In
den Wind gesprochen (73):
Segeln mit Null (73)
Weltumsegeln ist nicht eine flüchtige Modeerscheinung. Zu sehr häufen sich Mails, die mit folgenden Worten - oder so ähnliche - in meinem Posteingang zu finden sind:
Ich, 56, und meine Frau, wir beide sind beruflich vergleichsweise erfolgreich gewesen und (immer noch) gesund, wollen unser Leben verändern und über den Atlantik, vielleicht auch weiter segeln. Kurz gesagt, auf einer Yacht leben.
Jetzt haben wir uns einen Katamaran gekauft, der 13 Meter lang ist, also ausreichend groß, um darauf zu wohnen und zu segeln. Segelerfahrung, ausser auf Jollen, haben wir noch keine. Können Sie uns mitteilen, auf was wir achten sollen?....
Oder so ähnlich...
Diese Art von geplanter Lebensgestaltung nimmt manchmal groteske Formen an. Wahr soll auch diese Geschichte sein, die mir aus Kreisen meines großen Segelclubs berichtet wurde. Dort wurde ein Crewcommander telefonisch gefragt, welches Schiff zum Blauwassersegeln tauge? Einige Zeit, nachdem der hilfsbereite Crewcommander dem Bittsteller ein paar Schiffstypen ans Herz gelegt hatte, kam der nächste Anruf: "Ich hab jetzt eine Yacht. Wie gehts jetzt weiter?"
Es wäre töricht, über diese Zeitgenossen hämisch zu lachen, denn viele von Ihnen werden dann doch noch ganz vernünftig - und lassen die Finger von so einem Unternehmen, andere (wenige) scheitern krachend, sind dann bis Lebensende angeschlagen und wiederum ein großer Teil, man sollte es nicht glauben, zieht das Unternehmen erfolgreich durch.
Dabei geht es in der Regel keineswegs nur darum, das See-Segeln zu erlernen. In allen Fällen steht insgesamt ein harter Weg zum Erfolg bevor. Und nur ganz wenige wissen, was auf sie und eventuell ihre Partnerin zukommt:
Wenn dann schon eine Yacht feststeht, nehme man es zu allererst hin, dass das eigene Leben total umgekrempelt werden muss. Es wird sich in Zukunft alles ums Segeln drehen. Soll man einen Kurs machen, welchen Schein braucht man? Ist ein Waffenschein nötig, um die Piratenüberfälle, von denen man in letzter Zeit so viel hört, abzuwehren ? Was tun gegen die Seekrankheit? Und vor allem, welche Ausrüstung soll man fürs Boot nachrüsten? Oder (in dieser Reihenfolge), was hilft der besonders empfindlichen Frau? Und so fort...
Ab jetzt liegt also nicht mehr ein schöngeistiges Buch oder der letzte Bestseller zur richtigen Ernährung unterm Weihnachtsbaum, sondern eine auf "alt" getrimmte messingfarbene Petroleumlampe für die Leseecke im neuen Boot. Und statt eines neuen Mocca-Service gibt es grobe Tassen aus ebenso grobem, grober herzloser Plastik – meist blaubemalt mit Anker oder Seilstücken. Der Werkzeugschrank im Keller füllt sich mit Hilfsmitteln, die man im bürgerlichen Leben kaum braucht, also mit Radabzieher, Bohrmachine mit Handkurbel dran oder mit Lötkolben für 12 Volt.
Ein sogenanntes "bürgerliches Leben" findet nicht mehr statt. Danach scheint eine rückblickende Sehnsucht unter Yachties besonders groß zu sein. Wie oft hab ich gehört: "Wir würden so gern mal wieder ins Theater oder in die Oper gehen!" Das haben ausgerechne jene so stark betont, die zu Hause nie ins Theater oder ins Museum gegangen sind. Vor dem Traumstart aber: Statt ins Büro zu gehen, wird regelmäßig das Haushaltsgeschäft heimgesucht, um dort etwa Niro-Schrauben zu kaufen. Und im PC-Monitor wird die Einkaufsseite von Amazon der 24-Stunden-Screensaver, damit man Allerwelts-Werkzeuge, die man aber an Bord unbedingt braucht, nicht vergisst und sogleich bestellen kann. Und wo man vorher jegliche Haushaltsreparaturen mit Hinweis auf zwei linke Hände von sich gewiesen hat, studiert man jetzt die Kunst des Schweissens am Ankerplatz.
Urlaub - ganz wichtig! Die Schwarzwaldbesuche zum Wandern oder Radtouren durch unsere schöne Heimat sind ab sofort gestrichen zugunsten eines Hotelaufenthalts auf Mallorca in der Nähe von Stanta Ponza oder sonst wo in besonders sonnigen Gefilden. Man will selbstverständlich keine Finca in Mallorca kaufen oder mieten, sondern man will nur, ganz bescheiden, in der Nähe eines Yachthafens sein, den man dann täglich zusammen mit der wenig begeisterten Ehefrau durchstreift. Und wo man mit jedem Yachteigner ganz leicht ins Gespräch kommen kann (ich spreche hier aus eigener Erfahrung!), indem man dem gerade im Maschinenraum malochenden schweissgebadeten Skipper zuruft: "Wie groß ist eigentlich Ihre wunderschöne Yacht?“
Das sind beileibe keine sarkastischen Erfindungen, sondern regelmäßig erlebte Beobachtungen.
Doch dieser Anfang eines langen Weges zum Weltumsegler ist keineswegs grundfalsch. Man kann es drehen und wenden, Blauwassersegeln bedeutet vor allem: Blauwasser-Leben. In das man ganz tief eintauchen muss, um so eine Lebensform auch erfolgreich zu managen, ja auch genießen zu können.
Der häufig gegebene Rat, erst mal einen Jollen-Grundkurs zu machen, damit man das Segeln angeblich von Grund auf lernen kann, ist abwegig. Es sei denn, man will die anderen Segelschüler damit nerven, ihnen einzureden, dass Ihre Zukunft nicht eine Zugvogel-Regatta in der Möhnetalsperre ist, sondern mal so um die Welt zu segeln.
Wobei es bestimmt nicht falsch ist, in die Praxis einzutauchen. Aber bitte nicht in die Jollenpraxis, Die hat mit unseren heutigen Dickschiffen nichts gemein. Man denke nur mal an die Anlege-Technik. So probieren Sie das "Anlegen mit dem Dickschiff" per Aufschießer garantiert nur ein einziges Mal. Nein, der richtige Weg zum Blauwasserleben führt immer über das Segeln, nochmals Segeln und abermals Segeln, und zwar auf Yachten...
Möglichkeiten gibt es derer viele, angefangen vom Mitsegeln auf einem Chartertörn oder bei Freunden (als Anfang hinnehmbar), besser aber bei einem Überführungstörn. Und teilnehmen an einem Segelkurs.
Wie das? Hab ich nicht gerade davor gewarnt? Ja, aber ich denk da an was ganz anderes, nämlich zum Beispiel an einen Kurs zum Yachtmaster in (englischen) Tidengewässern. Ich verspreche: Wenn Sie dort segeln können, dann reichts auch für die Torresstraße.
Zu den sonstigen Scheinen nur das eine: Den Palstek in allen Lebenslagen zu kennen und zu können, ist wichtiger als alle Segelscheine zusammen. Stellen Sie sich auf einer Kreuzfahrt-Tour in die Antarktis, würden Siie erfahren, dass der Kapitän zwar das große Patent irgendwie erworben, jedoch nicht die geringste praktische Erfahrung im Manövrieren seines Dampfers hat. Auf den englischen Navi-Schiffen ist es ja ganz fürchterlich zugegangen. Vor allem diejenigen aus der Mannschaft, die vor dem Mast leiden und arbeiten mußten, was nicht selten tödlich endete, die dann wegen ihrer Tüchtigkeit Karriere machten, über die wurde später hochachtungsvoll gemunkelt: "Er kommt vom Vorschiff." So wie der legendäre Admiral Hornblower... Unbedingt lesen. Ja, ich weiß, den hat es nie gegebn, aber wahnsinnig realistisch ist die Schreibe doch und macht bei allem Gruseln riesigen Appetit auf die Seefahrt.
vor,
Eintauchen in die Segelszene ist ein Muss. Dazu gehört auch die regelmäßige, am besten abonnierte, Lektüre unseres Fachorgans der YACHT. Dort finden Sie in jeder Ausgabe immer etwas, was Sie anspricht - und seien es die Anzeigen unter Vermischtes. (Bescheidene Anmerkung: Nur wenige können das so beurteilen wie ich, hab ich doch seit mehr als fünfzig Jahren jede Ausgabe gelesen).
Zur Szene, der Sie sich anschließen müssen, gehören auch Seglertreffs, wo sie gleichgesinnte und gleichtickende Leute treffen. Solche "Treffs" finden unter den Fittichen des Deutschen Hochseeverbandes (DHH) oder des TRANOCEAN (TO) regelmäßig überall in Deutschland, aber auch in Österreich beim YACHT CLUB AUSTRIA (ein reiner YACHT-Club, keine Jollen!) oder in der Schweiz beim CRUISING CLUB SWISS regelmäßig statt – besonders in der Winterzeit unverzichtbar!
Noch besser: Nehmen Sie an einem unserer Blauwasserseminare teil: Außerhalb eines Hafens oder einer Ankerreede ist das die einzige Gelegenheit, eine ganz auf das große Ziel konzentrierte Blauwasserszene anzutreffen.
Der Kontakt zu Gleichgesinnten ist durch nichts ersetzbar. Denn, das werden Sie noch merken, die Segler-Community ist so eine Art Religionsgemeinschaft. Deren Gottheit ist, ganz profan, aber herrlich, die eigene abfahrtbereite Blauwasser-Yacht.
Das hab ich doch definitiv nicht in den Wind gesprochen?
Bobby Schenk
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