Mein wichtigster
Beitrag
Doch,
es gibt wichtigere Dinge im Leben wie Segeln. Es gibt sogar Situationen, da ist
Segeln zweitrangig, ach was, da spielt es keine Rolle mehr im Leben.
Von so einem Vorfall erzählt der nachfolgende Bericht. Der Name des Betroffenen
wurde geändert. Ansonsten hat sich der Vorfall - leider - exakt so abgespielt.
Halt, ehe ich es vergess und wenn ich es recht überdenke: Im Hintergrund hat
hier das Hochseesegeln doch die entscheidende Rolle gespielt. Als das Schicksal
über Leben und Tod entschieden hat. Erlebt
und beschrieben von Bobby Schenk
Es trifft immer
die anderen?
Es ist einer jener schwülheißen Tage im Juli
2006 in einer bayerischen Kleinstadt. Ich bin bei einem kurzen
Deutschlandaufenthalt mit Richard zum Squash-Spielen verabredet. Er holt mich
mit seinem neuen Auto ab und wir sind bester Stimmung. Nichts, aber auch gar
nichts deutet auf das nachfolgende Drama hin, von dem wir noch genau 15 Minuten
entfernt sind.
Der Court ist trotz der wochenlangen heißen
Temperaturen angenehm kühl, weil vorher nicht bespielt. Es gibt wohl nicht
viele, die in der herrschenden Hitzeperiode so bescheuert sind und ausgerechnet
Squash spielen. Diese Sportart gilt als eine der schweißtreibendsten
Ballsportarten überhaupt. Richard und ich spielen seit mehreren Jahren in
unregelmäßigen Abständen Squash und wir haben unseren Spaß dabei, weil man -
ohne es recht zu spüren - innerhalb weniger Minuten auf Touren kommt.
Jedenfalls ist es für die Kondition sicher besser als auf dem stupiden
Hometrainer zu sitzen.
Wir haben den Platz für 18 Uhr 30 gemietet und
pünktlich ist Richard aus der Garderobe zurück auf dem Platz. Eine Minute
schlägt er sich ein, dann ich. Es ist ein jahrelang geübtes Ritual, als ich
darauf hinweise, dass meine Uhr für das Spielende um 19 Uhr gilt. Länger als
dreißig Minuten gäbe unsere Kondition eh nicht her, das wissen wir ganz gut
aus der Vergangenheit. Obwohl Richard immer wieder vorgeschlagen hat, mal eine
ganze Stunde zu spielen. Aber als Arzt weiß er sehr wohl, dass hierfür
unsere Kondition mit über 60 Lebensjahren, das müssen wir ehrlich zugeben,
nicht recht ausreicht.
Wir spielen zwei Sätze, wobei wir die Bälle so
schlecht treffen - man merkt die lange Pause - dass wir nicht mal ins Schwitzen
geraten. Noch nicht. Es ist jetzt ziemlich genau 18 Uhr 40.
Als ich aufschlagen möchte , sehe ich zu Richard
hinüber. Er macht einen kleinen Schritt nach vorne und stürzt, nein, er rollt,
mit Zeitlupentempo zu Boden, wo er bewegungslos liegen bleibt. Mein erster
Gedanke: "So eine Sch..., schon wieder ein Muskelfaserriss."
Ich trete zu Richard und sehe, dass seine Augen
offen und unbeweglich sind. Und er sich nicht rührt. Schlagartig wird mir klar,
dass da was Schreckliches passiert ist. Ich renne aus dem Court, laufe ein paar
Treppen hoch und sehe hinter dem Tresen Heinz, den Squash-Trainer stehen. Ich
schrei nur: "Einen Notarzt, Richard ist zusammengebrochen!" "Um
Gottes willen", sagt Heinz und greift zum Telefon.
Als ich ein paar Sekunden später zu Richard
zurückkomme, hat sich nichts verändert. Immer noch liegt er mit aufgerissenen
Augen unbeweglich da. Für ein paar Schrecksekunden weiß ich nicht so recht,
was ich tun soll.
Vor einigen Jahrzehnten hatte ich mal einen
Erste-Hilfe-Kurs besucht, aber all das ist vergessen. Schließlich komme ich
nicht in eine Situation, wo ich den mal brauche. Ich nicht, höchstens die
anderen!
Eines ist mir in den wenigen Sekunden seit dem
Zusammenbruch klar geworden. Im Moment hilft Dir (und damit Richard) niemand.
Die Halle ist so spärlich besetzt, dass die Wahrscheinlichkeit gleich Null ist,
dass da ein Arzt zufällig anwesend ist. Der einzige Arzt im Squash-Palast liegt
vor mir und verliert in diesem Moment, das ist klar, sein Leben. Wenn ich nichts
unternehme! Irgendeine Atmung kann ich nicht erkennen und den Pulsschlag
versuche ich nicht mal festzustellen. Ich bin viel zu durcheinander.
"Herzmassage!" sagt mir eine innere Stimme. Wie war das im
Erste-Hilfe-Kurs?
"Herzmassage"?
Moment mal, da war doch was beim letzten Ecker-Cup, beim 1000-Meilen-Race.
Richtig, im Film von Alois Sulzer über die Regatta von Zadar nach Orhanje, hab ich es ein paar
Mal gesehen: Vor dem Start in Zadar hat der Regatta-Arzt Dr. Bernhard Schlosser
den Regattateilnehmern rein vorsorglich erklärt, wie eine Herzmassage geht. Das
hab ich natürlich längst vergessen, denn für so wichtig hab ich das nicht
gehalten. Denn wie gesagt: "Das trifft doch nur andere, mir kann doch nicht
passieren, dass ich in eine solche Situation komme. Und außerdem: Da sind doch
immer genügend andere da, die sich auf sowas verstehen."
Aber
plötzlich hab ich die Bilder aus dem Film vor mir, wie Bernhard im Che-Guevara-Look den Teilnehmern im Hafen von Zadar an einem Sportsfreund eine Herzmassage
demonstriert. Und einen griffigen Satz von Bernhard hab ich besonders in
Erinnerung: "...er stirbt nicht an den gebrochenen Rippen, sondern an der unterlassenen Hilfeleistung!"
Der Satz hilft. Und trifft. Tu was, tu irgendwas, auch wenn
es nicht ganz richtig ist! Und so lege ich die linke Hand flach auf die
Herzseite des Brustkorbs von Richard und drücke mit der anderen Hand im
Sekundenrythmus stoßartig drauf. Richard hat den Mund halb geöffnet, die
Augenlider bewegen sich nicht. Und er zeigt keine Reaktion.
"Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig..."
"Er stirbt nicht an den gebrochenen Rippen, sondern an der unterlassenen Hilfeleistung!"
Also weiter...
Seit dem Zusammenbruch sind sicher noch keine
zwei Minuten vergangen, als Richard einen tiefen, sehr tiefen Atemzug tut. Jetzt
wacht er sicher gleich auf. Aber nach dem Durchatmen ist wieder Schluss.
Inzwischen sind ein paar Leute um mich herum. Ich seh sie nicht, ich wage nicht
aufzuschauen. Mir ist klar, ich muss weitermachen: "Einundzwanzig,
zweiundzwanzig..."
"Wo ist der Notarzt?"
"Er ist verständigt und ist sicher gleich
da. Wir haben draußen jemand hingestellt, der dem Arzt den Weg hierher
zeigt...."
"Schaut mal, ob unter den Gästen ein Arzt
da ist!"
"Haben wir schon, es ist kein Arzt
darunter!"
Plötzlich kniet neben mir ein Mädchen (oder
eine Frau) im Turner-Dress. "Sind Sie Ärztin?" Sie verneint zu meiner
Enttäuschung. "Atemspende?" murmelt sie. "Ja!"
Ohne zu zögern wirft sie sich förmlich auf den
fremden Richard und bläst die lebensnotwendige Luft zwischen seine blaugefärbten
Lippen. Respekt vor soviel Zivilcourage!
Wo bleibt der Notarzt?
 Ganz gelegentlich tut Richard einen ganz tiefen
Atemzug. "Komm Richard, Du schaffst es!" Aber dann ist wieder
Stillstand. Das Mädchen beatmet Richard regelmäßig, vielleicht alle vier
Sekunden. Man kann gut sehen, wie
sich der Brustkorb hebt. Ich stoße zwischen den Beatmungen mit ziemlich viel Kraft auf die
Rippen:
"Er stirbt nicht an den gebrochenen Rippen, sondern an der unterlassenen Hilfeleistung!"
In diesem Moment knackst es deutlich spürbar
unter meinen Händen. Das war wohl die Rippe. Egal. "Wo bleibt der
Notarzt?"
"Einundzwanzig, zweiundzwanzig,
dreiundzwanzig..."
Dann endlich - vielleicht fünf Minuten,
garantiert keine zehn Minuten nach der Alarmierung - sind um mich rum mehrere
Männer im signalroten Anorak mit silberfarbenen Koffern. "Weg da!"
herrscht mich einer an und zerrt Richard von der Courtmauer weg. Ich bin trotz
des Schocks irgendwie erleichtert: Keine Verantwortung mehr!
Auch für mich als Laie ist die Situation aus 10
Metern Entfernung erkennbar dramatisch. Ein EKG wird angelegt, aber auf dem
Papier ist nicht viel zu sehen. Die Helfer schließen den Defibrillator
(Elektroschocker) an. Es
ist ein hässliches Bild, wie mein Freund Arme und Beine ruckartig hochwirft.
Offensichtlich bewirkt das Gerät nichts, denn erneut wird es in Gang gesetzt.
Ich beobachte den Notarzt, wie er um das Leben meines Freundes kämpft. In der
Miene des Arztes lese ich kein positives Zeichen.
Es sieht schlimm aus. "Vorher hat sich der
Kreislauf stabilisiert, aber jetzt ist es wieder aus. Wir wissen noch nicht,
wohin wir Ihren Freund fliegen lassen", meint der Notarzt. "Er muss
jedenfalls wo hin, wo ein Herzkatheter angelegt werden kann!"
Jetzt ist Richard an ein Beatmungsgerät
angeschlossen und das Herz wird mittels EKG fortlaufend überwacht. Als er auf
der Liege weggetragen wird, meint der Notarzt: "Das war ein
Kammerflimmern!"
Als Laie kann ich mit dem Begriff nichts
anfangen, aber später wird mir ein Arzt den Zustand des Kammerflimmerns
lakonisch damit erklären: "Da ist man praktisch tot!". Der gleiche
Professor stürzt mich in tiefe Zweifel mit seiner Bemerkung: "Entscheidend
ist, was in den ersten drei bis fünf Minuten passiert. Wenn da alles
Erforderliche getan wurde, wird Richard wieder!"
Als ich ein paar quälende Stunden später im
Krankenhaus anrufe, erklärt der Arzt: "Er ist ohne Bewusstsein und wird
künstlich beatmet. Sein Zustand ist verheerend!"
Am anderen Tag geht das Hoffen weiter. Wie
gehabt: Richard ist nicht bei Bewusstsein, liegt auf der Intensivstation und
wird künstlich beatmet.
30 Stunden nach dem Vorfall später der erste
Hoffnungsschimmer: Richard versucht sich die Schläuche vom Körper zu reißen.
Aber die Ungewissheit bleibt. Selbst wenn er wieder aufwacht, hat das Gehirn
diese Minuten nach dem Zusammenbruch unbeschadet überstanden? Wurde es
ausreichend mit Sauerstoff versorgt, als Richard nicht mehr für sich selbst
sorgen konnte. Was ist in den "acht Minuten" passiert (so wurde es im
Protokoll festgehalten), bis der Notarzt eingetroffen war?
Nach zwei Tagen tiefer Bewusstlosigkeit schlägt
Richard endlich die Augen auf und reagiert durchaus logisch. Das schaut gut aus.
In den nächsten Tagen bessert sich der Zustand
des Kranken weiter und nach einer Woche ist klar, dass er den Vorfall
unbeschadet überstanden hat. Für mich ein Wunder!
Der erfahrene Chefarzt erklärt, dass nur bei
drei Prozent solcher Fälle später keine schweren
Cerebralschäden festgestellt wurden. Und Richard spricht von einem Sechser im
Lotto.
An den Vorfall und an die Wochen zuvor hat er
keine Erinnerung mehr. Aber das ist ja gut so.
Nachwort: Am 8.5.2015
traf ich Richard zum Golfspielen. Er erinnerte mich daran, dass obiger Vorfall
nunmehr neun(!!) Jahre zurückliegt. Er bezeichnete diese neun Jahre als
"geschenkt".
Die Lehren
hieraus:
-
Ein
Erster-Hilfe-Kurs ist ein Muss - auch wenn er nicht gesetzlich
vorgeschrieben ist.
-
Auch,
wenn man schon einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert hat, sollte man ihn
von Zeit zu Zeit zur Auffrischung wiederholen.
-
Zu
jeder Zeit, an jedem Ort und unter allen Umständen können
Ereignisse eintreten, die ein sofortiges Eingreifen zur
Lebensrettung erforderlich machen. Ein sofortiges Eingreifen durch
Dich!
-
Sobald
man sich damit tröstet, dass einem selbst "Sowas" nie
widerfährt, wird es einen nach Murphys Law treffen.
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