Todsicheres Mensch-über-Bord-Manöver auf einer Langfahrtyacht
Der
Nahezu-Aufschießer, das Münchener Manöver, die Quick-Stop-Halse, die
Kuhwende - all dies sind Manöver, die Menschen retten sollen - und deshalb in
den Segelschulen fleißig geübt werden. Wem graut nicht bei dem Gedanken,
einen Mitsegler aus dem Bach retten zu müssen? Wer hat in Gedanken nicht
schon mal durchgespielt, wie es sich anfühlt, wenn man selber im
eiskalten Wasser treibt, meinetwegen mit einer Rettungsweste am Hals, und der
Yacht, die
gerade unter Vollzeug Richtung Horizont unterwegs ist, nachschaut und
nachschreit? Eine
Horrorvorstellung!
Deshalb
übt man bei Führerscheinkursen intensiv alle Möglichkeiten, um in einem
solchen Unglücksfall ein Menschleben retten zu
können. Zugegeben, das mag funktionieren, wenn man mit der Jolle oder
zusechst mit einer Charteryacht unterwegs ist und keine Maschine zur Verfügung
steht. Das ist aber nicht unser Thema.

Hier
geht es darum, die Situation "Mensch-über-Bord" auf einer Yacht auf
Langfahrt mit einer naturgemäß kleinen
Mannschaft, meist Mann und Frau, durchzudenken. In dreiviertel aller Fälle
wird die Yacht auf Winden von achtern oder mit
Backstagsbrise unterwegs sein, schließlich sucht der Blauwassersegler
solche Winde. Und die Besegelung wird auf der rollenden Yacht, typisch für
den vorherrschenden Wind angepasst sein. Das bedeutet, dass meist nicht nur
das Groß mit einem Bullenstander gesichert ist, sondern auf dem Vorschiff zusätzlich
zur großen Genua eine zweite Genua (oder Fock) oder gar ein Spinnaker zum
Einsatz kommt. Um die Sache noch zu erschweren,
werden für die Vorsegel Bäume gefahren. Und, ein weiteres Erschwernis, das
Ruder wird nicht besetzt sein, denn die Yacht segelt praktisch ausnahmslos mit
Selbststeueranlage, vom Wind oder vom Kompass gesteuert. Und jetzt stelle man
sich plastisch vor, einer von den beiden Seglern geht über Bord. Ein Mann,
der nunmehr schulmäßig den Unglücksraben im Blick behält, ist gar nicht da
und die "anderen" Crewmitglieder, die dann das Mensch-über-Bord-Manöver
fahren sollen existieren (gar)
nicht. Der (oder die) Zurückgebliebene
wird richtigerweise nach unten stürzen, die MOB-Taste auf dem GPS suchen und
(wenn vorher geübt) diese binnen 20 Sekunden oder so auch drücken. Zurück
an Deck, der Kopf des Verunglückten ist längst zwischen den Schaumstreifen
außer Sicht, wird er versuchen, die Yacht
zum Stillstand und unter Kontrolle zu bringen. Was (bei)
auf einer normalen Blauwasseryacht mit der typischen Besegelung sicher 15 bis
30 Minuten dauert. Dann zurück motoren (wenn sich bei dem Chaos an Deck keine
Leine in der Schraube verfangen hat) und
beten, dass der Verunglückte von der unvermeidlichen Strömung nicht
allzu weit von der MOB-Position abgetrieben ist. Trotz der Koordinaten,
auf 100stel Minuten genau (aber eben nur Position zum Zeitpunkt des Unglück),
wird er kaum fündig werden. Wobei man
daran denken sollte, dass der Mann im Wasser die Yacht
eher optisch ausmachen kann als umgekehrt. Das Foto links zeigt eine Situation
aus der
Praxis
(Atlantiküberquerung!). Die Mannschaft sitzt beim Sundowner (ob sie anschließend
noch
ganz nüchtern ist, sei mal dahingestellt). Wenn nun eine der beiden Personen
aus welchen Gründen auch immer, es gibt viele, über Bord geht, sollte der
andere in der Lage sein, möglichst schnell und sicher die Passatbesegelung zu
bergen, um dann die Maschine zu starten. Denn mit diesen stehenden Segeln
gegenan zu gehen, ist aussichtslos, selbst bei ruhiger
See. Unter einer halben Stunde geht da gar nichts, und das sind mindestens
drei Seemeilen vom Unglücksort entfernt.
Nicht
viel einfacher ist die Situation, wenn die Yacht nicht unter Passatsegel oder
Spinnaker unterwegs ist. Dann muß auf dem Foto die Genua mit zwei Schoten
geborgen, der Bullenstander abgeschlagen und das Großsegel von einem Mann
eingeholt werden, um unter Maschine manövrierfähig zu werden. Das dauert.
Ziemlich aussichtslos, den Segelkameraden zu retten.
Die
vorangegangen Schreckenszenarien spiegeln
dabei nicht einmal den Worst Case wieder. Und der dürfte die Norm sein auf
einer Weltumsegelyacht. Üblich ist bei Ozeanüberquerungen, dass nur ein Mann
Wache geht, während der andere in der Koje liegt und pennt, also Kräfte
sammelt. In der Nacht ist das die Regel, aber auch am Tag
flegelt man häufig in der Koje, weil es bei
den Rollbewegungen bequemer ist, sich am Kojenbrett abzustemmen, statt sich
draußen irgendwo einzuklemmen. Stellen Sie sich mal den Alptraum vor,
wenn Sie ihren Kameraden am Ruder ablösen wollen und der ist nirgendwo zu
sehen. Eine Stelle in der Segelliteratur hab ich über Jahrzehnte in
Erinnerung behalten. "Es gibt nichts Schrecklicheres
als ein leeres Cockpit mit hin- und herpendelnder Pinne" (oder so ähnlich).
Mütze ab zum Gebet!
Aber
was ist nun das beste Mensch-über-Bordmanöver auf einer Langfahrtyacht? Die
Antwort kann Ihnen jeder Fensterputzer an einem Wolkenkratzer in New York
geben. Raten Sie mal!
Ich
denke, das ist nicht in den Wind gesprochen.
Bobby
Schenk