In den Wind gesprochen (63):

Um die Welt foilen? - und die Vierfünftel-Regel

 

Noch vor ein paar Jahren wären solche Prospektangaben über das (oder den) iFLY als Utopie belächelt worden:

"Fliegbarer(!) Wind: 6Knoten bis 25Knoten -  Boat Speed bis 30 Knoten, bis doppelte Windgeschwindigkeit." 

Aber nein, das sind keine plumpen Werbeversprechungen, das sind Fakten, beweisbar. Und dass in nächster Zukunft die Americas-Cupper ebenso auf Foilerkufen daherrauschen, ist auch kein Geheimnis mehr. Da fragt sich der Fahrtensegler, erst recht der Blauwasserträumer natürlich sofort: Wäre das nicht auch was für Blauwasser-Reiseyachten, für Weltumsegelungen? Schließlich nähern sich die Rekordetmale von ausgewachsenen Yachten, meist mit mehr Rümpfen, die mit mehrköpfiger Mannschaft, zuletzt auch als Singlehander die Geschosse bedienen, dem 1000-Meilen-Etmal. Und ist es da nicht absehbar, dass der Globus demnächst noch schneller als derzeit in 7 Wochen, 42 Tagen, umrundet wird?

Dabei sind es gerade fünf Jahrzehnte her, dass die erste Non-Stop-Weltumsegelung, damals eine der ganz großen Weltsensationen, 312 Tage, also fast ein ganzes Jahr dauerte.

Es gibt wohl heute kaum einen Weltumsegel-Träumer, der sich auf der Suche nach einem geeigneten Schiff nicht irgendwann die Frage stellt: Wann gibts denn endlich eine "Fahrtenyacht" mit Foiler unterm Rumpf oder am Ausleger, damit wir uns nicht mehr mit Etmalen (Strecke von Mittag zu Mittag) von mickrigen 120 bis 150 Seemeilen abfinden müssen? Damit wir schon in zehn Tagen über den Atlantik brettern können und nicht in Schleichfahrt von 20 Tagen und mehr?

Man könnte aber auch Folgendes fragen: Wenn das Segeln so wunderschön ist und alle Fahrtensegler von dieser natürlichen Antriebsweise so sehr begeistert sind, warum um alles in der Welt haben wir dann den absurden Ehrgeiz, die Segelei mit rasend schnellen Schiffen so schnell wie möglich hinter uns zu bringen?

Gut, die Frage war jetzt nicht ganz fair, denn wir Blauwasser-und Langfahrtsegler begeistern uns ja nicht nur für die hohe Geschwindigkeit, sondern insbesondere für die Art, auf Langfahrt mit und auf dem eigenen Heim (Yacht) zu leben - für das Blauwasserleben eben. Und da steht die Geschwindigkeit des "swimming home" (wie der große Fahrtensegler Hiscock seine Weltreiseyachten bezeichnet hat) nun mal nicht an erster Stelle.

Bei weitem nicht, denn die Prioritäten sind ganz anders zu setzen. Fürs Langfahrtsegeln gilt nämlich die Vierfünftel-Regel!

Sie kennen die nicht? Kein Wunder, denn ich hab sie gerade erfunden. Aber das ist nicht etwa meine persönliche Spinnerei, sondern sie können sie in zahlreichen Veröffentlichungen, sei es in Buchform (so bei Moitessier), sei es in tausenden Segel-Blogs in irgendeiner Form entdecken. Sie besagt, leicht provozierend (damit man sich an sie besser erinnert, wenn man auf Schiffssuche ist), dass es auf die Geschwindigkeit einer Yacht, so wie auf viele andere Eigenschaften (zum Beispiel auf weiches Einsetzen oder Verhalten am Wind) bei einer Wanderreise über die Weltmeere nur ganz am Rande ankommt:

Gehen wir mal von der Planung einer Weltumsegelung aus: Wieviele Seemeilen lang ist diese? Das kann man leicht im Kopf abschätzen. Der Umfang der Kugel, auf der wir leben, ist am Äquator (dort ist eine Weltumsegelung am längsten) exakt 360 Grad, und, folgendes sollte wir auch heute im Zeitalter des GPS wissen, sonst verdienen wir den Titel "Navigator" ja gar nicht: Nachdem dort jeder Grad genau 60 Seemeilen ist, ist der Umfang des Globus halt 360 mal 60, also 21600 Seemeilen. Rechnen wir dazu, dass eine Yacht auch mal nach Norden (Panama, kanarische Inseln) oder nach Süden (Neuseeland) ausweicht, dann kommen wir für eine "normale" Weltumsegelung auf der Passatroute halt auf runde 25 Tausend Seemeilen. Punkt. Wenn man mehr in arktischen Gebieten rumkreuzt, dann sind es noch weniger. Nebenbei: Wenn einer im Internet mit gigantischen Meilenzahlen prahlt, sollte man ihn nach der Anzahl der Weltumsegelungen fragen.

Wie lange brauchen wir mit unseren Fahrten-Schiffen für diese Strecke? Wenn ich bei diesen Annahmen früher immer so von einem Etmal von 100 Seemeilen ausgegangen bin, hab ich viel Widerrede einstecken müssen dahingehend, dass unsere modernen Schiffe ja doch viel schneller seien. Obwohl ich das weitgehend bestreite - auf einer Weltumsegelung hat man ja auch mit Flauten und Gegenwind zu rechnen - gebe ich jetzt mal klein bei und gehe  für meine Vierfünftel-Regel von einem Durchschnittsetmal von 120 Seemeilen aus, was die Rechnerei enorm erleichtert, dann brauchen wir - 21600  dividiert durch 120 -  gerade einmal 180 Tage, also ein halbes Jahr Segelzeit, um eine Weltumrundung unter dem Dacron-Tuch runterzusegeln.

Die zweite Unbekannte, die bei der Vier-Fünftel-Regel zu beantworten ist, finden wir hier: Who-is-Who-im-Weltumsegeln, nämlich die tatsächliche Dauer einer Weltumsegelung. Dort haben inzwischen genau hundert Weltumseglercrews über ihre Circumnavigation geschrieben und unter anderem auch die Frage beantwortet, wie lange sie unterwegs waren. Blauwasserseglerin (und Physikerin) Sabine Seren gebührt Dank dafür, die Antworten statistisch mühsam hier ausgewertet und diese Graphik erstellt zu haben:

Sabine kommt auf eine statistische Weltumsegelungs-Dauer von über fünf Jahren. Lassen wir die statistischen Ausrutscher (schneller als 3 Jahre und langsamer als acht Jahre) weg, dann ergibt sich eine Zeit von etwa drei bis vier Jahren. Und wenn wir von einem Duchschnitts-Etmal von 120 Seemeilen ausgehen, dann kommen wir mit der genannten Formel - ein Fünftel der Zeit Segeln, vier Fünftel der Zeit Wohnen und Leben auf dem Schiff im Hafen oder vor Anker der Realität sehr nahe. Und -  je schneller das Schiff, desto ungünstiger wird das Verhältnis für das Segeln.

Resumee: Die Schiffsgeschwindigkeit spielt auf einer Weltumsegelung als Zeitfaktor eine sehr, sehr untergeordnete Rolle. Der Wohnkomfort dagegen ist fürs lange, hoffentlich schöne Leben in der Fremde von herausragender Bedeutung. Freilich, das merkt man erst, wenn man zum Beispiel bei strömendem wochenlangen Regen zur Hurricanezeit in Fiji - verdammte "convergence zone"! - am Ankerplatz dahinvegetiert.

Da sehe ich schon die erhobenen Zeigefinger: "Ein hohes Geschwindigkeitspotential ist ein wichtiger Sicherheitsfaktor, da kann man gefährlichem Wetter ausweichen."

In dieser Allgemeinheit ist diese Aussage ein Schmarrn. Ob eine Yacht sechs oder acht oder zweistellige Knoten segeln kann, fürs Ausweichen vor einem nahenden tropischen Zyklon reicht es so oder so nicht!

Also: Bei der Anschaffung einer Fahrtenyacht ist es unvernünftig, zugunsten der Geschwindigkeit Kompromisse zu Lasten des Wohn-und Lebenskomforts einzugehen. Denn ungefähr vier  Fünftel (oder so) der Zeit segeln wir auf einer Weltumsegelung nicht, sondern wir leben an den schönsten Plätzen, die unser Planet bietet.

Und damit zurück zu den Foiler. Die ich bewundere, die aber mit "unserer" Art zu segeln, nichts gemein haben. Denn um deren Potential zu erreichen, müssten die Yachten sehr leicht (und schnell) sein. Um sie aus dem Wasser heraus ins Gleiten auf Kufen zu bringen, müsste an einer Fahrtenyacht Gewicht noch und noch eingespart werden, also wo es nur ginge. Schweres Ankergeschirr, große Batteriekapazität, alles Dinge, die das Leben unterwegs sicher und komfortabel machen, oder gar Bleiballast würden zuverlässig verhindern, dass die Yacht auf Foiler auch nur zum "Stehen" kommt. Unabhängig davon wäre so ein Foiler von kaum einer Selbststeueranlage, erst recht von einer Windsteueranlage nie und nimmer rund um die Uhr am Gleiten zu halten. Diese Geräte - siehe oben - sind eine ganz geniale, faszinierende Erfindung einer ganz neuen Segeldimension und Entwicklung, in der Fahrtensegelei jedoch werden sie in absehbarer Zeit, viele Jahrzehnte, nichts zu suchen haben. Ich spreche hier von jahrzehntelangen Erkenntnissen, denn wissen wir nicht auch, dass Weltumsegelungen mit Renn-Jollen trotz derer guten Gleiteigenschaften noch nie unternommen wurden? Unabhängig vom Sicherheitsaspekt!

Jeder Fahrtensegler, der auf Schiffssuche ist, sollte das mit der Foilerei (ebenso wie mit dem immer wieder in den Köpfen rumgeisternden Elektroantrieb mit gigantischen Batterien) ganz schnell vergessen. Intakte Kunststoffschiffe, auch mit dreißig Jahren und mehr auf dem Buckel, deren Geschwindigkeitsanzeiger nie in den zweistelligen Bereich kommen, sind immer noch die "idealen" Weltumsegelungsyachten. Ich erinnere: Weltumsegler Walter König, einer der ersten hier, war mit seinem sieben-Meter-Schiff ZARATHUSTRA, das nie über fünf Knoten hinauskam, überglücklich. Er, der kurz darauf verstorben ist, hatte sich damit noch den Traum seines Lebens erfüllt.

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