Segler - Seeleute zweiter Klasse?

Bobby Schenk

Also langweilig war die Weltumsegelung der amerikanischen Segelyacht Mahdi mit Ihrer Besatzung Rod und Becky Nowlin nicht gerade. Da wurden die beiden vor der yemenitischen Küste von bewaffneten Piraten überfallen und konnten sich aus dieser tödlichen Gefahr nur Dank der Erfahrung von Rod im Umgang mit Waffen freischießen - hier klicken. Für diese Tat wurden sie mit dem höchsten Preis für Blauwassersegler, nämlich dem SEVEN SEAS AWARD ausgezeichnet - siehe hier.

Sie gerieten mit ihrer Yacht noch einmal in akute Lebensgefahr, als ihre 15 Meter lange stählerne Yacht Mahdi am 24.8.2009 um 4 Uhr morgens segelnd von der 142 Meter langen deutschen Fähre SCHLESWIG-HOLSTEIN auf 54°32,8' N und 11°16,2 E. niedergemangelt wurde, wobei die Skipper wie durch ein Wunder unverletzt blieben, die Yacht allerdings schwer beschädigt wurde.

Die einfache Rechtslage bei diesem Unfall kennt jeder Segelscheinschüler nach den ersten Unterrichtsstunden: 

"Gemäß Regel 18 der KVR (Internationale Regeln von 1972 zur Verhütung von Zusammenstößen auf See)  - Verantwortlichkeiten der Fahrzeuge untereinander
a) Ein Maschinenfahrzeug in Fahrt muss ausweichen
....

iv) einem Segelfahrzeug."

Die Segelyacht Mahdi hatte Wegerecht, die SCHLESWIG-HOLSTEIN hat den schweren Unfall mit hohem Sachschaden und erheblicher Lebensgefahr für die Besatzung verschuldet - basta!

Die Bundesstelle für Seefalluntersuchung als Verteidigerin der Berufsschifffahrt

Einfach, oder? Sollte man meinen. Nun wurde nämlich, wie in vergleichbaren Fällen üblich, eine deutsche Behörde tätig, die BSU (Bundesstelle für Seefalluntersuchung). Zwar ist das "alleinige Ziel einer Untersuchung durch die BSU die Verhütung künftiger Unfälle und Störungen. Die Untersuchung dient nicht der Feststellung des Verschuldens, der Haftung oder von Ansprüchen".

Aber die Rechtspraxis sieht anders aus: Regelmäßig werden in den häufig folgenden Zivil- und auch Strafprozessen die Feststellungen der BSU - schließlich ist das ja "amtlich"  - zur Rechtsfindung durch die fast ausschließlich nicht sachkundigen Richter herangezogen. Die BSU entscheidet, ob ein fehlerhaftes Verhalten eines Beteiligten vorliegt. Außerdem kann später das Seeamt, und das kommt vor allem bei Führern von sogenannten Sportbooten nicht selten vor, mittels Verwaltungsakt Berechtigungen entziehen oder Fahrverbote anordnen. Den Entscheidungen der BSU kommt also in der Praxis eine erhebliche Bedeutung zu. Leid (und Geld-)tragende sind dann immer die betroffenen Seeleute.

Es lohnt sich deshalb die insgesamt 40-seitige Begründung der BSU bei diesem Unfall unter die Lupe zu nehmen (hier der Bericht). 

Sie beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie ein Segelschiff in der Nacht sich über das gesetzliche Erfordernis der entsprechenden Lichterführung - in diesem Fall war es die Dreifarben-Laterne - bemerkbarer machen kann und weniger mit der Tatsache(!), dass die Fähre die Segelyacht hätte sehen müssen - entweder optisch oder mittels Radar. Als langjähriger (Straßen-)Verkehrsrichter war der Autor viele hundert Mal mit folgender Verteidigung konfrontiert: "Ich hab den anderen nicht gesehen!" Die Begründung für solche Urteile war immer sehr einfach. Sie lautete: "...hätte der Angeklagte bei Anwendung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen müssen..."

Nichts anderes verlangt die internationale KVR in der Regel 5:

"Jedes Fahrzeug muss jederzeit durch Sehen und Hören sowie durch jedes andere verfügbare Mittel, das den gegebenen Umständen und Bedingungen entspricht, gehörigen Ausguck halten, der einen vollständigen Überblick über die Lage und die Möglichkeit der Gefahr eines Zusammenstoßes gibt."

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Wegerecht bleibt Wegerecht - Vorfahrt bleibt Vorfahrt. Das gilt einem Radfahrer gegenüber einem doppelstöckigem Omnibus, Segelschiffen gegenüber Motorschiffen und - sogar für die kleine zweisitzige Cessna im Sichtflugverkeher gegenüber dem Airbus A 380 oder einem Eurofighter.

Selbstverständlich ist die BSU zu diesem Ergebnis gekommen, trotzdem drängt sich bei der Lektüre des Berichts der Eindrucks auf, dass dem "Kleinen", dem "Vergnügungsboot", der "Segelyacht" eine Teilschuld zugeschoben werden soll, und sei es auch nur eine moralische. Der Gesetzgeber allerdings kennt die Differenzierung zwischen Berufsschiff und Yacht beim Wegerecht nur im Falle des Fischers, sonst nicht. Punkt. Aus!

Im Bericht der BSU vom 15.11.2010 steht:

 

Hier ist die Rede von "vordergründig" und einem "zu kurz greifen", was ja nichts anderes bedeuten kann als: "So richtig kommt es auf das Wegerecht gar nicht an..."  Die Spitze der eigentlich ungeheuerlichen Schuldzuweisung an den Skipper der Segelyacht findet sich allerdings in folgendem Absatz:

Danach handelte also die vollkommen gesetzeskonforme segelnde Crew der Mahdi "hoch riskant". Was will uns hier das Bundesamt sagen? Sollen wir nicht mehr auf öffentlichen Straßen Rad fahren, sollen wir unsere zustehenden Rechte, am Seeverkehr teilzunehmen, nicht mehr wahrnehmen? Sogar die vorsorglichen Warnrufe  des Skippers auf UKW (die ja auf eine erhöhte Sorgfalt hindeuten) werden ihm zum Nachteil ausgelegt, weil sich daraus ergibt, dass er sich der "Gefahr bewusst" war.

Munter geht im Bericht die Suche nach einer Schuld des Yachtskippers weiter:

 

Aha, Der Skipper hat seine Yacht schlecht ausgerüstet, keinen Radarreflektor an Bord gehabt!

Im übrigen sind solche Ausführungen in dieser Allgemeinheit schlicht falsch und geeignet, anderen Yachtseglern mehr Sicherheit zu suggerieren, als sie haben: Nur ein aktiver Radarreflektor kann die "Sichtbarkeit" einer Yacht auf einem anderen Radarschirm mit Sicherheit erhöhen. Ein passiver Radarreflektor kann, muss aber nicht, ein entsprechendes Echo geben, wie zahlreiche Tests durch Yacht-Zeitschriften ergeben haben. Was für eine Stahl-Yacht an Unsicherheitsfaktoren bezüglich der Sichtbarkeit auf dem Radarschirm gilt, findet auch auf den passiven(!) Radarreflektor Anwendung.

Weiter soll das Berufsschiff offensichtlich entlastet werden:

und:

Da haben wir es wieder: Die Yacht hat die unfallkausale Kursänderung nicht erkannt. Und zu Gunsten des Berufsschiffes wird gar mit einer Vermutung argumentiert, um die Nichtbeachtung der Mahdi zu entschuldigen:

Der Besatzung der Schleswig-Holstein hingegen widerfährt hohes Lob im "Fazit" der BSU:

Klingt wie eine Lobeshymne auf die Berufsschifffahrt. Als "große Professionalität" wird die Tatsache beschrieben, dass die gesetzlich vorgeschriebene Hilfeleistung gegenüber der Crew der Segelyacht erbracht worden ist.

Wo bleibt die Wahrung der Rechte von Seglern durch den Verband?

Ein anderes Fazit aus diesem lehrreichen Unfall: Soviel dem Autor bekannt, hat unser Verband, der sich ja eigentlich um die Rechte der Segler kümmern sollte, diesen (immerhin amtlichen) und im Ergebnis recht subjektiven Bericht ohne Widerrede hingenommen, obwohl von ihm die Gefahr ausgeht, dass bei zukünftigen Rechtsstreitigkeiten Anwälten der Versicherung jede Menge Munition für das haftungsausschließende Argument der "groben Fahrlässigkeit" geliefert wird und somit Prozesse über Jahre hinweg zumindest hingezogen werden können.

Auch manche Fachpresse hat sich hier nicht besonders ausgezeichnet. In SEGELN Nummer 1/2011 Seite 32 wird das Resümee so gezogen - oder der BSU-Bericht nachgeplappert (wie es der Mahdi-Skipper ausgedrückt hat - siehe unten):

"Erstens: Die Kollision vor Puttgarden macht einmal mehr deutlich, wie schlecht selbst große Yachten im Radarbild zu erkennen sind"

An die "erste" Stelle gehört gefälligst das Gesetz: Die Segelyacht hat im Geltungsbereich der KVR gegenüber einem maschinengetriebenen Fahrzeug Wegerecht. Immer, bis auf die ganz wenigen gesetzlich geregelten Ausnahmen.

Soll der Skipper die Wege der Berufsschifffahrt von vorneherein meiden?

Eine ganz andere Frage ist es, ob Segler nicht von vorneherein Situationen aus dem Weg gehen sollten, bei denen es um die Frage des Wegerechts geht. Diese Frage stellte sich dem Skipper der Mahdi erst gar nicht, weil es bei den beengten Verhältnissen des betreffenden Seegebiets und des dichten Verkehrs eher zu Missverständnissen mit dem übrigen Schiffsverkehr kommen würde. Etwas anderes gilt für Blauwasserfahrten in verkehrsarmen Gebieten. Auf wochenlangen Törns ging der Autor der Berufsschifffahrt immer aus dem Wege. Denn, jeder Insider wird es bestätigen, dort wird oft die Ausguckpflicht vor allem in den verlassenen Gegenden des offenen Meeres nicht besonders ernst genommen.

Es gibt einige erfahrene Blauwassersegler, die dieses Verhalten für falsch halten. Denn wenn man der Berufsschifffahrt ständig "davon läuft", kann man nicht erwarten, dass man dann noch als bevorrechtigtes Schiff ernst genommen wird - so ihre Argumentation. Der genannte Bericht der BSU scheint diese Befürchtung zu bestätigen.

Ende des Schreckens

Aber es gibt ein Happy End: Wie der Skipper der Nahdi schrieb, folgte das ordentliche Gericht bei Weitem nicht dem subjektiv gefärbten Bericht der BSU. Respekt! Danach hatte der Kapitän der Fähre 4000 Euro zu zahlen, sein Steuermann 2000 Euro - siehe unten. Die Versicherung regulierte (Kompliment - und das mit dem Bericht der BSU im Rücken!) den Schaden mit 400 Tausend Euro. Was bleibt ist die Enttäuschung des amerikanischen Skippers der Segelyacht, dass die deutsche BSU versucht habe, die Schiffsführung der deutschen SCHLESWIG-HOLSTEIN vom Vorwurf der Fahrlässigkeit reinzuwaschen ("whitewash").

Stellungnahme des Skippers der Mahdi  

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