In
den Wind gesprochen (14):
Gefährliches
Blauwassersegeln - Hirngespinste?
Stellt
man eine Reihenfolge der Gefahren beim Blauwassersegeln auf, so steht das
unverzeihliche.Überbordgehen an erster Stelle - siehe das Ende des grandiosen
Eric Tabarly. Die größte Gefahr geht vom Segler selbst aus.
Schiffsuntergang, Explosion oder gar Kollision mit einem Wal folgen in dieser
Liste des Grauens. Aber Mord und Totschlag, ja auch ein Piratenüberfall, haben in
dieser Aufzählung nichts zu suchen, wenn man auf die Häufigkeit der Geschehen
anspielt.
Und
trotzdem: Die Weltpresse dreht auf Hochtouren, wenn sich das Thema Weltumsegeln
sich mit einem Verbrechen kombinieren läßt. Hat da nicht ein Segler die ganz
große Freiheit gesucht und dabei den Tod gefunden? Ist es also nicht ungefährlicher,
zu Hause im Lehnstuhl zu sitzen und andere die Abenteuer bestehen oder nicht
bestehen zu lassen? Fragt man sich zufrieden - und selbstgefällig.
Tatsächlich
hat es - auch in jüngster Vergangenheit - grauenvolle Ereignisse gegeben.
Da wurde ein Schweizer Segler auf Weltumsegelung von einem Krokodil ertränkt,
ein Münchner Chartersegler in den Gewässern der Capverden von einem Hai
getötet, ein holländischer Segler in Venezuela von Räubern erschossen und in
Thailändischen Gewässern ein Skipper von zwei Burschen mit dessen eigenem
Gewehr ermordet. Dass auf dem Weg ins Rote Meer oder nach dem Süden Yachten
angegriffen und die Mannschaft erschossen wird, oder im besseren Fall als
Geiseln genommen wird, ist ja schon alltäglich. Vor einiger Zeit sind ein
(deutscher) Skipper und seine Freundin von Yachtanhaltern getötet worden und auf
einer Insel nordwestlich von Tahiti wurden die Yachteigner (ebenfalls von
Yacht-Trampern) umgebracht und am Sandstrand verscharrt.
Zu
Höchstform ist jedoch eine gewisse deutsche Presse (die ausländische kann ich
nicht beurteilen) im Falle des bedauernswerten Stefan Ramin aufgelaufen, eines
tüchtigen Seglers
aus Deutschland, der sich mit seinem Aluminium-Katamaran auf Weltumsegelung
befand und auf den Marquesas-Inseln (Französisch Polynesien) möglicherweise Opfer eines
Verbrechens wurde. Das Besondere daran -
zusätzlich zu den Elementen: Südsee, Paradies, Weltumsegelung, Aussteiger -
war wohl die Tatsache, dass eine Feuerstelle gefunden wurde, mit der, vorsichtig
vermutet, der Täter versucht hat, die Spuren seines Verbrechens zu beseitigen.
Anlass genug für die erwähnte Presse, sich in dem schauerlichen Begriff
"Kannibalismus" geradezu zu suhlen - online und gedruckt. Die Boulevardpresse (BILD)
titelte mal gleich vorweg: "Nuku Hiva – Die Insel der Kannibalen" (BILD:
Inseln_der_Kannibalen)
und fragte (scheinbar) besorgt: "Die ganze Welt blickt entsetzt auf die Pazifikinsel Nuku Hiva. Der grausame Verdacht: Der deutsche Urlauber Stefan R. (40) wurde in Teilen von einem Einheimischen
aufgefressen." (BILD:
Noch_heute_Kannibalen?).
Der SPIEGEL sprach in der Überschrift - vornehm zurückhaltend wie es sich für
eine seriöse Presse geziemt : "Kannibalismus-Verdacht in Polynesien"
(SPIEGEL_Kannibalismus?).Und
die Süddeutsche Zeitung (SZ) schlug in die gleiche Kerbe: "Nun wird ein deutscher Weltumsegler vermisst und eine Feuerstelle mit menschlichen Überresten legt einen schrecklichen Verdacht
nahe"(SZ:
Der Verdacht).
Mehr
ein Schönheitsfehler, aber doch irgendwie bezeichnend für die
Schlampigkeit der Recherche (Geld für ein Telefongespräch mit Nuku Hiva war
wohl nicht drin), ist
es denn auch, wenn der
SPIEGEL titelt: "Hier verschwand Stefan R.: Nuku Hiva,
Hauptinsel der Marquesas-Inseln" (SPIEGEL
am falschen Tatort).
Nahezu jeder Weltumsegler hat dieses Motiv in seinem Album oder Logbuch. Denn es
zeigt einen der schönsten Ankerplätze auf der Welt. Hier aber mit besagtem Schönheitsfehler: Es handelt sich
eine ganz andere Insel, nämlich um die Insel Fatu Hiva, runde 300
Kilometer vom angeblichen Tatort entfernt, siehe die anderen Bilder von Nuku
Hiva (zum Beispiel links.
Die
SZ rudert dann doch zurück, so nach dem Motto "zwei
Schritte vorwärts, einen Schritt zurück": "Verbrechen in der Südsee "Kannibalismus?
Hirngespinste!"
Das in der Presse so beliebte entschärfende Fragezeichen hinter obskuren
Überschriften zeigt aber, dass die angeblich so seriöse Süddeutsche sich so ganz von
ihrem Lieblingsthema nicht verabschieden will, obwohl sie selbst in den
nächsten (sehr kleingedruckten) Zeilen die Kannibalismusthese ad absurdum
führt: "Im Fall des in Französisch-Polynesien vermissten Weltumseglers bleiben viele Fragezeichen. Doch die Ermittler können zumindest eines ausschließen: dass der Deutsche Opfer eines Kannibalen wurde. Entsprechende Berichte seien absurd."(SZ:"Hirngespinste")
und: "Die Ermittlungen deuten auf
keinen Fall auf Kannibalismus hin", sagte
Staatsanwalt José Thorel in Papeete, der Hauptstadt...Medienberichte, in denen
der Tourist bereits als Opfer von Kannibalismus
beschrieben wurde. Es handele sich um "typische Hirngespinste..."
Ich
war insgesamt viermal auf den Marquesas-Inseln, zum Teil monatelang. Auf den Hauptinseln Fatu Hiva, Hiva Oa
(Chansonnier Jacques Brel hat dort seine letzte
Heimat gefunden) und auf Nuku Hiva, dem Ort des Verbrechens. Diese Inselgruppe
ist landschaftlich wohl genau das, was sich Europäer unter dem romantischen Begriff "Südsee" vorstellen, weshalb wohl auch dort (Hiva Oa) Paul
Gauguin seine letzten Lebensjahre verbracht hatte. Die prägnanteste
Beschreibung der atemberaubenden Schönheit der Gegend stammt wohl von Bernard Moitesssier, der
die dortige Inselwelt so beschrieb: "Das große grüne Schweigen!". Was
mich wirklich erbost, ist, wie unsere Presse auch die sogenannte
"seriöse" (ist das jetzt die BILD oder die Süddeutsche, oder der
Spiegel?) mit den liebenswürdigen und unglaublich gastfreundschaftlichen
Einwohnern der Marquesas-Inseln umgeht. Es handelt sich um
französische Staatsbürger, EU-Bürger, die wirklich rein gar nichts dafür können, dass
sich dort so ein Verbrechen ereignet hat. Selbst wenn man davon ausginge, dass der
in der gesamten deutschen Presse verbreitete Verdacht stimmen würde, wäre es mit
der oft zitierten Journalisten-Ethik unvereinbar, Nuku Hiva als
"Kannibalen-Insel" zu bezeichnen. Wie müßte man nach
dieser Logik Deutschland nennen, wenn man an den (wegen Mordes verurteilten) "Kannibalen
von Rotenburg" denkt?
Und
das Verbrechen? Die Morde an den Yachtsleuten? Bitte Kirche beim Dorf sein
lassen: In Deutschland passieren jedes Jahr mehr Verbrechen, als Yachtsleuten in Jahrhunderten
widerfahren sind. Ist Blauwassersegeln also in der Regel ungefährlich?
Ja, wenn man sich von den bekannten Orten fernhält, wo die Anzahl von Verbrechen das
statistisch normale Maß übersteigt, also zum Beispiel die Gewässer
Richtung zum oder vom Roten Meer, Venezuela oder auch Kolumbien: Das sind NoGo-Aereas,
und die sind unbedingt zu meiden. Andernfalls heißt es, ohne zynisch zu sein: "Selber
schuld!".
Aber, ich weiß schon, für einige Weltumsegler ist dies in den Wind
gesprochen.
Bobby
Schenk

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