Traum zur Weltumsegelung realisieren

von Martin Giretzlehner

Dies ist einer der seltenen - ehrlichen - Berichte, von einem - bis dato - erfolgreichen Kauf einer Blauwasser-Yacht mittels Kaufcharter. Jeder, der meint, mit diesem Modell erfolgreich zu einer "halb geschenkten" Yacht zu kommen, muss prüfen, ob die Voraussetzungen in diesem Berichtauch auch für ihn zutreffen. Dies gilt insbesondere bezüglich der Bonität der beteiligten Charterfirma und des betreffenden Reviers. Kroatien blüht, die Türkei jammert derzeit. Und eine neue Epidemie kann alles über den Haufen werfen. Aber, die Blauwassersegler wissen: Wer sich zu viele Gedanken macht, fährt niemals los. Der Autor weist ausdrücklich darauf hin, dass die angegebenn Zahlen nicht verbindlich sind und nur für seinen Fall Gültigkeit haben. Menschliche Fehler sind, wie immer, nicht ausgeschlossen sind, sodass der Autor selbstverständlich auch nicht haftet. Die Angaben beziehen sich speziell auf seinen Fall! Mit seiner Frau Kerstin ist Martin Giretzlehner auf seinem Katamaran SY Infinity unterwegs rund um die Welt - derzeit in Indonesien. Seine Reise kann auf der schön gemachten Webseite www.sailing-infinity.net weiter verfolgt werden. Dort kann der Autor auch auf Fragen zu diesem Thema an ihn eingehen.
Bobby Schenk


Für wen lohnt sich ein Kaufcharter-Modell? Ein Erfahrungsbericht!

2017 entscheiden wir uns dafür, ein Segelboot zu kaufen, um damit irgendwann unseren Traum wahrzumachen und auf große Fahrt zu gehen. Nach langem Abwägen fällt unsere Wahl auf einen Segelkatamaran. Die Lucia 40 von Fountaine Pajot soll es sein wegen des zeitgemäßen Designs und des Preis-Leistungsverhältnisses. Die Lieferzeit beträgt ungefähr ein Jahr. Bei der Finanzierung entscheiden wir uns für ein Kaufcharter-Modell. Es gibt große Unterschiede bei den angebotenen Modellen der verschiedenen Charter-Firmen. Ein sorgfältiger Vergleich lohnt sich also.

Guter Ruf der Charterfirma

Wegen der angebotenen Konditionen und des guten Rufs im Hinblick auf die Wartung der Charterflotte fällt unsere Wahl auf ein Charterunternehmen in Kroatien. Ein Unternehmen, das mehrere Schiffe pro Jahr kauft, bekommt einen höheren Rabatt von der Werft als wir Privatpersonen. Dabei handelt es sich um einen durchaus relevanten Betrag. Dazu kommt, dass Charterunternehmen ihre Erträge nicht mit dem Verkauf des neuen Schiffs erzielen müssen, sondern mit dem Charterbetrieb. In deren Interesse ist es, möglichst viele Charterschiffe anbieten zu können. Daher geben viele Charterunternehmen die Rabatte der Werft zu einem großen Teil an die Käufer weiter. Bei dieser B2B-Transaktion zwischen Werft und Charterunternehmen fällt keine Mehrwertsteuer an. Dafür kommen aber auch die für den Endverbraucher günstigeren Gewährleistungs-Regelungen nicht zur Anwendung. Nachdem wir eine möglichst hohe Charterauslastung unseres Schiffs haben möchten, entscheiden wir uns bewusst für die 4-Kabinen und 2-Bäder-Version und nicht für die Version mit einem Eigner Rumpf.

Eigentümer oder Pfandrecht am Schiff

Unser gewähltes Kaufcharter-Modell funktioniert so, dass wir der Charterfirma einen Kredit in Höhe des Schiffskaufpreises gewähren. Mit diesem Geld kauft die Charterfirma das Schiff unserer Wahl. Mit Unterstützung der Charterfirma wird das Schiff in das kroatische Schiffsregister eingetragen und wir nehmen das Schiff als Sicherheit für den Kredit. Wenn die Charterfirma in wirtschaftliche Turbulenzen geraten sollte, hätten wir als Gläubiger theoretisch das Pfandrecht auf das Schiff. Wir haben noch ein zweites Modell zur Auswahl, das allerdings mit mehr bürokratischem und finanziellem Aufwand verbunden wäre. Man gründet selbst eine kroatische Firma unter dem Deckmantel der Charterfirma und die eigene Firma kauft das Schiff. Dabei bleibt man selber über die eigene Firma Eigentümer des Schiffs. Die Abwicklung von Kauf und Charter unterscheidet sich nicht wesentlich vom zuvor genannten Kredit-Modell.

Möglichkeit von Selbersegeln bleibt

Wir nutzen die Gelegenheit und überstellen das Schiff selbst in einem erlebnisreichen Törn von der Werft in La Rochelle nach Trogir in Kroatien. Den Bericht dazu findet ihr auf unserer Webseite www.sailing-infinity.net. In Trogir wird das Schiff von der Charterfirma so lange an Dritte vermarktet wie wir möchten. Die Kosten für die Charterausstattung wie zum Beispiel Geschirr, Bettwäsche, Fernglas und so weiter müssen wir tragen. Das meiste davon hätten wir aber ohnehin benötigt. Die Abwicklung von Marketing, Reinigung, Schiffsübergabe und -übernahme für Chartergäste, Wartung, Antifouling, Reparaturen, Versicherung, Liegeplatz etc. übernimmt die Charterfirma. Wir haben mit dem Handling des Schiffs während des Charterbetriebs nichts zu tun. Selber können wir „unser“ Schiff „Infinity“ natürlich zu einem wesentlich vergünstigten Preis ebenfalls chartern. Dabei müssen wir folgendes bedenken: Wenn wir das Schiff selbst zur Hochsaison nutzen, in dem es höhere Preise am Chartermarkt erzielt, sparen wir zwar einerseits bei unserem Urlaubsbudget, andererseits schmälert das unseren Gewinn bei der Jahresabrechnung - außer wir bringen selber zahlende Gäste mit auf Törn und bessern so unsere Bilanz auf. Wir nutzen unser Schiff deshalb eher in der Nebensaison im Mai und im September. Auch andere Yachten der gleichen Charterfirma stehen uns vergünstigt zur Verfügung.

Die Jahresabrechnug

Die Jahresabrechnung der Charterfirma sieht dann folgendermaßen aus: Vom Umsatz, den das Schiff in der Chartersaison gemacht hat, werden die Aufwände der Charterfirma für die oben genannten Leistungen abgezogen, und der verbleibende Gewinn wird in Form von Kreditrückzahlungen jährlich an uns ausgeschüttet. Kreditrückzahlungen sind steuerfrei. Eventuell vereinbarte Kreditzinsen würden mit der Kapitalertragssteuer besteuert. Die Chartersaison geht in Kroatien von April bis Oktober. Die Auslastung für unser neues Schiff in Trogir beträgt während dieser Monate ungefähr 80 Prozent, was recht gut ist. Der jährliche Gewinn, den wir als Kreditrückzahlung ausgezahlt bekommen, beträgt zirka 30 Prozent des Charterumsatzes. Viele Charterunternehmen geben bezüglich Gewinn und Auslastung beim Beratungsgespräch höhere Zahlen an, die aber nicht mit unseren Erfahrung übereinstimmen. Besser ist es, man plant einen Polster ein und nimmt etwas konservativere Zahlen für sein Modell an.

Nach zwei Chartersaisonen übernimmt der Eigner sein Schiff

Nach zwei Chartersaisonen nehmen wir das Schiff Anfang 2020 aus dem Chartermodell heraus, weil wir auf große Fahrt gehen wollen. Sobald wir das Schiff aus dem Charterbetrieb herausnehmen und es als Privatpersonen von der Charterfirma kaufen, verbleibt der noch aushaftende von uns gewährte Kreditbetrag als Kaufpreis des gebrauchten Schiffs bei der Charterfirma. Dabei handelt es sich um den Preis, den wir für das Schiff nach zwei Chartersaisonen effektiv bezahlen. Durch die vorangegangene Auszahlung des jeweiligen Jahresgewinns der beiden Charterjahre an uns, beträgt der effektive Kaufpreis noch 61 Prozent des ehemaligen Listenpreises für das Schiff. Die 39 prozentige Ersparnis im Vergleich zum Listenpreis setzt sich zusammen aus dem höheren Rabatt bei der Werft, den Chartergewinnen aus zwei Jahren und der noch nicht fällig gewordenen Mehrwertsteuer. Ließen wir das Schiff für weitere Saisonen in Charter, würde sich unser effektiver Kaufpreis in normalen Jahren weiter verringern. Nicht aber in den Covid-19-Jahren. Im Hinblick auf das Chartergeschäft ist unser Glück, dass der Beginn unserer Reise zufällig genau mit dem Beginn von Covid-19 zusammenfällt. Denn von 2020 bis 2021 wäre der Charter-Umsatz mangels Chartergästen eingebrochen - unsere Segelreise können wir aber trotz Covid-19 starten. Bei der Ausrüstung des Schiffs für das Blauwasserleben - wie zum Beispiel Wassermacher oder Energie-Monitoring-System - hilft uns die Charterfirma. Vor der Abfahrt zur großen Reise schauen wir den Profis in Kroatien bei der Wartung der Motoren, Saildrives etc. genau auf die Finger, filmen die einzelnen Arbeitsschritte und lernen, wie wir vieles selber machen können. Die Charterbasis gibt uns nach dem Schiffskauf noch für 2 Jahre wertvollen und unkomplizierten Support über WhatsApp. Schließlich kennen die Mitarbeiter dort unsere Schiffstechnik derzeit noch besser als wir.

Exklaven im Med ohne EU-Mehrwertsteuer

Als wir das Schiff 2020 von der Charterfirma kaufen und es als Privatpersonen anmelden, können wir entweder jetzt vom Zeitwert Mehrwertsteuer zahlen und damit in der EU segeln oder mit dem Schiff binnen 24 Stunden aus den Hoheitsgewässern Kroatiens wegsegeln und keine Mehrwertsteuer zahlen. Nachdem wir auf unserer Reise ohnehin Europa verlassen wollen, entscheiden wir uns für die zweite Variante und unser erster Stopp ist das nahegelegene Montenegro außerhalb der EU. Die Mehrwertsteuer fällt danach an, sobald wir in die Hoheitsgewässer eines EU-Landes fahren. Trittsteine von Kroatien in den Atlantik außerhalb der EU sind beispielsweise auch Albanien, Tunesien, die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta an der Nordküste Marokkos, Gibraltar oder Marokko. Richtung Suez-Kanal bieten sich zum Beispiel Türkei, Nordzypern oder Ägypten an. Auch auf den Kanaren und in den französischen Überseegebieten in der Karibik oder im Pazifik fällt die EU-Mehrwertsteuer nicht an, wenn man auf der Durchreise ist.

Wenn man in die EU zurück segelt, sollte man das Land der Ankunft weise wählen, weil es in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Mehrwertsteuersätze gibt. In Kroatien beträgt der Mehrwertsteuersatz zum Beispiel 25 Prozent, auf den Azoren hingegen nur 15 Prozent. Falls wir mit dem Schiff nach Europa zurückkommen ist der Zeitwert geringer und die zu entrichtende Mehrwertsteuer damit ebenfalls. Und sollten wir das Schiff in einem anderen Teil der Welt verkaufen, werden uns die Käufer dort kaum die EU-Mehrwertsteuer ersetzen. Als wir 2023 in Neuseeland ankommen, könnten wir unser Schiff mit Gewinn verkaufen. Nicht nur wegen des moderaten Kaufpreises unseres Schiffs dank Kaufcharter – auch der Segelkatamaran-Markt hat sich gut entwickelt. Weiters müssten für neue, in Europa hergestellte Schiffe, von Käufern in diesem Teil der Welt hohe Lieferkosten bezahlt werden. Wir verkaufen aber nicht, unsere Reise geht weiter. Nachzulesen unter http://www.sailing-infinity.net.
Fazit:

Ein Kaufchartermodell sollte man sich speziell dann genauer ansehen, wenn man viele Wochen pro Jahr segeln möchte und dadurch die eigenen Charterkosten verringern kann, ohne selbst für die Wartung des Schiffs sorgen zu müssen. Oder aber wenn man so wie wir vorhat, selbst auf große Fahrt zu gehen. Für uns hat sich das Kaufcharter-Modell gelohnt. Im Gegensatz zu einem herkömmlichen Gebrauchtkauf wählten wir die Ausstattung des Schiffs von der Werft selbst aus und zahlten nach 2 Jahren Charterbetrieb trotzdem nur 61 Prozent des Neupreises des Schiffs. Hätten wir den gleichen Schiffstyp in ähnlicher Ausstattung bei Start unseres Segelabenteuers am Gebrauchtmarkt gekauft, hätten wir mehr gezahlt. Unser Schiff konnten wir bei Segeltörns in Kroatien ausgiebig kennenlernen bevor es auf große Fahrt ging, ohne dass wir für Wartung, Liegeplatz, Versicherung etc. sorgen oder zahlen mussten. Die Kosten während dieses Zeitraums wurden von den Chartergästen getragen. Die Schwachstellen des neuen Schiffs wurden dank guter Auslastung von den Gästen rasch gefunden und vom Charter-Unternehmen behoben. Die Spuren, die die Gäste aus zwei Chartersaisonen hinterlassen haben, waren vernachlässigbar. Für manche mag es auch verlockend erscheinen, ein Kaufcharter-Modell als reine Kapitalanlage zu nutzen. Das kann funktionieren, wenn man den Zeitgeist trifft und die Nachfrage nach dem gewählten Schiffstyp während Charterperiode und beim Zeitpunkt des Schiffsverkaufs gut ist. Das muss aber nicht zwingend der Fall sein und dieses Risiko muss man tragen können.

Beim folgenden Beispiel handelt es sich nicht um Abrechnungen von unserem Schiff sondern um die Darstellung von realistischen Zahlen aus der Branche in Kroatien soweit sie mir bekannt sind. Mit dem Alter des Schiffs verringert sich oft auch der jährliche Umsatz.











Zur Home-Page

Page by Bobby Schenk
E-Mail: mail@bobbyschenk.de
URL of this Page is: https://www.bobbyschenk.de/n004/gire.html

Impressum und Datenschutzerklärung