Südseeträume (5):
- mit SY SARITA zu den schönsten Inseln dieser Welt

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In der El-Nino-Wetterfalle

Auf der SSCA-GPS-Position ankerte punktgenau, ein Nachteil der Satelliten-Navigation, die KIWIROA aus Neuseeland. Skipper Peter benutzte das gleiche Heft des SSCA. Und so lag er dort, wo der Ankerplatz tausend Yachten beherbergen könnte, genau auf dem von uns anvisierten Platz. Wir freuten uns, Peter, seine Frau Jo und den vierzehnjährigen Sohn Craig zu treffen.

Die KIWIROA aus Aluminium ist vielleicht nicht die schönste Segelyacht, die ich jemals betreten habe, sicher aber die beste Fahrtenyacht. Peter, Bootsbauer, hatte sie fünf Jahre lang für das gemeinsame Leben seiner Familie auf dem Wasser gebaut und sicher über hundert gute Ideen darin verwirklicht, bis hin zur besonders sicheren Pinkelreling („Bei welcher Gelegenheit kommt es am häufigsten zu Mann-über-Bord?“). Stolz zeigte er mir alle Details, die er sich ausgedacht hatte, um das wirklich perfekte Traumschiff zu bauen. Er führte mich in den Maschinenraum, wo der 80-PS-Cummins-Diesel einem Altar gleich in makellosem Elfenbeinweiß in der Mitte thronte. Peter zeigte die Lukendeckel aus seewasserfestem Aluminium, die er so kunstvoll konstruiert und eingebaut hatte, dass sie am Ankerplatz zwar viel frische Luft, nicht aber Regen ins Schiffsinnere ließen. Das Schiff war durch mehrere wasserdichte Schotten so unterteilt, dass selbst beim (nur theoretisch denkbaren) Durchkentern kein Tropfen Wasser seinen Weg ins Innere gefunden hätte.

Im Cockpit fand sich - fest eingebaut - eine kleine Waschmaschine, und der Heckanker war mit einem Griff aus einer achterlichen Luke an Deck zu holen und mit einem eigenen verdeckten Spill zu bedienen. Am meisten faszinierte mich die ungewöhliche Form des Decks, was einen guten Grund hatte. Statt eines unsinnigen generatorbetriebenen Watermakers konnte Peter sein ganzes Schiff als Regenfänger benutzen. Sogar Wasserhähne hatte er zu diesem Zweck installiert. Wenn in einem tropischen Regenguss nach ein paar Minuten das Salz vom Deck gewaschen war, konnte er das reine Regenwasser direkt in die Süßwassertanks leiten. „Wir duschen jeden Tag mit Trinkwasser, ganz gleich, wie weit wir vom Wasserschlauch entfernt sind“, meinte Peter stolz. An der Heckreling hatte er einen kleinen, abnehmbaren (Aluminium-)Tisch angebracht, auf dem frische Fische gleich ausgenommen werden konnten, ohne dassdas Cockpit beschmutzt werden musste. Alles war bei Peter bis ins letzte Detail durchdacht - bis auf seine Lebensplanung.

Viele Jahre hatte er an diesem Schiff gebaut, man „sah“ es - im guten Wortsinn. Man spürte, wie Peter jede freie Minute, jeden Penny in den Traum seines Lebens, eine Weltumseglung mit Familie und perfektem Schiff, gesteckt hatte. Doch nach einer Stunde an Bord erahnte ich auch die Geschichte, die er mir bald erzählen würde. Ich hatte sie schon oft gehört:

Seinem 14jährigen Sohn Craig war die riesige Yacht mit eigenem Studierzimmer, aber ohne Schulfreunde, zu klein, Peter dagegen zu groß geworden. Die Kosten für das Schiff gingen ins nicht mehr vorhandene Geld. Zu verkaufen war die Yacht zu einem vernünftigen Preis nicht, jedenfalls bei weitem nicht zu dem Geld, das Peter in sein Schiff gesteckt hatte, vor allem, wenn man seine Arbeitszeit hinzurechnete. Schiffskäufer wollen lieber schniegelige Yachten von der Messe und nicht so viele praktische Details wie auf der KIWIROA, was, man befürchtet es, auch Chartergäste abhält. Schade, das Ende der Weltreise ist absehbar. Zurück bleibt vielleicht wenig mehr als die Erinnerung an viele Jahre Entbehrungen auf der Werft in England und an den unglaublichen Ankerplatz in Makemo, wo SARITA und KIWIROA auf dem glasklaren Wasser zu schweben schienen, und der menschenleere weiße Sandstrand sich im weißen Saum der Brandung am Horizont verlor.

Am Sonntag, den 15. Juni mussten wir ins Dorf von Makemo zurück, schließlich wartete am Montag das Flugzeug auf Sonja und Ulli, das beide nach Papeete bringen sollte. Die Rückfahrt über die korallenübersäte Lagune war aufregend, denn es passierte genau das, was wir befürchtet hatten: Es regnete in Strömen, und der Windmesser ging bis an die dreißig Knoten. Bestes Segelwetter für die SARITA, wenn man nicht gerade inmitten von Korallenköpfen rumdriftet. Es war auch für Carla und mich eine völlig neue Erfahrung, denn bei den ganz seltenen Gelegenheiten, bei denen wir durch unvermessene Korallengewässer segelten (an die Kandavu-Passage bei Fiji kann ich mich erinnern), hatten wir immer bestes Wetter, hatten das aber auch so geplant.

Jetzt saßen wir wegen des Heimflugs von Sonja und Ulli ein wenig in der Falle. Zu meiner seemännischen Ehre muss ich allerdings anmerken, dass beim Ankeraufgehen das Wetter, vor allem die Sicht, noch ganz passabel war, wirklich schlecht wurde es erst in der Mitte der Lagune. Und da gab es sowieso kein Zurück mehr, weil es gleichgültig war, in welche Richtung wir segelten. Zuerst wollten wir uns auf den elektronisch festgehaltenen Kurs vom Hinweg verlassen, aber dann merkten wir, dass trotz wolkenbruchartigen Regens die Korallenfelder einigermaßen auszumachen waren, wenn auch nicht aus einer großen Entfernung. So nahmen wir die Segel lieber zum großen Teil weg, um die Fahrt herabzusetzen und manövrierten vorsichtig zwischen den braunen Flecken auf der grauen Wasseroberfläche durch. Je näher wir zu unserem alten Ankerplatz vor dem Dorf zurückkamen, desto mehr ließ der Wind nach. Denn wir hatten, entgegen der Passatrichtung, nunmehr reinen Westwind und waren durch die Palmen im Dorf bestens geschützt. Der Passat zeichnet sich zwar durch eine Stetigkeit aus, die in Europa bei Wettererscheinungen unbekannt ist, trotzdem kann es mal passieren, dass er einen Tag einschläft oder das Feld kurze Zeit anderen Winden überlässt, ohne dass man gleich von einer Passatstörung sprechen könnte. „Konvergenzzonen“ nennt der Metereologe diese Wettererscheinungen, die - selten - Vorboten von wirklich schlechtem Wetter sind, während der Sommermonate, November bis April, sogar die gefürchteten Hurrikane ankündigen können.

Zum Abschied von Ulli und Sonja besuchten wir das „Restaurant“ von Eliane, die uns die wunderschönen Perlen geschenkt hatte. Carla hatte einen besonders schönen Haarschmuck als Geschenk für sie mitgebracht. Eliane strahlte, machte aber keine großen Worte darum. Schenken, Geben und Nehmen ist in Polynesien so selbstverständlich, dass man sich da nicht lange bedankt. Nachmittags hatten wir schon das Essen bestellt, denn sonst hätten die neuseeländischen Steaks nicht mehr aufgetaut werden können. Wir waren offenbar die einzigen Gäste, die sich ein Abendessen leisteten. Alle anderen waren nur an Hinano-Bier und Fernsehen interessiert. Leider konnten wir uns fast nicht unterhalten, so laut war die Flimmerkiste mit dem grieseligen Satellitenbild. Dazu verstanden wir kein Wort, und die Bilder waren nichtssagend. Was soll denn Radio Tahiti schon viel bringen aus einer Kleinstadt wie Papeete, jedoch mit fünfzigtausend Einwohnern Hauptstadt von Polynesien.

"La météo“ hieß die Sendung, da konnten wir mindestens das Wetter anderer Inseln sehen, um dann unseren Funkfreunden, die auch in den Tuamotus lagen, über Funk davon zu berichten. Die erste Wetterkarte wunderte uns. Sie zeigte die Tubuai-Inseln mit vielen Windpfeilen und, da braucht es keine speziellen Sprachkenntnisse, dem Eintrag „100 km/h“. Das war aber wirklich ungewöhnlich für diese Jahreszeit, doch die Austral-Inseln, so lautet der zweite Name für diese Inselgruppe, liegen runde 500 Meilen südlich von Tahiti, fast schon im Bereich der „Brüllenden Vierziger“. Also bei weitem nicht unsere Gegend.

Die nächste Wetterkarte zeigte wiederum die ominösen Zahlen von „100 km/h“ über das ganze Fernsehbild verteilt und genau in der Mitte die Hauptinsel Tahiti. Ja, das gibt es doch wirklich nicht, ein solches Unwetter im Juni! Stimmen die Gerüchte mit El Nino wirklich? Aber Tahiti war weit weg, bei uns hier war der Wind eingeschlafen, und die Tuamotus gelten als besonders hurrikansicher! Aber dann schockte mich doch das nächste Bild. Nun war in der Mitte, ganz groß, das Motu Makemo eingezeichnet, umgeben von spitzen 100-km/h-Windsymbolen. Waren es die fetten Pommes frittes oder das Fernsehbild? Jedenfalls hatte ich ein ganz unangenehmes Gefühl im Magen. Ulli fragte zu Recht, ob bei soviel Wind Flugzeuge überhaupt fliegen können?

„Das ist nicht das Problem“, meinte ich, und Ulli widersprach: „Doch, denn wenn wir morgen nicht wegkommen, dann weiß ich nicht, wie ich rechtzeitig nach Deutschland heimkomme!“

„Nein“, setzte ich trotzig eins drauf: „Wenn diese hundert Stundenkilometer Wind heute Nacht nach Makemo kommen, können wir gleich mit euch heim fliegen, dann wird es keine SARITA mehr geben!“

An Bord zurückgekehrt, suchten wir in den Backskisten nach allem, was sich irgendwie als Ankergeschirr einsetzen ließe. Gerhard verarbeitete die Niro-Ketten-Überreste zu einem recht klobigen Kettenvorlauf, durchschossen mit einer alten Schot. Das Ganze wäre selbstverständlich niemals mit der Winsch zu bedienen, weil die Kettennuss ganz genau auf einen bestimmten Kettendurchmesser abgestimmt sein muss. Unser Liegeplatz war ungefähr der schlechteste im ganzen Atoll, aber jetzt war es dunkel, zu spät, um die SARITA zu verlegen, denn nachts im Atoll herumzusegeln, ist ausgeschlossen, selbst wenn man mit allem, was an Bord ist, navigiert. Das Echolot würde nur das Riff und die Korallen unter der Yacht anzeigen, also dann, wenn es zu spät wäre. Das Radar wiederum kann nur die Riffe, nicht einmal sicher die Brandung über Wasser auf dem Bildschirm weiß aufblitzen lassen. Das GPS ist nur auf dreihundert Meter genau, also bei weitem nicht geeignet, um einzelnen Korallenköpfen auszuweichen, selbst wenn deren Position exakt mit dem GPS-Kartenformat übereinstimmen würde, was in der Südsee bestimmt nicht der Fall ist. Die konservative Navigation mit Kompass und Karte scheidet erst recht wegen zu großer Ungenauigkeit aus. Kurzum, es gab keine Möglichkeit, dem Sturm auszuweichen oder vor ihm zu flüchten.

Die Angst vor dem Orkan

Warum hatten wir uns nicht vorher schon auf einen besseren Liegeplatz gelegt? Hinterher ist man immer klüger. Als wir bei unserer Ankunft vor Anker gegangen waren, war diese Position bei der damaligen Windrichtung die günstigste, schön geschützt vom Riff und dem Dorf, keine zweihundert Meter entfernt. Jetzt aber konnten wir mit Ostwinden rechnen, aber was heißt schon „Winde“. Die angesagten „100 Kilometer“ bedeuteten 11 Windstärken, in Böen vielleicht auch 12. Das Schlimme aber war die Windrichtung. Würde dieser Orkan uns aus Osten erwischen, dann war in der Lagune immerhin so an die zwanzig Meilen Platz, um eine gewaltige See aufzubauen, die mörderisch wäre. Von einem Schutz des Riffs auf der anderen Seite der Lagune konnte da nicht mehr die Rede sein. Ich machte mir da keine Illusionen, das würde das Ende der SARITA sein. Denn selbst mit einem intakten Ankergeschirr hätten wir keine Chance. Bei glattem Wasser lässt sich ein Sturm vor Anker vielleicht noch abreiten, wie die Erfahrung zeigt. Die tödliche Gefahr ist der Seegang, der vom Wind über eine offene Wasserstrecke erzeugt wird. Selbst wenn die Ketten und Trossen vielleicht noch halten würden, die Klampen und die sonstigen Halterungen fürs Ankergeschirr brechen sicher aus.

Schweigend begannen wir die restlichen „Ersatzanker“ mit dem Beiboot auszufahren. Wir konnten nichts anderes tun, als unsere Verteidigungslinie gegen den Sturm so stark wie möglich zu machen. Kurz dachte ich ans Ankeraufgehen nach dem Sturm, wenn es dazu kommen würde. Dann würde uns stundenlange Arbeit mit dem Beiboot erwarten, um die Anker einzusammeln. Aber ob es dazu kommen würde? Ulli und Sonja waren langsam vom Ernst der Lage überzeugt. Wenn der Sturm erst mal einsetzen würde, gäbe es für sie keine Chance mehr, bei auflandigem Wetter an Land gebracht zu werden. Zu groß würde die Gefahr sein, dass wir mit dem Beiboot zwar irgendwie, aber keinesfalls trocken, die Gäste an Land bringen würden, dass aber dann weder ich noch ein anderer mit dem Beiboot gegen den Sturm auf die SARITA zurückkehren könnte. Obwohl Ulli sich noch kurz zuvor Gedanken gemacht hatte, dass er im winzigen Dörfchen Makemo keine Übernachtungsmöglichkeiten finden würde, bat er uns jetzt, sie beide an Land zu bringen. Noch war die See spiegelglatt, und so war es mir sogar möglich, mit Ulli, Sonja und ihrem Gepäck trocken an Land zu kommen. Der Abschied war kurz, zu sehr war ich in Gedanken mit der folgenden Nacht beschäftigt.

So sagte ich Ulli und Sonja auch nicht, dass sie ausgesprochen angenehme und problemlose Mitsegler waren - das beste Kompliment, das man Leuten machen kann, mit denen man einen halben Monat ein paar Quadratmeter Platz geteilt hat.

Als ich zur SARITA zurücktuckerte, dachte ich mir, dass ich die folgende Nacht lieber zu Hause zubringen würde, im Bett auf festem Boden. Das ist das einzige, was ich beim Leben an Land gegenüber dem Langfahrtsegeln auf einer schönen Yacht vorziehe: Wenn es draußen stürmt, dann ziehe ich mir zu Hause an Land die Bettdecke über den Kopf und male mir aus, wie ungemütlich es jetzt wäre, wenn ich in dunkler Nacht mit dem Beiboot im stürmischen Regen gegen die gischtige See einen Anker ausbringen müsste.

Den Außenborder nahmen wir an Bord, wir würden ihn im Sturm bestimmt nicht einsetzen können. Das Bimini wurde wegen des Windfangs abgebaut. Alles, was irgendwie nach Anker aussah, war jetzt draußen. Wenn wir unser Schiff von unten hätten betrachten können, hätte unsere SARITA inmitten der Ketten und Trossen ausgesehen wie eine Spinne im Netz. Es war aber auch zu blöd, dass wir an diesem malerischen Ankerplatz zur Unzeit von einem Zyklon überrascht werden sollten. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass eben früher alles besser gewesen ist. Jetzt hatten wir die Bescherung sicher El Nino zu verdanken, der heute ungefähr für alles Unangenehme aus dem Welt-Wettergeschehen verantwortlich gemacht wird.

Das erste Mal hatten wir mit diesem Phänomen, nichts anderes als eine warme Meeresströmung vor der Küste Perus, Bekanntschaft gemacht, als wir nach vierjährigem Aufenthalt in der Südsee unsere Zelte in Moorea abgebrochen hatten und um Kap Hoorn nach Hause gesegelt waren. Jeder vernünftige Blauwassersegler richtet seine Reisepläne in erster Linie nach der jeweiligen Hurrikan-Saison. Alle tropischen Gebiete auf der Westseite eines Ozeans sind mehr oder weniger hurrikangefährdet. Meist sind diese Jahreszeiten sehr deutlich ausgeprägt, das heißt, in den dortigen Sommermonaten ist die statistische Häufigkeit von tropischen Orkanen hoch und im Winter niedrig. Das gilt auch für den Pazifik. Allerdings liegt Tahiti östlich, schon außerhalb der reinen Hurrikan-Zone, so dass dort ein tropischer Orkan gar nicht erst auftreten dürfte, schon gar nicht im Winter. So hatten wir in Französisch-Polynesien nicht einen einzigen tropischen Orkan erlebt, auch nicht bei unserem ersten Aufenthalt viele Jahre zuvor. Kaum waren wir damals mit unserer THALASSA II in Richtung „Brüllende Vierziger“ abgesegelt, wurde Tahiti von einer ganzen Serie von Hurrikanen heimgesucht, die schwere Verwüstungen anrichteten. Bei dem schwersten Orkan wurden dort 17 Yachten aufs Riff geworfen. Später erklärte man das ungewöhnliche Wetter in diesem Sommer mit El Nino, den bis dahin noch kaum jemand kannte. So ging der Sommer 1982/83 in die Wetterstatistik als das böseste El-Nino-Jahr ein.

Auch jetzt schob ich El Nino die Sturmwarnung mit den „100 Stundenkilometern Wind“ zu. Wir waren nämlich in Makemo noch um viele hundert Kilometer weiter außerhalb der Hurrikan-Zone als Tahiti. Trotzdem war mir bewusst, dass El Nino, so er denn schuld daran war, offensichtlich schon zu Beginn des Jahrhunderts sein Unwesen trieb, denn auch Jack London hatte auf seiner Segelyacht SNARK bei seinem damaligen Aufenthalt in den Tuamotus einen Orkan erlebt, dem wir allerdings auch schön-dramatische Südseegeschichten verdanken.

Ich will es kurz machen: Kaum hatte ich mich in meiner Koje aufs Ohr gehauen, um „auf Vorrat“ zu schlafen und so Kräfte zu sammeln, begann das Rigg zu singen. „Aha, jetzt geht es auf“, dachte ich noch, als es plötzlich ganz leise wurde, und langsam das Schlagen der Wellen gegen den Rumpf in ein leises Plätschern überging. Wir waren nicht gerade enttäuscht, als wir am frühen Morgen aufwachten, ohne dass der Sturm uns erreicht hatte.

Wie ich später erfahren habe, bot der erste Polynesier, den Ulli und Sonja an der Pier trafen, ihnen sein Haus zum Schlafen an. Der heftige Sturm, der aus Fiji herübergezogen war, war über Tahiti abgestorben, so dass das östliche Polynesien vor dem Unwetter verschont geblieben war. So war es auch möglich, dass der Flieger am Morgen Makemo anfliegen und unsere Preisgewinner heimbringen konnte. Noch mal Glück gehabt!

Wo ist das Südseeparadies?

Erleichtert spazierten wir am anderen Vormittag durchs Dorf. Der Himmel war dunkelgrau, und am Horizont hingen noch zahlreiche Wolkenfetzen, die anzeigten, dass sich nachts der Passat und der Sturmtrog nicht so recht einigen konnten, wer hier in den Tuamotus die weitere Herrschaft übernehmen sollte. Beim Bäcker kamen wir mit dessen Frau, einer hübschen Polynesierin, ins Gespräch. Sie bestätigte das, was der Lehrer uns schon verraten hatte: Sie selbst würde sich vor Hundefleisch ekeln, doch ihr polynesischer Mann sei der Meinung, dass die Haut von Hunden noch besser sei als die vom Schwein.

Bevor wir am nächsten Morgen ablegten, nahmen wir mit KIWIROA Radiokontakt auf Single Side Band, genau auf 8188 kHz, auf. Peter erzählte uns, dass der Hafenkapitän in Tahiti wegen des schlechten Wetters und der Sturmwarnung Yachten aufgefordert hatte, den Hafen zu verlassen. Zu groß war die Angst, dass die kleinen Schiffe im Südwest-Schwell zerschlagen würden - wie schon früher geschehen. Das zeigte uns, dass unsere Angst nicht unberechtigt war. Mit Peter verabredeten wir uns auf 8188 und vereinbarten einstweilen Standby auf Kanal 72 für die Weiterfahrt.

Heute ist eine Funkverbindung unter Yachten nichts Besonderes mehr. Fast jede Blauwasseryacht hat ein Amateurradio an Bord, mit dem nicht nur das gesamte Band von Langwelle bis zu den Kurzwellen abgehört werden kann, sondern in dem auch die gleichen Bänder sendemäßig geöffnet wurden. So sind die Yachties in der Lage, praktisch auf jeder genannten Frequenz zu senden. So ein (preiswertes) Sendegerät wäre zwar in Deutschland streng verboten, doch kümmert sich in der Ferne des Stillen Ozeans kein Mensch darum, Amerikaner schon gar nicht. Für sie ist es wichtiger, mit anderen Menschen reden zu können als Gesetze einzuhalten, die zu Hause wegen der Überbelegung der Radiobänder unumgänglich erscheinen.

Peter von der KIWIROA meinte noch am Radio, dass dieses miese Wetter sicher noch drei bis vier Tage halten würde. Der Wind, der inzwischen aufgekommen war, erzeugte giftigen Schwell an unserem Ankerplatz, kam aber aus günstiger Richtung für einen Schlag zu dem Atoll Kauehi. Wir wollten uns noch mit frischem Baguette eindecken, aber der Schwell war so gewaltig, dass wir darauf verzichteten, wegen des knusprigen französischen Weißbrots nochmals ins Dorf zu motoren. Sicher hätten wir es auch nicht trocken an Bord gebracht.

Wie erwartet, brauchten wir tatsächlich einige Stunden, um mit Maske und Schnorchel unsere Trossen, Ketten und Anker zu klarieren. Die Arbeit im Ölzeug ließ Südseeromantik nicht so recht aufkommen. Nach dem Verstauen des Ankergeschirrs standen wir ein paar Minuten später vor dem Pass von Makemo. Im Gegensatz zur Ankunft schaute er heute gar nicht gut aus. Das graue Wasser mag ihm ein grimmigeres Aussehen verliehen haben. Nachdem wir aber den Pass von Amanu erlebt hatten, konnte uns die Wasserstraße von Makemo nicht mehr schrecken. Peinlich darauf bedacht, dass unsere Maschine die 1800 Umdrehungen nicht mehr erreichte, drehten wir den Bug in den Pass, und in ein paar Minuten spuckte dieser uns schon aufs offene Wasser hinaus. Der unendlich weite Pazifik hatte uns wieder.

Wo sollte es jetzt hingehen? Alle Inseln, die unmittelbar vor uns lagen, galten als „von Yachten wenig besucht“. Wir waren noch lange nicht in der Rinne, durch die die Weltumsegler auf dem direkten Weg von den Marquesas-Inseln nach Tahiti kommen mussten. Jeder Blauwassersegler verfügte auch schon vor den Zeiten des Internets über zuverlässige Informationsquellen. Damit meine ich nicht die offiziellen Handbücher. Geschrieben in erster Linie für die Großschifffahrt, steht dort nur wenig über Inseln, die von den „Biggies“ praktisch nie angelaufen werden. Was man bei uns zu Hause als „Küstenklatsch“ bezeichnet, heißt unter den Yachties „Coconut-Radio“. Nachdem auf den Weltumseglerrouten die Pfade schon etwas ausgetreten sind, treffen sich die Yachten immer wieder in den besten Buchten oder eben in Häfen mit besonders guten Versorgungsmöglichkeiten. Dort werden dann Erfahrungen ausgetauscht. Dies hat nur den Haken, dass die Meute der Weltumsegler, die dem östlichen Passat um die Welt folgt, immer nur darüber bestens unterrichtet wird, wo es besonders schön war (!). Die Chance, dorthin jemals gegen den Passat zurückzusegeln, ist somit gleich Null. Es sei denn, auf einer zweiten Weltumseglung, was aber selten passiert.

Die beste Informationsquelle sind deshalb die Bulletins der Seven Seas Cruising Association. Bei uns ist es Carla, die unsere Reisen plant. Selbstverständlich spielen hierbei die SSCA-Bulletins die wichtigste Rolle. Als wir noch zu Hause das nächste Ziel nach Makemo suchten, stießen wir in einem älteren Bulletin auf die Beschreibung der Insel Faaite. Sie wurde von den SSCA-Commodores wie folgt beschrieben:

„Dort hast du es gleichzeitig mit einer Oberflächenströmung und in der Tiefe mit einer Gegenströmung zu tun. Dein Anker ist deshalb die meiste Zeit hinter deiner Schraube. Diese Strömungen sind stark, hinzu kommen die Korallen im Pass. Am Dock schaut die Strömung schlimm aus, aber sie ist es nicht. Wir lagen dort drei Tage, und meistens hingen unsere Springs durch. Dieses Atoll ist eines der besten. Alle lieben euch, und zwar so, dass man es wirklich glaubt Als wir absegelten flossen die Tränen. Niemals in unserem Leben haben wir soviel Liebe, Freundschaft, Güte und Geschenke empfangen. Das sage ich, selbst wenn ich an unsere Freunde denke. Dabei waren wir aber an einem total fremden Ort Für dieses Atoll alleine rentiert sich schon eine ganze Weltumseglung mit all ihren Problemen und Schwierigkeiten. Es motivierte uns, wieder an das Gute im Menschen zu glauben. Wenn du das Atoll besuchst, folge dem Evangelium in Mathäus 10,8: ,Empfange und gib großzügig!1 Der Platz möge seinen Charme für die Nachfolgenden behalten!

Als wir diese Zeilen zum ersten Male gelesen hatten, waren wir überzeugt, dass diese Insel unser Traumziel sein würde, dass dieses Atoll der Höhepunkt unserer Südseereise werden würde. Es sollte aus furchtbaren Gründen ganz anders kommen. Jetzt aber stand zunächst Kauehi auf unserer Reiseplanung.

Wir hatten kein „Südseewetter“, das heißt, die Sonne ließ sich nicht blicken, und der Himmel hing voller Regen. Unter „Südsee“ stellen wir uns ja immer Palmen und Sonne vor, was ein Irrtum ist. Denn auf den Postkarten leuchtet hinter den schneeweißen Stränden das Land in sattem Grün. Und woher soll denn dieser Farbton kommen, wenn nicht vom vielen Regen? Besonders Touristen sind hier ungerecht, wenn sie sich über den Regen beschweren, denn der bringt schließlich die Fruchtbarkeit der Erde in die Südsee. Regen kann es das ganze Jahr hindurch geben, in unseren Sommermonaten - dort ist dann auf der Südhalbkugel Winter - etwas weniger als sonst. Aber eine Sicherheit vor schlechtem Wetter gibt es nicht. Vor allem dann nicht, wenn der Passat gestört ist. Die uns gestern angesagten 100 Stundenkilometer Wind konnten nur mit einem Sturmtrog etwas zu tun haben, so dass davon der Passat überdeckt worden war. Man merkte es, wir saßen im Ölzeug im Cockpit und gingen Ruder. Die Selbststeueranlage verweigerte ihren Dienst, flog immer wieder raus. Obwohl wir in letzter Zeit die Maschine oft hatten laufen lassen, schon wegen des Kühlschranks, waren die Batterien ohne Saft, wie eine ausgepresste Zitrone. Sie waren am Ende. Damit mussten wir uns jetzt abfinden, erst in Tahiti gab es die Möglichkeit, neue zu kaufen.

Kurz nach uns war auch die KIWIROA aus dem Pass von Makemo nachgefolgt, aber sie hatte ein anderes Ziel, wollte nach Fakarava. Als es dunkel wurde, sahen wir in 2,1 Seemeilen Abstand Peters Yacht. Den Abstand konnte ich so gut angeben, weil die KIWIROA als Aluminium-Schiff im Radar gut zu sehen war. Auf dem Bildschirm sah ich rechts von Peter einen weißen Schleier. Auf Kanal 72 erzählte ich Peter, dass knapp an Steuerbord ein Regenschauer auf die KIWIROA zukomme. Peter gefiel dies, hatte er doch kein Radar. So perfekt die KIWIROA als Fahrtenschiff sonst ist - Peter hatte auf die Anschaffung eines Radargerätes verzichtet, eine Entscheidung, die er längst bereute.

Lange noch sahen wir das Topplicht der KIWIROA an Steuerbord, dann wurde es schwächer und verschwand schließlich ganz. Hoffentlich kann Peter sein Traumschiff einigermaßen gut verkaufen, damit die lange Bauzeit und die vielen Jahre der Entbehrung und harten Arbeit nicht nur eine Erinnerung an verlorene Zeit und Geld, vor allem aber an einen Alptraum sind! Innerlich, man spürte es, hatte die Familie der KIWIROA sich schon lange von diesem wunderschönen Schiff gelöst, es war eine Last geworden. Peter und Jo litten unter Geldsorgen, und Craig, geboren 1982 in Neuguinea, wollte nur runter vom Schiff, mit Kameraden spielen. Ich bin sicher, dass vor allem Craig später einmal mit Wehmut an seine Jugend auf der KIWIROA zurückdenken wird. Die letzte Spur der KIWIROA war auf unserem Radarschirm ein schwaches Echo, das schließlich nur noch bei jedem fünften Antennenumlauf aufleuchtete und schließlich ganz ausblieb.

Kauehi - die Perlen-Lagune

Kauehi hieß unser nächstes Ziel. Nachts im Regen ließen wir die Atolle Katiu und Raraka ganz knapp an Backbord liegen, mit dem GPS kein Kunststück. Hätte ich kein Radar gehabt, hätte ich mir das nicht zugetraut. In die Ziffern der GPS-Anzeige habe ich nicht das letzte Vertrauen, obwohl die meisten Überprüfungen beweisen, dass die Satelliten punktgenau arbeiten. Aber auf dem Radarschirm sehe ich das Riff, kann es identifizieren. Zusammen mit dem Echolot, das keine lotbaren Tiefen anzeigt, bin ich mir sicher, die Sicherheitsmeile vom Riff entfernt zu sein. Und wenn die Echos auf dem Schirm nicht das Riff, sondern vielleicht einen Seegangsreflex oder einen länglich geformten Regenschauer anzeigen? Nein, da pass ich schon auf, dreh immer wieder die Verstärkung auf, so dass die Form des Außenriffs jedenfalls auf der uns zugewandten Seite sichtbar wird und die Form des Atolls auf der Seekarte wiedergibt. Ein Radargerät ist das wichtigste Navigationsmittel auf einem Schiff, auch auf einer Yacht. Es ersetzt nicht nur in der Dunkelheit das menschliche Auge, sondern es gibt auch ein anschaulicheres Bild von der Umgebung. Denn häufig bekommt man eine Art Draufsicht, die nicht einmal vom Ausguck im Mast wahrgenommen werden kann. Das hängt in erster Linie von der Beschaffenheit der Landschaft ab. Felsige Küsten, hohe Berge sowieso, geben ein stärkeres, damit auf dem Bildschirm deutlicheres Echo als zum Beispiel Sandstrände. Mit der Entfernung nimmt naturgemäß die Intensität des Echos ab. All das führt dazu, dass das Bild auf dem Radarschirm sich nicht unbedingt mit dem natürlichen Bild der umgebenden Landschaft decken muss. Meist aber kann sogar ein Anfänger in Navigation eine gewisse Übereinstimmung zwischen dem phosphoreszierenden Bild und dem tatsächlichen Anblick von der Umgebung und der Seekarte herstellen. Er ist sich schon nach ein paar Stunden am Schirm darüber klar, dass gewisse Details in der Landschaft auf dem Radarbild fehlen, weil der Funkstrahl aus der Antenne an Bord abgeschattet wird. Es können somit nur die Einzelheiten wiedergegeben werden, die vom Radarstrahl, ähnlich wie bei einem starken Scheinwerfer, angestrahlt werden. Noch etwas: Bei sehr niedrigen Objekten, wie es die Riffe in den Tuamotus nun mal sind, schiebt sich die Erdkrümmung vor die Radarantenne im Mast. Deshalb wird bei den niedrigen Motus die Reichweite des Radargerätes nicht durch seine Sendestärke, sondern durch die geringe Höhe der Landmassen über dem Wasser begrenzt. So tauchte auch die Insel Katiu erst wenige Meilen vorher auf dem Radarbild auf.

Am Morgen standen wir vor dem Pass von Kauehi auf der Südwestseite der Insel. Ganz friedfertig lag der Naturkanal durchs Riff vor uns, fast wie ein breiter Fluss, der müde geworden war. Die Wasseroberfläche bewegte sich kaum, und tatsächlich konnten wir auch kaum Strömung feststellen, als wir in wenigen Minuten durchmotort waren.

Das Dorf war auf der anderen Seite der Lagune, ungefähr zehn Meilen vom Pass entfernt. Aus den SSCA-Bulletins wussten wir, dass der Weg durch die Lagune gut betonnt war. Trotzdem tippten wir in unser Hand-GPS einen rechtweisenden Kurs von 24 Grad zum Dorf ein und schalteten unser GPS auf die „Autobahn-Grafik“. Damit konnte so gesteuert werden, dass die SARITA sich wirklich nur auf der 24-Grad-Linie bewegte. Das war wichtig, denn abseits dieser „Lagunenstraße“ lauerten die gefährlichen Korallenköpfe.

Die Autobahnfunktion mit dem 0,25 sm-Bereich funktionierte so genau, dass wir schließlich mit achterlichem Wind und der Genua mit 6 Knoten durch die Lagune rauschten. Bei starkem Regen mussten wir uns hier aufs GPS verlassen, denn abseits des in der Karte eingezeichneten Kursstrichs gab es nur noch spärliche Tiefenangaben, das heißt, das Gebiet war nicht durchgehend vermessen. Gelegentlich sahen wir querab, nur hundert Meter entfernt, graubraune Flecken, also Korallen, die bis an die Wasseroberfläche reichten.

Laut Karte musste eine Untiefe mit etwa zwei Metern, gerade an der Grenze für den Tiefgang der SARITA, mit einer roten Tonne gekennzeichnet sein. Ich drehte am Radar ununterbrochen an der Verstärkung und an der Seegangsenttrübung. Aber ich sah die Tonne auf dem Schirm einfach nicht. Als wir nach GPS fast auf der Tonne sitzen mussten, konnte ich sie endlich ausmachen: Mit bloßem Auge war sie keine achtzig Meter querab zu erkennen, auf der Seite, wo sie zu erwarten war.

Bald sahen wir das Riff auf der anderen Seite der Lagune und sechs weiße Punkte davor. Im Fernglas machten wir diese als Yachten vor Anker aus.

Das überraschte. Nicht dass der Ankerplatz nicht gereicht hätte, auch hundert Yachten hätten genügend Platz zum Schwojen gehabt. Nein, die sechs Yachten waren seit den Marquesas-Inseln die größte Schiffsansammlung, die wir erlebt hatten. Es waren Yachties auf Langfahrt, wahrscheinlich auf ihrer Weltumseglung. Das erkannte man gleich an der Windselbststeueranlage, ohne die kaum ein erfahrener Yachtmann über die Weltmeere zieht, und an den alternativen Stromerzeugern, also Solarpanels und Windgenerator. Freundlich deuteten die Segler uns die Richtung auf einen guten Ankergrund, während die SARITA langsam durchs Ankerfeld motorte und dabei die Tiefe mit dem Echolot abcheckte.

Wir fanden einen Ankerplatz nach Wunsch, also nicht zu tief, weit weg von den gefährlichen Korallenköpfen, aber möglichst nahe am Dorf. Auf 10 Metern ließen wir den „Rest-Haupt-Anker“ in die Tiefe und sahen zu, wie er bis. 23 Meter Kettenvorlauf hatten wir aus den Fragmenten noch zusammengebracht, dazu 20 Meter Trosse. Bei gutem Wetter sollte das halten, und Barometer und Radio-Wetterbericht signalisierten normales, also gutes Südseewetter.

Nachmittags fuhren wir ins Dorf. Mindestens dreißig Kinder liefen zusammen und begrüßten uns herzlich. Was mich irritierte, war, dass zahlreiche Kinder auf mich zukamen und an meiner Haut herumzupften. Sie hatten wohl noch nie gesehen, wie sich nach einem Sonnenbrand die Haut ablöste. Durch die Gewöhnung an die Sonne kennen sie keinen Sonnenbrand, brauchen keine Cremes mit Lichtschutzfaktor oder ähnliches, obwohl sie den ganzen Tag über aggressivem Sonnenlicht ausgesetzt sind. Hinzu kommt, dass durch die seichte Lagune die Haut mit UV-Strahlen geradezu bombardiert wird.

Die Erwachsenen von Kauehi ließen sich nicht sehen. Nur wenige von ihnen waren im Dorf anzutreffen. Die vielen Pressluftflaschen vor den Hütten und die ratternden Kompressoren erklärten das. Offensichtlich ist Kauehi eines der Zentren für die Perlenzüchterei, und die Einheimischen hielten sich in den zahlreichen über die Lagune verstreuten Perlenfarmen auf. Einerseits freut sich der Besucher darüber, dass die Polynesier eine Beschäftigung, ein Einkommen haben, andererseits wird deren Leben doch nachhaltig verändert. Und ob dieser künstliche Eingriff in die Natur von Vorteil ist, sei dahingestellt. Es ist wohl wie überall, wenn der Mensch in die Natur eingreift: Die Menge macht es!

Faaite - ein Paradies wird zur Hölle

Am Abend war Sport angesagt. Rund fünfzig Jugendliche kamen aus dem Dorf zu Fuß oder mit dem Fahrrad, jeder mehrere Speere mit einem scharfen Metallpfeil als Spitze in der Hand. Dann wurde in der Mitte eines Platzes eine rund fünfzehn Meter lange Stange aufgerichtet, an deren Ende eine Kokosnuss aufgespießt war. Ich glaubte nicht, dass auch nur einer der Speere die Kokosnuss in dieser Höhe treffen könnte, höchstens durch Zufall. Ich hatte eine witzige Mütze auf, die mit einer Solarzelle und einem Ventilator ausgestattet war. Wenn die Sonne auf die rote Mütze schien, begann der Plastikpropeller im Mützenschild zu schnurren und schaufelte kühlende Luft auf die Stirn. Diese Mütze, ein besserer Reklamegag, hatte es den Eingeborenen angetan, und ich hatte manch begehrlichen Blick in ihren Augen gesehen. Ich setzte nun die Mütze demjenigen als Preis aus, der als erster die Nuss mit seinem Speer durchbohren würde. Es dauerte keine Minute, und die Mütze wechselte schon den Besitzer. Den glücklichen Gewinner konnte ich nicht abhalten, mir seine Mütze mit „Camel“-Abzeichen zu schenken, obwohl ich mir bewusst war, dass dies auf einer entlegenen Insel ohne jedes Geschäft ein kleiner Schatz war.

Vielleicht hatte er die Mütze auch von seinem letzten Besuch in Tahiti mitgebracht. Denn ich war mir sicher, dass er zur Speermannschaft von Kauehi gehört hatte, die bei den großen Festen die Ehre des Dorfes verteidigen musste. Wer einmal in Tahiti die großen Feste im Juli miterlebt hat, der weiß, dass die Polynesier geradezu fanatische Sportler sind. Nur betreiben sie andere Sportarten als die Europäer. Fußball hätte in den Tuamotus schon deshalb keine Chance, weil auf den meisten Motus gar kein Platz für ein Spielfeld vorhanden ist. Dasselbe gilt für olympische Disziplinen, bei denen eine Vierhundert-Meter-Bahn Voraussetzung wäre. Stattdessen laufen die Polynesier lange Strecken über Wege und Straßen, wobei sie cirka dreißig Kilogramm Obst auf den Schultern schleppen müssen. Ruderwettbewerbe führen häufig über offenes Wasser, was ganz andere Boote voraussetzt als unsere europäischen Rennruderboote, die ja alles andere als seetüchtig sind. Zwischen Moorea und Tahiti findet sogar ein Ruderwettbewerb statt, bei dem die Mannschaften in den Booten auf offener See ausgetauscht werden. Die einen springen ins Wasser und schwimmen, die anderen rudern weiter. Aus ganz Polynesien reisen die Teilnehmer zu diesen Spielen an.

Nachdem sich die Speerwerfer von Kauehi auf ihr Ziel warmgeschossen hatten, änderte sich die Trefferquote dramatisch. Ungefähr jeder dritte Speer traf das Ziel, und wenn die Stange gelegt wurde, steckten bis zu zehn Speere in der Kokosnuss. Die Polynesier benutzten offensichtlich eine besondere Technik, um die Treffsicherheit der Speere zu erhöhen. Vor jedem Wurf versetzten sie das Holz in Schwingungen, indem sie in der Mile des Speeres daran zupften, so dass das Schwirren des Wurfgeschosses deutlich zu hören war. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und versuchte ebenfalls, die Nuß zu treffen. Es kam nur ein Versuch zustande, der am besten mit dem Wort „kläglich“ beschrieben werden kann. Aber die Polynesier waren viel zu vornehm, um laut loszulachen. Offensichtlich hatten sie schon mal gesehen, wie dumm sich ein Besucher ihrer kleinen Insel beim Speerwerfen angestellt hatte.

Am nächsten Tag waren von den sechs Yachten schon vier verschwunden, so dass wir uns wieder ein wenig vereinsamt fühlten. Nach dem Frühstück warf ich einige Brotabfälle über Bord und erschrak, als unter der SARITA ein Schwarm von Fischen auf die Brotkrümel losschoss. „Mein Gott, soviel Haie auf einen Haufen hast du noch nie gesehen“, dachte ich. Erst nach einer Weile erkannte ich, dass es sich hierbei nicht um kleine Haie, sondern um Fische handelte, die gelegentlich Yachten begleiten, indem sie sich mit einer Art Haftplatte am Hinterkopf am Unterwasserschiff festhielten. Die Platte wurde von der Natur selbstverständlich nicht für Yachten entwickelt, sondern für die raue Haut von großen Haifischen.

Wir sollten diesen zutraulichen Fischschwarm noch viele Meilen mit uns führen. Offensichtlich schätzten sie die SARITA vor allem deshalb, weil wir keinen Schmutzwassertank benutzten, also alle Abfälle direkt nach draußen gepumpt wurden. Obwohl die SARITA einen sogenannten Fäkalientank besaß, war dieser nicht aktiviert. Wer keine praktische Erfahrung auf Yachten hat, mag ein solches Behältnis für eine Ideallösung halten, was es aber nicht ist. Denn wegen der unvermeidlichen Gasentwicklung - in der Landwirtschaft wird sogar (mit mäßigem Erfolg) versucht, Biogas in Energie zu verwandeln - ist eine Belüftung des Tanks unvermeidlich. Deutlich ausgesprochen: Entweicht das Bio-Gas, stinkt es. Trotzdem ist in den stark besuchten Ankerbuchten der gelegentliche üble Geruch das kleinere Übel. Die Türkei schreibt sogar die Benutzung eines Fäkalientanks vor und belegt Umweltsünder unter den Seglern mit empfindlichen Strafen.

In der Südsee wäre eine solche Regelung absurd, zumal keines der Tausenden von Dörfern über eine Kanalisation verfügt, sondern die Abfälle ungeklärt ins Meer laufen lässt. Die Natur wird dort leicht damit fertig.

Als ich gerade mit dem Fotografieren der kleinen „Haifische“ beschäftigt war, klopfte es unten an der Badeleiter. Unbemerkt hatte unser Ankerplatznachbar von der französischen Kunststoffyacht mit seinem Beiboot festgemacht. Ich bat den kleinen Franzosen mit der Seekarte in der Hand an Bord. Er wollte sich nur über unsere Reiseziele unterhalten und Informationen über die Gezeiten in diesem Gebiet. Sein Englisch klang sehr lustig, und oft verstanden wir ihn nicht gleich. So meinte ich auch, mich verhört zu haben, als er mich fragte, ob wir auf die Insel wollten, „wo sie die Leute verbrennen“.

Wie bitte? Ich musste schon ein paar Mal nachfragen, bis ich begriff, was der Franzose uns da erzählte. Auf einer dieser bezaubernden Südseeinseln hier sollen Menschen von ihren Dorfgenossen verbrannt worden sein? Wo? In Faaite?

Ich holte von unten die Seite aus dem SSCA-Bulletin raus, auf der der SSCA-Cornmodore dieses Paradies beschrieben hatte. In diesem Faaite?

Der Franzose lachte etwas gequält. „Ihr habt davon noch nie etwas gehört?“ fragte er ungläubig. Dann begann er zu erzählen:

„Vor wenigen Jahren besuchte eine sehr religiöse Frau aus Tahiti das Dorf und begann mit einer Gruppe von Katholiken auf der kleinen Insel zu beten. Aus Gründen, die nie ganz geklärt wurden, beteten sich die braven Menschen in eine so starke religiöse Ekstase hinein, dass sie schließlich meinten, Gott besonders nahe zu sein. Nach tagelangem Beten glaubten die inzwischen Besessenen schließlich, dass der Teufel von einigen im Dorf Besitz ergriffen habe. Besonders junge Männer erinnerten sich plötzlich an Vorkommnisse in ihren Familien, die ihnen im religiösen Lichte der intensiven Beterei vorspiegelten, dass ausgerechnet ihre Eltern, die ihr Leben lang nur Gutes für ihre Kinder getan hatten, mit dem Teufel im Bunde stecken sollten. Jetzt war es nur noch ein kleiner fanatischer Schritt bis zum Unfassbaren. Unglücklicherweise war der Dorfpfarrer abwesend, und der Lehrerin, die den Ernst der Situation erkannte, gelang es nicht, den Sender in Betrieb zu setzen, um die Außenwelt vom drohenden Unheil zu verständigen.

Das Unglück des religiösen Fanatismus nahm seinen Lauf. Die Burschen im Dorf trieben Menschen, mit denen sie seit ihrer Geburt Freunde und Verwandte waren, zusammen und begannen, sie bei lebendigem Leib zu verbrennen. Die meisten Menschen erkannten ihre Dorfgenossen nicht mehr wieder und flohen in den Busch, um sich zu verstecken und ihr Leben zu retten. Endlich gelang es, eine Botschaft nach draußen zu schicken, einen verzweifelten Hilferuf von der Paradies-Insel Faaite. Nachdem die Franzosen Fallschirmjäger auf die Insel entsandt hatten, wurde das ganze Unglück bekannt: Sechs Menschen waren im religiösen Wahn von ihren Freunden und Verwandten bestialisch umgebracht worden."

Die „Täter“ wurden vor Gericht gestellt. Noch im Gerichtssaal glaubten sie, richtig gehandelt zu haben, schließlich seien die Opfer ja vom Teufel besessen gewesen. Die Strafen Helen nicht besonders hoch aus. Sie haben inzwischen die paar Jahre im Gefängnis verbüßt und leben zum Teil heute wieder bei ihren Leuten auf der winzigen Insel Faaite.

Das war unfassbar. In unserem SSCA-Bulletin war gerade diese Insel als das Paradies schlechthin beschrieben worden, als eine Insel, deretwegen sich alleine schon eine Weltumseglung rentieren würde. Und jetzt das! Es ist wohl verständlich - wir hatten nicht mehr die Absicht, den Empfehlungen des SSCA-Bulletins zu folgen und das Südseeparadies Faaite zu besuchen.

Statt dessen blieben wir noch ein paar Tage in Kauehi, zumal auch die beiden letzten Yachten am Ankerplatz weitergesegelt waren. Wohin? Wir wussten es nicht, auch am Radio hörten wir sie nicht mehr. Das war schon ein Unterschied zu früheren Jahren. Das hatte es fast nie gegeben, dass man mehrere Tage am gleichen Ankerplatz zubrachte und sich dennoch fremd blieb.

Kokosnuss-Radio

Auch das hatte es früher nicht gegeben: Täglich traf sich eine Runde von Yachten, meistens amerikanische, auf einer bestimmten Frequenz auf Single Side Band und unterhielt sich, gab sich gegenseitig Tips - zum Beispiel, wie die beste Zeit zum Einlaufen in die Pässe berechnet wird - und tratschte halt so miteinander. Ich musste an die unzähligen und teils unerträglichen Talkshows zu Hause im Fernsehen denken, die ja ihre Daseinsberechtigung mit Hinweisen auf den Klatsch unter Nachbarn rechtfertigen.

Nichts anderes waren die Radio-Gespräche unter den Yachties, auch wenn sie zum Teil tausend Meilen auseinander waren. Selbstverständlich waren für diese Gespräche keine Gebühren fällig, genauso wie beim Amateurfunk. Bei uns in Deutschland ist unter den Langfahrtseglern eine große Diskussion im Gange, was auf einer Blauwasseryacht besser sei, Amateurfunk oder eine zugelassene Seefunkstelle? Solche Diskussionen zeigen, dass diejenigen, die darüber regelrechte Streitigkeiten vom Zaune brechen, keine Ahnung von den tatsächlichen Gegebenheiten haben. Denn weit draußen in den unendlichen Weiten des Ozeans, vor allem des Pazifiks, kümmert sich kein Mensch darum, ob sich an Bord eine zugelassene Seefunkstelle befindet. Die Yachties kaufen sich für ein paar tausend Mark einen „Transceiver“ (also ein Radio zum Senden und Empfangen), lassen sich das Gerät gleich beim Verkäufer verbotenerweise auf „Senden für alle Frequenzen aufbohren“ (meist mit einem kleinen versteckten Schalter) und gehen munter auf Sendung in die diversen Gesprächsrunden bei Yachties, wo die sich über das Wetter bei anderen weit entfernten Seglern informieren.

Ich habe noch nie einen amerikanischen Yachty nach dem korrekten Rufzeichen fragen gehört. Ob das alles so erlaubt ist, käme heraus, wenn man mit diesem Sender mit der Heimat telefonieren wollte. Denn dann müsste man ins offizielle Telefonnetz verbunden werden, und spätestens bei der Frage nach der Gebührenrechnung müssten die Karten auf den Tisch gelegt werden, jedenfalls in Deutschland. Aber bald wird auch dieser Punkt ziemlich unwichtig, dann nämlich, wenn sich Satellitentelefone entsprechend verbreitet haben. Es wird in ganz naher Zukunft kaum noch eine Yacht auf den Weltmeeren geben, von der aus nicht zu jeder Zeit und an jedem Ort der Welt für immer geringer werdende Gebühren überall hin telefoniert werden kann.

Was mich an diesen Radio-Gesprächsrunden am meisten verwundert hat, waren lange Diskussionen, wie man in Tahiti die Prüfung für das Amateurfunkzeugnis ablegen könnte. Nach der amerikanischen Gesetzeslage ist es nämlich möglich, auch im Ausland mit einer entsprechend (schwierigen) Prüfung Funkamateur zu werden. Einer der Gesprächsteilnehmer hatte offensichtlich die Qualifikation, die Amateurfunkprüfung im Ausland abnehmen zu dürfen und versprach, in Tahiti einen Raum anzumieten, um dort amerikanische Yachties auf ihre Eignung als Amateurfunker zu testen.

Leider gibt es eine solche Regelung für deutsche Yachtleute nicht. Denn viele stellen erst im Laufe einer Langfahrt fest, wie wertvoll Amateurfunk auf Yachten ist. Nachdem es aber nicht möglich ist, eine deutsche Amateurfunkprüfung im Ausland abzulegen, haben diese Segler keine Chance, legal am Amateurfunk teilzunehmen. Die Folge ist dann häufig, dass sie der Versuchung nicht widerstehen können und sich schließlich illegal auf den Amateurfrequenzen melden, also „Piraten“ sind.

Warum aber ist es so begehrenswert, als Yachtmann am Amateurfunk teilzunehmen? Schließlich ist der „Ham“ (so nennen sich Amateurfunker) gegenüber dem Single-Side-Bander sogar benachteiligt. Denn den Hams ist es verboten, Nachrichten von Dritten oder an Dritte weiterzugeben. So ist es nicht erlaubt, einen Ham in Deutschland über Amateurfunk zu bitten, er möge mal beim Schiffszubehör-Händler anrufen, um dort ein bestimmtes Ersatzteil für die Yacht XYpsilon zu bestellen (ich verschweige allerdings nicht, dass sich einige Amateurfunker unter den Seglern nicht besonders streng an dieses Verbot halten). Dies würde bei legaler Benutzung des Seefunks ohne weiteres möglich sein.

Offensichtlich ist es die große Gemeinschaft und der „Hamspirit“ der Funkamateure, die den Anreiz darstellen, ebenfalls von der Yacht aus Amateurfunk zu betreiben. Den Amateurfunkern sind keine bestimmten Frequenzen zugewiesen, sondern ganze Frequenzbänder, innerhalb derer sie sich auf jede beliebige (freie) Frequenz setzen können, um mit jedermann auf der Welt, also nicht nur mit Schiffsstationen, zu sprechen. Dies ergibt eine so großzügige Flexibilität, wie sie eben nur der Amateurfunk kennt.

Es ist zu befürchten, dass auch die Tage des Amateurfunks gezählt sind, eben wegen des erwähnten Satellitentelefons. Für Yachten unterwegs bietet sich damit die Möglichkeit, jederzeit weltweite Telefonverbindungen herstellen zu können, um mit jedermann zu sprechen, oder eine Datenleitung ins Internet oder zu anderen ähnlichen Diensten zu bekommen.

Damit steht dem Segler in den Weiten eines Ozeans praktisch jede Informationsquelle offen. Am besten zeigt dies ein Vergleich von Wetterinformationen früher und heute: Als Carla und ich 1982 nonstop monatelang von Tahiti in die Brüllenden Vierziger, ums Kap Hoorn und dann nach Argentinien gesegelt sind, hatten wir über weite Strecken auf dieser abgelegenen Route überhaupt keinen Wetterbericht bekommen. Erst als wir uns Südamerika näherten, war es mir gelungen, gemorste Wetterberichte nach „FM46“ zu empfangen. Da meine Morsekenntnisse als Funkamateur der professionellen Geschwindigkeit der Marinefunker nicht ganz gewachsen waren, musste ich die Sendungen zunächst auf Band aufnehmen, das ich anschließend mit der halben Geschwindigkeit abspielte. So gelang es mir dann mit einiger Mühe, den Wetterbericht, der ausschließlich aus Fünfer-Ziffern-Gruppen bestanden hatte, niederzuschreiben. Diese Zifferngruppen stellten aber nichts anderes dar als geographische Punkte, durch die Fronten, Sturmtröge, vor allem aber Isobaren verliefen. Nach stundenlanger Arbeit hatte ich also auf dem Papier nichts anderes als eine mehr oder weniger genaue Wetterkarte. Diese galt es dann noch zu interpretieren, was für einen Metereologen schon gar nicht so einfach ist - wir sehen es an der „Genauigkeit“ unserer TV-Wettervorhersagen -, erst recht nicht für einen Laien wie mich.

Übers Satellitentelefon mit Modem holt sich der Yachty dagegen in wenigen Minuten in einen handelsüblichen Notebook-Computer: die fertige Wetterkarte, die von Top-Metereologen verfasste Vorhersage für die nächsten 24 Stunden und für die nächsten fünf Tage sowie die dazugehörigen Satellitenfotos. Keine Zukunftsmusik mehr!

Gefahr aus dem Meer

Wir hatten es nicht eilig, und so blieben wir noch etwas auf unserem malerischen Ankerplatz. Mit dem Beiboot plus Außenborder fuhren wir häufig in die Korallengärten in unserer Nähe, um dort zu schnorcheln, nicht zu tauchen. Wer in Polynesien segelt, ohne unter die Wasseroberfläche zu schauen, verpaßt die halbe Schönheit der Südsee. Ein Tauchgerät ist dabei nicht unbedingt nötig, denn nur nahe an der Wasseroberfläche bietet sich die größte Farbenpracht der Korallen und aller Wassertiere, die in Massen, nur wenige Zentimeter vom Schwimmer entfernt, vor dem Glas der Tauchermaske herumschwimmen. Wenn man, mit einer Tauchflasche ausgerüstet, auch nur fünf Meter tiefer absinkt, verlieren die Farben schon ihre Intensität. So aufregend das Abtauchen mit Flaschen in größere Tiefen auch sein mag (ich erinnere mich an einen Tauchgang mit Wolfgang Hausner in den Cayman Islands in fünfzig Meter Tiefe), das wahre „Tauchvergnügen“ ist die Schnorchelei zwischen Korallenköpfen unmittelbar unter der Wasseroberfläche. Für die Nichttaucher sei es gesagt: Mit der Tauchflasche auf dem Rücken ist es nicht getan. Auf der Yacht müsste schon ein Kompressor mit allen Nachteilen (Benzinmotor!) vorhanden sein, um Freude am Flaschentauchen zu haben. Darüber hinaus wäre jeder Tauchgang allein schon lebensgefährlich, der Partner muss also die gleichen Interessen haben. Schließlich braucht man für gute Fotos oder Filme auch künstliches Licht, sonst rufen blassgrüne Film- und Fotoaufnahmen nur Enttäuschung hervor.

Die Harpune ließen wir an Bord. Zwar wäre es keine Kunst, aus einem Meter Entfernung einen Papageienfisch zu schießen, doch sahen wir keinen Sinn darin. Zum einen wußten wir von früheren „Jagderlebnissen“, dass damit schlagartig die Zutraulichkeit der Fische in dieser Bucht zum Schnorchler erlischt, und zum zweiten würden wir den Fisch nicht mit Appetit verspeisen. Denn Riff-Fische gehören, im Gegensatz zu den Raubfischen wie Wahoo, Tazar, Goldmakrele oder Thunfisch, eigentlich nicht zu den begehrten Speisefischen. Zumindest war dies früher so. Erst in den letzten Jahren sind auch Fische, die sich über den Korallen tummeln, in den Restaurants von Tahiti zu zweifelhaften „Ehren“ gekommen, was vielleicht mit dem fast schon fanatischen Appetit japanischer Touristen auf Fische zusammenhängt.

Der tiefere Grund unserer Abneigung gegen selbstgeschossenen Fisch heißt „Ciguatera“, auch als Fischvergiftung bezeichnet. Über keine andere Krankheit, typisch für die Südsee, gibt es so viele Gerüchte, und leider sind sie alle wahr: Jeder Fisch, ob Raubfisch oder Korallenfisch, kann diese heimtückische Krankheit in sich tragen. Isst der Mensch dann diesen Fisch, handelt er sich schwerste Gesundheitsschäden ein, je nach der Giftkonzentration. Das Nervengift erzeugt fast immer eine Allergie gegen Fischeiweiß, das heißt, derjenige, der einmal an Ciguatera erkrankt ist, verträgt oft jahrelang keinen Fisch mehr, sondern reagiert allergisch. Zunächst sind die Folgen je nach Grad der Erkrankung Durchfall, Erbrechen, starkes Fieber und nervliche Irritationen. Kalt wird als heiß empfunden und umgekehrt.

Das Heimtückische an dieser Krankheit ist jedoch der Umstand, dass niemand mit letzter Sicherheit vorhersagen kann, welcher Fisch giftig ist oder nicht. Gewissheit bekommt man erst, wenn man ihn gegessen hat. Aus diesem Umstand resultieren auch ein paar „Patentrezepte“ der Polynesier, die unter anderem vorschlagen, zunächst Hunde mit dem verdächtigen Fischfleisch zu füttern oder zumindest zu beobachten, ob Fliegen das Fischfleisch meiden, was ein Hinweis auf Ciguatera sein soll. Dass diese Regeln unzuverlässig sind, beweist der Umstand, dass auch Polynesier gelegentlich von dieser Krankheit heimgesucht werden, manchmal auch daran sterben.

Vor ein paar Jahren bin ich auf einem französischen Forschungsschiff in den Marquesas gewesen, das nur die Aufgabe hatte, die Ciguatera zu erforschen. Aber auch die Wissenschaftler an Bord äußerten nur Ratlosigkeit, als ich sie nach ihren Erkenntnissen befragte. Mangels weiterer Einnahmequellen, von der Perlenzucht einmal abgesehen, spielt der Fischfang für die Polynesier die größte wirtschaftliche Rolle, so dass die Erklärung dieser heimtückischen Krankheit von großer Bedeutung wäre.

Also das war der tiefere Grund, warum eine Harpune nicht benutzt wurde. Nicht dass wir keinen Fisch gegessen hätten, doch vertrauten wir da lieber den Einheimischen bei der Fischauswahl, was das Risiko einer Fischvergiftung zumindest 99%ig ausschloss. Auch das Töten eines Fisches war uns zuwider. Zwei Erlebnisse kamen uns da immer wieder in den Sinn. Einmal, mitten im Atlantik, hatten wir eine wunderschöne Goldmakrele an der Angel. Ihre Haut hatte in der Sonne in den schönsten Regenbogenfarben geglänzt. Aber nur solange sie noch gelebt hatte. Innerhalb weniger Sekunden war sie nur noch ein großer gräulicher Fisch. Ein andermal hatte ich in Barrington auf den Galapagos herumgeschnorchelt. Die Fische waren in dieser einsamen Bucht so zutraulich, dass ich sie mit der Hand von meiner Maske wegscheuchen musste, um überhaupt mit der Harpune auf Schussweite zu kommen. Nachdem ich Tor den ersten Papageienfisch abgeschossen hatte, waren alle Fische in dieser Bucht schlagartig wie verwandelt. Sie lugten nur noch vorsichtig hinter den Felsen hervor, wagten sich nicht mehr näher als drei Meter an den Eindringling heran. Welche Enttäuschung!

Was an den Unterwassergründen in Kauehi auffiel, war die Klarheit des Wassers. In der Südsee hat man überall einen so weiten Blick unter Wasser, dass jeder, der aus unseren Gewässern kommt, zunächst einen Freudenschrei ausstößt, wenn er zum ersten Mal den Kopf hinter einer Tauchermaske unters Wasser hält. Aber mit der Zeit erkennt man die Unterschiede. Und wenn man die Sichtweite einmal mißt (was nicht schwer ist, man braucht seinen Kameraden nur etwas weiter wegschwimmen zu lassen), wird man erkennen, dass nach 20 Metern oder so Schluss ist. Die scheinbare Vergrößerung aller Gegenstände unter Wasser spiegelt eine viel bessere Sicht nur vor. Meistens trifft man in Passnähe, offensichtlich wegen des ständigen Wasseraustauschs, die besten Sichtverhältnisse unter Wasser an. Dieser Umstand macht übrigens Passdurchquerungen mit der Yacht zusätzlich aufregend, weil das glasklare Wasser über dem sichtbaren Meeresgrund eine viel geringere Wassertiefe vorspiegelt, als das untrügliche Echolot anzeigt.

Das Dorf in Kauehi ließ beste Sichtverhältnisse unter Wasser eigentlich nicht erwarten, weil es innerhalb der Lagune auf der anderen Seite der Insel lag, also runde zwanzig Kilometer vom Pass entfernt. Um so überraschter waren wir von der Traumkulisse, als wir zum ersten Mal zwischen den Korallenköpfen vor dem Dorf den Kopf unter Wasser steckten, um mit meiner Videokamera, geschützt durch ein „Ewa-Marine“-Gehäuse, recht eindrucksvolle Bilder für einen Film über diese Reise zu machen. Den Bildausschnitt wählte ich so, dass die Wasseroberfläche gerade nicht mehr zu sehen war, obwohl sich die Kamera keinen halben Meter unter Wasser befand. Ich hatte keine Hemmungen, so dem Betrachter größere Meerestiefen vorzuflunkern, denn der gleiche Trick wird bei vielen professionellen Filmen angewendet. Beim Filmen unter Wasser gibt es eben nur zwei Möglichkeiten, zu farbenfrohen Bildern zu kommen, nämlich entweder wenige Zentimeter unterhalb der Wasseroberfläche oder durch den aufwendigen Einsatz künstlicher Lichtquellen. Als besonders wertvoll, fast unersetzlich, erwies sich hierbei das Unterwassergehäuse aus flexiblem Plastik namens Ewa-Marine, denn im Salzwasser wäre schon ein Wasserspritzer tödlich für die wertvolle Digital-Videokamera. Beim Langfahrtsegeln sollte man ohne einen solchen Schutz überhaupt nicht filmen, denn selbst wenn man an Unterwasseraufnahmen kein Interesse hat, ist es bei ruppiger See am Ankerplatz nicht möglich, die Kamera, im Beiboot ungeschützt, trocken an Land zu bringen.

Als wir vom Schnorcheln im Beiboot zur SARITA zurückkehren wollten, sahen wir vor dem Beiboot einen schwarzen Gegenstand. Ich glaubte, dass es sich um den Kopf eines Schwimmers handelte und drosselte den Außenborder. Sofort war der „Kopf“ verschwunden, und ein riesiger schwarzer Schatten zog, zum Greifen nahe, unter unserem kleinen Schlauchboot hindurch. Wir hielten den Atem an, bis das elegante Tier unter uns durch war. Wie groß der Rochen gewesen war, kann ich nicht schätzen, doch erschien er viel mächtiger als unser Beiboot. Als wir mit unserer THALASSA vor vielen Jahren einmal in der Lagune von Bora Bora geankert hatten, war ein Manta-Rochen in unserer 16-Millimeter-Ankertrosse hängengeblieben und hatte sich leider stranguliert. Nachdem wir am nächsten Tag den Kadaver aus der Tiefe hochgezogen hatten, konnten wir die Spannweite mit mehr als zwei Meter messen.

Bevor wir Kauehi verließen, machten wir noch Filmaufnahmen von der SARITA unter Segel. Jeder Filmamateur kennt ja das Problem seiner Segelfilme. Andere Einstellungen als „vom Bug nach achtern“ und „vom Heck nach vorne“ haben im Urlaubsfilm Seltenheitswert. Außenaufnahmen von der Yacht unter Segel fehlen meist, weil zu aufwendig. Dies wollte ich in meinem Film vermeiden, und so ließ ich mich von der SARITA mitten in der Lagune von Kauehi im Beiboot samt Kamera im Ewa-Marine-Gehäuse aussetzen. Das Wichtigste beim Filmen ist ein ruhiger Kamerastandort. Beim Filmen soll ja alles in Bewegung sein, nur die Kamera nicht. Dies im wackeligen Beiboot in die Tat umzusetzen, war nahezu aussichtslos, denn auch nur geringer Seegang überträgt sich direkt übers Dingi auf die Kamera. Wäre das Wasser spiegelglatt gewesen, wären die Segelaufnahmen wiederum langweilig. Am besten wäre es gewesen, die SARITA mit einem Stativ von Land aus zu filmen. Aber wegen der Korallenköpfe war es nicht möglich, mit der SARITA näher als fünfhundert Meter an das Ufer ranzukommen.

Zum Abschied von Kauehi bekamen wir noch Besuch an Bord. Ein kleines Boot mit Einheimischen motorte im Abstand von fünfzig Meter vorüber. Der Mann am Außenborder hatte auf seinem Arm einen riesigen Vogel sitzen. Wir winkten hinüber, aber der Vogel muss das missverstanden haben, denn er flatterte ein paar Mal, hob sich in die Lüfte, kreiste zweimal um die SARITA und landete schließlich in Wantenhöhe auf der Reling. Dort blieb der Tölpel zutraulich eine halbe Stunde sitzen, ließ sich geduldig filmen und fotografieren, bis er sich in die Lüfte erhob und in Richtung Dorf zurück flog. Gegen Mittag holten wir die Anker auf und segelten langsam durch die Lagune zurück zum Pass. Wir hatten die Abfahrt so eingerichtet, dass wir nicht zu früh am Pass sein würden. Denn auch diesen leichten Pass würde ich nicht bei Dunkelheit durchsegeln wollen. Andererseits wollten wir nicht zu früh draußen auf der Hochsee sein, denn unser nächstes Ziel lag gerade mal eine Tagesreise entfernt. Es sollte der schönste Platz werden, den Carla und ich auf unseren sämtlichen Reisen um die Welt jemals besucht hatten. Damit hatten wir nie gerechnet, denn „heute ist ja alles schon so überlaufen und kommerzialisiert“!


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In Kürze folgt Teil 6 Von SÜDSEETRÄUME. Wandern von Motu zu Motu



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