In
den Wind gesprochen (29):
Das
Wunder
der Polynesischen Navigation
Diesen amüsanten Leserbrief möcht ich
Ihnen nicht vorenthalten, zumal das Thema immer wieder Gegenstand wildester
Spekulationen ist:
"Hallo Bobby Schenk,
mit großem Mißvergnügen habe ich gerade die Lektüre Ihres Buches "Transatlantik in der Sonne" abgeschlossen, das mir ein Freund geliehen hatte. Gekauft hätte ich es ohnehin nicht, weil Ihre überhebliche Art zu schreiben, keinen Euro wert, ja durchwegs ärgerlich ist.
Zugegeben, die seglerische Leistung, auf eine Atlantiküberquerung zu gehen, ohne irgendein Navigationsinstrument
mitzunehmen (das glaub ich Ihnen, denn bei acht Teilnehmer wäre es schwer sowas unter der Decke zu behalten) ist respektabel. Aber die Fehlschlüsse, die sie daraus ableiten, sind doch absurd. So leugnen Sie ganz einfach die Kunst der alten Polynesier, über tausende von Seemeilen nur nach Sternen zu navigieren. Dabei ist dies doch längst mehrfach bewiesen. Sie hätten doch nur nach der "Polynesian Voyaging Society" googeln müssen, dort steht doch alles drin. Insbesondere haben die doch den Beweis in der Praxis erbracht, dass die Sternennavigation der damaligen Polynesischen Navigation funktioniert hat, und zwar durch die Fahrt des Kanus Hokule'all von Hawai nach Tahiti in 1976, die durch Sternenbeobachtung das Ziel gefunden haben.
Vielleicht kommen Sie mal runter von ihrem hohen Roß und denken darüber
nach!"
Freilich
denke ich darüber nach, unentwegt! Wir hatten "Polynesische
Navigation" zwar schon mal, aber ich gehe gerne - mit neuen Argumenten -
nochmals darauf ein. Der Ansatz dürfte bekannt sein: Wie konnten die
"alten" Polynesier im Pazifik über riesige Strecken, mehrere
tausend Meilen, navigieren, ohne dass ihnen Kompass, Uhr, Sextant oder
Seekarten zur Verfügung standen?
Denn eines ist sicher: Sowohl die Menschen
in Hawaii, als auch die Bewohner auf der Oster-Insel (Foto) sprachen bei Ihrer
Entdeckung durch europäische Seefahrer ungefähr so, wie es die Leute aus
Tahiti (damals "Otaheite") taten. Diese Tausende von Seemeilen
voneinander entfernten Inseln mussten also von Westen her (wie man heute auf
Grund von DNA-Spuren auch sicher weiß) besiedelt worden sein. Die einst sehr
populäre These von Thor Heyerdahl (Kontiki), eine Besiedelung sei von
Südamerika aus erfolgt, ist also längst widerlegt!
Die
Tahitianer kennen keine geschriebene Sprache. Eine schriftliche Überlieferung
gibt es nicht. Aber auch eine mündliche Weitergabe bis in die heutige Zeit
von irgendwelchen Navigationsgeheimnissen hat wohl nicht stattgefunden. Denn
längst wären deren Ergebnisse aufgeschrieben worden. Zumal man sich mit dem
Thema "Polynesische Navigation" seit Hunderten von Jahren
beschäftigt, genau seit den Entdeckungen im Südpazifik. Und damit ist
reichlich Platz für Theorien, Träumereien und Thesen. Die alle beweisen
sollen, wie die Menschen in der Südsee zielgerichtet Insel für Insel
entdeckt und vor allem wiedergefunden haben. Dass dazu eine ernsthafte
Navigation notwendig ist, liegt auf der Hand und so werden munter
Navigationstechniken präsentiert, nicht nur auf dem Papier, sondern auch in
praktischen Versuchen. Dazu gehört auch die von Ihnen erwähnte Fahrt des Kanus Hokule
von Hawaii nach Tahiti, veranstaltet von der Polynesian Voyaging Society. Die
Bezeichnung dieser Gesellschaft deutet auf was Institut- oder gar Universitätsähnliches hin,
sollte also was Wissenschaftliches sein.
Tatsächlich handelt es sich um eine Art privater Verein, gegründet von einem
Anthropologen, einem Künstler und einem Segler. Und dass die Hokule "blind" Tahiti gefunden hat, ist
nicht besonders aufregend, denn zwischen Hawai und Tahiti liegt der Gürtel
der Tuamotus, bestehend aus über 70 Inseln, den zu vermeiden und durch ihn
durchzusegeln ganze Flotten von Blauwasserseglern in der GPS-losen Zeit mit Hilfe
von Sextant, Seekarten und Kompass versucht haben. Und wenn man mal ein Inselchen in Sicht auf Grund
von Ortskenntnis identifiziert hat, ist es mit dem heutigen Wissen
kein Kunststück mehr, sich nach Tahiti auf der anderen Seite des Gürtels
durchzuhangeln - auch ohne Sextant und Kompass. Einen der Mitsegler auf der Hokule,
den mitteilsamen Tahitianer Rodo Williams (Photo), habe ich während meiner vieljährigen
Aufenthalte in Tahiti näher kennengelernt und mit ihm oft über die "alte
polynesische Navigation" gesprochen. Aber greifbare Hinweise auf die
Geheimnisse seiner Vorfahren konnten mir weder er noch andere Tahitianer
geben, außer so lapidaren Erkenntnissen, dass man aus dem Wellenbild oder an
der Farbe der Wolke auf eine Insel unter der Wolke schließen könne, ebenso
beim Auftauchen von Landvögeln.
Es
gibt eine Reihe von Erklärungen der "polynesischen Navigation",
bisweilen mystischer Art. Dazu sollte man sich vergegenwärtigen, dass
Winkelmessungen ohne Instrumente auf einem schwankenden Schiff so gut wie
ausgeschlossen sind, dass exakt der gleiche Sternenhimmel wie über Tahiti ein
paar Stunden zuvor in Südamerika und wiederum ein paar Stunden danach in Afrika zu beobachten, eine "Leitsternnavigation" also nur äußerst unpräzise
und deshalb untauglich ist.
Auch
ein wirklich großer Segler und Kenner Polynesiens, nämlich Bernard
Moitessier meldet Zweifel an. In seinem Buch "Kap Horn, der logische
Weg" schreibt er:
"Aber vor allem fühlt man sich beeindruckt von dem ungeheuren Geheimnis der
polynesischen Wanderungen, die es diesem Volk möglich gemacht haben, den Stillen
Ozean über Entfernungen ohnegleichen zu bewältigen, nur mit Auslegerkanus und
einem seemännischen Instinkt, von dem man sich nicht einmal eine Vorstellung
machen kann: 4000 Seemeilen von den Fidschi- nach den Osterinseln, ebenso weit
von der Osterinseln nach Hawaii, und man macht diese Reisen in der Steinzeit
(behauen oder poliert?), mit einem Flaschenkürbis mit Löchern darin und mit
Wasser gefüllt, um Sternhöhen zu messen - der Bubble-Sextant, mit dem es möglich
wurde, die Inseln zu finden. Hm.. .nur Wenige Seeleute glauben an die durch-
löcherten Kürbisse der alten Polynesier, und ich schließe mich der Mehrheit an."
Und
selbst wenn eine Navigation (die den Namen verdient) damals möglich gewesen
wäre, wo sind die Beweise, dass es so war?
Wie
aber sind die zahlreichen, weit auseinander liegenden Inseln besiedelt worden?
Die Erklärung ist einfach, liegt auf der Hand: Dass Menschen diese Inseln
erreicht haben, war ein Prozess, der sich über 1000 Jahre, vielleicht über
mehrere solcher gewaltigen Zeiträume hingezogen hat. Sicher ist auch, dass
die Inselbewohner zum Teil vom Fischfang lebten oder zu benachbarten Inseln
reisten, also mit ihren damaligen Booten aufs offene Meer hinausfahren mussten. Boote, die, wenn sie besegelt waren, nur armselige
Am-Wind-Eigenschaften hatten. Was liegt also näher, als anzunehmen, dass die
"Besiedelung" aus ungewollten Verirrungen auf der offenen See
resultierten. Während meiner Jahre in Polynesien habe ich in der Zeitung
mehrfach lesen können, dass Fischer aus den Tuamotus monatelang vermisst
wurden, bevor sie gerade noch lebend in Fijii oder sonstwo nach tausend Meilen
auftauchten. Die Ursache für die Irrfahrten waren kaputte Aussenborder,
unerwartete Windwechsel oder Unwetter. Realisiert man die ungeheure
Spanne von 1000 Jahren (was ist da alles in Europa geschehen?), so kann man
davon ausgehen, dass solche Irrfahrten dutzende Male vorkamen, auch mit
Menschen beiderlei Geschlechts an Bord.
Ich
hab da einen Zeitzeugen, der sicher als größter Entdecker und Navigator
über jeden Zweifel erhaben ist. Entdeckt habe ich seine Ausführungen in
einem vergilbten Buch aus dem Jahre 1837 mit dem Titel Erdumsegelung. Dort ist
folgende Überlegung von James Cook wiedergegeben:

Dem Leserbriefschreiber müßte
ich wohl "in meiner überheblichen Art" erklären, wer James Cook war. Er war als Kommandant von Forschungsschiffen der englischen Krone im 18. Jahrhundert dreimaliger Weltumsegler. Er war ein Mann mit herausragenden Kenntnissen in Navigation und astronomischen Vermessungen. Er war Gründer einer Sternwarte auf Tahiti, erkundete viele Jahre lang den Pazifik, beschrieb die dabei gemachten astronomischen Beobachtungen, entdeckte zahlreiche Länder und Inseln und bestach durch seine Fähigkeiten als Kartograf.
Vor allem aber hatte Cook den Vorzug, um 250 Jahre näher am Geschehen, also der Besiedelung der Inseln, zu sein als wir es heute
sind.
Wer wollte sich schon mit James
Cook auf Grund von "Vermuthungen von Philosophen" anlegen?
Ich hab mal über dieses Thema
einen Vortrag halten dürfen. Der anschließende Beifall zeigte mir, dass ich
die Hörer von meinen Gedanken überzeugen konnte. Bis auf eine ältere Dame,
die meinte: Sie haben das ja alles sehr logisch erklärt; aber einen wichtigen
Umstand haben sie vergessen: "Die Menschen von damals verfügten über
übernatürliche Kräfte!"
Ja, gegen dieses Argument lässt
sich tatsächlich nichts einwenden! Da hab ich mal wieder in den Wind
gesprochen!
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