Der Fall "Mensch über Bord" ist
wahrscheinlich die häufigste Todesursache in der Sportschifffahrt. Sie schlägt
scheinbar wahllos zu, ohne Rücksicht auf Alter, Geschlecht, Sportlichkeit oder
gar Erfahrung. Das macht nachdenklich. Es kann nämlich jeden von uns
treffen, auf so eine erbärmliche Art zu enden, zu jeder Zeit.
Dabei wäre es so einfach, daraus den
entgegengesetzten Grundsatz abzuleiten, der da lautet: Es kann niemanden von uns
treffen, zu keiner Zeit!
Die so einfache und preiswerte Lösung
- wir kennen sie alle - heißt "Sicherheitsgurt", mit dem man sich an
die Yacht sichern muss. Es ist mir ein echtes Anliegen, darauf hinzuweisen, dass
gerade die in der Öffentlichkeit häufig geführten Diskussionen um die
Rettungsweste, oder wie sich Laien ausdrücken "Schwimmwesten" und die etwaige Tragepflicht den Blick auf die simple Wahrheit
verstellt haben, dass die Weste erst dann "zum Tragen" kommt, wenn das
Unglück schon passiert ist.
Genauso daneben liegen die zahlreichen
Theorien um das beste Mann-über-Bord-Manöver. Wenn diese Manöver in der
Segelschule intensiv und tagelang (noch dazu unter Segel) gelehrt werden, der
Sicherheitsgurt mit Leine dagegen aber kaum erwähnt wird, dann muss sich doch
dem Anfänger der Eindruck aufdrängen, dass es wichtiger ist, an den im Wasser
treibenden Verunglückten heranzukommen, als zu vermeiden, dass dieser erst gar
nicht ins Wasser fällt, oder sich von der Yacht entfernen kann. Ein wenig
schizophren, oder?
Diese Frage beantwortet sich wohl von
selbst: Soll man ein Unglück von vorneherein vermeiden oder später das Beste
draus zu machen?
Trotzdem kümmert man sich schon in der
Ausbildung weniger um die Unglücksvermeidung als um die entsprechenden
Manöver, einen Mann aus dem Wasser zu retten. Warum ist das so? Ich hoffe
nicht, dass dahinter der Wunsch der Segelschule steht, die Eleven irgendwie zu
beschäftigen, die Ausbildung in die Länge zu ziehen. Zur Lifeline dagegen ist
eigentlich nicht viel zu sagen, nichts zu lehren, so ein einfaches
Vorbeugungsmittel - und so effektiv - ist sie. Möglicherweise hat dieses
Missgewicht bei der Ausbildung etwas mit der geschichtlichen Entwicklung des
Segelsports zu tun. Denn die Segelausbildung hat sich bis vor einem halben
Jahrhundert ja zum größten Teil an Jollensegler gerichtet. Und bei denen ist
es sicher richtig, zu trainieren, unter Segeln wieder an den Mann im Wasser
heranzukommen. Denn bei kenterbaren Jollen verbietet sich der Einsatz von
Einrichtungen, die den Mann ans gekenterte Boot fesseln könnten. Nicht so bei
unseren trägen Kielbooten, die unkenterbar sein sollten und in der Regel auch
sind. Der weit überwiegende Anteil unter den Seglern wird später auf einem
Kielboot unterwegs sein - man denke nur an die zahlreichen Yachteigner und
vor allem an die Massen von Chartersegler.
Fast wird der Fall "Mensch über Bord"
in der Ausbildung - und in Teilen der Fachpresse - als etwas Alltägliches, Unumgängliches hingestellt. Dabei sollte immer wieder
und wieder betont werden, dass dieser Fall nie, niemals eintreten darf. Hier in
erster Linie auf die Rettungsweste statt auf den Sicherheitsgurt hinzuweisen,
ist, als rate man einem Fensterputzer am Wolkenkratzer zu einem Fallschirm statt
zu einem Sicherheitsgurt.
Längst vergessen ist die Tatsache,
dass Rettungswesten in der Seefahrt in erster Linie dazu bestimmt waren,
Schiffbrüchige nach dem Sinken des Schiffes solange über Wasser zu halten, bis
Hilfe gekommen ist. Und dafür sind "Schwimmwesten" auch heute noch zu
gebrauchen. Schuld an der schiefen Betrachtung der Rettungsweste statt dem
Sicherheitsgurt ist aber auch die Presse, sie weiß es halt nicht besser, wenn
sie den Todesnachrichten aus der Sportschifffahrt immer wieder den geistreichen
Satz ans Ende stellt: "Der Verunglückte trug keine Schwimmweste!".
Sie sollte sich da aus dem Straßenverkehr ein Beispiel nehmen, wo es genauso
lapidar, aber richtig in diesen Fällen heißt: "Der Verunglückte war
nicht angegurtet."
Man könnte einwenden, das hieße ja,
man sollte sich immer an die Yacht sichern, den Karabinerhaken immer möglichst
mittschiffs einpicken? Auch bei gutem Wetter?
Ja, genau das heißt es. Was machen wir
denn im Auto, wenn wir nur mal schnell mit der Stadtgeschwindigkeit „50"
zum Einkaufen fahren? Wir gurten uns an. Und ausgerechnet vom Rennfahrer Niki
Lauda stammt sinngemäß der mahnende Satz: "Wer auch nur einen Meter ohne
Sicherheitsgurt fährt, ist nicht normal!"
Tatsache ist, dass die Einführung der Gurtpflicht beim
Autofahren schlagartig die Anzahl der tödlichen Verkehrsunfälle halbiert, Hunderttausende
schwere Gesundheitsschäden verhindert hat. Inzwischen hat der Gurt im Auto,
statistisch schlüssig nachweisbar, Zehntausende von Menschenleben gerettet -
allein in Deutschland. Interessant und bezeichnend für die zitierte menschliche
Vernunft ist, dass die lebensrettende Maßnahme der Gurtpflicht erst mit Zwang,
nämlich mit Bußgeldern durchgesetzt werden konnte.
Wenn ich auf dem Wasser für den
Sicherheitsgurt unterwegs auf der Yacht plädiere, heißt das nicht, dass das Tragen einer
Weste überflüssig ist. Sie schadet nicht. Am meisten aber nützt sie, wenn wir
gleichzeitig mit der Weste den integrierten Sicherheitsgurt anlegen - und uns einpicken!
Das ist die beste aller Sicherheitsvorkehrungen. Danach kommt gleich der
einfache Sicherheitsgurt mit eingepickter Sorgleine, der aber, traurig, vom
Fachhandel kaum noch angeboten wird. Wahrscheinlich, weil man mit dieser
Vorrichtung weitaus weniger Umsatz machen und dem Käufer auch keine
Wartungspflicht alle paar Jahre einsuggerieren kann.
Die drittbeste Lösung, immer noch
besser als das einfache Tragen einer Rettungsweste, ist das Provisorium des
Schottampens um die Hüfte mittels Palstek gewickelt, der ebenso das
Überbordgehen verhindert, sollte eine See ins Cockpit einsteigen und zum
Beispiel den Rudergänger über Bord floaten. Ich habe mehrfach erleben müssen,
dass eine See bei schönem Passatwetter von achtern eingestiegen ist und das
Cockpit randvoll gefüllt und die Insassen auf den Backskisten schwerelos
gemacht hat.
Manchmal verstehe ich es nicht: Da
segeln zahlreiche Yachten bei schönstem Wetter auf der Förde herum und aus
allen Cockpits leuchten die roten Rettungswesten im Sonnenlicht. Eigentlich
spricht das für das Sicherheitsbewusstsein von Crew und vor allem Skipper.
Würde man diese netten Leute fragen, warum sie eine Weste bei diesem schönen
Wetter tragen, bekäme man die Antwort. "Für den Fall, dass ich über Bord
gehe!" Eine zynische Gegenfrage läge mir dann auf der Zunge: "Wollen
Sie denn ins Wasser fallen?"
Aber klar! Es gibt Argumente gegen den
Sicherheitsgurt. Die kommen meist von jenen, die sich gerade eine mehrere
hundert Euro teure ohnmachtsichere Rettungsweste gekauft haben und nicht
einsehen wollen, dass sie sich damit nur für die viertbeste Vorsichtsmaßnahme
entschieden haben und mit viel weniger Geld mehr für ihre Sicherheit tun
könnten. Oder aber sie glauben irrtümlich, dass sie ein
Mensch-über-Bord-Manöver unter allen Umständen beherrschen.

Das
Hauptargument gegen einen "Lifebelt" ist, dass er unter Umständen so ungeschickt
eingepickt ist, dass man trotzdem über Bord
fallen kann, sodass der Mann außenbords hängt. Ja, das ist leicht möglich,
deshalb sollte man nach Möglichkeit die Leine mittschiffs zu sichern.
Aber, gesetzt der Fall, der Mann wird
nach draußen geschleudert und hängt jetzt weitgehend hilflos an der Leine im
Wasser! Ja und? Das ist ja genau der Idealzustand, den man mit einem
Mensch-über-Bord-Manöver erst ansteben möchte. Dass nämlich der
Verunglückte rechtzeitig erreicht wird, und dass es zunächst mal gelingt, den
Mann an der Yacht zu fixieren. Ein prominentes Beispiel: Hätte sich Karl
Vettermann, der Barrawitzka-Autor und extrem erfahrener Fahrtensegler nur so
lässig und keineswegs perfekt mit Gurt gesichert wie auf den Fotos, dann würde
er heut noch leben. Nicht wegen der Rettungsweste, sondern wegen dem
integrierten Lifebelt! Nach den Angaben seiner Mitsegler ist er nämlich
zwischen Barbados und St.Lucia bei gutem Wetter achtern durch den Heckkorb
gerutscht und konnte nicht mehr erreicht werden.
Eric Tabarly gilt als einer der
größten Yachtsegler des letzten Jahrhunderts. Er hat zweimal das
Einhand-Transatlantikrennen gewonnen. Er skipperte Yachten um die Welt. Er wurde
von Charles de Galle als Nationalheld geehrt und gefeiert und konnte auf eine
ganze Reihe von seglerischen Rekordleistungen zurückblicken. Ein einziger
Fehler, der mit Abstand schwerste, überschattet seine Biographie. Am 13. Juni
1998 trug er bei einem Segelausflug keinen Sicherheitsgurt, als er über Bord
rutschte. Ob er eine Weste getragen hat, ist nicht
bekannt - ist auch bedeutungslos, denn seine Leiche wurde erst mehrere Tage
später gefunden.