Hundeleben auf See
von Claudia Kirchberger
"Eine Leserfrage ist mir heute besonders aufgefallen, nämlich über das leidige Thema
"Hunde an Bord". Vielleicht hilft meine kleine Geschichte, Zweifelnden bei der Entscheidung zu helfen, ihren großen Vierbeiner besser an Land zu lassen, sofern ihr sie weitererzählen möchtet."
Das
schrieb mir Claudia Kirchberger. Natürlich erzähl ich die Geschichte
weiter, sie ist ja auch in der bunten Welt des Fahrtentsegelns ziemlich
ungewöhnlich. Und sie handelt nicht nur von einem Hundeleben, wobei ich an den
schönen Buchtitel von Ernst-Jürgen Koch denken muss. Für den Labrador-Bordercolly-Mix
JoJo war es nämlich kein Hundeleben in Herrlichkeit.
So, jetzt lass ich Claudia
Kirchberger zu Wort kommen, der ich das amerikanisierte Österreichisch der
besseren Authentizität in ihrem Bericht gerne lasse.
Bobby
Schenk
Jürgen und ich
reisten nach Abschluss meiner Matura (Abitur) in die USA, um dort per Motorhome herumzureisen. Wir genossen das Reisen und besonders die
Küste, doch das Wohnmobil wurde uns sehr schnell zuwenig und die Idee, auf ein Segelboot umzusteigen, wuchs. Wir belegten einen einwöchigen Segelkurs
in der Marina des Rey, lasen alle möglichen Ratgeber übers Blauwassersegeln (darunter auch
Blauwassersegeln von Bobby Schenk, worin wir sehr wertvolle Tipps fanden), besserten unser Erspartes mit einem halben Jahr Arbeiten in Österreich
auf und flogen zurück in die USA, wo wir in Mission Bay, San Diego, ein kleines Schifferl fanden. Zu der Zeit war ich 20 Jahre alt und Jürgen
24 und unser Plan beschränkte sich vorerst einmal auf das Segelrevier Mexico.
IRISH
MIST war eine 1968 gebaute Coronado 34, ein hübscher Küstenkreuzer aus GFK. Sie war sehr stark gebaut, hatte keine Osmoseprobleme und bot
ausreichend Platz für uns zwei. Klar, sie hatte Mängel: Zu große Luken, ein schon etwas betagtes Rigg
mit alten Segeln, schlecht funktionierender Motor...Doch sie war ein Schiff, das zu unserer Geldbörse passte. Wir rüsteten sie nach
besten Wissen, aber doch minimalistisch aus, fuhren mit unsrem noch
vorhandenen Motorhome eine letzte Tour nach Vegas, um dort zu heiraten, packten alle unsre sieben Sachen ins Boot und
brachen auf, um uns die Küste der BaHa hinunterzuhangeln. Auch wenn wir anfangs
viele Fehler machten und noch vieles zu lernen hatten, war es schnell klar, dass
wir eine tollen Lebensstil gefunden hatten.
Aus der Mexikoreise wurde Zentralamerika bis Panama. Wir "segelten" durch den Kanal
nach Colon, Jose Pobre, wo dazumal noch der Schweizer Markus seine "Markus Marina"
betrieb. Auf den San-Blas-Inseln wetterten wir die Hurricane-Saison ab, um wieder rauf in die USA zu kommen. Hier in Colon
kam der Gedanke an ein Tier an Bord auf, denn viele Freunde am Ankerplatz hatte
ihre Vierbeiner mit und wir wollten uns selbst überzeugen, dass alle Argumente gegen Tiere an Bord doch
übertrieben waren.
Die Karibik fiel für uns aus, da unser Erspartes schon ordentlich zusammengeschrumpft war und wir planten, in
den USA zu arbeiten. Die Reise zwischen Panama und Colon wurde unsere zweite richtige
Schwerwetterfahrt (nach einem ordentlichen Papagajo an der Westküste), der verspätete Hurricane Lenny (1999) war uns auf den Fersen,
doch weit genug
entfernt um uns nicht in ernsthafte Lebensgefahr zu bringen, aber nah genug, um uns Respekt einzuflößen...
In Miami angelangt holten wir uns
den Mischlingshund JoJo aus dem Tierheim, ich arbeitete in der Sealine Marina und später in der Miami Beach Marina (ich hatte zu
dieser Zeit die amerikanische Greencard) und Jürgen übernahm alle möglichen Arbeiten
auf Yachten, die ich für ihn auftreiben konnte. Die seglerfreundliche Sealine Marina ließ uns gratis liegen und schnell hatten wir wieder
ein gutes Geldpolster zusammengespart.
Anfangs ging ja alles auch mit dem Hund sehr gut, der Hund genoss die täglichen langen Ausgänge und die
Aufmerksamkeit, die wir ihm zukommen ließen. Dann wurde es das erste mal ernst:
Wir segelten von Miami rauf in die Chesapeake Bay. Nicht über den ICW per Motor, sondern über den Atlantik und ohne
Stopp. Die 9 Tage waren eine reine Tortur für den Hund, der einfach nicht auf
dem Schiff sein Geschäft verrichten wollte.
In Annapolis, wo wir einige Zeit vor Anker lagen, war das Problem schnell wieder vergessen, der Hund
hatte seinen Spaß. Neuerdings planten wir eine Reise gar nach Europa, wo wir uns nach einem
besser geeignetem Segelboot umsehen wollten. Denn wir wussten bereits: Segeln war zu
unserem Lebensinhalt geworden.
IRISH MIST war nun mal kein Blauwasserschiff
nach unseren Vorstellungen. Außerdem ist Jürgen gelernter Werkzeugmacher was
uns bestärkte, uns nach einem starken Stahlschiff umzusehen.
Die Reise Richtung Azoren starteten wir von Annapolis aus, wo wir unseren Motor noch mal komplett überholt hatten,
worauf dieser jetzt endlich funktionierte. Weit in den Atlantik kamen wir
allerdings nicht, ein ordentlicher
Norder hatte sich zusammengebraut - entgegen den Wettervorhersagen! Vielleicht 200sm östlich von Cape Henry beschlossen wir, die
Reise über den Atlantik zu verschieben und umzudrehen. Zwar erschien uns die Wetterlage
noch nicht als gefährlicher als dazumal in der Karibik, doch saß uns die Erinnerung im
Nacken und wir waren es nach eineinhalb Tagen Segeln unter diesen Bedingungen bereits leid, möglicherweise wieder eine Woche
oder länger in so einem Wetter gefangen zu sein.
Dazu muss ich aber auch betonen, dass wir bis jetzt immer in Stürmen gegenan
gesegelt waren, IRISH MIST gab uns so immer das Gefühl, besser unter Kontrolle zu
sein. Nun drehten wir um, um vor dem Sturm abzulaufen, um zurück in die Bay zu finden, wo wir
auf Schutz hofften - was eine ziemlich blödsinnige Idee war, wie sich hinterher
herausstellte.
Aber so weit kamen wir gar nicht. Vor dem Wind und vor den Wellen begann
IRISH MIST mit einem regelrechten Rodeo. Trotz aktivem Segeln unsererseits sprang sie wie verrückt in den
Wellen herum. Zum Wachwechsel wurde die Aries eingekuppelt. Diese paar Minuten
wurden uns zum Verhängnis. Die Aries schaffte es nicht, das Boot zu steuern, eine Welle erwischte uns
breitseits und wir wurden ins Wellental geschleudert. Alle Luken brachen und von einer Sekunde zur
anderen standen wir knietief im Wasser. IRISH MIST richtete sich zwar wieder
auf, doch immer wieder
schwappten neue Wassermengen durch die Luken rein. Wir versuchten, mittels Bodenbretter die
Luken abzudichten, doch wir schafften es bei diesen Windverhältnissen nicht
mehr, die Bretter nach draußen zu bringen und dabei noch zu arbeiten und uns festzuhalten. Also
schöpften wir, während JoJo winselnd auf den Kojen umhersprang und das Schiff
wieder zwischendurch von der Aries gesteuert wurde.
Das Wasser war nicht unter Kontrolle zu bringen, die Batterien
standen vor dem Absaufen und wir
entschlossen uns, einen Mayday-Ruf abzusetzen.
Ein kanadischer Öltanker
hörte unseren Hilferuf. Er war
nur eine halbe Stunde Fahrt von uns entfernt. Er verständigte die USCG (United States Coast Guard). Der Öltanker kam, um uns zu begleiten (er
motorte von nun an in Kreis um
uns) und um die Verbindung zwischen uns (UKW) und der USCG aufrecht zu erhalten. Eine Abbergung wurde besprochen.
Damit begann das tragische Tauziehen um JoJo.
Einerseits verstanden wir die Anschauungen der USCG, kein Menschenleben für einen Hund einsetzen zu wollen, andererseits konnten wir das arme Tier nicht an Bord eines sinkenden Schiffes zurücklassen. Also
war unsere Entscheidung: Solange das Schiff noch schwimmt wird die Rettung abgeblasen
.
Zwischendurch hatte der Tanker angeboten, uns über ausgebrachte Netze abzubergen, was aber viel zu gefährlich aussah,
denn die Wellen schlugen sogar ihm übers Deck!
Wir waren an diesem Nachmittag des amerikanischen Memorial Day das erste Schiff in
Seenot. Weitere Yachten meldeten sich und die Rettung derer
Crews wurde vorgeschoben. Denn nach wie vor wollten wir den Hund nicht aufgeben.
So erklärten wir der USCG,
wir hätten die Wassermengen im Schiff unter Kontrolle. Nach acht Stunden hin und her per Funk zwischen Tanker, USCG und uns meldete sich
ein Hubschrauber und gab endlich grünes Licht für einen Rettungsversuch für
JoJo. Ein Taucher wollte die Rettung versuchen.
Auf Anweisung musste Jürgen mit JoJo an der Leine von Bord springen (beide in Rettungswesten), während der Taucher ins Wasser gelassen wurde. Der
Taucher schwamm zu den beiden, schnappte Jürgen und brachte das Gespann zum
heruntergelassenen Rettungskorb. Sie wurden beide in den Korb
platziert, um nach oben gezogen zu werden, doch JoJo zappelte in Panik wie verrückt
und bereits in der Luft kippte der Korb und beide fielen erneut ins Wasser. Wieder sammelte der Taucher die
beiden ein, nun schickte er aber
Jürgen alleine hoch und machte verständlich, das er dem Hund noch einen weiteren Versuch
geben würde.
Absolut selbstlos und gegen alle Vorschriften hakte
der Taucher JoJo an seinem eigenen Rettungsseil ein (an dem Brustgeschirr des Hundes) und
während der Taucher so sein eigenes Leben noch mal riskierte, schickte er JoJo in den Hubschrauber.
Meine Rettung ging problemlos über die Bühne. Auch ich sprang auf Anweisung über
Bord und sandte IRISH MIST noch einen letzten Blick zu, während sie in die Nacht davonsegelte.
Dann wurde ich vom Taucher geholt, um mit dem Korb in den
Heli befördert zu werden.
Wir wurden nach Elisabeth City, NC geflogen. Lachend erzählte uns der Rettungstaucher im
Gebäude der USCG Air Station
Elisabeth City, er habe heute 12 Personen erfolgreich aus dem Wasser geholt. Doch
die erste Frage der Bodencrew nach der Ankunft sei gewesen: "Did you get the
dog???"
Da bei Jürgens Rettung der Rucksack mit unserem Bargeld, Karten und Pässen abgerissen war und wir so ohne Ausweise oder Geld
dastanden, sammelten
die Schwestern im Krankenhaus (in das wir gebracht worden waren) etwas Geld für
ein Zimmer im Motel, denn wir waren zwar ordentlich unterkühlt, aber ansonsten gesund. JoJo bekam ein
Grillhhendel vom Krankenhaus spendiert
und wurde (trotz striktem Tierverbot) in der Notaufnahme herzlichst umsorgt.
Tags darauf stoppten wir Richtung Washington DC.
Noch immer in unserem feuchten Ölzeug verbrachten wir eine weitere Nacht auf der Straße und
schafften es endlich zur Österreichischen Botschaft, die uns sehr herzlich
umsorgte und weiterhalf.
Mit neuen Ausweisen hatten wir bald wieder Zugang zu unsren amerikanischen Bankkonten, Ein alter Van um 800 Dollar wurde unser neues
vorübergehendes Zuhause.
IRISH MIST selbst war nicht gesunken, sie wurde 10 Tage später
gefunden und uns für unser letztes Geld zurückgegeben. Fast ein halbes Jahr lebten
wir in Manteo, Nord Carolina, wo wir IRISH MIST wieder auf Vordermann
brachten und arbeiteten. Gott sei Dank erkannte auch JoJo ohne Probleme das
Schiff wieder als sein Zuhause an. Lange Reisen mit dem Hund wurden aber gestrichen.
Bemerkenswert war für mich die Hilfsbereitschaft, die wir
nach unserer Geschichte überall erleben durften. Nicht nur die Krankenschwestern
halfen uns, auch in Washington erlebten wir die eine oder andere Menschlichkeit, die ich nicht erwartet hätte.
Noch Eckdaten zum Sturm: Bekannt wurde der Sturm in der USA als der Memorial-Day-Sturm, es wurden Häuser in Virginia Beach durch umfallende
Bäume zerstört, ein Segler im James River starb. Im Atlantik wurden die Crews von
4 Segelyachten (Caridad, Miss Manhatten, Hakuna Matata und
IRISH MIST) erfolgreich abgeborgen und einen Tag später wurde erneut die
Crew
einer Yacht (Gray Girl) gerettet. Im offiziellen Abschlussbericht der Costguard
wurden
Windgeschwindigkeiten von 60kn+ und Seen von bis zu 33ft angegeben. Die Virginia Times brachte am Tag darauf einen Bericht und in der Cruising
World Ausgabe August 2000 wurde der vierseitige Bericht "Leap of Faith" veröffentlicht (auch wenn hier viele Angaben leider sehr verdreht
wiedergegeben worden sind).
Die Yachten Hakuna Matata (französisches Stahlsegelboot) und IRISH
MIST wurden Tage nach dem Sturm ohne weitere Schäden im Atlantik gefunden und
nach Wanchese, NC gebracht, Miss Manhatten hatte weniger Glück, noch in
Sturmsee strandete sie zweimal, wurde wieder abgeschwemmt, entmastete sich unter der Brücke des Oregon Inlets, wurde an einen Steg
getrieben und blieb schließlich mit erheblichen Schäden am Strand liegen, bis sie bei ruhigem Wetter an Land gehoben werden konnte.
Caridat blieb über ein halbes Jahr verschollen und dürfte (die Info ist nicht sicher)
irgendwo im
Atlantik von einem russischen Frachter gesichtet worden sein. Ob sie jemals geborgen
wurde, weiß ich nicht.
Während IRISH MIST von uns übernommen und restauriert
wurde, kam Miss Manhatten als Versicherungsfall in eine Werft in New York,
Hakuna Matata sollte weitere zwei Jahre mit offenen Luken und
hängenden Segeln am Drockendock verbringen, da die französischen Eigner mit den
amerikanischen Fischern in einen Rechtsstreit über die Besitzrechte gingen.
Schlussendlich wurde IRISH MIST von uns verkauft, JoJo starb an Krebs und
wir gingen nach Österreich um uns hier in Europa ein neues und dieses Mal für uns richtiges Blauwasserboot
anzuschaffen. Angelangt sind wir jetzt bei einem 13,5-Meter-Stahlschiff, einem deutschen Eigenbau mit klassischen Linien,
gemäßigtem Langkiel und Ketschtakelung. Seit zwei Jahren arbeiten wir neben dem Geldverdienen ununterbrochen am Schiff, das nun hinterm elterlichen
Bauernhaus liegt. Wir rechnen zwei bis drei weitere Jahre, um wieder aufbrechen zu können.
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