganz hundertprozentige Gefühl der Geborgenheit, das man vielleicht nachts im trauten Heim an Land hat, fehlt. Überraschungen sind immer denkbar. Vor allem nagt ständig an einem, dass das Schicksal Schläge verabreichen könnte, die auch bei aller Sorgfalt nicht vorhersehbar sind. Ist das Rigg, vor allem oben im Mast, so in Ordnung, dass es auch eine Bö abkann? Ist der Weg vor dem Kiel frei, oder treibt da ein über Bord gegangener Container, ein Baumstamm, eine unbemannte deutsche „Forschungsyacht“ oder gar ein schlafender Wal herum, auf den der (eiserne) Rudergänger gerade zusteuert? Die deutsche Yacht YANGHI ist gesunken, weil sie auf einen nicht identifizierbaren Gegenstand im Wasser aufgelaufen und in Brand geraten ist. Die Mannschaft rettete sich mit dem Beiboot mehr als 100 Meilen über die offene See. Oder rutscht da vielleicht eine Schlauchschelle und dann der Schlauch vom Seewasserhahn unbemerkt herunter? Den Wassereinbruch bemerkt man erst, wenn die Bodenbretter aufschwimmen und die Quelle für das viele Wasser im Schiff nicht mehr ausgemacht werden kann. Alles schon passiert! Freunden von uns ist das Schiff nachts einfach so untergegangen, und sie wissen heute noch nicht, warum. Sie waren auf ihrer 50-Fuß-Yacht in den Bahamas unterwegs, als sich in stockfinsterer Nacht bei Flaute das Ruder etwas träge anfühlte. Ein Blick nach unten zeigte dem Skipper, dass in der Yacht mehr Seegang war, als draußen. So hektisch der Skipper auch das Leck suchte, er fand die Ursache nicht. Und dann stiegen er und seine Freundin ins Ruderboot, weil die Rettungsinsel nicht aufging. Beide erreichten die nächste Insel. Fragt man ihn nach der Ursache, so kann er nur mit den Achseln zucken.
Auf der SARITA bedurfte es für den abendlichen Drink nur wenigen Alkohols, die Stimmung war auch so prächtig - so wie es sich für den heiteren Passat und bei dem illustren Speisezettel gehört. Am Nachmittag vor dem Einlaufen in die Tuamotus gab es sogar eine Art Sachertorte mit Schlagobers, selbstverständlich nicht aus der Spraydose, sondern frisch geschlagen.
Der GPS zeigte uns genau den Fortschritt an. Insgesamt hatten wir drei GPS-Empfänger an Bord. Heute gehört zur Grundausstattung eines Seglers, nicht einer Yacht, der tragbare GPS wie die Armbanduhr. Wenn freilich das System oder nur ein paar bestimmte Satelliten abgeschaltet werden, ist es mit der Herrlichkeit der fortlaufenden genauen Position vorbei. Aber das ist nur ein theoretischer Fall. Dann hätte man immer noch die Gestirne, falls man mit ihnen umgehen kann, wie es noch vor ein paar Jahren eine Selbstverständlichkeit für jeden Blauwassersegler war. Romantischer ist es allemal, mit dem Sextanten den Schiffsort zu bestimmen. Deshalb nahmen auch wir ein paar Probeschüsse von der Sonne. Ulli versuchte sich zum ersten Mal an diesem Winkelmessinstrument. Mit dem Computer rechnete ich in Sekundenbruchteilen nach, wie weit Ulli mit seinen Messungen danebenlag. Nicht schlecht für den Anfang, seine Messungen waren meist genauer als fünf Meilen!
Damit könnte man schon ein bestimmtes Motu finden, so nahe an das niedrige Riff herankommen, dass es, schönes Wetter vorausgesetzt, anhand der Brandung mit den Augen ausgemacht werden kann.
Im Reich der Riffe
Ich freute mich für meine Mitsegler, denn erstmals in der Südsee würden sie nun ein leuchtendes Riff kennenlernen. Die Marquesas-Inseln wären leicht anzulaufen gewesen, denn dort sind die Berge tausend Meter hoch, doch gibt es kein Riff, über das eine Yacht stolpern kann. Die dritte Art von Inseln in der Südsee würden wir dann später besuchen, nämlich die Gesellschaftsinseln, die sowohl Berge, besonders hohe sogar, als auch ein Riff haben. So verschieden diese drei Inseltypen auch sind, so sind sie doch auf die gleiche Art entstanden - nur verschiedenen Alters, in erdgeschichtlichen Dimensionen gedacht:
Dort, wo heute die Marquesas-Inseln sind, kam es in urgeschichtlichen Zeiten zu Vulkanausbrüchen, bei denen gewaltige Gesteinsmassen schließlich zu den Felskathedralen erstarrt sind, die heute die Landschaft von Ua Pou, Fatu Hiva, Hiva Oa und Nuku Hiva beherrschen. Noch früher sind in gleicher Weise die Gesellschaftsinseln geboren worden, doch haben sich dort Korallentierchen an den Stellen angesiedelt, an denen die Felshänge ins Meer stürzten. Durch fortwährendes Absterben der Korallen und Neuansiedlung auf den verbliebenen Kalkmassen haben sich dort die Saumriffe gebildet, die heute Inseln wie Tahiti, Raiatea und Bora Bora umgeben. Die Tuamotus mögen einst wie die Marquesas-Inseln und später die Gesellschaftsinseln ausgesehen haben. Nur sind dann im Laufe von Jahrmillionen die steilaufragenden Gesteinsmassen von den immer schwerer werdenden Kalkmassen abgestorbener Korallen in den Meeresboden gedrückt worden und schließlich unter die Meeresoberfläche abgesunken, so dass nur noch das Saumriff übriggeblieben ist.

1) Die Marquesas-Insein. sind vulkanischen Ursprungs - noch ohne Korallenriff
2) Kleine Korallentiere wachsen, sterben und bilden nach Jahrmillionen ein Riff um die Insel (Beispiel Tahiti)
3) Durch das Gewicht der Korallenmassen wird die Insel in der Mitte allmählich ins Erdreich gedrückt (Beispiel Bora Bora)...
4) ...bis die Insel unter Wasser verschwindet und nur das (Ring-)Riff übrigbleibt (Beispiel Tuamotos)
Am Morgen des fünften Tages standen wir vor Amanu. Während wir uns bei unseren ersten Besuchen in den Tuamotus schon Stunden vorher die Augen müde gesehen hatten, tauchte bereits zwei bis drei Stunden vor der Ankunft ein zartes Echo auf dem Radarschirm auf. Das Radargerät erhöht die Sicherheit auf Yachten ungemein.
Nicht dass es einen Skipper in dichtem Nebel sehend macht (in der Südsee gibt es keinen Nebel, höchstens wasserfallähnliche Regengüsse), aber der Landfall verliert seinen Schrecken. In den alten Segelanweisungen zu den Tuamotus wird dringend geraten, die Inseln nur von der bewaldeten Seite her anzusteuern, weil sie dann früher in Sicht kommen. Das eigentliche Land, also das Riff, ist ja nur drei oder vier Meter hoch, und man kann sich leicht ausmalen, dass man es erst im letzten Augenblick sieht. Also war vor allem bei Regen und unsicherem Standort äußerste Vorsicht geboten.
Alte Polynesier beherrschen mehr Tricks als in den Segelanweisungen für die Berufsschifffahrt verzeichnet sind. So hat mir der berühmtestes Navigator Tahitis, Rodo, verraten, wie er schon 20 Meilen vor einem Motu die Insel wahrnehmen kann - ohne Radar an Bord zu haben. Nein, der Trick besteht nicht darin, auf im Wasser treibende Blätter oder Früchte zu achten, sondern die Wolken genau zu prüfen. Denn über vielen Inselchen in den flachen Tuamotus stehen niedrige Wolken. An deren Unterseite sieht man, nicht immer, eine grünliche Reflexion des darunterliegenden Inselchens, und zwar schon aus großer Entfernung, während das Korallenriff der Insel selbst noch durch die Erdkrümmung verdeckt ist. Vielleicht war dieser Trick früher Allgemeinwissen unter den polynesischen Seeleuten, denn die Tuamotus trugen noch im zwanzigsten Jahrhundert den Namen „Paumotus“, was „Inseln unter der Wolke“ bedeutet.
Fast enttäuschend einfach ist die Navigation heute, und es ist deshalb schon verblüffend, dass es auch im GPS-Zeitalter Yachtleute immer wieder fertigbringen, ihr Schiff aufs Riff zu setzen, so die amerikanische Segelyacht ORA auf das Minerva Reef. Wie hieß es im Unfallbericht: „... Sie lagen beigedreht, um das Tageslicht abzuwarten. Unbemerkt muss sie die Strömung auf das naheliegende Außenriff versetzt haben. Als der Skipper die Brecher hörte, war es zu spät!“ Man braucht nur wenig Phantasie, um die Ereignisse so zu schildern, wie sie wirklich waren: „Die Mannschaft pennte, und niemand machte sich deshalb die Mühe, auch nur einen Blick auf GPS und Seekarte zu werfen. Der Skipper wurde sodann, zu spät, vom Lärm der Brecher aufgeweckt!“
In der letzten Nacht auf See segelten wir zwischen den Inseln Fangatau und Fakahina hindurch. Nie und nimmer hätte ich mich das ohne GPS getraut, denn die Inseln lagen keine 40 Seemeilen auseinander. Mit den Sternen hätte ich in der Dämmerung vielleicht einen auf drei Meilen genauen Schiffsort bekommen, der jedoch ein paar Stunden später schon wegen der Strömung nicht mehr hätte berechnet werden können. Lieber etwas weniger Romantik, dafür mehr Sicherheit! So konnte ich nach GPS pünktlich das Radargerät einschalten, und - siehe da - an Steuerbord war nach ein wenig Drehen am Abstimmungs- und Verstärkungsknopf ganz zart eine graue Linie bei jeder Antennenumdrehung auszumachen. 16 Meilen zeigten die Distanzringe auf dem Radarschirm an. Sehen konnten wir nichts von der Insel, so sehr wir auch in die Dunkelheit starrten.
Am Horizont machten wir in der Morgendämmerung einen weißen Strich und ein paar Zacken aus: Amanu mit den Palmen. Mit dem GPS in der Hand und einem gelegentlichen Blick näherten wir uns im schleifenden Schnitt dem Riff. Bald sahen wir auch das rote Dach einer Kirche. Aha, dort drüben musste dann auch der Pass sein, der uns in die Lagune führen würde. Hatten wir den richtigen Zeitpunkt für die Passage erwischt? Da machte ich mir im Moment keine Gedanken, das würde ich schon aus der Nähe bemerken. Dass der Pass von Amanu problematisch sein würde, wussten wir, weil in den Handbüchern sogar von 14 Knoten Strom die Rede war, einmal auslaufend und dann wieder einlaufend. Nach der Karte von Amanu musste der Pass ziemlich schmal sein, rund hundert Meter, und da würde es schon wichtig sein, ruhiges Wasser vorzufinden, also den Zeitpunkt auszumachen, an dem die Tide kentert. Die Tide ist in erster Linie von der Anziehungskraft des Mondes abhängig, sie hängt ganz vom Rhythmus der Mondphasen ab. Denn die Wasserstände in der Lagune und der offenen See müssen sich ja irgendwie ausgleichen. Dies kann nur über den Pass, einen Durchbruch im Riff, geschehen.
Nachdem aber nun das Riff nur wenige Meter hoch ist, kann es geschehen, dass auf der Luv-Seite der Insel bei schwerem Schwell oder bei Sturm, also bei jedem hohen Seegang, Wassermassen in die Lagune hineingespült werden, so dass aus diesem Grunde die Wasserstände ungleich werden, sich also ausgleichen wollen. Dieser Effekt kann viel stärker sein als der normale Tidenrhythmus, so dass sich die Stärke des Stromes und auch die Richtung nie mit letzter Sicherheit vorhersagen lassen. Ich jedenfalls habe nur selten erlebt, dass die „schulmäßigen“ Vorausberechnungen stimmten.
Hinter dem Riff leuchtet die Lagune
 Als wir uns dem roten Kirchendach näherten, wußte ich also nicht, wie die Stromverhältnisse sein würden, und ob wir einen halben Tag warten müssten, um in die Lagune zu fahren. Aber das Timing stimmte, es war noch Morgengrauen, wir hatten den ganzen Tag für die Passage vor uns. Passage?![]()
Wollten wir mit unserer lahmen Maschine überhaupt einlaufen? Und hatten wir nicht ein höchst mangelhaftes Ankergeschirr, ein Provisorium? Unterwegs hatten wir noch ein paar Mal die Maschine benutzt, hatten stundenlang vergeblich versucht, Strom in unsere altersschwachen Batterien zu pressen. Aber jedesmal, wenn wir den Gashebel auch nur einen Millimeter über die 1800er-Marke hinausschoben, starb die Maschine ab, nicht hektisch, aber jedenfalls mit einer Deutlichkeit, dass wir wußten: Besonders viel Kraft würde sie uns nicht zur Verfügung stellen. War es nicht verantwortungslos, unter diesen Umständen in die Lagune von Amanu zu wollen? Aber hier draußen war keine Tiefe, kein Schutz zum Ankern. Also hätte die Alternative nur gelautet: weitersegeln!
Als ich mit dem Fernglas zum wiederholten Male zur Kirche blickte und in der Brandung überm Riff keine Unterbrechung sehen konnte, kam ich ins Grübeln. Nach GPS standen wir vor dem Paß Fafameru. Da mein Glaube an die Satelliten fast so unerschütterlich ist wie an die Gestirne, mindestens solange ich schlüssige Ziffern auf der Anzeige sehe, war ich doch erstaunt. Der GPS-Empfänger sagte mir, dass ich wenige hundert Meter vom Paß entfernt sei, aber ich sah keinen Paß. Das Riff war klar auszumachen, aber wie wir „durch“ das Riff in die dahinter smaragdgrün glitzernde Lagune kommen sollten, war mir nicht klar. Noch gab es keinen Grund zur Beunruhigung. Das Wetter war freundlich, kaum mehr als drei Windstärken spürten wir, und der Tag lag noch vor uns. Warum aber konnten wir den Paß nicht sehen? Warum zeichnete er sich auf dem Radarschirm nicht ab?
Da fiel mir eine Geschichte von unseren Freunden auf der Yacht TAKOO ein: Bei unserem letzten Besuch in den Tuamotus waren wir - die Yachten, die monatelang auf dem Ankerplatz Hana-Menu zusammenwaren - regelmäßig untereinander über Amateurfunk in Kontakt gewesen. Es war nicht nur aufregend, in der Einsamkeit des riesigen Pazifiks über tausend Meilen hinweg Neuigkeiten mit unseren Freunden auszutauschen, man hatte auch das beruhigende Gefühl, im Notfall mit ihnen auf Tastendruck verbunden zu sein, auch wenn sie weit weg waren. Auf einer dieser Yachten saß ein Arzt, der jeden Morgen eine Art Sprechstunde abhielt hat und seine Beratungen über den Äther durchführte. Große Probleme hatte es nie gegeben. Hier und da eine leichte Fischvergiftung, Schürfwunden von den scharfen Korallen, die partout nicht heilen wollten, ein leichtes Drücken im Unterleib („um Gottes Willen, der Blinddarm!“) oder eine schlichte Magenverstimmung wegen zu vieler Langusten, das war’s an Krankheitssorgen, mit denen der Doktor auf der Yacht konfrontiert wurde. Fred war ein vorzüglicher Arzt, doch die Navigation war nicht seine Stärke. Und so kam es vor, dass wir ihm über hundert Meilen hinweg eine astronomische Standlinie durchrechneten, nachdem er uns seine Meßdaten - Uhrzeit und Sextantwinkel - durchgefunkt hatte.
Also, Fred wollte uns nach Ahe folgen. TAKOO war schon am Ankerplatz in Ahe vor dem Dorf, das runde 10 Meilen vom Paß entfernt war. Fred meldete auf dem 20-Meter-Band, er habe Ahe in Sicht, wo denn der Paß sei? Die Rückfrage TAKOOS, ob er das Kirchlein mit dem roten Dach sehen würde, wurde bestätigt. Dann beschrieb der Skipper von der TAKOO den Weg zum Paß, erklärte genau, auf welcher Seite und in welcher Peilung die Kirche zu halten sei, um den Paß zu finden. Nach einer Stunde meldete sich Fred wieder, er sei jetzt ganz nahe an der Insel, aber den Paß könne er nicht sehen. Beruhigend wurde auf ihn eingewirkt, nochmals alles erklärt. Ja, er wolle es nochmals versuchen. Es war rätselhaft, denn sogar Fred sollte bei diesen guten Sichtverhältnissen keine Probleme haben, in den breiten und wohltuend kurzen Paß von Ahe einzulaufen. Fred wurde gebeten, seine Position zu überprüfen. Nachdem die Sonne zu dieser Jahreszeit fast den ganzen Vormittag ziemlich genau im Osten stand, brachte eine einzige Sextantmessung ziemlich genau die Schiffslänge. Und danach war die Yacht genau vor Ahe. Unerklärlich? Dann wurde es lange Zeit still im Radio, und endlich, kurz nach Mittag, meldete sich Fred wieder. Er hatte jetzt auch eine Mittagsbreite der Sonne „geschossen“ und festgestellt, und da gestand Fred ganz kleinlaut, dass er sich nicht vor Ahe, sondern vor Apataki befände, aber da könne er nichts dafür, denn auf Apataki gäbe es auch ein Kirchlein mit einem roten Dach ...
Jetzt hatten wir auch „unsere Kirche mit dem roten Dach“ voraus und waren etwas ratlos, trotz GPS. Vielleicht lag es an der Seekarte, deren Vermessung 25 Jahre zurücklag. Jeder hat in der Schule gelernt, dass unsere Erde fast (!) eine Kugel ist. Dieses „fast“ führt dazu, dass unser rechtwinkliges Koordinatensystem auch nur „fast“ genau ist. Mit verschiedenen Vermessungssystemen und Formeln haben Geographen seit Jahrhunderten versucht, diese geringfügigen Ungenauigkeiten zu eliminieren. Somit gibt es an die hundert verschiedene Vermessungssysteme. Unser GPS konnte also nur dann hundertprozentig genau (im Umkreis von 300 Metern) anzeigen, wenn sein Vermessungssystem mit dem der Karte übereinstimmte. Unser GPS war auf das sogenannte „WGS84“ eingestellt, wobei wir nicht wußten, ob dies der Genauigkeit der verwendeten französischen Seekarte entsprach. Aber das konnte nicht die Ursache für unsere Verwirrung sein, denn bei falsch eingestelltem Kartendatum konnte der Fehler nicht größer als zwei bis drei Meilen sein, also immer noch besser als jede Sextantmessung unter diesen Wetterbedingungen. Fast war ich versucht, den Sextanten rauszuholen, aber das schien mir doch zu kindisch.
Wir segelten in respektvollem Abstand am Riff entlang, fanden den Paß aber nicht. Erst als die Kirche klar achteraus war, waren wir sicher, dass er hinter uns sein musste, denn laut Karte war die Kirche (wie alle Kirchen auf Südsee-Atollen) direkt am Paß. Also drehten wir um, motorten mit langsamer Drehzahl zurück. Dann machten wir den Paß doch noch aus. Aber was wir sahen, gefiel uns nicht. Fast über die ganze Breitseite standen Brecher, war das Wasser schneeweiß. Das war auch die Ursache, warum wir den Durchbruch durchs Riff nicht erkannt hatten. Oh je, das sah nicht gut aus. Bei diesen Verhältnissen würde ich mich nicht in die Lagune trauen, vor allem nicht mit unserer Maschine. Und segeln?
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Im nächsten Teil segelt die SARITA in die Laugne von Amanu und ist dort gefangen... Hier geht es zum Teil 4 der SÜDSEETRÄUME
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