Kommt die
Astronavigation zurück?
von Bobby Schenk
Die
Idee ist eigentlich schon ein halbes Jahrhundert alt. Nämlich bei den
Winkelmessungen in der Navigation Fotoapparate einzusetzen. Nebenan ein
Kapitel aus meinem Buch (und wohl auch Standardwerk) YACHTNAVIGATION aus dem
Jahre 1982, wo erklärt wird, wie man auf dem Foto einer Polaroidkamera (damals
gab es ja keine Digitalkameras) den Winkel aus (zum Beispiel) der Spitze eines
Leuchtturms und der Küstenlinie berechnen kann. Auf derselben Seite habe ich
auch den Hinweis gegeben, dass ich auf eine Idee des wegen seiner Bissigkeit
recht gefürchteten Yacht-Journalisten Hans G. Strepp aus einem YACHT-Artikel im
Jahre 1966 zurückgreife.
Mit
der fortschreitenden Einführung von Funkortungsverfaren und wohl auch wegen der
kostspieligen Fotografiererei mit der Polaroid-Kamera geriet diese durchaus
brauchbare Methode zur Standliniengewinnung im terrestrischen Bereich in
Vergessenheit, beziehungsweise war in der allgemeinen Bordpraxis mehr Spielerei,
denn gleiche oder bessere Winkelmessungen waren selbst mit Plastik-Sextanten zu
erzielen.
In
der astronomischen Navigation spielte dieses System nie eine Rolle, denn
obgleich denkbar, in der Praxis stellten sich hier erhebliche Schwierigkeiten
ein: Bei dem geringen Dynamik-Umfang der damaligen Filme war das Abfotografieren
von Sonne und des wesentlich düsteren Horizonts auf einem Bild unmöglich.
Ausserdem wäre eine genaue Auswertung zeichnerisch gar nicht möglich gewesen.
Mit Sextanten herkömmlicher Art, also Trommelsextanten, in der Hand eines
Praktikers ist nämlich - bei ruhigem Wetter - eine Meßgenauigkeit von
ungefähr einer Winkelminute, und damit eine Genauigkeit von einer Seemeile kein
Problem. Auf dem Foto ist der gemessene Winkel zum Beispiel 34 Grad und 37
Minuten.
Nun
hat der Seitenbesucher, offensichtlich Fan herkömmlicher Navigation und Informatiker Georg Kirschbaum heute
hierzu ein zunächst sehr einleuchtende Idee:
Sonne und Kimm einfach fotografieren
Nehmen wir an, wir könnten die
Sonne und die Kimm mit hinreichender Genauigkeit auf ein Foto bringen, dann könnten
wir anschließend den Abstand von Sonnenunterrand und Kimm auf dem Foto
vermessen. Wenn wir jetzt die Brennweite des Objektivs kennen, können wir den
Winkel zurück rechnen.
Der Sextant ist durch einen Fotoapparat
ersetzt!
Ist die Aufnahme hinreichend scharf, müssen
wir nicht mal die Brennweite des Objektives kennen: wir können sie durch
Ausmessung des Sonnendurchmessers im Nachhinein bestimmen. Selbst, mit einem
handelsüblichen Zoomobjektives wäre also die Bestimmung einer Standlinie möglich.
Die Vorteile lägen auf der Hand. Man könnte
zeitgenau abdrücken. Dabei gelingt der Sonnenschuss fast immer; Sonne und Kim müssen
nur irgendwie auf das Foto. Das Foto wird schließlich erst im Nachhinein
ausgewertet.
In der Praxis wäre das Verfahren völlig
unbrauchbar, wenn die Fotoauswertung durch Zirkel und Lineal erfolgte, weil viel
zu ungenau. Genau das trifft aber nicht mehr zu, wenn man DSLR-Kameras und eine
elektronische Auswertung des Fotos ins Kalkül zieht.
Die Idee ist nun, mit Hilfe eines Programms,
auf einem Foto die Muster von Sonne, oder anderer Himmelskörper, und der Kim
automatisch zu erkennen. Im Programmfolgeablauf werden dann der Abstand des
Sonnenunterrandes, bzw. gleich des Mittelpunktes, zur Kim bestimmt. Mit der
Kenntnis des Objektives, seiner Brennweite und Anomalien wird der Winkel
berechnet. Ersatzweise wird die Brennweite, mit Genauigkeitsverlusten, aus dem
Sonnendurchmesser bestimmt.
In der weiteren Abfolge kann dieses Programm
gleich die Standlinie bestimmen.
Um die potentielle Genauigkeit eines
Sextanten, mit der Auflösung von 1' zu erreichen, müsste die Kamera, um 90°
zu überdecken, mit 5400Pix auf ihrer langen Seite auflösen. Auch wenn dieser
Wert von der jeweiligen DSLR-Kamera nicht erreicht wird, bleibt in etwa die
halbe Genauigkeit. Tatsächlich wird man, zumal auf einer Segelyacht, die
potentielle Genauigkeit des Sextanten kaum ausreizen können, so dass keine tatsächlichen
Genauigkeitsverluste entstehen.
Eine brauchbare DSLR-Kamera
ist kein Hexenwerk mehr, ein Notebook auch nicht. Eventuell lässt sich sowas
sogar auf der Firmware der Kamera unterbringen.
Das Thema lässt sich mit
verhältnismäßig einfachen Mitteln auch auf Hardwarelösungen ausdehnen, die
mit speziellen Kameras arbeiten. Ich möchte aber zunächst eine Lösung mit
Standardmitteln. Die meisten Segler dürften eine DSLR-Kamera an Bord haben,
einfach nur um Fotos mit nach hause zu bringen.
Ich möchte zum Thema ein
Opensource-Projekt starten. Vorläufiger Titel des Projekts ist qastronav.
Das Ganze soll unter Qt bzw. KDE laufen.
Wer sich berufen fühlt
mitzumachen, in welcher Form auch immer, ist herzlich willkommen;
Ideenlieferanten, Tester, Mustererkenner und Programmierer sind gefragt. Als
Lizenz für das Projekt halte ich GPL für geboten. Programmiersprache ist C++;
C++11 ist angedacht. Der
Programmierstil ist freigestellt; er sollte konzistent von jedem Author
durchgehalten werden. Templatierung ist ausdrücklich zugelassen. Wenn BSD das
nicht unterstützt, bleibt es eben außen vor.
Da die Idee hiermit veröffentlicht
ist, sind Patente gegen die Idee und das Projekt nicht mehr möglich.
Wer Interesse hat, am
Projekt mit zu arbeiten, meldet sich bei mir:
Georg.Kirschbaum@gimmel.franken.de
Eine
faszinierende Idee
Klingt
überzeugend. Ohne diese gute Idee zerreden zu wollen, fallen mir hierzu ein
paar Schwierigkeiten für die Praxis ein:
Das
Problem der unterschiedlichen Lichtverhältnisse von Kimm und Sonne existiert
nach wie vor. Das wäre meines Erachtens entweder mit einem mechanischen Filter,
der die Sonne abdunkelt, zu lösen. Sicher ginge dies auch elektronisch, aber
wenn schon ein Eingriff in die Software der Kamera notwendig ist, könnte dies
wohl auch elektronisch gelöst werden.
Eine
große Schwierigkeit dürfte aber die sein, dass ohne Mitwirken des Herstellers
einer solchen Kamera ein Eingriff in die Software der Kamera (Firmware) kaum möglich ist. Bei
den zu erwartenden geringen Stückzahlen (verglichen mit dem Massenmarkt) ein
vielleicht unüberwindliches Hindernis. Bliebe die Lösung mit externer Software
und Notebook zu arbeiten, ebenfalls beeindruckend, aber eben nicht so
elegant.
Freilich,
ein erfolgreiches Ergebnis dieser Idee ist schon faszinierend: Ein Klick und
fertig ist eine astromische Standlinie, ein zweiter Klick - bei der Sonne ein
paar Stunden später - und die Position steht auf eine Meile genau. Und zwar
auch bei ganz ungünstigen Seegangsverhältnissen und unruhiger Hand des
Navigators.
Was
so eine Software plus Kamera nicht ändern kann:Die Messung eines Gestirns allein ergibt höchstens eine
Standlinie und noch keinen Standort. Hat man aber Mond und Sonne gleichzeitig im
Sucher, dann könnte die Kamera bereits nach einem Klick die Position
ausspucken. Auch ein Messung des Sternenhimmels ist vielleicht möglich, weil
moderne Digitalkameras möglicherweise auch in der Nacht die Kimm für sie
sichtbar machen lönnen. Dann wären das Ergebnis hochgenaue (1 Seemeile)
Standorte!
Braucht
die Welt so eine Erfindung?
Man ist versucht, dies zu
verneinen. Schließlich wird GPS millionenfach und weltweit benutzt, sei es im
Auto, im Flugzeug, beim Bergsteigen, in der Schifffahrt, ja sogar beim Golf
u.s.f. Und da ist die Gefahr, dass GPS mal abgeschaltet wird, äußerst gering.
Trotzdem ist die Gefahr, dass GPS atmosphärisch (Sonnenfleckenaktivität,
Magnetstürme) gestört wird, fast null, aber eben nur "fast"!
Ausserdem kann GPS regional durch sogenanntes Jamming (siehe
hier) von Witzbolden, Troublemakern oder auch Terroristen leicht ausser
Kraft gesetzt werden. Wenn dann dringend der genaue Standort benötigt wird (zum
Beispiel im Flugzeug), wäre eine solche Kamera eine gute Redundanz, obgleich
die heute übliche GPS-Genauigkeit bei weitem nicht erzielt werden kann.
Auch
in der Hochseesegelei verläßt man sich ja im Moment üblicherweise allein auf
das GPS-System. Nur wenige Könner führen noch einen Sextanten mit und sind in
der Lage, mit Hilfe der Sonne oder anderer Gestirne zu navigieren. Gäbe es den
von Kirschbaum vorgeschlagenen Fotoapparat - am besten mit eingebauter
Astronavigation - würden wieder viel mehr Segler im Sinner guter Seemannschaft
sagen: Es muß ein Backup-System vorhanden sein.

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