In
den Wind gesprochen (22):
Ist
Segeln nicht mehr zeitgemäß?
Eines
meiner schönsten Hobbies ist die Positionsfindung mittels Gestirnen und
Sextanten. Und an Bord gehört es zu den aufregendsten Momenten, wenn beim
Landfall klar ist, dass die astronomischen Berechnungen stimmig, richtig waren.
Wobei es gleichgültig ist, ob das richtige Ergebnis mit dem Computer oder mit
speziellen Tafeln erzielt wurde. Die Zeiten sind allerdings schon lange vorbei,
in denen man mit erhobenem Zeigefinger vor dem Gebrauch eines elektronischen Rechners
oder vor dem Computer warnte: "Elektronik kann versagen".
Gut,
zahlreiche Hochseetörns werden heute ohne Astronavigation durchgeführt,
wogegen nicht viel zu sagen ist. Denn das GPS ist heute so zuverlässig und so
selten ungenau oder gar funktionsunfähig, dass man einen derartigen Fall
ernsthaft wohl nicht in Erwägung ziehen muß. Und doch: Einer der Grundsätze
in der Navigation lautet, dass man immer über ein Backup-System verfügen
muß. Außerhalb Landsicht kann dies an Bord von Yachten auch heute noch nur die
Navigation mit Hilfe der Gestirne sein. Zum richtigen Standort der Yacht führen
zwei Wege: Ein gutes Computerprogramm oder - weniger störanfällig,
umständlicher und zeitaufwendiger - die Verwendung von Hilfstafeln. So haben
in den vergangenen Jahrzehnten hunderttausende Segler die "Astro" mit
Tafeln erlernt - für diese Zahl könnte ich anhand der Auflagenhöhe meiner
Bücher den Beweis
antreten, allein "Astronavigation ohne Formeln - praxisnah" ist in der dreizehnten
Auflage. Zumal "die Tafeln" der billigere Weg sind, denn die kann -
immer noch - jedermann kostenlos aus dem Internet herunterladen: Dazu hier klicken. Sie sind auch noch zeitgenau, wie die
Ausgabe "Epoch 2010" für die Sterne (selected stars), die auch das
Jahr 2012 umfasst. Also, GPS mit oder ohne Astro - suum cuique, jeder nach seinem
Geschmack! Aus diesem Grunde ist in Deutschland die Astronavigation immer
noch Prüfungsfach bei Segelschein-Prüfungen(anders dagegen bei der
amerikanischen Navy). So weit so gut.
Sehr
erstaunt war ich allerdings als ich nachlesen konnte, dass in den
Scheinprüfungen des Deutschen
Seglerverbandes die Verwendung der "HO-Tafeln" nicht nur nicht mehr
gefordert, sondern verboten ist. Wieso das denn? Das erklärt uns der DSV so:
Weil dies nicht mehr "zeitgemäß" ist! Ich bin der Letzte, der
Taschenrechnern gegenüber in der Navigation misstrauisch ist. Aber die Verwendung
von Rechnern
ist - in dieser Allgemeinheit - nicht schneller oder sicherer als die geübte
Handhabung von Tafeln. Anderes gilt nur für Rechner mit einem entsprechenden
Rechenprogramm, das dann aber auf seine Richtigkeit auch überprüft sein müsste. Im
Übrigen ist nicht zutreffend, dass die Benutzung eines Taschenrechners heute
Standard ist, denn viel bequemer und schneller läuft die Berechnung mittels
Computer, also mit Notebook oder Taschenrechner, beide mit entsprechendem
fehlerfreien Programm. Aber selbst wenn: Man stelle sich vor, der Prüfling
behauptet, dass sein Rechner das richtige Ergebnis erbracht hat, obwohl es
sich von der Musterlösung erheblich unterscheidet. Wer hat Recht und mit
welcher Begründung? Mit welchem Recht nimmt sich der DSV heraus, ein Hobby (für viele
Segler ist die Astro mit Tafeln ein Steckenpferd, das sie recht zeitaufwendig
gelernt haben) als "nicht mehr zeitgemäß" abzuurteilen? Ich hab
sicher 10 Jahre lang keinen Takling mehr genäht, der Heißschneider erzielt im
Ergebnis denselben Effekt der Tampensicherung. Kann man deshalb Spleißen und
Takeln als "nicht zeitgemäß" einstufen? Oder ist gar der Einsatz von
Papierseekarten "nicht mehr zeitgemäß", nur weil die Arbeit mit der
elektronischen Seekarte schneller und effektiver ist, vielleicht auch
zuverlässiger funktioniert, schließlich wird der Schiffsort automatisch in die
Karte eingetragen.
Fragt
sich, warum der DSV zu solch einer Einschätzung kommt. Schließlich tut es doch
niemandem weh, wenn ein Prüfling die "HO-Tafeln" benutzt. Oder doch?
Kann es vielleicht sein, dass der Prüfungsausschuß oder wem auch immer diese seltsame Prüfungsordnung
zu verdanken ist, keine Ahnung von den
Astro-Tafeln und dem Umgang mit ihnen hat, die Rechenergebnisse also gar nicht werten
kann? Einiges deutet darauf hin. Denn die "HO-Tafeln" (wie es in der
DSV-Entscheidung heißt) gibt es seit Jahrzehnten gar nicht mehr, diese
Bezeichnung ist schon lange abgeschafft. Heute heißen die Tafeln
"NO-Tafeln" (PUB.NO.249), was dem Ausschuss offensichtlich nicht
einmal bekannt ist. Zugegeben, der Ausdruck "HO-Tafeln" wird allgemein
immer noch gebraucht, richtiger wird er deshalb nicht. Eine
"amtliche" (der DSV ist immerhin vom Staat beliehen) Verlautbarung
verlangt nach Präzision.
Oft
habe ich mir schon die Frage gestellt, für was der DSV mit seinen
zahlreichen Funktionären für uns Fahrtensegler eigentlich gut ist? Viel
Positives kann ich da nicht finden. Das durchorganiserte einstige Scheinsystem mit R-, K- und C-Schein gibt es schon lange nicht mehr, es ist dem
DSV nicht gelungen, den Staat daran zu hindern, ein eigenes System zu
installieren. War alles für die Katz. Immerhin wurde unser Verband vom Staat
mit der Abhaltung von Schein-Prüfungen beliehen. Dabei ist man aber davon
ausgegangen, dass der DSV sachkundige Prüfer stellen kann. Was jedenfalls beim
obigen Thema zweifelhaft ist. Erhebt sich die Frage, ob der Deutsche
Segelverband so noch zeitgemäß ist? Aber das ist selbstverständlich in den
Wind gesprochen.
Bobby
Schenk
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