In
den Wind gesprochen (40):
Wahrschau
Halse!
Der Spruch gefällt mir nicht, mit dem der Segeleleve oft
traktiert wird: "Ehe man auf Langfahrt geht, muss man das Segeln
von Grund auf lernen, sollte man mit der Jolle beginnen."
Beim
Jollensegeln
lernt man nämlich auch zwei Weisheiten, die beim Segeln mit einer schweren
Yacht gar nichts zu suchen haben. Das eine ist der berühmte Aufschießer an den
Steg, den man in einer vernünftigen Jollen-Lektion Dutzende Male üben muss,
bis man genug Augenmaß verinnerlicht hat, um ihn nicht zu kurz zu fahren, weil
dann Anlegemanöver misslungen, aber auch nicht zu lange, weil dann zu mühsam,
um mit den Händen abzuhalten.
Mit einer schweren Yacht, einer, die geeignet ist , Ozeane
zu bezwingen, macht man einen Aufschießer senkrecht zum Steg nämlich nur
zweimal, das erste und das letzte Mal!
Das andere ist der Respekt, ja die Furcht vor einer gefährlichen
Halse. Was vielleicht für Jollen wegen der Kentergefahr gilt, nicht jedoch für
unkenterbare Kielyachten. Dieser Respekt, der sich bis in die Diskussionstiefen
der vielen "sachverständigen" Segel-Foren fortsetzt, ist bei trägen
Ozeanyachten nicht angebracht. So musste ich vor einiger Zeit bei
Abhandlungen über das rechte Sturmverhalten von Yachten lesen, das Gefährlichste
beim Ablaufen vor dem Sturm sei, dass es zu einer Halse kommen könne. Der
Verfasser vermittelte der Eindruck, dass es sich um den worst case handle,
der unmittelbar den Schiffbruch, ja den Untergang des Schiffes einleiten würde.
Dabei
wird es auf dem offenen Ozean erst dann gefährlich, wenn man dieser Logik
folgen wollte. Denn
man würde die Halse als ein Übel ansehen, das es unter allen Umständen zu
meiden gilt.
Das Gegenteil ist richtig! Wobei festzuhalten ist, dass
hier von einer ordnungsgemäßen Halse, also letztlich vom Schiften des Großbaums,
die Rede ist, und nicht von einer Patenthalse. Aber auch letztere dürfte keine
ernsthaften Konsequenzen haben, wenn man, was auf einer Langfahrtyacht die Regel
sein sollte, den Großbaum mittels Bullenstander gesichert hat. Dann würde die
Folge bei einer unbeabsichtigten Halse nämlich nur sein, dass halt das Groß
back steht, während die Fock noch ziehen möchte. Nichts anderes als beim
Beidrehen.
Nochmals,
um
Missverständnisse zu vermeiden: Hier soll nicht vom Yachtsegler die Rede sein,
der am Sonntag auf der sonnigen Förde seinem Stegnachbarn zeigen möchte, wie
rasant sein 4 Tonnen schweres Schiff segelt und wie wendig es ist, wie wenige
Meter es einbüßt, wenn er über Stag geht . Nein, diese Ausführungen sind für
den Ozeanwanderer gedacht. Ich hab anfangs den Bullenstander auch als überflüssig
angesehen, wenn ich hoch am Wind, auch bei raumem Wind, dahingebrettert bin. Bis
dann eines Tages unter Sebststeueranlage der Wind plötzlich weggeblieben ist
und der Großbaum beim haltlosen Rollen in der Dünung erbarmungslos in die
nunmehr lose Großschot reingehauen hat, bis der teure Block am Traveller
davongeflogen ist und der Baum,kaum einzufangen, nunmehr versucht hat, sein zerstörerisches Werk
mit wildem Umherschlagen zu vollenden.
Ab da wurde immer, mein ganzes Leben lang, der
Bullenstander ständig gefahren, egal auf welchem Kurs. Was ja bei
entsprechender Ausrüstung keine nennenswerte Mehrarbeit ist. Nach dem Wenden
(oder Halsen) den Großbaum etwas fieren, dann den Bullenstander (für diesen
Job ist jede ausrangierte Schot geeignet) so gut es geht durchsetzen und die Großschot
dichtholen, so dass die Großbaumnock in einem eisernen Griff von Schot, Bullen
und Dirk verharrt. So kann gar nichts mehr passieren, selbst wenn die Windsteueranlage wieder mal ein
wenig aus dem gewünschten Kurs - fast vor dem Wind - läuft und das Groß back
setzt. Man merkt es, auch in der Koje, dass nunmehr Ruhe im Schiff eingekehrt
ist, kein Wunder, man "liegt" bei. Nebenbei: Selbstverständlich wird
jetzt nicht mühsam Bullenstander gefiert, gar eine Wende gefahren, um auf den
alten Kurs zu kommen. Schoten und Stander bleiben vielmehr so, wie sie
sind, das Ruder wird hart gelegt, bis bei wenig Fahrt das Groß zurückschwappt
und weiter gehts mit zunehmender Fahrt auf dem alten Kurs. Sicher, ein paar
hundert Meter haben wir so verloren (was ja bei einem Tausend-Meilen-Törn
unheimlich ins Gewicht fällt). Der Vorteil: Jede Rumturnerei auf dem Vorschiff
entfällt, selbst wenn man keine Rollfock hat, alles, was ja nicht mehr ist als
ein gemütliches Ruderlegen, kann bequem vom Cockpit aus
erledigt werden.
Ich glaube, die meisten erfahrenen Langfahrtsegler, vor
allem die mit einer zahlenmäßig schwachen Mannschaft, handhaben das so. Weil
ich das Foto gerade zur Hand habe: Vom Kurs her bräuchte man im Moment auf der
Weltumsegelyacht OLE HOOP die Bullentalje gar nicht, der raume Wind kommt noch
lange nicht von achtern (auch, wenn die Passatsegel schon gesetzt sind),
trotzdem ist ein Bullenstander steif durchgesetzt. So kann die gewaltige Spiere,
der Großbaum, unter keinen Umständen Unheil anrichten.
Warum halte ich den Bullenstander, ein Stück dicker
Strick, für so wichtig? Weil man damit jede Halse bis zur völligen
Harmlosigkeit entschärfet. Und weil man so die gefährlichen Wenden
vermeiden kann. Wie gesagt, all das gilt für den Ozeansegler auf Wanderschaft,
dem ein Wegverlust von ein paar Kabellängen nichts ausmacht und nicht für den
Regattasegler, der ja auch meist gesegnet ist mit ein paar Mann Besatzung.
Jeder von uns hat schon mal erlebt, wie es sich anfühlt,
wenn der Rudergänger aus einem windigen Kurs hoch am Wind abfällt auf einen
raumen oder besser noch auf einen Vorwind-Kurs. Das "Wetter" hat sich
schlagartig geändert. Es wird warm, man kann den Pullover ausziehen und die
Yacht verlangsamt ihre Gangart. Meint man.
In Wirklichkeit hat der scheinbare Wind (das ist der, den
man fühlt und der vom Windmesser angezeigt wird) naturgemäß nachgelassen,
denn die Schiffsgeschwindigkeit, die beim Gegenangehen zum wahren Wind fast
hinzuzählen ist, mindert nunmehr die Windstärke erheblich. Das macht in der
Praxis (auf unseren trägen Fahrtenyachten) ganze zwei Beaufort aus. Außerdem
segeln wir nunmehr mit der Dünung und nicht die Wellenhügel gegenan:
"Downwind-Sailing" nennen die Angelsachsen trefflich diese Gangart.
Wer mal ausprobiert hat, bei, sagen wir fünf Bft.
zuerst eine Wende zu segeln und anschließend eine kontrollierte (!) Halse, wird
zustimmen, dass die Halse viel, viel weniger Stress bei ungleich
ruhigeren Schiffsbewegungen macht. Freilich nur dann, wenn die Halse so gefahren
wird, dass der potentiell gefährliche Großbaum (ich hab mal einen an den Kopf
bekommen - mit nachfolgendem Krankenhausaufenthalt, das merkt man sich, ein
Leben lang!) immer und ausnahmelos unter
Kontrolle bleibt. Und das kann nur mittels Bullentalje (übrigens: Eine uralte
Erfindung in der Schiffahrt) geschehen. Bei der Wende hingegen würde man die
Yacht in den Wind bringen müssen, wo sie haltlos in der Dünung tanzen und hin-
und herfallen würde. Drei Meter Höhenunterschied würde der Mann auf dem
patschnassen Vorschiff mit der Genuaschot in der Hand auf- und abhüpfend zu
bewältigen haben. Wer das in Frage stellt, hat es noch nie ausprobiert.
Karla und ich sind mal sechs Wochen lang in den brüllenden
Vierzigern Richtung Kap Hoorn gesegelt, meist vor achterlichem Wind. Das Groß
war fortlaufend bis zum letzten Reff verkleinert oder bei 50 Knoten Wind ganz
weggenommen. Fast immer aber haben wir ein kleines Vorsegel gefahren. Das Ganze
war keineswegs ungemütlich, auch wenn die Bedingungen so waren, wie es der Künstler
auf diesem Gemälde realistisch zeigt. Aber allein der hirnrissige Gedanke, bei
so einem Seegang in den Wind zum Wenden zu drehen, lässt bei mir schon Übelkeit
aufkommen.
Ich bin oft gefragt worden, wie sich mein letztes Schiff,
ein Katamaran, wenden lässt. Meine (fast) ehrliche Antwort war, dass ich das
nicht weiß, weil ich nur Halsen fahre. Tatsächlich empfand ich eine
Halse viel bequemer, ja viel ungefährlicher als eine (durchaus mögliche)
Wende. Ich bin überzeugt, dass die meisten Langfahrtsegler, spätestens nach
dem ersten Ozean, genauso denken.
Als ich vor vielen Jahren die C-Scheinprüfung für
"weltweite Fahrt" bei einem überaus erfahrenen Prüfer, der ein paar
hunderttausend Seemeilen im Logbuch hatte, lautete eine der (sehr gescheiten)
Fragen: "Was machen Sie, wenn Sie bei sieben Windstärken beim Wendeversuch
nicht mehr durch Wind kommen und immer wieder hoch am Wind auf den alten Bug
abfallen? Wir Eleven haben damals die richtige Antwort nicht zu geben
gewagt. Zu kühn schien sie uns. Und haben was gefaselt von "Q-Wende,
Maschine und so fort."
Sie kennen die einzig richtige Antwort jetzt. Und für die
"Erstmal-gründlich-segeln-lernen-Fraktion" habe ich in den
Wind gesprochen.
Bobby Schenk
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