In
den Wind gesprochen (55):
Wahrschau -
Todesgefahr!
Vielleicht war der Redakteur einer Segelzeitschrift nur gedankenlos, als er diese Einleitung
formulierte, oder er ist Jollensegler, vielleicht auch an einem Binnensee zu Hause, Foiler-Matrose, Pedalist auf einem America's Cupper oder sowas Ähnliches. Sicher ist er kein Hochseesegler, der auf einem Fahrtenkat oder einem Einrümpfer über die Ostsee, auf dem Atlantik oder sonstwo auf einem Meer herumwandert.
Denn seine Aussage ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Ein namhafter Hersteller von Rettungswesten brachte es auf den Punkt: "Sicherheit verkauft sich schlecht!"
Und damit hatte er recht. Denn der Hochsee-Segler - den ich meine - ist ja aus Begeisterung auf der Yacht, um das Schöne im Leben zu genießen und nicht, um mit Todesgefahren - und die sind, wie wir wissen, allgegenwärtig - konfrontiert zu werden. Ich hab es oft erlebt, dass neue Mitsegler für den Urlaub oder die Atlantiküberquerung auf mein Schiff gekommen sind, ziemlich bald nach der Rettungsweste (oft haben sie auch von "Schwimmweste" gesprochen) gefragt haben und zufrieden damit abgezogen sind, um sie in ihrer Kajüte in den Schrank zu hängen. Damit war
für sie das
Thema Sicherheit erledigt. Kaum jemand hat mich nach einem Sicherheitsgurt gefragt; das schien ihnen schon zuviel der Gefahrenabwehr zu sein. Offensichtlich hatten sie kein Verlangen nach mehr
Konfrontation mit tödlichen Gefahren.
Seien wir mal ehrlich: Klein Fritzchen (und nicht nur der, sondern auch viele Segelausbilder) stellen sich den
Worst Case mit der Rettungsweste doch so vor: Der Mann mit Rettungsweste geht über Bord. Vollautomatisch wird die Weste vollgepumpt, während der Rudergänger das angelernte Mensch-über-Bord-Manöver einleitet. Das sich allerdings
deutlich von den bei Flaute trainierten Mann-über-Bordmanövern unterscheidet, weil See und Wind erheblich böser sind, sonst wäre der Mann/die Frau wohl nicht über Bord gegangen. Gleich werden die verschiedenen Rettungsmittel zum Rausholen eines im Wasser treibenden Menschen einsatzbereit gemacht.
Solche Rettungsmittel gibt es viele, ihre Tauglichkeit im Ernstfall haben wenige bis gar keine
bewiesen. Also: Die nachgeschleppten Leinen, der umfunktionierte Großbaum als Kran für den zu Rettenden, das Großfall, die Nirostakonstruktion zum Hochhieven aus dem Wasser, die auf der Reling aufgesetzt wird, das Leesegel im Wasser, die verschiedensten automatisch aufblasbaren Markierungsbojen, das an der Bordwand befestigte großmaschige Netz (eigentlich zum Abdecken von Auto-Anhängerladungen), die spezielle (Bade-)Leiter, die auf der Seite bei Bedarf eingehängt wird oder - ganz großes Kino - der Peilsender, mit der der im Wasser Treibende angepeilt wird, wenn der sich nicht schon selbst per wasserdichter UKW-Funke meldet.
Der Erfindungsreichtum für solche Rettungsmittel scheint grenzenlos - und ist vollkommen
überflüssig: Wenn der Verunglückte ans Schiff angebunden ist.
Nein, das wichtigste Rettungsmittel auf einer Hochseeyacht ist nicht die Rettungsweste, sondern der Sicherheitsgurt! Das ergibt sich schlicht aus der Frage, was besser ist, über Bord zu gehen und - vielleicht - rechtzeitig oder als Leiche aus dem Wasser geborgen zu werden, oder aber erst gar nicht ins Wasser zu fallen.
Letzteres garantiert nur der ordnungsgemäß eingepickte
Rettungsgurt.
Es ist absolut unverständlich, dass von den Fachzeitschriften (übrigens auch von Rettungsinstitutionen) die Rettungsweste propagiert und umworben wird, während der
Sicherheitsgurt kaum Beachtung findet.
Dass der Unzahl der Patent-Erfindungen zum Rausholen des Verunglückten in den
einschlägigen Medien soviel Platz eingeräumt wird, verharmlost die Todesgefahr
für den Unglücksraben, der in der aufgewühlten eiskalten See treibt.
Dabei liegt es doch auf der Hand, dass der Sicherheitsgurt, rechtzeitig angelegt und
eingepickt, eine Rettung überflüssig macht. Denn wenn niemand ins Wasser fallen kann, braucht auch
niemand aus dem Wasser gerettet werden.
Eine Rettungswestenpflicht zu diskutieren, ohne den Sicherheitsgurt auch nur zu erwähnen, ist leichtfertig. Der Segler wird dadurch verführt, zu glauben, er habe alles für die Sicherheit getan, wenn er nur die Weste überstreift.
Selbstverständlich ist eine gut gewartete Rettungsweste auf einer Hochseeyacht nicht
überflüssig. Vielfältig sind die Situationen, in denen sie sicherheitshalber angelegt sein muss. Zum Beispiel bei einer rauen Überfahrt mit dem Beiboot auf dem Ankerplatz, ebenso beim Ausbringen einer Landfeste, oder gar, wenn das Schiff verlassen werden muss. Kurz überall da, wo ein Crewmitglied nicht sicher an der Yacht angeleint sein kann, andererseits aber die Gefahr besteht, dass er ins Wasser muss. Dann ist die Rettungsweste eine Schwimm- oder treffender eine "Überlebens-Hilfe".
Was mich besonders an solchen Diskussionen stört, ist, dass längst der Beweis erbracht worden ist, wie gefährlich es ist, als Yachtsegler auf den Sicherheitsgurt zu verzichten. Wenn ich zum x-ten Male lesen muss, dass in deutschen Gewässern eine
treibende Yacht gefunden wurde und vom Skipper jede Spur fehlt, dann frage ich mich, warum nicht ein einziger derartiger Fall die Segler, die ihr Leben allein auf die Weste setzen, zum Umdenken veranlasst. Denn Yachten verschwinden kaum, Segler und Skipper dagegen des öfteren und das immer mit tödlichem Ausgang.
Aber es trifft nicht nur die Namenlosen, die Unbekannten, sondern auch regelrechte Seehelden wie zum Beispiel den Schriftsteller
Karl Vettermann, dem wir die unvergesslichen Barawitzka-Bücher verdanken und der auf dem Weg von Barbados nach St.Lucia bei bestem Wetter über Bord gegangen ist und nie wieder gesehen wurde. Beim ersten Whitbread-Race, dem Vorläufer des Volvo-Race sind während eines Rennen gleich
drei Kameraden, allesamt erfahrene Hochseesegler , ins Wasser gestürzt und für immer verschwunden. Das bekannteste traurige Beispiel für den fehlenden Sicherheitsgurt ist der
französische Seeheld (und Ritter der Ehrenlegion) Eric
Tabarly, vielfacher Hochseeregatta-Sieger, Kap-Hoorn-Bezwinger (auf der offenen Strecke durch die Vierziger), Einhand-Transatlantik-Sieger und so fort. Überliefert ist sein Statement, dass er - sinngemäß - einen Sicherheitsgurt ablehnt, weil der ihn in seiner Freiheit beschränkt. Bei einem an sich harmlosen Segelausflug in der walisischen See kam der Baum seiner Familienyacht Pen Duick in der Nacht über (Bullenstander?), worauf der nicht angeleinte Tabarly ins Wasser geschleudert wurde. Wochen später
fanden Fischer seine Leiche. Möglicherweise hat Tabarly bei seinem Seglerleben nur einen einzigen Fehler begangen. Und der war auch sein letzter.
Sie alle wären am Leben geblieben, wenn sie angeleint gewesen wären! Es gibt auch Beispiele, wo der Rettungsgurt tatsächlich zum Lebensretter geworden ist, wie
- hier kann man's nachlesen -
auf einer stürmischen Hochseeregatta. Der Gerettete spricht von seinem neuen
Geburtstag.
Andererseits bleibt mir für immer eine Situationsbeschreibung aus dem Buch
Yachtüberführung das ganze Jahr im Gedächtnis, wo der Autor den Augenblick, als er frühmorgens zur Wache ins Cockpit kommt und seinen Kameraden vermisst, sinngemäß so schildert: "Es gibt keinen schlimmeren Anblick, als das
vereinsamte Cockpit mit der Pinne, die mal nach Backbord, mal nach Steuerbord wedelt."
Ein ordnungsgemäß angeleinter Segler kann nicht über Bord gehen und ersaufen. Natürlich stellt sich die Frage, ob man dann zum Beispiel auf Blauwasserfahrt an Deck rund um die Uhr einen Sicherheitsgurt mit eingepickter Leine tragen soll. Das wäre sicher übertrieben und das macht auch kein Langfahrtsegler. Aber wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass man unangeleint in Gefahr gerät, sollte man zu Gurt und Leine greifen.
Ein Erlebnis, das mir haften blieb: Bei ruhiger See und vielleicht vier Bft liefen wir mit achterlichem Wind im friedlichen Passat dahin und dachten nichts Schlimmes. Als plötzlich, wie aus heiterem Himmel, eine
nachlaufende See in das Cockpit unserer 10-Meter-Yacht THALASSA einstieg und Carla und ich uns auf der Reling sitzend wiederfanden. Nebenbei, das Cockpit war randvoll mit Seewasser, sonst war nichts geschehen. Das "sonst" klingt ein wenig harmlos, aber tatsächlich hätte nicht viel gefehlt, und die See hätte uns beide so hochgeschwommen, dass wir über Bord gegangen wären. Die Lehre hieraus haben wir gezogen: Immer, wenn wir alleine oder nachts im Cockpit Wache gingen, leinten wir uns an, und sei es nur
mit Hilfe einer Schot, um die Hüfte geschlungen und mit einem Palstek zugezogen. Ansonsten sicherten wir uns per Leine bei Wind, wenn wir aufs Vorschiff oder zum Mast mussten, und erst recht, nahezu immer, wenn es nachts an Deck etwas zu erledigen galt.
Als Carla und ich uns auf den offenen Weg von Tahiti zum Kap Hoorn vorbereiteten, spannten wir einen
Niro-Stropp (heute würde ich Dyneema-Material nehmen) beidseits vom Cockpit zum Vorschiff, so dass wir nonstop angeleint das Vorschiff erreichen konnten, ohne den Gurt umsetzen zu müssen.
Die Reling ist ein schlechter Ort, um den Gurt einzupicken. Denn wenn dieser zum Einsatz kommt, dann ist man zwar ans Schiff gesichert, aber über Bord ginge man doch und würde an der Bordwand mitgeschleift. Was eine Rettung aus dieser misslichen, aber noch nicht lebensgefährlichen Lage schon ziemlich erschweren würde. Außerdem muss der Karabinerhaken wegen der Relingstützen
mehrfach umgesetzt werden, was dazu führt, dass man doch für nennenswerte Augenblicke ungesichert ist. Der Gurt sollte also möglichst
mitschiffs fixiert werden, was immer möglich ist, wenn man den Belt um den Festmachepunkt (zum Beispiel den Mast) herumschlägt und dann erst den Karabiner haken schließt - siehe Foto.
Damit wir uns recht verstehen, ich habe selbstverständlich nichts gegen Rettungswesten, doch eine Überlebensgarantie sind sie nicht. Der Gurt schon. Am besten ist es selbstverständlich, eine
Rettungsweste zu benutzen, in die ein Sicherheitsgurt integriert ist, wie bei praktisch allen Erzeugnissen der renommierten Westenhersteller. Dann hat man das Höchstmögliche für seine Sicherheit getan. Allerdings sind auch solchen Westen Grenzen
gesetzt, denn in den Tropen sind sie oft zu unbequem und zu lästig, um viele Tage lang rund um die Uhr getragen zu werden. Außerdem besteht die Gefahr, dass die Vollautomatik bei überkommendem Wasser auslöst und dann plötzlich die Bewegungsfreiheit beim Arbeiten an Deck gefährlich eingeschränkt ist. Deshalb ist es auf Langtörns ein Muss, auch einen einfachen Sicherheitsgurt ohne eine Rettungsweste dabeizuhaben.
Das kann doch nicht in den Wind gesprochen sein!
Bobby Schenk
Anmerkung: Mein Dank
gilt Hanspeter von der NATHAPE (einer Amel
Super Maramu) und seinen "Modellen", welche die Fotos zu diesem
Artikel eigens angefertigt haben und aus denen man gleich erkennt,
dass Hanspeter ein erfahrener Langfahrtsegler ist. Er befindet sich seit vielen
Jahren zusammen mit seiner Frau Rita auf Weltumsegelung. Warum diese Erwähnung? Weil die Webseite
der Nathape eine der allerschönsten Weltumsegler-Homepages ist. Neben
vielen technischen Details finden sich Fotos zum Träumen.
Vorsicht Ansteckungsgefahr!
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