In den Wind gesprochen (85):

Das mit Abstand erfolgreichste Mensch-über-Bord-Manöver!

"Mann über Bord" - so heißt es halt in der traditionellen Segel-Sprache, als man noch glaubte, dass Frauen an Bord Unglück brächten - ist die schlimmste Situation, die einem beim Segeln einer Yacht unterkommen kann. Jeder weiß, dass es auf hoher See in diesem Moment um alles, um das Leben des Kameraden geht. Und oft geht trotz aller Bemühungen ein Rettungsversuch daneben, das heißt, ein Mensch stirbt. Garantiert haben so mehr Menschen elendiglich - und höchst unnötig - ihr Leben verloren, wie einst bei der allseits bekannten Titanic-Katastrophe. Die häufigste Todesursache in der Sportschifffahrt also!

Jeder, auch ein noch so guter Segler, kann Opfer werden. Und dabei wäre dieses Ende eines Menschenlebens so leicht zu vermeiden. Das dazu gehörige Segelmanöver lernt man doch gleich zu Beginn in der Segelschule. Man kann höchsten darüber streiten, ob man die "Kuhwende", das "Münchner Manöver", den "Aufschießer" oder das "Quickstop" fährt, was ungefähr genauso geht wie das Münchner Manöver.

Man verzeihe mir, der letzte Satz sollte eine kleine (gut gemeinte) Provokation sein!

Diese Aussage, dass man ein Mann-über-Bord-Manöver zur Rettung eines Überbordgegangenen segeln können muss, ist höchst gefährlicher Nonsens.

Oder, um es zu differenzieren: Es war mal so vor hundert Jahren richtig, mit Windkraft einen Verunglückten wieder an Bord zu holen. Dann aber wurde das kritiklos in die heutige Zeit übernommen und in zahlreichen Büchern niedergeschrieben. Es ist schwierig, gegen das gedruckte Wort anzugehen, ich versuche es trotzdem:

Rahsegler wurden damals tatsächlich vom Wind um die Welt getrieben, bei denen gab es ja nichts anderes als den Antrieb durch den Wind. Heute gibt es kaum noch eine Fahrtenyacht, die keinen Motor an Bord hat. Traditionsbewusst, wie wir Segler nun mal sind, hat man jedoch die damaligen Erkenntnisse ziemlich kritiklos auf moderne Segelyachten übertragen. Und, wenn man dann so einer Ansicht wie meine äußert, dass man Manöver zur Menschenrettung gefälligst mit dem wirkungsvollsten Material, also mit der Maschine fahren soll, wird häufig das phantasievolle Gegen-Argument gebracht, dass der Motor vielleicht nicht anspringt.

Klar, auch heute haben wir noch motorlose Schiffchen, das sind meist Jollen, für die gilt selbstverständlich das Nachfolgende nicht! Sie müssen zur Rettung Segelmanöver fahren. Sie haben motorlos keine andere Chance, an einen Verunglückten zu kommen, als irgendwelche Segelmanöver zu fahren.

Also bleiben wir dabei, ab jetzt geht es nur um seegehende Yachten. Und da ist es doch selbstverständlich, dass wir in jedem Fall die Yacht manövrieren können, denn wie würden wir die Boje am Abend oder den Platz in der Box ohne die Hilfe des Diesels gar nicht treffen (nebenbei: Es wird noch viele Jahre dauern, bis diese geniale Erfindung durch praxistüchtige Elektro-Motoren ersetzt sind).

Es ist ein lebensgefährlicher Kunstfehler, im Ernstfall ein Manöver mit gesetzten Segeln zu fahren. Man wird dem Unglücksskipper das vorhalten, wenn es zum katastrophalen Versagen des Rettungsmanövers geht. Der unerfahrene Skipper wird sich im Notfall nervös sich daran erinnern, was er hierzu in der Segelschule gelernt hatte, also in den Wind schießen oder Halse oder sonstigen Unsinn anstellen, um erfolgreich an den Mann heranzukommen.

Ich finde es deshalb nicht gut, ja gefährlich, wenn in Segelschulen dieses Manöver unter Segeln überhaupt nur geübt wird, außer es geht lediglich darum, die gegroundete Boje zum Anlegen zu fassen. Dann aber bitte nicht von einem (lächerlichen) "Mann-über-Bord-Manöver" sprechen! Es gibt sicher erfahrenere Segler als mich, aber zumindest durchschnittlich wird mein Segelkönnen wohl sein. Ich stelle selbstkritisch fest, dass ich mit keiner meiner Yachten in der Lage gewesen wäre, unter Segeln ein Manöver zu fahren, mit dem ich gleich schnell oder gar schneller beim Verunglückten gewesen wäre als mit der Maschine. Wenn der Wind über drei Windstärken stark geblasen hätte und der Seegang entsprechend lebhaft gewesen wäre, schon gar nicht.

Warum wird dieses Manöver überhaupt noch gelehrt? Segelschulen müssen ja was bieten, und da macht es sich gut, angeblich lebensrettende Manöver zu üben. Besser wäre es doch, den Eleven für den Ernstfall auszubilden, ihm also beizubringen, wie er, wenn es um Leben oder Tod geht, blitzartig die Segel runterreißt, um unter gleichzeitig gestarteter Maschine zum Opfer zu motoren.

Das wäre ehrlicher und vielleicht lebensrettend.

Der nächste Unsinn ist die seit Jahrzehnten geführter Diskussion, wie man den Mann im Wasser am besten an Bord holt. Die einen (auch ich) schlagen vor, die Großschot abzuschäkeln, um den Mann mit Hilfe des Großbaums an Bord zu holen, die anderen wollen im Notfall ganz schnell ein Rettungssegel klarmachen, um den Kameraden unter der Reling an Bord zu rutschen und die anderen vertrauen der Badeleiter. Und das Alles bei heftigem Wetter und Seegang, denn dann ist es am wahrscheinlichsten, dass einer über Bord geht. Darüber lässt sich in der YACHT oder in Foren vortrefflich diskutieren, die Meinungen werden aufeinander prallen, der Fachzeitschrift gefällt es.

Wie kommt es, dass trotz der vielen Möglichkeiten ein Mann-über Bordmanöver meist schiefgeht? Vor vielen Jahren kam es zu einem vielbeachteten Unglück, als ein Mann im Wasser an die Yacht irgendwie herangeholt werden, dieser aber mit keinem Manöver von der mehrköpfigen Mannschaft an Bord genommen werden konnte. Es blieb der Mannschaft an Bord in ihrer Verzweiflung nichts anderes übrig, als den noch Lebenden längseits zu nehmen und mit ihm in den nächsten Hafen per Motor (natürlich!) zu verholen. Wo leider nur noch der Tod festgestellt werden konnte.

Erst vor ein paar Wochen ist ähnliches passiert. Der Unglücksrabe konnte zwar an die Yacht heran geholt , aber nicht über die Schwimmleiter oder sonst wie an Bord genommen werden. Der Tod war die logische Folge. Aber nebenei sei die Frage schon erlaubt, an Land ist man immer klüger: Warum wurde nicht der Versuch unternommen, die Rettungsinsel, die ja gebaut, um sie vom Wasser aus besteigen zu können, nicht eingesetzt wurde, um den Verunglückten jedenfalls einstweilen in Sicherheit zu bringen?

Viele, vielleicht die meisten meiner Blauwasserkollegen, logischerweise Rund-um-die-Uhr-Experten auf dem Gebiet der "Schiffsführung", denken so wie ich. Klar, es geht ja um ihr Leben.

Zuletzt. Was ist besser, mit der Schwimmweste über Bord zu gehen und gerettet zu werden - odergar nicht erst über Bord zu gehen? Das Propagieren einer Schwimmwestenpflicht und ähnliche Vorschriften suggerieren vor allem eine Sicherheit, die nicht gegeben ist. Jetzt könnte man meinen, eine Rettungsweste würde ja nichts schaden. Oder Bayrisch: "Nutzts nix, dann schadts nix!"

Doch die schadet, weil der Neuling, aber auch der Fortgeschrittene sich in falscher Sicherheit wiegt. Und unter Laien die Ansicht vermittelt, mehr könne man für die eigene Sicherheit gar nicht tun, als "Schwimmwesten" zu tragen.

Als mal zwei sehr nette und im Segeln gar nicht so unerfahrene Freunde zu einer Atlantiküberquerung an Bord kamen, war eine ihrer ersten Fragen, wo denn die Schwimmwesten seien und zufrieden zogen sie mit "ihrer" Weste ab. Eine Frage nach dem Sicherheitsgurt blieb aus.

Also, wenn schon Rettungsweste, dann mit integriertem Sicherheitsgut! Der freilich nichts taugt, wenn der Mann nicht mit der Leine an einem fixen Punkt befestigt ist. Das heißt aber nicht, dass der Mann immer gesichert werden muß. Bei schönem Wetter im Cockpit zu sitzen und an der Reling eingepickt zu sein, ist nicht unbedingt nötig. Allerdings saßen Carla und ich einmal im achterlichen Passat bei schönstem Wetter ungesichert im Cockpit unserer 34-Fuß-Yacht, als plötzlich von achtern eine See einstieg, das Cockpit (und uns) derart überschwemmte, dass wir uns - ungesichert - auf der Reling sitzend wiederfanden.

Ich habe ähnliche Zeilen schon vor vielen Jahren geschrieben. Ob es was gefruchtet hat, weiß ich nicht. Immerhin scheint in dieser Frage der Staat gescheiter zu sein als der Segelverband, der immer noch in den Prüfungen nach einem sinnlosen, ja gefährlichen Mann-über-Bord-Manöver fragt. Die Bundesstelle für Seefalluntersuchung hat nämlich meine deutliche Meinung anhand eines Unfalls mit zwei tödlichen Fällen von "Mann-über-Bord" im Vorwort abgedruckt (siehe hier!)und dabei auch den Fall des französischen Seehelden eric Tabarly geschildert.

Sie kennen den großen Eric Tabarly nicht? Dann sollten sie mal im Internet nach ihm und seinem Ende googeln.

So, liebe Segelfreunde, zum Schluss rufe jetzt ich mal in den Wind: "Was ist Ihnen lieber? In das tiefe Meer zu stürzen und (vielleicht) wieder rausgeholt zu werden? Oder gar nicht erst reinzufallen?"



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