In
den Wind gesprochen (10):
Einsteigen,
bitte!
Gewiss,
das Thema hatten wir schon. Jedenfalls zum Teil. Auf dieser Webseite ist es
bisher fast immer ums Aussteigen gegangen. So, als ob damit alles erledigt wäre.
Aussteigen,
sich
also
in das
Schneckenhaus einer Yacht zurückziehen und ein
angenehmes Leben
führen, am besten auf den schönsten Ankerplätzen der Welt.
Wenn
ich eine Rangliste der Themen aufstelle,
die in den tausenden von Mails der letzten Jahre
am häufigsten angesprochen
wurden,
dann führt mit Abstand - neben der Erkundigung, was das Leben auf einer Yacht
kostet
-
die Frage, ob jemand "noch" mit soundsoviel Jahren auf Weltumsegelung
gehen kann. Wobei das Wort "weltumsegeln" sich häufig hinter
Formulierungen versteckt wie "zurückziehen", " auf dem Wasser
leben" oder ganz direkt "aussteigen". Ich nehme es niemandem
übel, wenn ER,
seltener SIE,
nicht weiterdenkt. Aber je älter (und weiser) man wird, umso
mehr wird einen auch die Frage umtreiben,
was anschließend wird. "Auf See geblieben" klingt ja ganz heroisch,
und es gibt sicher auch Fälle, wo jemand dieses Schicksal gesucht hat. Wer weiß
schon, warum und wie Joshua Slocum, Donald Crowhurst, Dr. Jörgen Meyer, Alain
Colas, um nur einige der Seeheroen zu nennen, ihr Leben verloren haben, wenn sie
draußen im Meer geblieben sind?
Treibt
man sich jahrelang auf den Ankerplätzen herum, wo Weltumsegler gemeinhin einen
Stopp einlegen, begegnet man immer wieder Menschen,
die sich den Traum von der großen Freiheit erfüllen wollten und plötzlich
realisieren, dass sie keineswegs die Freiheit erleben, von der sie geträumt
haben, sondern ihr
Traum in einen Albtraum gemündet ist. Ein
Albtraum, aus
dem es kaum noch einen Ausweg gibt. Das Schiff ist alt geworden, unverkäuflich
trotz jahrelanger,
zeitaufwendiger Pflege. Die Aktien, die den Lebensunterhalt finanzieren sollten
- "ich war mal reich" - sind ins Bodenlose gefallen,
und die Mieter sind aus der Eigentumswohnung ausgezogen, was nicht weiter
schlimm wäre, wenn die Miete weiter auf dem Konto erscheinen würde. Die
Schiffsversicherung wurde gekündigt, und eine Krankenversicherung gibt es ab
einem bestimmten Alter eben nicht mehr, auch wenn man Mitglied im Transocean
ist. Wäre ja auch kein Problem, wenn man nicht anfangen würde,
zu kränkeln. Die Zähne, die neue Brille, die Vorsorge, kurzum: Aus der Freude
am Yachty-Leben ist eine Belastung geworden. Letzter Ausweg: Schiff verkaufen
und ins nächste Flugzeug steigen.
Das ist der meist
unerfüllbare Traum vieler Hängengebliebener,
die ursprünglich mal die Welt umsegeln wollten.
Leider
haben immer mehr Segler die Idee, das Alter auf dem Wasser zu
verbringen,
was sich über
kurz oder lang in
den zahlreichen Schildern am Ankerplatz und in den noch preiswerten Marinas
niederschlägt: "Zu verkaufen", "for sale" oder "à
vendre". Um es mal brutal zu bebildern: Bei einem Segler aus Hamburg endete
der Traum von der großen Freiheit in der Saling mit einem Strick um den Hals.
Und das ist bei weitem nicht der einzige Selbstmord eines deutschen Seglers,
der mir bekannt ist.
"Quidquid
agis...respice finem" wußte schon der Lateiner - was immer Du tust,
bedenke das Ende. Wenn jemand also fragt, ob er noch(!) um die Welt segeln kann,
möge er auch den wichtigeren Plan B, nämlich "das Einsteigen",
vorhalten: Was mache ich, wenn's schief läuft, wenn unterwegs die Gesundheit
nicht mehr mitmacht, wenn die Frau nicht mehr mag, wenn ich das Schiff
aufs Riff setze, wenn das Geld von zu Hause ausbleibt, wenn ich also vom
Aussteigen aussteigen
will?
Ein
paar schüchterne Ratschläge fürs zwangsläufige Einsteigen
auf Grund meiner Erfahrung:
Tipp
1: Wer nicht unbeschränkt über Geldmittel verfügt, sollte insbesondere nicht
sein ganzes Vermögen in ein Schiff investieren.
Schiffsverkäufer lügen, wenn sie den Leuten erzählen, dass sich genau dieses
Schiff nach ein paar Jahren leicht und gut verkaufen
lässt.
Lieber ein altes gebrauchtes Schiff nehmen, dann kann
man
sein Geld nach ein paar Jahren wenigstens
in etwa zurückzubekommen
- wenn man Glück hat. Ausgediente Charterschiffe von renommierten Firmen haben
tausende Chartergäste überlebt, sie werden auch die älteren Weltumsegler noch
überstehen.
Im übrigen: Ein teures Schiff ist noch lange kein
gutes
Schiff. Ich bin jedes Mal aufs
Neue fasziniert,
wenn sich bisher erfolgreiche Geschäftsleute (und ihre Frauen) auf
Millionen-Yachten von den zugegebenermaßen wunderbaren Holzarbeiten blenden
lassen und sich
genau
die gleiche Technik anschaffen, die sich auch in den sogenannten Billigschiffen
findet. Da kaufen auch hartgesottenene Geschäftsleute mit dem Auge und nicht
mit dem Verstand.
Selbst
erlebte Beispiele gefällig: Ein Top-Geschäftsmann kauft sich - wegen der
Palmen in der Südsee - auf der BOOT einen Traum von einem (Stahl-)Boot;
er
kommt genau bis zum Bahnhof von Ostende, wo über die Jahre hinweg die
Luxusyacht zum Schrotthaufen mutiert. Ein
erfolgreicher Selfmademan
mit einem Juwel von Fabrik in seinem Besitz, der den Ehrgeiz hat,
die vollkommene Yacht zu schaffen, kommt gerade bis
Mallorca und sein Leben endet in einer Einzimmerwohnung. Ein
erfolgreicher Mittelständler buttert sein ganzes Geld in ein neues Schiff aus
namhafter Werft; es muss mehr als ein Montagsschiff gewesen zu sein. "Das
Schiff droht auseinanderzufallen, lebensgefährlich für eine
Weltumsegelung" schreibt er,
und seine Verzweiflung, nicht nur am Schiff, sondern auch am Leben,
ist zum Greifen.
Tipp
2: Nicht damit rechnen, dass man als über 50-jähriger nach dem Einsteigen
wieder einen guten Job bekommt. Da warten nämlich schon hunderttausende Langzeitarbeitslose
drauf,
die
die letzten Jahre nicht in der Sonne auf dem Ankerplatz gefaulenzt haben.
Tipp
3: Anwartschaften für Versicherungen weiterlaufen lassen. Jahre später mit
entsprechenden Alterserscheinungen werden Krankenversicherungen unbezahlbar.
Tipp
4: Nicht auf den Rat von Bankern bei der Geldanlage hören. Erinnern Sie sich
noch: "Immobilien behalten immer ihren Wert!" oder: "Ja nicht
Gold kaufen!" Haha!
Tipp
5: Nicht damit rechnen, dass man "im Notfall" Chartergäste mitnehmen
kann. Die Idee haben schon Tausende
zuvor gehabt,
und die paar hundert potentiellen Gäste sind längst abgegriffen.
Tipp
6: Nicht damit rechnen, dass man unterwegs schon Arbeit finden
wird,
wenn Not am Mann ist.
Tipp
7: Nicht damit rechnen, dass man von Zinsen leben kann.
Beim derzeitigen Zins um die 2 Prozent bräuchte man schon an die eine Million,
um davon leben und das Schiff unterhalten zu
können.
Tipp
8: Immer damit rechnen, dass man aus dem Traum von der großen Freiheit auf den
Weltmeeren schon
morgen jäh
erwachen
und sich
ein
paar Tage später auf dem Flughafen Frankfurt wiederfinden
könnte.
Und dann?
Dieses
Mail
fand ich heut in meinem POSTEINGANG:
"Den
Gedanken an eine Weltumrundung habe ich noch nicht aufgegeben, aber wenn, dann
wird's halt so ein Rentner-Luxustörn, also mit gesicherten finanziellen Verhältnissen...
Geträumt hatte ich es mal anders, aber mit Kindern wollte ich es dann doch
nicht riskieren, deren und meine berufliche Zukunft auf's Spiel zu setzen und
alles aufzugeben.... Aber auch wenn es alles nichts wird: ich durfte mein Leben
lang diesen schönen Traum vom Leben unter Segel (oder besser: vor Anker an
tropischen Eilanden) träumen. Das war mir schon so oft Motivation und hat mir
in manch schwerer Zeit so viel Auftrieb und Energie gegeben, dass das alleine
schon mehr wiegt als die mögliche Realisierung später. Traurig, wer nicht so
einen erfüllenden Traum haben kann!"
Ein
schönes Mail.
Für diesen Freund hab ich nicht in den Wind gesprochen.
Bobby
Schenk

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