In den Wind gesprochen (68):

Yacht ist gestrandet ? (68)

Der Schock, den uns das Corona-Virus verpasst hat, muss auch den Langfahrtsegler nachdenklich machen. Denn das ist der Albtraum: Du überquerst einen Ozean und statt des "drink on the other side of the ocean" (nach – nicht nur - englischer Meinung der Höhepunkt einer Atlantiküberquerung) erfährst Du am Funk: "Einlaufen verboten!"

Doch so ganz neu ist das, was nunmehr hunderten Yachten weltweit widerfährt, auch wieder nicht. Wir haben das - im Ergebnis - ein paar Mal erlebt.

Da waren wir mit unserer 34-Fuß-Sloop Thalassa heil durch die schwierige (kein GPS!) Torresstraße gekommen und wollten nach einer langen Ozeanpassage hundemüde in Timor einlaufen. Doch wir mussten feststellen, dass ein Anlanden wegen chaotischen Schwells im Hafen unmöglich und eine Wetterbesserung nicht in Sicht war. Was half es? Wir mussten unsere Landeversuche abbrechen und uns kurz vor Sonnenuntergang wohl oder übel wieder auf den Weg nach "draussen" machen - mit dem nächsten Ziel, Bali. Tausend Meilen weiter - ohne GPS, das es damals noch nicht gab, und nur mit einem ganz groben Übersegler auf dem Navigationstisch.

Oder: Als wir nach einem durch wochenlangen Dauerregen geprägten ermüdenden Törn über den Indischen Ozean endlich Diego Garcia auf Chagos erreicht hatten, gewährte uns der offensichtlich sadistisch veranlagte englische Chef der Insel (der britische Archipel war an die Amis nur verpachtet) ganze drei Tage Aufenthalt, und zwar ohne die Möglichkeit, uns zu verproviantieren. Was blieb uns anderes übrig, als hungrig 1050 Meilen weiter nach Madagaskar zu segeln. Ob unsere Verwünschungen in Erfüllung gingen, weiß ich leider nicht.

Als der Franzose Bernard solo mit seinem 7-Meter-Schiffchen La'FRANCHI in Galapagos angekommen war, verlangte der abgeordnete chilenische Kommandant enorme Aufenthaltsgebühren, die wahrscheinlich in seine eigene Tasche wandern sollten. La'FRANCHI musste seine Ersparnisse in Form von Reiseschecks aus seinem Versteck unter der Koje zusammenkratzen und sie dem Militärmenschen aushändigen. Erfreulicherweise bemerkte dieser nicht, dass es sich um Reiseschecks in Schweizer Franken statt US-Dollars handelte und zahlte großzügig Wechselgeld in Cash aus. Damals wegen des Wechselkurses ein exzellent gutes Geschäft für den immer klammen Bernard, aber ein Bleiben auf Santa Cruz war damit natürlich nicht mehr möglich, und so machte sich Bernard schleunigst auf den Weg nach den Marquesas Inseln, ohne sich noch mit Wasser oder Proviant eindecken zu können. Läppische 3200 Seemeilen halt weiter.

Anderes Beispiel: Als wir dreißig Jahre später mit unserem Katamaran von Las Perlas bei Panama nach Galapagos segeln wollten, wurde aus dem gemütlichen Segeln zu dieser zauberhaften Inselwelt und unseren Freunden, den Angermayers, nichts, weil uns eine tropische Störung in die Quere kam. Wir änderten dann halt unsere Pläne nebst Kurs und liefen die Marquesas Inseln an, ohne nochmals Wasser oder Proviant an Bord nehmen zu können. Die zusätzlichen fast 4000 Meilen belasteten unsere Essens- und Wasservorräte (kein Watermaker!) aber nicht groß.

Solch überraschende Kursänderungen wären eigentlich in der Welt des Blauwassesegelns nicht besonders erwähnenswert, wenn nicht die Corona-Katastrophe über Tausende von Yachten unvermittelt hereingebrochen wäre. Und wenn nicht niemand, aber wirklich niemand auf der Welt, 2020 mit einer solchen Pandemie gerechnet hätte. Die Crews und ihre Schiffe standen plötzlich vor der Situation, dass sie an manchen Zielen nicht nur nicht willkommen waren, sondern geradezu unerwünscht. Und man vom nächsten vorstellbaren Ziel gehört hatte, dass man auch dort nicht anlanden darf.

Aber so eine Situation kann schließlich aus mehreren vorstellbaren Gründen entstehen, zum Beispiel durch Krieg oder eben, wie jetzt, durch eine Pandemie. Eine unerwartete, schlimme Situation, in der ich nicht sein möchte. Trotzdem hat es mich schon - zugegeben aus der bequemen Ferne - verwundert, wie Ozeansegler, sofern sie auslaufen hätten dürfen, teilweise hilflos reagiert haben. Da war vom überhasteten Heimsegeln in die EU mit ungeeigneter Crew, von der erbetenen Hilfe durch das Auswärtige Amt, ja von der Begleitung eines Konvois in die Heimat durch eine Bundeswehr-Fregatte die Rede und vor allem vom gefährlichen Wetter "um diese Jahreszeit - März, April".

Fakt aber ist, dass zur Rückreise per Yacht, also um von Westindien zu den Azoren und dann in die EU zu gelangen, wo man Yachten mit der schwarz-rot-goldenen Nationale am Heck das Landen nicht verwehren kann, die Monate März bis Juni die günstigsten sind. Die Strecke bin ich mehrmals genau um diese Zeit abgesegelt. Was sich immer als "richtig geplant" erwiesen hat.

Immerhin handelt es sich hier um Yachten, die gemeinhin als hochseetüchtig gelten - sonst wären sie ja gar nicht nach Amerika gesegelt. Der Unterschied zu Motoryachten, auf den wir als Segler so stolz sind, ist doch vor allem der, dass Hochsee-Segelyachten eine unbegrenzte Reichweite (per Wind) besitzen, während der Motorbootskipper durch die Größe seiner Tanks und den deshalb endlichen Treibstoffvorrat eingebremst wird.

In einem Punkt aber sind beide Yacht-Typen gleich: Die Reichweite bei beiden Yacht-Typen wird natürlich durch den Vorrat an Wasser und Proviant bestimmt, und das ist sicher ein Punkt, dem in Zukunft bei der Planung und dem Bau einer Yacht erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Denn wenn eine 10-Meter-Yacht mit sechs Personen an Bord über den Atlantik segelt und zum Beispiel unterwegs der Mast bricht, sodass statt der geplanten 20 Tage 40 Tage ohne fremde Hilfe werden, dann handelt es sich von vorneherein um einen Seenotfall. Denn der Mensch kann hungernd ein paar Wochen überleben, ohne Trinkwasser für sechs(!) Personen ist er jedoch in wenigen Tagen am Ende. Daraus folgt: Die Reichweite einer Segelyacht wird in erster Linie durch ausreichenden Stauraum für Wasser und Lebensmittel begrenzt. Und der ist naturgemäß abhängig von der Anzahl und den Ansprüchen der Mitsegler.

Als Karla und ich zum ersten Mal mit einem 10-Meter-Schiff den Atlantik überquerten, benötigten wir anstatt der geplanten 20 Tage 35 Tage, weil es damals als höchst unseemännisch galt, die Maschine in der siebentägigen Flaute anzuwerfen. An Bord waren bei der Abfahrt gerade mal 250 Liter Wasser und 100 Liter Diesel. Das Süßwasser diente ausschließlich zum Zähneputzen und zum Trinken. Alles andere lief mit Seewasser ab - Gewöhnungssache. Doch bei der Zielankunft hatten wir das Gefühl, wir hätten noch ein paar Wochen leicht durchhalten können. Mit gleichem Schiff und Vorrat liefen wir mal von Lüderitzbucht direkt nach den Azoren 5600 Seemeilen weit und benötigten hierfür 56 Tage. Sowohl Wasser und Konserven waren in Horta noch reichlich vorhanden. Gleiches galt für eine spätere 19-Tage-Atlantiküberquerung mit insgesamt acht Personen. Aber da war das Schiff auch 15 Meter lang und hatte entsprechenden Stauraum zum Füllen und einen Wassertank mit 1000 Liter. Damit war es auch möglich, zu zweit 7200 Seemeilen in 72 Tagen nonstop von Mar del Plata (Argentinien) nach Malaga zu segeln.

Die Pandemie hat uns gezeigt, dass eine solche Ausnahmesituation, in der eine Crew auf die an Bord befindlichen Vorräte angewiesen ist und trotzdem lange Ozeanfahrten durchgeführen muss, zwar nicht wahrscheinlich ist, aber dass sie durchaus vorkommen kann. Und es gibt auch andere Zwänge zu überlangem Aufenthalt auf dem offenen Ozean: Denken wir an einen Mast-oder Ruderbruch und den Stolz, mangels Lebensgefahr auf ein Abbergen von einem ansonsten intakten Schiff durch die Rettung zu verzichten. Oder, an was nur wenige denken, Wissenschaftler aber für wahrscheinlich halten, dass nämlich durch einen Sonnensturm die gesamte Elektronik ausser Kraft gesetzt wird - so unter anderem Klaus-Peter Schröder, Professor für Astrophysik in Zeitschrift "Sterne und Weltraum", Heft 5/2020, Seite 40. Die instrumentengläubige Besatzung sitzt dann hilflos auf hoher See plötzlich ohne Navigation da und benötigt viel Zeit, um sich auf die neue Situation einzustellen.

Deshalb sollte eine Yacht, je nach Anzahl der Besatzung, für einen solchen Fall gerüstet sein. Und in Zukunft, da bin ich sicher, wird beim Schiffskauf auf große Stauräume für Nahrung und Wassertanks mehr Wert gelegt. Oder eben auf einen Watermaker, aber da bräuchte ich die Garantie, dass der auch immer funktioniert, wobei dies normalerweise nicht nur von der Wartung, sondern auch vom Dieselvorrat abhängt. Dass ein großer Proviant- und Wasservorrat (für alle Personen an Bord), der für - sagen wir mal - ein halbes Jahr reicht, sich wegen seinem Gewicht und dem kurzen Kiel durchaus mit den Segeleigenschaften beißt, sollte bei einer Fahrten!-Yacht, "geeignet für die weltweite Fahrt", nicht ins Gewicht fallen. Der Gewinn an Freiheit schon.

Auf unserer 10-Meter-Yacht hätten wir sicher im Falle des Falles auch ein halbes Jahr auf dem Wasser überleben können. – von einer Art Essensnotstand mal abgesehen. Denn ich hätte es nicht erleben mögen, vor Törnende nur noch Konserven übrig zu haben, die mangels Appetit auf das scheußliche Corned Beef immer weiter in den letzten Winkel unseres Stauraums unterm Tisch gerutscht sind.

In den Wind gesprochen?
Bobby Schenk


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