Geheimnisvoller Seemannsbrauch im Golf von Mexiko

von Bobby Schenk

Entweder hab ich mich zu viele Jahre in der Blauwasserszene aufgehalten oder der Davis Island Yacht Club in Tampa ist wirklich was Besonderes. Denn dort bin ich Zeuge eines Seemannsbrauchs geworden, wie ich ihn noch nie beobachtet, ja von dem ich noch nie etwas gehört habe und der nur zu besonderen, meist traurigen Anlässen zelebriert wird. Aber der Reihe nach:

Tampa, das ist die drittgrößte Stadt Floridas, wunderschön am Golf von Mexiko gelegen, berühmt für die feinen weißen Sandstrände in ihrer Umgebung, die Delphine und die braunen Pelikane in der Tampa Bay.

Tampa, das ist aber auch eine boomende Hafenstadt, die in den letzten Jahren zu Recht von Touristen entdeckt wurde, denn sie bietet vieles an Kunst und Kultur, so zahlreiche Museen, ein beeindruckendes Aquarium mit einem künstlichen Korallenriff und ein historisches, lateinamerikanisch geprägtes Industriequartier namens Ybor City aus dem 19. Jahrhundert. Die kubanischen Einflüsse in Tampa - Havanna ist keine 300 Meilen entfernt - sind unverkennbar, was kein Wunder ist, war es doch von 1886 an das Zentrum der amerikanischen Zigarrenproduktion (von Hand gerollt, versteht sich) und beschäftigte Tausende von Kubanern (und Kubanerinnen), die sich hier niederließen.

Das alles wusste ich nicht, als ich vor kurzem in Florida war. Bei einem Segelausflug in den Golf von Mexiko fand ich einen Yachtclub wie ich selten erlebt habe. Es war brütend heiß, als ich mich im vollklimatisierten, quirligen Clubhaus nach dem Clubchef erkundigte. Der ausgesprochen liebenswürdige Vicecommodore Jack Whitwam nahm sich geduldig meiner an und erzählte nicht ohne Stolz von seinem Segelverein, dem DIYC. Und das, was er so erwähnte, war durchaus eindrucksvoll. 600 Mitglieder, Grundstück von der Stadt Tampa auf 100 Jahre gepachtet. Und die anfallenden Arbeiten, wie heute, inklusive Stege überholen, Bojen neu streichen (und das wegen dem üppigen Muschelbewuchs alle zwei oder drei Monate), Rost klopfen oder Sieger-Pokale putzen, erledigten ausschließlich die Mitglieder, und zwar ehrenamtlich.

Man kann nicht sagen, dass der freundliche Yachtclub - der Gast fühlt sich dort von der ersten Sekunde an wohl - ein reiner Fahrtenseglerverein ist, obgleich die Kajütyachten, viele älteren Datums, das vermuten lassen. "Moderne" Bauten, die vorspiegeln sollen, dass sie auch in Regatten bei hohem Wohnkomfort rasend schnell sind, fehlen. Dafür sind gemütliche Cruising Yachts am Steg in der Überzahl. Man sieht ihnen an, dass sie viel benutzt werden. Denn darauf legt der Vizecommodore Wert, der Club soll in erster Linie Segelverein und dann erst Social Club mit Barbetrieb und Schwimmbad sein. Was faszinierend ist, und sicher auch manch deutschem Club gut tun würde: Neben dem Fahrtensegeln und nicht an Stelle dessen wird großes Augenmerk auf "Social Sailing" gelegt. So finden regelmäßig Regatten ausschließlich für die Club-Ladies statt und Segelkurse für Kinder, immerhin für ein halbes Tausend im Jahr. Reine sportliche Regatten auf Jollen gibts natürlich daneben auch. Da kommen schon mal Regattafelder mit fast 70 Rennjollen in der schwellgeschützten Bay zusammen.

Noch etwas ganz Besonderes, und das könnte manch deutschem Club gut zu Gesicht stehen und den viel beklagten Mitgliedermangel positiv beeinflussen: Jeden(!) Donnerstag abends um 16 Uhr ist das "thursday night racing", an dem jedermann (!), egal welchen Alters, also Spaziergänger, Schüler(innen), Segelinteressierte oder Besucher auf den Schiffen der Clubmitglieder teilnehmen kann. Kostenlos! Man meldet sich ganz einfach im Club als Crew und kommt dann für die Regatta auf eine der zahlreichen Teilnehmeryachten. Sichtlich stolz erklärte mir der Vize-Commodore: "Unsere Mission ist Segeln anbieten in jeglicher Form". Auf der Webseite des DIYC bezeichnet sich der Club als der "sailingest", also schlechthin der "seglerischste" Club.

Ganz billig ist der Verein übrigens nicht, jedenfalls nach hiesigen Maßstäben: Aufnahmegebühr 1100 $ und pro Monat 80 bis 90 $. Hat man die eigene Yacht am Steg liegen, kommen 4 $ pro Fuß im Monat dazu, also für ein 10-Meter-Schiff circa 120 $.

Aber wie gesagt, der Club bietet dafür auch was: Das Revier ist super, trotz Großstadtnähe ein Naturparadies mit seinen seltenen Pelikanen und Delphinrudeln, gegen Schwell aus dem Golf von Mexiko gut geschützt - siehe Google-Luftbild. Das Wetter ist tropengemäß heiß und trocken, jedenfalls ausserhalb der Hurricane-Saison, welche von August bis 30.November dauert. Das bedeutet aber nicht, dass dann nicht mehr gesegelt wird, natürlich immer mit einem Blick auf den Wheather-Chanel im TV. Die gefürchteten Hurricanes der höheren Stufen sind zwar seit vielen Jahren selten, doch gänzlich ausgeschlossen sind sie nicht. Und dann wirds in der Bucht bei Südwind ziemlich "choppy", wie Jack sagt.

Choppy war das Wetter nicht, es zeigte sich vielmehr von seiner besten Seite, als mich Commodore Chris Toro (rechts), Polizeibeamter in Tampa, und Siggi (links), ein deutscher Landsmann, seit 30 Jahren in den USA („Amerika ist großartig, aber den Fernseher darfst Du nicht einschalten!“), ausgestattet mit einem Lehrauftrag an der Universität von Tampa, zu einem Törn im Golf von Mexico einluden. Es war ein Genuss, mit diesen beiden prächtigen Typen zu segeln und ganz nebenbei viel über ihre geliebte Stadt zu erfahren. Nun ja, ein bisschen haben sie auch von mir erfahren. Da kannst hinkommen, wo Du willst, aber das funktioniert immer: Chris und Siggi staunten nicht schlecht, als ich ihnen den polynesischen Hundeknoten im Cockpit demonstrierte. Ebenfalls interessant aus meiner Sicht als früherer Commodore eines großen Vereins: Der Commodore im DIYC wird nur für ein Jahr gewählt, dann kommt ein anderer dran. Sollte man sich mal bei uns überlegen, ob damit die gewünschte Kontinuität in einem Club nicht zuverlässiger gewahrt wird.

Amerikanische Fahrtensegler sind ja dafür bekannt, dass sie es mit der Seemannschaft und damit mit den Seemannsbräuchen recht ernst nehmen. Umso mehr verwunderte mich, dass Jack anerkennend davon erzählte, dass jene Freiwilligen, die heute die Arbeiten verrichteten, einen Scheinwerfer unter die große US-Flagge am Fahnenmast montieren, damit die Flagge "über Nacht nicht mehr eingeholt werden muss". Logisch, oder? Jedenfalls praktisch. Wie "die Amis" eben so sind.

Aber es sollte noch mehr Verwunderliches geben. Ich erfuhr, dass genau um 12 Uhr mittags eine feierliche Zeremonie anstand:

Dem Clubmitglied Captain Robbie Robinson war unglücklicherweise seine Yacht SOFA KING ausgebrannt. Er hatte sich also eine neue Yacht gekauft und treffend auf den Namen STILL SOFA KING getauft. Und nun lag ihm am Herzen, den „Geist“ seines braven, alten Schiffes auf sein neues Schiff zu übertragen. So was hatte ich noch nie gehört, ich war natürlich elektrisiert. Ich schloss mich den Clubmitgliedern an, die sich alle auf den Steg begaben, wo beide Schiffe ungefähr 100 Meter von einander entfernt lagen. Es bildete sich eine entsprechend lange Menschenkette zwischen den beiden Yachten. Robbie Robinson sprach einige Worte des Dankes an die Anwesenden und, soweit ich das mitbekam, einige rührselige Worte über sein altes Schiff und dessen „Geist“ und machte dann eine Pause. Offensichtlich wussten viele nicht, was sie nun zu erwarten hatten. Ich jedenfalls dachte an ein magisches, esoterisches Ritual, mit dessen Hilfe ein der Geisterbeschwörung Kundiger mit dem – trotz des nicht verhinderten Brandes – guten Geist des alten Schiffes Kontakt aufnehmen und diesen dazu bewegen würde, auf das neue Schiff am anderen Steg gewissermaßen rüber zu fliegen. 

Recht unsanft, aber auch sehr sympathisch wurde ich aus meinem spirituellen Höhenflug auf den Boden der Tatsachen runter geholt. Der auf der ausgebrannten SOFA KING stehende Eigner bückte sich nämlich und griff in eine große Wanne, vollgepfropft mit Spirituosen (80%iger Stroh-Rum und so), ganz offensichtlich die alten Schnaps-Vorräte aus der Schiffsbar. Dem ersten in der Prozession stehenden Zuschauer drückte er eine Flasche nach der anderen in die Hand, und die meist halbleeren Kostbarkeiten wurden unter großem Gelächter weitergereicht, bis sie in der neuen STILL SOFA KING landeten, der Umzug des „Spirit“ also vollendet war und dieser in Zukunft im neuen Schiff seine positiven Kräfte entfalten kann.  Jetzt ist mir klar, woher die Bezeichnung "Spirituose" kommt, Ja natürlich!

Da muss man erst mal den Davis Island Yacht Club im Golf von Mexiko besuchen, um so einen wunderbaren Seemannsbrauch erleben zu dürfen!

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