In
den Wind gesprochen (48):
"Blauwasserfahrt
ohne Astronavigation ist fahrlässig"
Das
gelte, sinngemäß, in England für die dortigen Langfahrtsegler - so stand es
unlängst - unkommentiert - in der YACHT.
Eine
solche Meinung, die schlicht falsch ist, kann ich nicht unkommentiert gelten
lassen. Denn sie schadet den Blauwasserträumern. Wenn sich diese auf den großen
Törn vorbereiten, dann stehen sie meist einem Berg von Schwierigkeiten und
Fragen gegenüber: Ist das Schiff das richtige? Soll ich vorher noch einen Chartertörn
mitsegeln? Was sagt mein Steuerberater zu meinen Plänen? Wer
kümmert sich während meiner Abwesenheit um die persönlichen Angelegenheiten
und die Wohnung? Soll ich das Amateurfunkzeugnis erwerben? Und so
fort! Und muß ich jetzt astronomisch navigieren lernen?
Letzteres
ist keine Angelegenheit von ein paar Tagen oder gar Stunden. Bevor Karla und ich vor vielen Jahren auf Weltumsegelung gegangen sind, belegte ich im
Winterhalbjahr einen Kurs, in dem Astro gelehrt wurde - ein halbes Jahr lang
wöchentlich auf der Schulbank. Ich habe dabei diese älteste Art der
Hochseenavigation schätzen und lieben gelernt, hat sie es uns doch überhaupt erst
ermöglicht, um die Welt zu segeln. Darüberhinaus wurde sie letztlich zu meinem
Hobby und ich ging darin derart auf, dass ich das Buch ASTRONAVIGATION OHNE
FORMELN UND COMPUTER schrieb, das sogar ein Admiral der Bundesmarine, nämlich Hans-Rudolf
Rösing überschwänglich lobte und damit absegnete.
Das
Buch wurde in mehrere Sprachen übersetzt und allein in deutscher Sprache
hunderttausend Mal verkauft - eine Zahl, von der die meisten der bekannten
Bestsellerautoren jeder Couleur heute nur noch träumen können.
Niemand
wird mir also vorwerfen wollen, ich hätte was gegen Astronavigation. Nein, gewiss nicht, und
auch heute betrachte ich die Navigation mit den
Himmelsgestirnen als eine wunderbare Liebhaberei. Wo kann man denn schon sonst seine
Position allein mit Hilfe der Natur und ohne jede Elektronik so genau
bestimmen, dass man jedes Leuchtfeuer, jede Riffeinfahrt findet und vor allem das winzige Inselchen
auf der anderen Seite eine Ozeans zielsicher anläuft. Wenn also jemand von
diesem Hobby genauso begeistert ist wie ich, dann sollte er sich hinsetzen und
diese "Kunst" über den Winter erlernen.
Diejenigen aber, die mit ihrer Zeit haushalten müssen und sich nicht mit
unnötigen Dingen während ihrer Vorbereitung auf die große Fahrt
herumschlagen wollen, sollten besser die Finger von diesem zeitaufwendigen Hobby lassen
und sich auf andere, wichtigere Dinge konzentrieren.
Denn
die Zeit für die Astronavigation ist in der Praxis endgültig vorbei.
"Fahrlässig"
heißt, sich auf Grund von selbstverschuldeter Unwissenheit, von
Schlamperei oder von Lässigkeit in Gefahr zu begeben. Die Verfechter
obiger abstruser Aussage gehen also davon aus, dass ein Navigator
sein Schiff in Gefahr bringt, wenn er keinen Sextanten an Bord hat, sondern sich
auf hoher See allein auf das GPS-System (das ist dasselbe, das unsere Navis im Auto oder
die Verkehrsflugzeuge lenkt) verlässt. Weil er nämlich im - ganz unwahrscheinlichen
- Fall des Ausfalls vom GPS nicht anders weiter navigieren kann.
Ich
selbst habe in 10 Jahren auf meinem Schiff in mehreren Erdteilen nicht ein
einziges Mal erlebt, dass das GPS ausgestiegen wäre, und mir ist kein einziger
Fall bekannt, in dem das GPS-Signal über mehr als ein paar Stunden gestört
gewesen oder gar ausgefallen wäre.
Selbstverständlich ist ein Ausfall des GPS-Systems -
theoretisch - möglich. Bei den vielen in das System eingebauten Sicherungen ist
das so wahrscheinlich, wie ein Stromausfall in ganz Deutschland für mehrere
Stunden oder gar Tage.
Theoretisch denkbar, aber nicht einmal zu Kriegszeiten dagewesen! Oder noch
krasser: Es ist vorstellbar, dass auf einer Atlantiküberquerung der Wind
wegbleibt, (wir lagen mal Mitte Atlantik eine ganze Woche in der Flaute und
damit auf dem Fleck). Kann eben passieren, doch nicht ein paar Monate lang, wenn
auch theoretisch denkbar.
Natürlich
ist es durchaus möglich, dass die GPS-Signale von Terroristen durch das
sogenannte Jamming, also durch Störsender unbrauchbar gemacht werden. Aber das
geht, technisch bedingt, nur für das vom Störsender abgedeckte Gebiet, also
sicher nicht in den für die Sportschifffahrt relevanten Gegenden außerhalb
Landsicht, auf hoher See.
Sollte
das GPS mal tatsächlich gestört oder fehlerhaft sein, ist es gänzlich
unwahrscheinlich, dass dies mehrere Stunden oder gar Tage anhält. Und wenn
schon, dann drehen wir halt bei und warten, bis die circa 30 Satelliten uns
wieder unsere Position übermitteln. Als es noch kein GPS gab, war der
Hochseesegler regelmäßig gezwungen beizudrehen, bis der Morgen graute, bis der
sichtbehindernde Schauer vorüber war oder gar, bis die Sonne für eine Messung
vor die Wolken trat - was Tage dauern konnte (wie auf unserer
Weltumsegelung vor Diego Garcia auf Chagos im Indischen Ozean). Und trotzdem ist
damals wegen des vorübergehenden Ausfalls von Mess- oder
Beobachtungsmöglichkeiten keine Yacht mit einem sorgfältigen Navigator aufs
Riff gegangen.
Dementsprechend
wird auf Langfahrtyachten heute nicht mehr astronomisch navigiert. Wer wollte
denn behaupten, dass all die erfahrenen Yachties fahrlässig handeln würden?
Ein großer Prozentsatz der Weltumsegler hat nicht mal mehr einen Sextanten an
Bord, ohne den die Astro-Navigation ohnehin nicht vorstellbar ist. Es gibt unter den tausenden Weltumseglern keinen, der deshalb nicht angekommen wäre, weil etwa das GPS ausgefallen wäre.
Von
den vielen Weltumseglern die ich für meine Webseite interviewt habe (siehe Who-is-Who im Weltumsegeln), habe ich
nur einen einzigen getroffen, der vor wenigen Jahren noch regelmäßig den Sextanten
benutzte. Alle anderen verließen sich ausschließlich(!) auf die
GPS-Satelliten!
Ich
kenne jedenfalls keinen einzigen Langfahrtsegler, der regelmäßig, und nicht
nur wegen der Romantik, einen Sextanten zur Hand nimmt.
Astronavigation
ist, so leid es mir tut, OUT!
Jetzt
wird der eine oder andere darauf hinweisen, dass die Amis vor Jahren im
Lehrprogramm für den Navy-Nachwuchs Astro herausnahmen, kürzlich aber
zu den alten Lehrmethoden zurückgekehrt sind und den Kadetten wieder einen
Sextanten in die Hand drücken. Dies hat aber beileibe nicht den Zweck, dass die Matrosen in der späteren Praxis
ihren Flugzeugträger mit
Sonnen-Standlinien über die Weltmeere navigieren sollen, sondern dieses
Backup ist gedacht für den ganz schlimmen Ernstfall eines Krieges. Wenn dieser
allerdings eintritt, dann werden die Segler nicht gerade inmitten des
Atlantiks sein und Barbados anpeilen.
Bleibt
noch die Suche nach einem Motiv, warum man überflüssigerweise den heutigen
Langfahrtseglern so locker Fahrlässigkeit vorwirft. Meine Erklärung dürfte
viele überzeugen: Die Wächter über Prüfungsvorschriften und Schulungsinhalte
sind naturgemäß älteren Datums, meist grauhaarig. Die kommen noch aus der
Zeit, in der die Auseinandersetzung mit Astro essentiell war. Deshalb geht
ihnen die Forderung nach Fähigkeiten im Umgang mit dem Winkelmessinstrument
sehr leicht über die Lippen. Und siehe da: Ein beeindruckender Wissensvorsprung ist das
gegenüber den unbedarften Navigations-Eleven! So ist ohne Mühe gleich ein
schöner Autoritätsvorsprung hergestellt, was doch jedem gefällt.
Der
Praktiker unter den zukünftigen Weltumseglern sollte den Punkt
"ASTRO" von seiner ToDo-Liste streichen und sich über das gewonnene
halbe Jahr freuen. Für die wenigen anderen war das in den Wind gesprochen!
Bobby Schenk

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