"Die
kranke Welt der Weltumsegler"
von
Bobby Schenk
Genauso lautete eine Kolumne, die ich vor drei
Jahrzehnten für die YACHT geschrieben hab. Aufs Korn genommen hab ich die
Exzesse der damaligen Zeit: Drei Tote beim Whitbread-Race um die Welt und einen
Hochstapler - wahrscheinlich Selbstmörder, Teilnehmer beim ersten Round-the-World-Race,
aus
dem Sir Robin Knox-Johnston als grandioser Sieger und Bernard Moitessier als glanzvoller
Verlierer ("Der verschenkte Sieg") hervorgegangen war.
Er, der Übersegler, hatte es mir, fast
beschwörend, ins Ohr geflüstert: "All Yachtsmen are well balanced!"
Aber diese Vorgänge hatten so gar nicht zu
Moitessiers Urteil über die Fahrtensegler gepasst. Schade eigentlich, denn dann
hätte man sich so schön damit trösten können, dass alles schon seine
Richtigkeit hat, was man so als Weltumsegler unternimmt.
Wenn ich heut nochmals diesen Titel
benutze, dann
ist der nicht mehr auf die Regattasegler gemünzt, denn die haben längst
abgehoben aus der Schar der Fahrtensegler um die Welt, haben nichts mehr mit uns
zu tun. Das ist schon eine eigene Rasse geworden, und sie verhalten sich zur Masse
der Blauwassersegler wie Wanderer eben zu Formel-1-Piloten. Man vergleiche nur
die Etmale: Die Achthundert Meilen sind im Angriff der unbewohnbaren Rennmaschinen,
während ich schon mit jedem Wert über hundert Seemeilen pro 24 Stunden
zufrieden bin.
Aber gibt es heute wirklich eine kranke
"Welt der Weltumsegler"? Ist es nicht so, dass jemand beschließt, um
die Welt zu segeln und nach dem Zurücklegen der läppischen dreißigtausend
Meilen auf einem schwimmenden Untersatz als Weltumsegler gefeiert wird, eine
schöne Medaille in Cuxhaven bekommt, ein Buch schreibt, zu Talkshows
eingeladen wird und letztlich was im Leben erreicht hat, was ihm in seinem Beruf
oder in seinem Job wohl versagt gewesen wäre?
Gibt es, ist aber nicht normal!
Ein andere Normalität zeigen folgende, nicht
sehr seltene und auch nicht außergewöhnliche Beispiele aus der wahren Welt der Weltumsegler - und die nenne ich
schlagwortartig die kranke Welt: Ein
deutscher Blauwassersegler, der in der Karibik hängengeblieben ist, findet sich
eines Morgens in der Saling seiner Yacht - aufgehängt. Ein nicht ganz unbekannter
Blauwassersegler stirbt verhärmt in Polynesien. Seine Yacht ist in so schlimmem
Zustand, dass sie niemand mehr geschenkt haben möchte.
Ganz besonders folgender Vorfall hat mich betroffen
gemacht: Ein deutscher Segler wird auf einem Blauwasserankerplatz einer anderen
deutschen Yacht ansichtig. Er klopft vom Beiboot aus am Rumpf: "Komm rauf,
ich kann nicht rauskommen, ich hab mir vor einer Woche den Fuß gebrochen!"
Und später: "Nein der Fuß ist nicht geschient, ich kann eine ärztliche
Versorgung nicht bezahlen, auch wenns hier nur ein paar Ringit kostet." Ein
anderer sehr bekannter Weltumsegler (mit Familie) wird aus einer recht
preiswerten Marina hinauskomplimentiert. Er kann nicht mehr bezahlen. Von den
Vorgängen auf deutschen Yachten, die längst vielfach in der Sensationspresse
verarbeitet wurden - APOLLONIA (zweifacher Mord), NORDSTERN (Verdacht auf
Versicherungsbetrug und vielfachen Mordes) - möcht ich hier mal gar nicht
sprechen - schließlich gibts solche Verbrechen auch am Bahnhof in Hamburg oder
in Duisburg.
Dieser Umstand
ist dagegen schon erwähnenswert: Es findet sich heute praktisch keine europäische Versicherung mehr, die
eine Langfahrtyacht auf Weltreise neu kaskoversichert. Noch vor 30 Jahren war
das leicht und preiswert. Warum? Ein namhafter
Versicherungsagent hat dies vorsichtig so erklärt: "Schaun Sie, da sitzt
einer irgendwo auf einem fernen Ankerplatz, ist alt geworden, seine Yacht ebenso
und die ist einfach nicht mehr zu verkaufen..." Außerdem hab ich aus
diesen Kreisen schon mehrfach einen Hinweis auf einige Schiffsverluste bekommen,
an denen fast immer überlebende Einhandsegler (also keine Zeugen) beteiligt waren.
Man sehe mir mal nach, wenn
ich von den "früheren" Zeiten spreche, aber die Änderungen sind zu
auffällig: Noch vor ein paar Jahrzehnten waren Schilder am Ufer wie
"Beiboote hier nicht erlaubt" oder "no yachts permitted" auf
den Blauwasserreeden undenkbar. Ausdrücke wie "sea-gipsy"
("Seezigeuner", und das ist nicht romantisch gemeint) oder "low-budget-sailors"
waren unbekannt. Die "local people" - wie Yachties die Leute an Land
wertneutral nennen - freuten sich meistens, wenn sie die Bekanntschaft von
Yachtsleuten machen durften und an Bord eingeladen wurden. Sie erwiderten gerne mit
einer Einladung zu Landausflügen oder zur Benutzung der Waschmaschine. Heut
warnen sie schon mal: "Lass keinen Yachtsmann zur Tür rein, denn dann hast
Du ihn gleich in der Küche und in der Dusche."
Man hat mir vorgeworfen, ich würde über die
Lebensweise anderer richten, wenn ich auf negative Zustände unter den
Langfahrtseglern hinweise. Schließlich könne jedermann sein Leben so leben, wie
er es für richtig hielte. Ohne zynisch sein zu wollen, muss ich dem zustimmen.
Es ist jedermanns eigene Sache, wie er lebt oder sein Leben beendet. Anders
sieht es schon aus, wenn der Lebensstil des einen auf Kosten anderer erfolgt.
Das Misstrauen der local people, die Isolierung der Yachties mancherorten kommt
ja nicht von ungefähr, sondern ist das Ergebnis schlechter Erfahrungen.
Noch wichtiger aber ist eine Warnung an
Möchtegern-Weltumsegler, sich nicht blindlings in ein Abenteuer zu stürzen,
dessen Ausgang sie nie und nimmer so gewollt haben. Nennen wir es beim Namen,
was die Ursache für manche Katastrophen auf den Ankerplätzen der
Blauwassersegler ist: Es ist das fehlende Geld. Es gab mal Zeiten, da war eine
shortage in der Bordkasse kein lebenswichtiges Problem. Man konnte, wenn man
konnte, sich aus dem Meer ernähren, seine einfache Yacht ohne komplizierten
Ausrüstung leicht durch Knochenarbeit am Schwimmen erhalten und arbeiten.
Jedenfalls solang man jung war.
Heute ist das anders. Weltweit hat man Yachten
als Einnahmequelle entdeckt (was ja nicht verkehrt ist) und da will man keine
Naturalleistung in Form von Arbeit oder bloßer Freundlichkeit sehen, sondern
Cash! Und es wird enger: Paradiese "abseits von den Trampelpfaden"
(wie man sich gerne ausdrückt, um die Fahrten anderer mies zu machen und den
eigenen Törn aufzuwerten) werden
immer seltener oder schließen die Tore. Es gibt bereits Länder, in denen sich
die Behörden bei der Einreise der Yacht ungeniert die Barschaft an Bord zeigen
oder gar deponieren lassen (Französisch Polynesien). Und es ist absehbar, dass
man in einigen Ländern zukünftig eine Krankenversicherung nachweisen muss. Man
braucht sich da gar keine Illusionen machen, für manche Länder sind Yachties
ohne Geld nichts anderes als Wirtschaftsflüchtlinge und die sieht man auch bei uns
nicht gern.
Eine
Zweiklassengesellschaft unter den Blauwasserseglern ist absehbar. Während die
einen das freie Leben auf den Ankerplätzen genießen, ziehen sich die anderen
in die schützenden, oftmals teuren Marinas zurück. Aber ist das Leben auf den
Ankerplätzen so frei? Langsam setzt sich die Erkenntnis der Einheimischen
durch, dass man auch auf den anchorages für den Abfall, für die Mooring, oder
auch so abkassieren kann. Bei zahlreichen, früher so beliebten Ankerplätzen
findet man heute im Hafenhandbuch den durchgestrichenen Anker in der Skizze,
weil man die Yachten, auch aus Umweltgründen, in die Marinas zwingen will. Aber
auch sonst hat ein Ankerplatz oftmals einschneidende Nachteile: Zum Anlanden fürs Beiboot steht
häufig keine Pier zur
Verfügung, was vor allem in Tidengewässern einer Schikane durch die Natur
gleichkommt. Das Eis für die in den Tropen so notwendigen Getränke erbettelt
man sich an der Hotelbar, die Schmutzwäsche schleppt man im Bus zur
chinesischen Wäscherei. Das ließe sich alles sehr leicht ertragen,
schließlich wusste man als Weltumsegler in spe durchaus, auf was man sich da
einlässt - Stichwort: "Hundeleben"! Wenn nicht ein paar hundert Meter
vom Ankerplatz der totale Komfort in der Marina locken würde: Landstrom ohne
Ende, Internet, Travellift, Süßwasser aus dem Schlauch, Bustransfer zum Markt
und so fort! Und das an Plätzen, die noch vor ein paar Jahren als Geheimtipp
unter den Blauwasserseglern gehandelt wurden!
"Das brauchen wir doch alles nicht!"
Das sagt sich so leicht, wenn man jung ist, oder wenn man nur die Palmen an den
Sandstränden im Kopf hat. Aber, wie gesagt, die Realitäten sehen dann doch
anders - siehe oben - aus. Deshalb mein vorsichtiger Hinweis - ich bin nicht so
vermessen, hier einen Ratschlag zu erteilen - dass es sicher zum Lebensglück
beiträgt, wenn man sich einen Ausweg aus einem Leben, das einem nicht mehr
zusagt, oder das man sich anders vorgestellt hat, offen gelassen hat. Konkret
ausgedrückt heißt das, dass man nicht ohne eine gewisse Rückversicherung
lossegeln sollte. Der junge unternehmungslustige Segler braucht sich hierzu
wenig Gedanken machen, denn der hat schon auf Grund seines Alters
Fluchtmöglichkeiten aus der "kranken Welt der Weltumsegler". Anders
der, der den Ausstieg versäumt hat: Die Arbeitskraft des alten Seglers hat
nachgelassen, Ersparnisse sind aufgebraucht, die Gesundheit ist unter den wenig
bekömmlichen Klimaeinflüssen in den Tropen angeschlagen, Einnahmequellen
(Arbeit) gibts nicht mehr, das Schiff ist langsam vergammelt unter der Last der
Jahre und des fehlenden Geldes.
Ganz ohne Zweifel: Rentner und Pensionisten sind
hier auf der Gewinnerseite. Deshalb werden sie auch besonders gerne angeneidet.
Wobei meist vergessen wird, dass sie sich eine Weltumsegelung ehrlich durch
Arbeit verdient haben. Also was soll's?
Auf einer Weltumsegelung Geldverdienen, ist, von
den berühmten Ausnahmen abgesehen, nahezu nicht möglich, jedenfalls sollte man
sich nicht darauf verlassen. Schwarzarbeit ist bei uns schon nicht besonders
angesehen, erst recht nicht in Ländern, wo man den armen Einheimischen die
Arbeit stiehlt. Und verchartern? Ganz klar, die einheimischen
Chartergesellschaften, die sich jahrelang durch das Behördendickicht geschlagen
haben, um die notwendigen Erlaubnisse zu bekommen und die den local people
Arbeit geben (müssen), freuen sich über jede Besucheryacht, die ihnen
Konkurrenz macht.
Aus einer Weltumsegelung Geld verdienen? Da gibt
es noch die Möglichkeit, sich eine Weltumsegelung schenken zu lassen, wie ich
im Internet (wo sonst?) gelesen habe. Da werden sich sicher viele Leute freuen,
wenn sich mit ihrem sauer erarbeiteten Geld, andere sich am Strand von Bora-Bora
aalen?
Und Sponsoring? Einfache Antwort: Es ist
kinderleicht, einen Sponsor zu finden, wenn man ihn überzeugen kann, dass es
ein profitables Geschäft ist - für den Sponsor.
Ja, und dann kann man ja noch ein Buch schreiben
- wenn man es kann. Hier mal die Fakten: Auf ein einziges Buch über eine
Weltumsegelung kommen so an die zwanzig bis dreißig diesbezügliche Angebote an
die Verlage. Und nur eines, höchstens zwei, hat pro Jahr die Chance, in
Deutschland publiziert zu werden.
Dann hat man es geschafft!
Denkste! Auch hierzu die Fakten: Ein Buch über
eine Weltumsegelung findet zwischen 2000 und 5000 Käufer. (Ja, ich weiß: Harry
Potter oder gar Harpe Kerkeling, der hat eine Million verkauft, aber das sind ja
literarische Mondlandungen!) Das Autorenhonorar beträgt - auch im Internet
nachzulesen - zwischen 2 und 10 Prozent des Ladenpreises. Das ergibt für ein
Buch über eine mehrjährige Weltumsegelung eine Einnahme, wenn es hoch kommt,
von ein paar tausend Euro, also den Gegenwert eines preiswerten Jacht-Radars.
Kurzum: Die Zeiten für Weltumsegler haben sich
geändert - zum Schlechten wie zum Guten. Wär für manche Träumer ganz
nützlich, darüber nachzudenken. Und Schlüsse aus der heutigen Situation zu
ziehen.

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