In
den Wind gesprochen (53):
Überleben - für ein paar Euro.
Neulich,
beim Skippertraining in Punat, hörte ich mit Genuss einen Einführungsvortrag des Leiters Michael Menard.
Statt gleich mal das Einfahren in die Box oder ähnlich
praktische Dinge anzusprechen, kam zunächst die Frage an die Teilnehmer:
"Was machen wir als erstes, wenn ein Gewitter naht?“
hmmm…Nun
ja, nach geraumer
Zeit kam aus dem Kreis der Teilnehmer, augenscheinlich
keine unerfahrenen Segler, dann schon – zögernd -
die (richtige) Antwort. Die kennen wir doch alle, oder?
Nächste
Frage: "Wo sind die Feuerlöscher?" Hmmm…, wo haben wir die auf unserem Schiff gleich wieder
gehabt? (.)
Und
dann wollte er noch wissen, wie man am besten einen Brand im Motorraum bekämpft
.
Das
zögerliche Reagieren im Zuhörerraum hat mir die Sorgenfalten ins Gesicht
getrieben. Denn in der Praxis stellen sich derartige Fragen urplötzlich aus
heiterem Himmel. Und dann ist blitzschnelles Handeln gefragt, und nicht langes
Überlegen. Die Fähigkeit, augenblicklich richtig zu reagieren, kann
lebensrettend sein. Sie ist verdammt noch mal wichtiger als die Kenntnis von der
Funktionsweise des Kartenplotters und ähnlicher überflüssiger Dinge.
Mal
ehrlich, machen wir uns nicht viel zu
viel Gedanken über unsere Spielzeuge an Bord, während die essentiellen
Probleme ein wenig auf der Strecke bleiben?
Ein
namhafter Hersteller von Rettungsmitteln auch für Segler vertraute mir mal an:
"Sicherheit verkauft sich schlecht!" Was ich auch selbst erfahren musste, als ich ein Buch über
"Sicherheit an Bord" geschrieben hatte. Als einziges meiner Bücher
blieb es in der ersten Auflage stecken. Der Grund für das Desinteresse dürfte in erster Linie sein, dass man
bei
der Beschäftigung mit seinem Hobby ungern mit dessen Gefahren konfrontiert wird.
Besonders
ärgerlich für mich: Statt, um uns um die wirklich wichtigen Dinge beim Überleben
auf dem Meer zu kümmern, wird zum Beispiel über eine
"Schwimmwestenpflicht" - so wortwörtlich - diskutiert. Oder über
Mann-über-Bord-Manöver unter Segel. All das ist dummes Zeug! Denn es setzt die
Akzente bei der Ausbildung und in der Praxis falsch.
Mal
Hand aufs Herz: Sie fallen beim Pinkeln an der Reling ins 13-Grad-kalte
Ostseewasser. Und müssen daran denken, wie schnell eine Unterkühlung Sie ins
Jenseits befördern kann. Wie hätten Sie es gern? Soll der Skipper nach einiger Überlegung
sich fürs Halsen, für die Kuhwende oder ein Quickstop entscheiden und
dann versuchen, zu
Ihnen wieder herzukommen, oder wären Sie einigermaßen beruhigt, wenn Sie
sehen, dass die Segel runterkommen, Wasser aus dem Auspuff austritt und der Bug
zu Ihnen zeigt?
Mann-über-Bord-Manöver
unter Segel sollten genauso verpönt sein wie Hafenmanöver ohne Maschine, die in vielen Häfen
ohnehin rigoros verboten sind - und dort geht es nicht um Menschenleben, sondern
allenfalls um
Sachschäden. Ist es nicht grob fahrlässig, ein Menschenleben nicht mit allen
zur Verfügung stehenden Mitteln zu retten, und dazu gehört nun mal in erster Linie die Maschine? Also, lassen wir den Unsinn,
Mann-über-Bord-Manöver mit Segel und Fender (meist bei wenig Wind und Seegang)
,
also praxisfremd, zu
trainieren. Es gibt wichtigere Dinge, um die wir uns kümmern sollten.
Unlängst
hab ich eine Unglücksmeldung lesen müssen, die da lautete: "Ein Mitsegler
wurde vom überkommenden Großbaum getroffen und über Bord geschleudert. Er
konnte nur noch tot geborgen werden, weil er keine Schwimmweste getragen
hatte.“
So
ein Blödsinn!
Dieser
bedauernswerte Kamerad ist nicht ertrunken, weil er keine Rettungsweste getragen
hatte, auch nicht, weil der Großbaum übergekommen ist. Und erst recht
nicht, weil
der Rudergänger eine "Patenthalse" gebaut hatte.
Sondern
vor allem deshalb, weil der Großbaum nicht gesichert war!
Mal
ehrlich, wer von uns hat nicht schon mal eine unbeabsichtigte Halse gebaut? Glück
gehabt! Denn es gibt viel Gründe für eine Patent-Halse oder den Strömungsverlust
im Großsegel, was den Baum ohne Bullentalje wild hin- und
herschlagen läßt: Der Wind kann drehen oder er lässt unvermittelt nach, der
Rudergänger ist unaufmerksam, durch Seegang (oder Schwell vom vorbeifahrendem
Motorboot) wird die Yacht aus dem Kurs geworfen und so fort. Besonders groß ist
die genannte Gefahr einer unbeabsichtigten Halse, wenn eine Selbststeueranlage
das Kommando hat. Insbesondere die unersetzlichen Windsteueranlagen fahren naturbedingt
vor allem vor dem Wind so große Kursabweichungen, dass eine Halse bei
Vorwindkursen schon vorprogrammiert ist. Oder die Mannschaft ist nicht in der Nähe
des Ruders, wenn der Wind nachlässt oder umspringt.
Denn
der auf unseren Yachten außer Kontrolle geratene, je nach Yachtgröße fünf
bis zehn Meter lange Metall-Großbaum hat durchaus
genug Wucht,
um jeden Menschen, der ihm in die Quere kommt, zu erschlagen oder ein paar Meter
weit in den Ozean zu schleudern. Die Amerikaner sagen zu einer großen Spiere,
das ist der Großbaum, deshalb zutreffend "Widowmaker".
Wenn
man einem Laien angesichts dieses frei
schwingende n Dings versichern würde, dass der Wind die Spiere schon sicher halten wird,
wäre er gewiß erstaunt. Ich behaupte mal, wenn der Großbaum, so wie er in der Praxis gehandhabt
wird,
vom TÜV genehmigt werden müsste (was Gott sei Dank nicht der Fall ist),
würde er zweifellos wegen potentieller Gefährdung der Crew keine Genehmigung bekommen.
Dabei ist es doch so einfach, ihn zu entschärfen: Ein
"Kälberstrick" (ich drück mich mal betont laienhaft aus, um die
Primitivität dieser Vorrichtung zu verdeutlichen, am besten von der Nock des Baums zu einem
festen Punkt auf Deck gebunden, und schon ist der Killer fixiert und damit
entschärft. Bei ausreichender Festigkeit des Decksbeschlages und des Tampen
(kann ein Stück aus einer ausrangierten Schot sein) können wir dann
Patenthalsen fahren so viel wir wollen und die Segel die Tortur aushalten.
Vor vielen Jahren war auf den großen
hölzernen Yachten unter Baumwollsegel (siehe die wunderschönen Fotos von
Beken/Cowes) die Bullentalje oder zumindest der Preventer die Regel, doch auf
den heutigen Regattayachten, wahre Rennmaschinen, ist er weitgehend
verschwunden. Sicher zu Recht, denn dort geht es ja in erster Linie um den
schnellen Ablauf eines Manövers, und da würde diese Talje zur Großbaumnock
nur hinderlich sein. Aber wir sollten uns das nicht zum Vorbild nehmen, die heutige
Regattasegelei ist vom Fahrtensegeln so weit entfernt wie die Formel 1 von einer
Urlaubsfahrt im SUV:
In
den fünfziger Jahren, als Deutschland noch nicht durchgehend motorisiert war,
lag die Todesrate im Straßenverkehr dramatisch bei nahezu zwanzigtausend -
allein in der BRD. Heute im wesentlich größeren Land bezahlen immer noch
Autofahrer mit ihrem Leben, aber es sind „nur“ noch vergleichsweise wenige, nämlich um die
viertausend. Fachleute sind sich darüber
einig, dass diese grandiose Verbesserung der Statistik vor allem an der zwischenzeitlich eingeführten
Gurtpflicht liegt.
Und
so einen Gurt sollten wir auch an Bord haben und benutzen. Eigentlich ein Muss!
Aber die Praxis sieht anders aus. Lieber werden jede Menge Hilfsmittel gefahren,
um einen Überbordgegangenen aus dem Teich zu fischen, sei es per Leinenapparat,
sei es per Funk, sei es per Markierungsboje, sei es per Leesegel oder sei es per
Niro-Kippe auf der Reling aufgesetzt etc. als ihn vorher per Lifebelt ans Schiff zu
fixieren, so dass ein Überbordgehen als Todeskandidat von vorneherein
ausgeschlossen ist. Dank dem Lifebelt mit daran befestigter Leine. Oder wenn schon Rettungsweste, dann
mit integriertem Lifebelt.
Freilich
ist dann auch Voraussetzung, dass der Mann/die Frau sich möglichst durchgehend vom Cockpit bis zum Vorschiff eingepikt hat.
Die Reling taugt hierzu nur bedingt, weil der Karabiner der Leine ständig
umgepikt werden muss, ausserdem ist sie schon deshalb zum Befestigen der Leine
nur schlecht geeignet, weil sie das Überbordgehen kaum verhindert, und wenn,
dann mit einem ans Schiff gefesselten Mann im Bach. Deshalb sollte man für das Fixieren, Lösen und
Umsetzen der Lifeleine Vorsorge treffen, indem man
beidseits Strecktaue
auslegt und befestigt. Gehen Sie mal durch eine Marina mit lauter
Fahrtenyachten, und suchen die Schiffe ab nach einem Strecktau zum Einpicken.
Traurig, was?
Einfache
Drahtseile kann man sich leicht mit Preßkauschen selbst herstellen. Eigentlich
sollte man erwarten, dass Werften ihre Yachten ("geeignet für die
weltweite Fahrt") ohnehin mit Strecktauen ausrüsten. Fehlanzeige, denn das
für die Schönheit der Yacht so ungeheuer wichtige Teakdeck könnte ja beschädigt
werden, wenn hier ständig Drahtseile für ein paar Euro rumliegen und darauf
rumgetrampelt wird. Das
sind Prioritäten!
Noch
schlimmer ist aber die Tatsache (und das beweist, dass die Werft den Faktor
"Sicherheit" nicht besonders hoch schätzt) , dass viele moderne Großbäume an der Nock
kein Auge für den Bullenstander haben, so dass die Anbringung des Kälberstricks
irgendwie unter Einbeziehung der Dirkbefestigung improvisiert werden muss - oder
man macht Nägel mit Köpfen und lässt sich ein Auge an die
Nock einschweißen.
Der
Sicherheitsgewinn mit Bullenstander und Lifebelt ist mit keinen anderen
Hilfsmitteln so hoch. Und fast kostenlos!
Ja,
ich weiß, das ist in
den Wind gesprochen!
Bobby Schenk
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