In
den Wind gesprochen (44):
Losfahren
heißt loslassen
Sie war interessant, die Zusammensetzung des Publikums bei meinen Blauwasserseminaren. Schon die
Herkunft der Teilnehmer barg eine Überraschung. Ungefähr
20% kamen aus Österreich, einer bekannt seefahrtsbegeisterten Nation und circa 15% aus der Schweiz, was
wohl auch mit dem
Veranstaltungsort INTERBOOT im Süden zu tun hat. Die meisten aber aus dem
mittleren Deutschland, die Mehrzahl jedenfalls nicht von der Küste. Was sicher
nichts mit der Entfernung zum Bodensee zu tun hat, denn andererseits
verzeichneten die Seminare Besucher zum Beispiel aus den Niederlanden, Polen,
Schweden, Italien,
Irland u.s.w. Zwei weitere Zahlen sind interessant: Nur ein Drittel der Hörer waren
Einzelbucher, zwei Drittel dagegen Paare. Und fast die Hälfte besaß noch kein Schiff,
träumte aber schon von einem Leben auf der Yacht, gar von einer Weltumsegelung!
Ist es der richtige Weg, sich
gleich mal auf dem Blauwasserseminar
unter Weltumsegler zu mischen? Klar, weil niemand anderer einem
besser Tipps fürs Blauwassersegeln geben kann.
Denn zum Weltumsegler wird
man nicht nach ein paar Stunden oder einem Wochenende, selbst dann nicht, wenn man eine Weltumrundung beabsichtigt,
auch nicht als Charter- oder Urlaubssegler am Mittelmeer. Erst recht
nicht auf der dicht befahrenen Ostsee, wo Start und Ziel selten mehr als einen
Tag auseinanderliegen. Blauwassersegler ist man erst, wenn man auf dem Schiff
lebt und, das ist das Wichtigste schlechthin, wenn man frei
ist von den Zwängen des Alltags. Im
Idealfall ist der Terminplan höchstens vom
Wetter vorgegeben.
Die
größe Gefahr für das Gelingen einer Blauwasserreise oder gar einer
Weltumsegelung sind Abhängigkeiten. Das kann die Gesundheit sein, aber auch
die Familie oder - häufig - das Geschäft zu Hause. Sich hundertprozentig
freizumachen wird man kaum schaffen. Höchstens als junger Mensch. Wenn man
über ausreichend Ersparnisse verfügt, gesund ist und vor
Unternehmungsgeist strotzt. Aber so ideal wird es in den meisten Fällen nicht
sein. Dann gilt es Abhängigkeiten zu minimieren und ersthaft zu prüfen,
ob sich mit den verbliebenen Zwängen ein Leben auf dem Wasser vereinbaren läßt.
Höchst
ungeschickt ist
es, sich auf einer Weltumsegelung erst wieder in Abhängigkeiten zu begeben.
Ein häufiger Fall: Da haben die Freunde zu Hause die Abnabelung aus unserem
gesellschaftlichen Leben hautnah mitbekommen, wurden Zeuge unserer Sorgen um
das neue Schiff und
der Zweifel, die einen immer in der Vorbereitungszeit beschleichen.
Und so hat man endlich den ersten Ozean überquert. Dann brennt
man darauf, seinen Freunden zu
zeigen, wie wundervoll
so ein Leben auf dem Wasser ist und lädt sie zu einem Urlaub auf der
Yacht in einem Traumrevier ein. Manchmal klappt das, häufiger allerdings sind
Enttäuschung und zerbrochene Freundschaften das
Ende vom Lied. Das geht schon damit los, dass für die Besucher auf dem
Ankerplatz so ein schönes, aber fremdes Schiff nach wenigen Tagen ungewollt
zum Gefängnis werden kann, während es für den Eigner und Skipper das liebste
Spielzeug auf der Welt ist. Oft beginnt der Ärger auch
schon früher, wenn man (schon wegen der Flüge für die Freunde)
seinen Zeitplan nämlich
nicht nach dem Wetter, sondern nach Beginn und Ende des Urlaubs der
Besucher richten muß. Hat man sich das wirklich
vorher schon so vorgestellt,
dass man in den traumhaften Tuamotus nicht so lange bleiben kann, wie
es der langersehnten Südsee
eigentlich geschuldet ist, nur weil am 10. Juli,
neun Uhr der Besuch aus Deutschland am Flughafen FAAA in
Papeete ankommt?
Amerikanische
Blauwassersegler haben eine exzellente
Formel gefunden, um solche Abhängigkeiten weitgehend zu vermeiden:
Besuch kann jederzeit kommen, wenn er lediglich
das "When" OR(!) "Where" bestimmt,
niemals aber das "When" AND(!) "Where". Löst viele
Probleme von
vorneherein und ist ein Prüfstein für echte Freundschaften.
Fast
am leichtesten ist es, sich vom Schiff unabhängig zu machen. Im Ernst: Man
kaufe sich irgendeine Fahrtenyacht "von der Stange", Größe passend
zum Geldbeutel und zu
den Wohnbedürfnissen, mache
zunächst einen großen Bogen um Zubehörhändler und segle los. Spätestens
dann, wenn man die Ostsee oder das Mittelmeer verläßt, wird man nämlich
schlagartig klüger, und
dann weiß man, was man zum Blauwassersegeln braucht. Man wird sehr
schnell merken, dass die Positionslichter, die man zu Hause nur mal für ein
paar Stunden gebrannt hat, morgens mangels
ausreichend Strom aus der Batterie immer weniger hell leuchten, man wird sich
über das fade, warme Bier aus dem Kühlschrank
wundern, der doch am Landstrom in der
Ostsee-Marina bei 20 Grad so schnell runtergekühlt
hat, und man wird unter der Hitze stöhnen,
die mangels Sonnensegel das Schlafen unter Deck zu einer Tortur werden läßt.
Man wird auch
feststellen, dass das Segeln gar nicht mehr so schön und romantisch ist
wie es beim nachmittäglichen
Ausflug zu
Hause war - diese Enttäuschung wird
man der zukünftigen Weltumseglercrew nach acht Stunden Rudergehen wohl
zugestehen.
Erfahrungsgemäß
werden nämlich vor Beginn des großen Blauwasser-Abenteuers
speziell bei der Auswahl der Ausrüstung viele, letztlich sehr kostspielige,
Fehler gemacht. Die man leicht vermeiden kann, wenn man sich die Ausrüstung
nach den ersten negativen Erfahrungen, eventuell nach Erfahrungsaustausch mit
anderen Live-on-border nach den ersten Strecken Stück für Stück nachkauft
und gegebenenfalls vor Ort erst einbauen läßt. Hat man die Biskaya
durchquert oder einen anderen rauen"shake-down-cruise" hinter sich
gebracht, stellen sich Mängel in der Seefestigkeit der Yacht schnell heraus.
Heute ist es in den allermeisten Marinas kein Problem mehr, Ausrüstung
dorthin schicken und auch montieren zu lassen. Der Leser möge hier aus
Fehlern des Autors lernen: Viele, enorm kostenaufwendige Sonderausstattungen,
die ich in der - renommierten - Werft habe
einbauen lassen, haben sich als sündteurer Flop oder als Fehlplanung
erwiesen, während alle Zubehörteile, die ich
unterwegs an Ort und Stelle zum Teil per Luftfracht habe
nachkommen lassen, selbst an exotischen Orten in Afrika zu
montiern waren und
sich als notwendig erwiesen und aufs Beste bewährt haben.
Ich
hätte es besser wissen müssen, denn schon vor einigen Jahrzehnten wollte ich
der absoluten Blauwasserlegende Eric Hiscock auf dessen Yacht WANDERER III ein
Kompliment machen: "Du hast ein schönes
Schiff!", worauf er mürrisch antwortete: "I made her a good
ship". Also selbst Eric hat sich bei der Vorbereitung auf die große
Reise zunächst von seinem Schiff, völlig überflüssig, abhängig gemacht.
Deshalb: Eines der wichtigsten
Erfolgsrezepte für den ganz großen den jahrelangen Törn heißt: Abhängigkeiten
soweit wie möglich vermeiden.
Also die „Vorspring“
("spring doch mal ins Vorschiff vor...") zuhause lassen? Aber nein, man muß es ja nicht gleich übertreiben und zum Einhandsegler werden wie der 80-jährige Weltumsegler Sebastian. Der hat sich nämlich sogar von einer Begleitung unabhängig gemacht und seine Familie in Italien zurück gelassen.
Nun ja, für ihn jedenfalls waren meine Worte nicht in den Wind gesprochen.
Bobby Schenk
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