Riffdrama aus heiterem Himmel

 


Kerstin PIEPER (39) und Hans SCHUBERT (48), ehemals Jet-Pilot bei der Bundeswehr, befinden sich derzeit mit ihrem Katamaran CINDERELLA auf Weltumsegelung. Auf der friedlichen Passatroute. Dass sich auch bei besten Wetterverhältnissen Dramen abspielen können, die Yacht und Besatzung in unmittelbare Gefahr bringen können, beweist diese ganz ungewöhnliche Geschichte. Zudem stellt sie manche Lehrbuchweisheit in Frage. Jeder der auf Langfahrt geht, ist eingeladen aus diesem Riffdrama für sich die richtigen Schlüsse zu ziehen. Er wird garantiert seine Sicherheitsvorkehrungen überdenken. Unglücke wie die folgenden haben ja neben dem riesigen Sachschaden mindestens den positiven Nebeneffekt, aus ihnen lernen zu können.

Erlebt und geschrieben von Hans Schubert - zur Zeit Langkawi/Malaysien..


Nahezu-Schiffbruch

Es ist der 26.August 2005, 11.30 Uhr und der Himmel über dem Ankerplatz SERANGAN in BALI (S 08° 34,5’ E 115° 15,0’) ist hochsommerlich blau. Es weht ein leichter auflandiger Wind und am vorgelagerten Riff bricht sich 1,5 – 2,0 Meter hoher Schwell vom Südpazifik kommend. Es herrscht gerade Niedrigwasser.

Seit drei Tagen liegt der deutsche Katamaran CINDERELLA  bereits hier vor Anker. Kerstin PIEPER und Hans SCHUBERT erwarten einen befreundeten amerikanischen Segler mit seiner AMEL SUPER MARAMU 2000, einer 53 Fuß langen Ketsch, Baujahr 2003.

Die SUPER MARAMU hat sich bereits über Funk angekündigt und da die Segler sich seit Darwin, Australien, nicht mehr gesehen haben, ist die Vorfreude auf das erneute Treffen groß.

Die Einfahrt durch das Riff gilt als nicht wirklich schwierig; jedoch verläuft das enge Fahrwasser schräg durch das Riff und das trübe Wasser läßt die Korallenköpfe mehr erahnen als wirklich erkennen. Durch das Fernglas können KERSTIN und HANS beobachten, wie sich die SUPER MARAMU unter Motor der Riffpassage nähert. Auch können sie erkennen, dass mehrere indonesische Fischerboote von Land kommend ebenfalls durch die Passage wollen.

Und dann passiert es: Urplötzlich dreht sich die SUPER MARAMU wie von Geisterhand um 180 Grad und fängt an heftig zu schaukeln! Der sehr erfahrene Eigner des Schiffes musste einem herausfahrenden Fischerboot um nur ein paar Meter nach Steuerbord ausweichen und hatte dabei einen nicht sichtbaren vorgelagerten Korallenkopf getroffen. Seine verzweifelten Versuche mit Hilfe des Motors und Bugstrahlruders wieder ins tiefe Fahrwasser zu kommen schlagen fehl, und jede Welle setzt das Schiff weiter auf das Riff.

Jetzt geht es um jede Minute!

HANS springt in sein Beiboot und versucht eines der benachbarten Motorboote um Schlepphilfe zu bitten, während KERSTIN über Funk um Hilfe ruft. Es gelingt, ein Fischerboot mit schweren Motoren zur sofortigen Hilfe zu aktivieren; nach quälend langen 25 Minuten ist das Boot bei dem Havaristen. KERSTIN gelingt es die Balinesische Coast Guard anzufunken, und sie versprechen so schnell wie möglich ein Boot an die Unfallstelle zu beordern.

Inzwischen ist die SUPER MARAMU immer höher auf das Riff geworfen worden, und jede Welle lässt das Schiff hart auf die Korallen aufschlagen.Den Helfern ist es nicht mehr möglich, sich ohne Eigengefährdung nahe genug an das Schiff heranzumanövrieren. Der mehrfache Versuch eine Schleppleine hinüberzuwerfen schlägt fehl. 

Und dann gibt es einen lauten Knall!

Mit Getöse bricht einer der Masten auf das Deck – kurz darauf kommt auch noch der zweite Mast herunter und begräbt alles unter einem wirren Haufen von Segeln, Mastteilen, Wanten und Schoten.

 
Der Eigner kann gerade noch unter seinem festen Cockpitdach Deckung nehmen, andernfalls wäre er wahrscheinlich erschlagen worden. Mit stark geprelltem Brustkorb sucht er schockiert erst einmal Schutz unter den Trümmern.


Da entschließt sich HANS den Versuch zu wagen, schwimmend eine Schleppleine zu dem Unglücksschiff zu bringen und an Bord zu steigen. Obwohl das Schiff Furcht erregend schaukelt und immer wieder krachend gegen die Korallen schlägt, gelingt es ihm in einem günstigen Moment an Bord zu klettern und die Leine anzuschlagen.

Der Eigner steht zwar sichtlich unter Schock und ist am Brustkorb verletzt, will aber alles versuchen sein Schiff zu retten.

 


Da sich Teile des Riggs bereits in den Korallen verfangen haben und die Gefahr besteht, daß sich Mastteile in den Rumpf bohren, muss das Schiff so schnell wie möglich vom Rigg befreit werden. Auch kann das Schiff nicht ins tiefe Wasser gezogen werden solange es noch in den Korallen verheddert ist.


Die Situation an Bord ist dramatisch!

Immer wieder wird das Schiff mit Urgewalt von einer Seite auf die andere geschlagen. Brutal schlägt der Rumpf auf die scharfkantigen Korallen auf. Immer wieder! Wie lange kann das Schiff solche Belastungen aushalten?



Ein Abschleppversuch mittels eines einheimischen Fischerbootes scheitet kläglich. Die Männer an Bord versuchen verzweifelt Halt, müssen sich krampfhaft festklammern, um nicht in den Trümmern verletzt zu werden. Aber die Yacht ist ja gut ausgerüstet - auch für einen solchen Notfall. Der verzweifelte Skipper bringt den passenden Wantenschneider, eine gewaltige Zange nach Herstellerangaben ausreichend für dieses Rigg. Aber, der Versuch mit Hilfe des Bolzenschneiders die Wanten zu durchtrennen scheitert kläglich – entgegen den Herstellerangaben ist das Material zu dick.

Was nun? Das Rigg fesselt die Yacht. Soll ein Totalverlust abgewendet werden, muss das Rigg ins Wasser. Und zwar schnell! Der Skipper reicht eilends eine Metallsäge nach oben. Eine Sysiphusarbeit steht bevor. Aber bald haben Skipper und Helfer den Misserfolg vor Augen:   
Die Wanten mit Hilfe einer Metallsäge zu durchtrennen, misslingt ebenfalls – das Schiff bewegt sich zu heftig. 

Die einzige Möglichkeit, die Yacht vom Rigg zu befreien, ist das Herausschlagen der Püttingbolzen mittels eines schweren Hammers und großen Schraubenziehers. Eine mühsame Arbeit, aber nach und nach gelingt es einen Bolzen nach dem anderen herauszuschlagen.

Der sogenannte „Wantenschneider“ bewährt sich jedoch in einem anderen Bereich: Mit ihm lassen sich mühelos Relingsdrähte, dicke Elektrokabel und das laufende Gut freischneiden.

Nach einer Stunde harter Arbeit ist es soweit: Der Großteil des ehemals stolzen Riggs versinkt im Meer. Lediglich die Rollgenua hat sich unter Druck so verkantet, dass ein Lösen mit Bordmitteln unmöglich ist. 

Und dann geschieht das, womit wohl keiner mehr gerechnet hatte: 

Die steigende Tide, das ständige Versetzen des Schiffes durch die Wellen und der stete Zug durch die Leine des inzwischen eingetroffenen Coast Guard Schiffes bringen den Havaristen in das tiefe Wasser der Lagune. 

Das Schiff ist frei! Es schwimmt! Kein Wassereinbruch!

Unter den ersten Helfern, welche jetzt an Bord kommen können, ist BRUNO. 

Der 25 jährige Südafrikaner ist das Opfer einer rassistischen Gewalttat. Nach einem Verkehrsunfall in Südafrika, bei dem er unbeteiligter Beifahrer war, wurde er von dem aufgebrachten schwarzen Mob fast zu Tode geprügelt. Seitdem ist er querschnittgelähmt. Dies hindert ihn jedoch nicht daran, sich seinen Lebenstraum von einer Weltumsegelung zu erfüllen. Mit bescheidenen Mitteln ist er seit einiger Zeit auf einem kleinen Katamaran unterwegs.

BRUNO ruft den Männern an Bord zu, daß er den Rumpf nach Schäden abtauchen wird. Nachdem er sich seine tauben Beine mit einem Tampen zusammengebunden hat (damit sie sich nicht unbemerkt verheddern können) taucht der Querschnittsgelähmte ab und inspiziert das Unterwasserschiff.

Nach mehren Tauchversuchen kann er freudestrahlend vermelden, daß der Rumpf dicht erscheint und keine größeren Schäden erkennbar sind. Erleichterung macht sich breit.

Das Schiff ist gerettet, das Rigg verloren, sein Rest an Deck das totale Chaos!

Aber noch ist Einiges an Arbeit zu erledigen:

Die verbliebene Vorsegelanlage wird mit Hilfe einer handelsüblichen kleinen Flex abgetrennt. Wie durch Butter schneidet das Trennblatt durch die aufgerollte Genua, das darunterliegende Alurohr und das 10-12 mm dicke Vorstag. Das Schiff ist endgültig frei und mit Hilfe weiterer Segler wird das Schiff von allen Trümmern an Deck gesäubert.

Es ist 16.00 Uhr als das Schiff aus eigenem Antrieb in der Lagune den Anker fallen lässt.


Nachwort

Zum Glück ist das Schiff versichert! Der geschätzte Schaden beträgt weit über 100.000,- Euro und die SUPER MARAMU wird in Singapore soweit repariert, daß sie auf eigenem Kiel die Werft in LA ROCHELLE, Frankreich, erreichen kann. Dort erfolgt dann 2006 die endgültige Reparatur.


Die Lehren:

 

  • Die Beseitigung eines kollabierten Riggs auf einem heftig schlagenden Schiff ist äußerst schwierig.

  • Der mitgeführte qualitativ hochwertige Wantenschneider konnte entgegen den Herstellerangaben die 10-12 mm starken Drähte nicht durchtrennen!
    Er war allerdings äußerst hilfreich beim Durchtrennen weniger starker Riggteile, auch von Leinen und Schoten.

  • Das Aufschlagen der Wanten-Bolzen mittels Hammer und Schraubenzieher war zeitraubend, aber praktikabel.

  • Die FLEX ist ein wahres Wundergerät: Mühelos ließ sich mit Hilfe einer handelsüblichen kleinen Flex nicht nur die komplette Rollfockanlage durchtrennen, auch bei der Beseitigung anderer Riggteile (Wanten, Stagen) ist dieses Trenngerät hervorragend; so konnten Teile der festen(!) Seereling an Backbord problemlos weggeschnitten werden. Allerdings sind zum Betreiben einer Flex 220 Volt notwendig. Aufgrund des geringen Stromverbrauchs lässt sich das Gerät jedoch mit Jockel (zum Beispiel HONDA 10E), eingebautem Generator oder einem Inverter betreiben. Das Mittel der Wahl, um sich von einem Killer-Rigg zu befreien!

 

 

Wer mehr über den Katamaran CINDERELLA und seine Crew wissen möchte, besuche  deren Homepage: www.cinderella-yachting.de

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