In
den Wind gesprochen (30):
Die
Geheimwissenschaft des Deutschen Seglerverbandes
Man kann es kaum glauben, immerhin
schreiben wir das Jahr 2014! Aber unser Segelverband ist noch nicht im jetzigen
Jahrtausend angekommen, lebt um einige Jahrzehnte zurück. Leider ist der DSV
mit der Durchführung von staatlichen Segelscheinprüfungen beliehen worden, was
dazu führt, dass er (anders als zum Beispiel in Österreich) eine
Monopolstellung innehat und sich somit bei der Scheinprüfung
für den freiwilligen SSH (Sportboothochseeschein) jeden Humbug leisten kann. Hilflos
muss
der Schein-Aspirant zusehen, wie hier gesetzliche Vorschriften willkürlich
ausgelegt werden, obwohl es gar nichts auszulegen gibt.
Die Verordnung über den Erwerb von Sportsee-und Sporthochseeschifferscheinen und
die Besetzung von Traditionsschiffen (Sportseeschifferscheinverordnung) lautet:
3) Die Prüfung zum Erwerb des Sporthochseeschifferscheins soll zeigen, ob der Bewerber
1. ...
2. die erforderlichen navigatorischen und seemännisch-technischen Kenntnisse für das Führen einer Yacht in der weltweiten Fahrt
hat.
Und was wird in der Praxis geprüft,
mit welchem Wissensstoff werden hier die Prüflinge gequält? Richtig: Es werden
tiefschürfende Kenntnisse in der astronomischen Navigation verlangt, die
früher als eine Art nautischer Geheimwissenschaft galt, bei vielen auch heute
noch gilt. Da wird
die Handhabung des Sextanten geprüft, ja sogar praktisch geübt. Da werden
Sternbilder (wie bei den Pfadfindern) abgefragt, was mit Navigation rein gar
nichts zu tun hat. Ein "Meridianbild" soll man zeichnen (den Ausdruck
hab ich gestern zum ersten Mal gelesen), von einem "klassischen
Marinechronometer" ist die Rede (selbstverständlich gibt es die noch - im
Museum), damit man den Prüfling mit
"Stand", "Gang" und Ähnlichem schikanieren kann, so als ob
an Bord keine Quarzuhr mit radiokontrolliertem Zeitzeichen vorhanden wäre.
Scheinbar gibt man sich modern: Die jahrzehntelang hunderttausendfach bewährten HO-Tafeln
werden zur Prüfung nicht zugelassen. Dagegen darf man einen Rechner benutzen,
aber nicht mit mehr als zwei oder drei Speichern, und, damit es nicht zu einfach
wird, schon gar keinen Laptop. Fixsternverfahren scheint es nicht mehr zu geben
(wozu werden dann Sternbilder abgefragt?) Stattdessen muss sich der Prüfling
mit den schwierigeren Planeten befassen und natürlich mit dem noch komplizierteren
Mond.
Auch die terrestrische Navigation hat es in sich:
Der DSV verlangt die "abgestumpfte Doppelpeilung", eine höchst
ungenaue zeichnerische Lösung (die ich deshalb noch nicht ein einziges Mal in
der Praxis verwendet habe). Es ist, wie wenn man einem Auto-Fahrschüler
beibringen wollte, mit Hilfe des Pfostenabstandes am Straßenrand (50 Meter) und einer
Stoppuhr die Autogeschwindigkeit zu berechnen. Außerdem soll sich der
Segelschein-Prüfling mit
Orthodromen und Loxodromen rumschlagen, so als ob eine Segelyacht einen exakten
Großkreis fahren könnte. Die Herren (ich nehme an, es sind Männer für diesen
Lernstoff verantwortlich, Frauen schätze ich lebensnäher ein) scheinen davon
auszugehen, dass eine Segelyacht von Scilly Island nach New York den Kurs zu Beginn
absetzt und täglich ein oder zwei Grad abändert, um letztlich ein paar Dutzend
Meilen weniger unterwegs zu sein. Und das bei Strom, Abtrift und möglicherweise
gar unter Selbststeuerung. Die Praxis ist, dass das GPS den Kurs zum Ziel
fortlaufend anzeigt und man dem unter Vorhalt für Strom/Abdrift folgt. War(!)
die Segelyacht dann auf dem Großkreis, ist es Seemannsgarn oder Zufall, vor
allem unter Selbststeueranlage. Einer, der den Großkreis hoch im Norden exakt
abgefahren ist, war John Edward Smith, aber das war ganz hoch im Norden
in der, wie wir leider wissen, eisbergverseuchten Gegend. Smith war übrigens
Kommandant der Titanic.
Sind das die erforderlichen navigatorischen und seemännisch-technischen Kenntnisse für das Führen einer Yacht in der weltweiten Fahrt,
wie es das Gesetz verlangt? Wollen wir mal bei den Fakten bleiben: Auf jeder
Hochseeyacht sind heute mehrere GPS-Empfänger vorhanden, sei es in der
Navi-Ecke, sei es im Smartphone oder im Tablet-Computer. Und das GPS liefert,
das weiß jeder Autofahrer, fortlaufend ohne Rechnerei einen auf ein paar Meter
hochgenauen Standort (plus Orthodrome/Loxodrome), während die Astro, falls sie
irgend ein schrulliger Yachty primär noch benützen sollte (was ich nicht für möglich
halte), nach problematischen Sextantmessungen und viertelstündiger Rechnerei
eine Position mit mehreren Meilen Ungenauigkeit ergibt - wenn man sich mit
flauem Magen nicht verrechnet hat. Wägt man die
Vor-und Nachteile beider Navigationsmethoden gegeneinander ab, kann man es heute
schon "fahrlässig" nennen, wenn man im Ernstfall die Astro der
GPS-Navigation vorzieht. Und wenn es auf Grund ungenauer oder falscher
(Rechenfehler) Astro-Position zu einer Havarie käme, würde ich als Richter das
Verhalten des Schiffsführers im Jahre 2014 gar als grobe Fahrlässigkeit
beurteilen. Das ist der Grund, warum vernünftigerweise kein
Hochseesegler mehr "astronomisch" unterwegs ist. Was auch der Umstand
beweist, dass die Verkaufszahlen von Sextanten langsam gegen "Null"
gehen.
 Hab ich etwas gegen die
Astronavigation? Das wird man nicht ernsthaft behaupten können. Diese Art von
Navigation hat mein Leben mitbestimmt, inklusive einer Weltumsegelung ohne GPS.
Mein Buch ASTRONAVIGATION (erschienen 1976, nunmehr in der 14.Auflage) wurde an
die hunderttausend Mal verkauft. In dem Buch hab ich - offensichtlich mit
wenig Erfolg - auch versucht, alte Zöpfe abzuschneiden und mich gegen das
wegen seiner umständlichen Rechnerei berüchtigte Semiversus-Verfahren
gewandt. Was ich davon gehalten habe, wurde in die Zeichnung eingebracht,
freilich so klein und versteckt, damit es meiner gestrengen Lektorin nicht
aufgefallen
ist, die hätte das nie durchgehen lassen.
Also, die Zeit der
astronomischen Navigation ist vorbei. Obwohl ich sie nach wie vor als
wunderbares Hobby betrachte und jedem nur empfehlen kann, seine Position mit
himmlischen Objekten zu bestimmen. Aber im Ernstfall - NEIN! Jedenfalls gehört die
Astro nicht zu den "erforderlichen(!) navigatorischen und seemännisch-technischem
Kenntnisse für das Führen einer Yacht in der weltweiten Fahrt".
Bleibt das Argument, dass es gute
Seemannschaft verlangt, zur Standardnavigation eine Rückversicherung, ein
Backup (Redundanz) griffbereit zur Verfügung zu haben. Freilich, das gilt für
jede Navigation: Der Pilot, der heute selbstverständlich mit GPS fliegt, kann
blitzschnell auf andere elektronische Geräte umschalten, der Autofahrer wird
beim Ausfall des Navis halt einen Passanten oder seinen Stadtplan befragen, der
Bergsteiger wird eine Wanderkarte dabei haben und der Golfspieler wird sich,
wenn er die
Entfernung zum Loch nicht mehr auf seiner GPS-Golfuhr ablesen kann, eben anhand der
Entfernungsmarkierungen oder des Lasers orientieren.
Ist denn der Ausfall des GPS
überhaupt im Bereich der konkreten Möglichkeiten? Wie jeder wissen müßte,
kann das GPS von den Betreibern (amerikanisches Militär) abgeschaltet werden. Aber
nachdem die ganze Welt dranhängt, siehe oben, selbst Sicherheitssysteme wie in
der Fliegerei, kann ich mir das - und die vergangenen zwei Jahrzehnte beweisen es -
nicht vorstellen. Auch die Gefahr durch Störsignale ist für uns Hochseesegler
kaum existent, denn das "Jamming" kann nur örtlich sehr begrenzt
durchgeführt werden. Und selbst wenn: Nehmt einen billigen Plastiksextanten und
ein Astroprogramm für Euren Notebook mit, dann habt ihr ein Backupsystem, das
Ihr ohne jede Vorkenntnisse, vor allem ohne teure Kurse auf Seefahrtsschulen, in ein paar Stunden aktivieren
könnt!
Aber schadet es denn, wenn die
Prüflinge mit Astro geplagt werden? Ja, zum einen werden Segler durch die
"schwierige Astronavigation" geradezu abgeschreckt, den freiwilligen
Schein zu erwerben, zum anderen werden hier ganz falsche Eindrücke von der
späteren Praxis vermittelt. Der gewaltige Zeitaufwand sollte anderen,
heute wichtigeren Themen zu gute kommen. Die "Bordelektrik"
wird nur gestreift, Watermaker, die mit größeren Yachten zunehmend an Bedeutung gewinnen, finden nicht mal Erwähnung,
alternative Stromquellen für Yachten scheinen nicht zu existieren, AIS sollte gründlicher
vermittelt werden, so wie Radar, Bordcomputer, Kartenplotter und so fort. Würde
man solche Dinge in den Prüfungsstoff miteinbeziehen, würden die zahlreichen
Segelseminare und Akademien bald überflüssig.
Die Frage bleibt: Könnte man
seitens des DSV für die Zusammenstellung des Lehrstoffs beim SHS nicht mal Fachleute beauftragen?
Zum Beispiel Langfahrtsegler, die sich 24 Stunden am Tag, mit nichts anderem, sozusagen "hauptberuflich" beschäftigen als eine Yacht eigenverantwortlich über die
Meere, also weltweit zu leiten? Nein, da kann man den zukünftigern Prüflinge
kaum Hoffnung machen. In der Scheinwelt der deutschen
Sportschifffahrt tummelten sich schon immer gerne Schreibtischnautiker. Denn
wie kann man seine (fehlende) Kompetenz besser unter Beweis stellen, als durch
geheimkrämerische Wichtigtuerei, der der Anfänger nichts Sachliches
entgegenzusetzen weiß?
Gegen letzteres Argument lässt
sich kaum was einwenden! Da hab ich mal wieder in den Wind
gesprochen!
Bobby Schenk
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