In
den Wind gesprochen (5):
Wie
verkauft man seine Weltumsegelung?
Der Trimaran-Segler Donald Crowhurst war
bei weitem nicht der erste Blauwassersegler, der sein Publikum an der Nase
herumführen wollte. Der Engländer hatte am ersten Round-the-World-Race
teilgenommen und wollte die Organisatoren (und das weltweite Publikum) glauben
machen, dass er mit Höchstgeschwindigkeit um den Globus brettere. In
Wirklichkeit hatte er den Atlantik nie verlassen. Es wurde viel in diese Fahrt
und in den Tod des Skippers hineingeheimnist (seine Yacht war später seelenlos
im Atlantik aufgefunden worden), aber - trotz: de mortuis nil nisi bene, über
Tote nur Gutes - letztlich entpuppte sich seine Teilnahme als der plumpe
und misslungene Betrugsversuch, einen hohen Geldpreis einzuheimsen.
Seit es Segelreisen gibt, sind Versuche gang und gäbe, die
Öffentlichkeit, die ja unterwegs weitgehend von den Geschehnissen abgeschirmt
ist, zu täuschen. Sei es aus weltpolitischen Gründen, wie es Christoph
Kolumbus getan hat, indem er mehrere, sich widersprechende Logbücher geführt
und veröffentlicht hat, sei es aus banalen Gründen wie Eitelkeit, Gewinnsucht.
Oder auch nur um des Unterhaltungswertes Willen.
Joshua Slocum ist nicht nur der
Urvater aller Einhandsegler, sondern auch der Vorreiter im Blauwasser-Marketing.
Als er 1896 auf seiner Weltumsegelung mit der 11 Meter langen SPRAY Feuerland
erreicht hatte und in den dortigen einsamen Buchten Räubereien durch lokale
Indianer befürchtete, streute er Reißnägel aufs Deck, um den barfüßigen
Ureinwohnern das Besteigen seiner Yacht zu verleiden beziehungsweise sie in die
Flucht zu schlagen. Eine pfiffige Idee, die nur den einen Nachteil hatte, dass
sie nicht wahr war. Slocum selbst räumte später ein, die Reißnägel-Story
erfunden zu haben, um seine Reise "lesbarer" zu schildern. Eine
harmlose Lüge im Vergleich zu dem, was sich manche seiner Nachfolger leisteten.
In "Joshua Slocum" hatte sich der Münchner
Einhandsegler Axel Czuday Mitte der 70er Jahre
umbenannt. Axel war ein wegen gesundheitlicher Probleme zwangspensionierter
Fluglinien-Pilot. Er wollte mit dieser Namensänderung erreichen, dass seine
seglerischen Taten in der Öffentlichkeit mehr Aufsehen erregten. Der PR-Coup
gelang, denn ein Sturm der Entrüstung hob an unter den damaligen "seriösen"
Blazer-Trägern; schließlich galt Slocum als eine Art Heiliger im
Weltumsegeln. Immerhin fand "Joshuas" gelungene Nordostpassage in der
Öffentlichkeit so viel Aufmerksamkeit, dass der STERN ihm eine vielseitige
Reportage widmete. Nicht viele Segler können das von sich behaupten.
War dieser Gag noch einigermaßen harmlos, so wurde es einem
bekannten deutschen Einhandsegler jedenfalls in Insiderkreisen verübelt, dass
er sich während seiner Einhandweltumsegelung in die Gästebücher der besuchten
Clubs in der fernen Welt zusammen mit seiner (weiblichen) Crew (Name bekannt!)
eingetragen hatte.
Dem untadeligen Wilfried Erdmann
erging es genau andersherum: Als er von seiner bravourösen
Einhand-Weltumsegelung zurückgekommen war, glaubte man ihm das schlicht und
einfach nicht, und sogar der damalige Präsident des Deutschen Segelverbandes
sah sich "von Amts wegen" verpflichtet, ausgerechnet Wilfried als Lügner
hinzustellen.
Auch Ulf Peterson, ebenfalls aus
Gesundheitsgründen zwangspensionierter Linien-Pilot aus Schweden, log nicht
direkt, als er erzählte, dass er weit draußen im Pazifik bei seiner
Einhand-Weltumsegelung über Bord gefallen war und ihn eine „zufällige“
Mitseglerin vor dem sicheren Tod rettete, indem sie ihn wieder auffischte.
Auffällig ist es ja schon, dass das Verhältnis zur Wahrheit
gerade bei Einhandseglern mitunter gestört ist. Liegt es daran, dass naturgemäß (jedenfalls
bei echten Einhandtörns) keine Zeugen vorhanden sind? Ich kenne beispielsweise
keine Durchkenterung einer Blauwasseryacht auf hoher See mit mehreren Crewmitgliedern
(von zwei Ausnahme abgesehen: Die französische Yacht Damien kenterte mehrmals
in den Gewässern um Kap Hoorn durch und die Tzu Hang mit den Smeetons). Eigenartigerweise erleben sonst nur
Einhandsegler Durchkenterungen; und die machen sich in ihren Berichten natürlich hochdramatisch
aus. So hat auch Francis Chichester von einer
Durchkenterung berichtet, die seiner Story noch einen zusätzlich spektakulären
Anstrich gegeben hat.
Ambrogio Fogar, ein inzwischen
verstorbener italienischer Segler, war in dieser Hinsicht gar für eine weitere
Überraschung gut. Schon seine erste Non-Stop-Einhand-Weltumsegelung stieß bei
Fachleuten, nicht bei Laien (die
sind fast grenzenlos gutgläubig, wenn es um die Auseinandersetzung mit der
Natur geht), auf Skepsis. Denn wie war es möglich, dass damals, als man zum
Navigieren Sonne, Mond und Sterne brauchte, jemand "nonstop" (wie er
bei einem Vortrag im Winter 74/75 in München behauptete) Tag und Nacht und
ohne Radar viele hundert Meilen durch das berüchtigte Barriereriff segeln
konnte? Wo jede "normale" Yacht damals bei Einbruch der Dunkelheit
einen Ankerplatz aufsuchen musste, da in der Nacht ein Weitersegeln zwischen den
Riffen selbstmörderisch gewesen wäre. Doch mit
der Schilderung von seinem Überbordfallen auf einer späteren
Fahrt setzte Fogar noch eins drauf. Einhand unterwegs, will er über Bord
gefallen sein. Eigentlich das Todesurteil! Nicht so bei Fogar! Es gelang ihm,
die nachgeschleppte Angelschnur zu ergreifen. Um sich sogleich an Bord zurückzuretten?
Nein, das wäre denn doch zu einfach. Vorher versteigt er
sich in seiner Schilderung zu einem bis dahin ungekannten Höhepunkt: An der
Angelschnur im Wasser hängend, konnte er nämlich beobachten, wie seine Yacht
durchkenterte. Erst danach rettete sich der Held an Bord zurück.
Fogar hat versichert, dass dies kein Seemannsgarn ist. Also
ist es wohl wahr!
Man sieht, Segelstories sollten schon ein wenig Pep
enthalten, damit sie gelesen werden. Mit Durchkenterungen und einfachen (echten) Einhandtörns ist
heute kein Preis mehr zu gewinnen; ist ja alles schon mal da gewesen. Das
Publikum ist abgestumpft. Also braucht es für gutes Marketing von
Hochseefahrten in kleinen Booten zusätzliche Komponenten. Was sich in der
Vergangenheit immer bewährt hat, ist ein Forschungszweck oder das Anliegen,
etwas zu beweisen, was der gesunde Menschenverstand bisher ganz anders gesehen
hat.
Der Franzose Alain Bombard
wollte der (wissenschaftlichen) Welt weismachen, dass der Mensch bei Seenot
durchaus Seewasser und den aus Fischen gepressten Saft trinken könne, um nicht
zu verdursten. So überquerte er den Nordatlantik auf der Passatroute von den
Kanaren aus mit einem Schlauchboot. Und ernährte sich unterwegs ausschließlich
von Fischen - und Seewasser. Behauptete er.
Seine - durch ihn selbst - bewiesene Theorie fand einige Ungläubige,
die darauf hinwiesen, dass er nach
53 Tagen für ein paar Stunden auf einen zufällig vorbeikommenden Dampfer
umgestiegen und aus dem Bordrestaurant verköstigt worden sei. Erst anschließend
setzte er für weitere 12 Tage seine Fahrt fort. Der deutsche Hannes
Lindemann schließlich widerlegte die Theorie von Bombard und wies darauf
hin, dass unter Zeugen aus dem Club Nautico der Franzose sich mit 100 Liter Süßwasser
vor Abfahrt eingedeckt habe.
Zahllose Segeltörns sind mit einem Zweck ausgestattet
worden, der mit dem Segeln gar nichts zu tun hat, aber beim Publikum gut
ankommt. Wenn ein Spinner angibt, er möchte sein "Ich" draußen auf
den Weltmeeren finden, dann ist das - möglicherweise - sein ganz persönliches
Anliegen. Aber muss er uns das noch als Geheimrezept zur Persönlichkeitsfindung
mitteilen?
Ich glaube, er muss es nicht. Abgesehen davon hab ich noch
nie in den Weiten der Hochsee Ichs angetroffen.
Gut - pr-mässig - ist auch alles, was mit Naturschutz zu tun
hat. Aber was hat ein Vergnügungstörn auf einem Segelboot mit dem
"Schutze des bedrohten Riffs" zu tun, wenn die Yacht ihren
Schlammhaken zwischen Korallen versenkt?
Bei der Suche nach Sponsoren, (es gibt übrigens auch eine
Menge Segler, die nicht schnorren!) machen sich alle Formulierungen gut, die auf
die edle Gesinnung des Skippers aufmerksam machen. Zum Beispiel, wenn er seinen
Vergnügungs-Segeltörn unter dem Deckmäntelchen des Umweltschutzes segelt.
Also, um auf die bedrohte Tierwelt aufmerksam zu machen. Aber Achtung, viele
Tierarten werden schon durch zahllose Organisationen geschützt; Wale und
Delphine eignen sich nicht mehr. Haie schon eher, weil die, jedenfalls einige
Rassen, zu den gefährdeten Tierarten zählen.
Aber jammern deutsche Fischer nicht über den drastischen Rückgang
ihrer Erträge in den letzten Jahren? Wie wärs also damit, eine Weltumsegelung
unter das Motto zu stellen "Rettet die Heringe!"
Noch besser ist es allerdings, Blauwassertörns als Mittel zu
"verkaufen", um bedrohte Menschen zu retten. Aber Vorsicht,
"Indianer" und "Eskimos" sind werbemäßig schon verbraucht.
Geschickt ist es auch, den "Klimaschutz" in
Anspruch zu nehmen. Ob man nun dezidiert vorgibt, nach den Ursachen des Klimawandels zu suchen, oder einen Segeltörn
ganz allgemein zum Schutze des Klimas unternimmt, ist egal. Zuverlässig fällt
die Öffentlichkeit darauf herein.
Schließlich hat sie ein notorisch schlechtes Gewissen wegen der hohen
CO2-Emission ihres viersitzigen Autos, das meist nur von einer Person bewegt
wird, oder wegen der nach Elektrizität dürstenden Standby-Schaltung des
Fernsehers. Wobei es, das nur nebenbei, wenig stört, dass bei Außentemperaturen
von unter Null, also völlig unnötig, ein wirklich gieriger Kühlschrank in der
25 Grad warmen Küche betrieben wird, der hundertmal mehr Strom verheizt, als es
das kleine rote Lämpchen am Fernseher jemals schaffen könnte.
Nicht so auf einer Segelyacht, die sich mit Windeskraft
fortbewegt! Da wird Solarstrom oder Windkraft von den Seglern eingesetzt. Heißt
es.
Die Realität auf den Weltmeeren allerdings sieht anders aus.
Nur ganz kleine Yachten und besonders sparsame Skipper schaffen das Kunststück,
sich energiemäßig ausschließlich mittels Wind und Sonne zu versorgen. Ein
Skipper erzählte mir ungeniert: "Auf meiner Segelyacht wird immer dann die
Maschine angeschmissen, wenn die Geschwindigkeit unter drei Knoten absinkt. Und
dann läuft die Maschine schon mal drei, vier Tage!" Wobei auf einer
Segel-, selbstverständlich auch auf einer Motor-Yacht, meist ein Katalysator
oder auch nur ein feiner Rußfilter Fremdworte sind. Die Abwässer (Fäkalien,
Waschmittel), ja auch normale Abfälle, gehen ungeklärt ins Meer. Und wenn sich
schon eine Crew die Mühe macht, die leeren Dosen, Plastikflaschen und sonstigen
Müll zu sammeln und den Einheimischen auf der lieblichen Südseeinsel sozusagen
als Gastgeschenk mitzubringen, dann wird der Abfall bald über die Böschung ins
Meer geschoben oder auch verbrannt, also als giftiges Gas in die Atmosphäre
geschickt.
Aber selbst wenn man keinerlei materielle Vorteile mit seinem
Vergnügen sucht oder en passant mitnimmt, kann man einen Blauwassertörn
"aufbessern", um mit irgendwelchen Medaillen ausgezeichnet zu werden.
Sehr vorteilhaft ist zum Beispiel folgende Formulierung in der Törnbeschreibung:
"Abseits der üblichen Trampelpfade!" Das geht immer, denn irgendeine
Insel oder Bucht liegt schon auf dem Weg, die selten angelaufen wird. Damit
adelt man seine eigene Reise als eine Art Pioniertat und stempelt seine
Mitbewerber als Herdentiere ab! Den gleichen Zweck erreicht man mit: "Nicht
auf der Barfußroute!"
Nonstop-Reisen stehen beim diesbezüglich ahnungslosen
Fachpublikum immer höher im Kurs. Zeitgemäß ist es, seinen Törn als
Non-Stop-Reise mit "technischen Stopps" zu deklarieren, Hauptsache das
Wort Non-Stop kommt vor. Und Solo-Reisen haben bekanntlich bei Vergabeausschüssen
gute Karten. Wer wird da schon so kleinlich sein, dem Skipper vorzurechnen, auf
wievielen Meilen er nicht allein an Bord war. Und macht eine nette Mitseglerin,
die sich nur um das körperliche Wohl des Skippers kümmert, eine
Einhandweltumsegelung schon zu einer ganz gewöhnlichen Segelreise?
Der sympathische Berliner Weltumsegler Peter
Bufe, der in den siebziger Jahren mit seiner Frau die Welt umsegelt hat,
meinte einmal augenzwinkernd: "Ich bin der einzige echte
Einhand-Weltumsegler!" Recht hatte er; er hatte im Krieg einen Arm
verloren.
Man kann aber seine Reisen auch so verkaufen, wie es der
verstorbene Engländer Eric Hiscock getan hat,
indem er mehrfach schrieb: "Der Törn war so, wie ein guter Törn zu sein
hat: Uneventful!"
Also ereignislos, ohne besondere Vorkommnisse. Und siehe da,
auch das funktioniert. Eric Hiscock ist der erfolgreichste Segelautor aller
Zeiten!
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