Begegnung mit einem Denkmal - Bernard Moitessier 

Nein, vor 35 Jahren war Bernard Moitessier noch kein Denkmal. In Indochina aufgewachsen, war der Franzose Fahrtensegler aus Leidenschaft. Und Lebenskünstler. Denn es gehört schon Einiges dazu, mittellos von einem neuen Schiff zu träumen, nachdem er gepennt und seine Marie-Therese II, eine kleine hölzerne Gaffelketsch bei St.Vincent in der Karibik selbstverschuldet aufs Riff gesetzt hatte. Schon die Vorgängerin Marie-Therese, eine kleine Dschunke hatte der nach meinen Begriffen ziemlich lockere Franzose mangels genauer Uhrzeit für die Schiffsortbestimmung in Diego Garcia (Chagos-Archipel) aufs Riff gecrasht und verloren. Ein Schiff aus Papierschichten, dazwischen ein klebriger Brei, sollte die verlorene Yacht ersetzen, es würde ja kaum was kosten. Im Nachhinein ein Glücksfall, dass Moitessier diese Schnapsidee nicht realisierte, sondern als Ärztebesucher und Hausierer soviel Geld verdient hatte, dass er sich schließlich eine preiswerte (damals!) Stahlyacht bauen lassen konnte, die in die Geschichte des Fahrtensegelns eingehen sollte.

Und wie er mit seiner 12 Meter langen Stahlyacht JOSHUA Geschichte geschrieben hat! Und zwar schon lange bevor er die Reise (oder das Rennen) mit dem "verschenkten Sieg" machte. Legendär war zuvor schon sein Non-Stop-Törn von Tahiti ins Mittelmeer zusammen mit seiner damaligen Frau Francoise geworden. Das Buch, das er darüber geschrieben hat - Kap Hoorn, der logische Weg - gehört zum Schönsten in der Segelliteratur. Auch in der romantischen deutschen Übersetzung von H.Rösing - man soll es nicht glauben, was aus der Feder eines leibhaftigen Admirals fließen kann. Horst Stern, ganz sicher auch ein großer Poet (und damals Herausgeber der YACHT) schrieb dem Leser ins Vorwort: "Sie haben damit ein Stück Leben gekauft...!"

Für Carla und mich stimmt das. Fast punktgenau segelten wir die Reise Moitessiers mit dem Buch im roten Leineneinband in der Hand ab. In Barrington (Galapagos) benutzten wir die Skizze von Bernards Buch als Seekartenersatz und viel später inspirierte das Buch uns, auch den logischen Weg nach Hause ums Kap Hoorn zu segeln.

Umso aufregender war es für uns, Moitessier in Tahiti kennen zu lernen. Zerzaust war er. Nicht von dem Törn, der ihn eineinhalb mal nonstop um die Erde geführt hat, nein, vom Buch schreiben: "It kills You!" Denn nach dem Gewalttörn hatte er sich in seine JOSHUA, die fast stationär seit der eineinhalbfachen Weltumrundung an der berühmten Waterfront im Hafen von Tahiti verankert war, verkrochen und sich wie ein Fanatiker über das Buch La longue route - deutsch: Der verschenkte Sieg, Delius-Klasing-Verlag - hergemacht. Das Buch war nun fertig und langsam wurde aus Bernard wieder der Segelkumpel, der er früher schon immer gewesen sein mußte. Aber seine Ansichten und Meinungen waren für einen deutschen Segler mit DSV-Schein in der Tasche und entsprechender Ausbildung  gewöhnungsbedürftig, ja nicht nur rückblickend, zum Teil absonderlich. Dass er Europa "am Ende" ("Europe is finished") sah, mag man ja noch hinnehmen, dass er dem Konsumterror in seinem Mutterland (damit meinte er nicht Indochina) wann immer es geht, ein Schnippchen schlagen müsse, damit war er von meiner Meinung nicht allzu weit weg, aber dass auf Geheiß westlicher Regierungen Fluor ins Trinkwasser eingebracht würde, um Einfluss auf das Denken der Mitbürger zu erzielen, das empfanden wir, gelinde gesagt, etwas merkwürdig.

Mentale Probleme mit der Obrigkeit, die hatte der Franzose ständig. Bekannt ist ja, dass der listige Bernard vor dem (Dauer)-Liegeplatz an der Wasserfront Bananen angebaut hatte, um die Betonierung der verkehrsreichen Straße zu verhindern. Was nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönt war, denn heute besteht der ganze Hafenraum in Papeete nur noch aus hässlichem Beton. Andererseits war Bernard beneidenswert inkonsequent. Als es ihm auf der Nachbaryacht einmal nachts zu laut wurde, da schrie er, der Un-Untertan, lauthals nach der Polizei.

Nicht, dass es nicht unterhaltsam gewesen wäre, mit Moitessier über allgemeine Fragen zu plaudern, aber ergiebiger war es doch, ihn nach Segelthemen auszuforschen. Darüber aber zu diskutieren, wäre mir gegenüber einem Moitessier aus Repekt vor ihm nie in den Sinn gekommen: Kap Hoorn war ja damals (und auch noch heute) so eine Art siebter Grad unter Segeln. Als wir mit Moitessier beim Chinesen, oder auch auf unserer THALASSA abends zusammensaßen, drehten sich viele Gespräche um diesen Felsen am Südende von Amerika. "Ihr habt ein gutes Schiff, damit könnt Ihr gut ums Kap Hoorn segeln", ermunterte uns Bernard. Doch damals schien uns die THALASSA mit ihren 10 Metern doch ein wenig zu klein. Immerhin war die JOSHUA deutlich größer - und aus Stahl. Somit nahezu unverletzlich.

Moitessiers am Hoorn erprobte Sturmtaktik - dem Wind mit 20 Grad Abweichung sozusagen davon zu segeln - hatte ja in der Seglerwelt für aufgeregte Diskussionen gesorgt. Horst Stern hat in seiner unvergleichlichen Art zu Moitessiers Sturmtaktik geschrieben: "...der große Sturm im Südpazifik wird noch für lange Zeit als beunruhigende Dünung um einen dogmatischen Felsen der Seesegelei branden!" Da hatte er aber Moitessier gewaltig unterschätzt. Denn meine Frage nach der besten Sturmtaktik wischte dieser ganz schnell vom Tisch: "Beim Rund-um-die-Welt-Rennen hab ich sie nicht mehr angewandt, da hatte ich ein ganz anderes Schiff!" War die schwere Stahlyacht JOSHUA durch ein paar Gewichtseinsparungen aber so ganz anders?

Bemerkenswert war die JOSHUA: Innen, düster, ein einfaches Sofa, das offensichtlich auch als Bett diente, viel breiter als eine gewöhnliche Koje und in der Mitte ein verhältnismäßig großer Globus als einziger Schmuck: Eine intensiv bewohnte Höhle, schon wegen der kleinen Fenster (Sicherheit!). Das Äußere strahlte keine absolute Seetüchtigkeit aus - für deutsche Begriffe: Frösche auf den Drahtseilen, Schäkel im Rigg und ganz gewöhnliche Telefonmasten - ausgeteert ("die kosten nichts, die findest Du am Straßenrand!"). Die Historie der JOSHUA sprach aber eine ganz andere Sprache. Mit genau diesem Schiff hat Moitessier eine der größten Leistungen in der modernen Geschichte der Segelei vollbracht: Eineinhalb mal um die Erde, nonstop!

Die Geschichte hierzu dürfte bekannt sein: Eine englische Zeitung hatte das Golden Globe Race ausgeschrieben, eine Regatta einhand und nonstop um die Welt. Und das zu einem Zeitpunkt, in dem noch nie ein Mensch die Welt auf einem Schiff ohne anzuhalten, ohne Landgang, ohne Ankern umrundet hatte. Dem Sieger winkte ein Geldpreis in Höhe von 5000 Pfund. Nachdem Moitessier mit seiner JOSHUA, nach Meinung vieler Experten im Rennen faktisch in Führung liegend, Kap Hoorn umrundet hatte, hätte er nur noch nach Norden abbiegen müssen, um sich in England den Siegespreis abzuholen. Doch Moitessier wähnte seine Seele in Gefahr (genau so hat er sich ausgedrückt) und setzte seinen langen Törn nach Osten fort, querte den Indischen Ozean noch einmal, um dann im Pazifik nach Tahiti abzubiegen. 

Es wäre ein großer Fehler, bei der Beurteilung einer solchen Rekordleistung die heutigen Maßstäbe anzulegen, sondern es gelten die damaligen Umstände. Und die waren: Noch nie wurde die Welt nonstop umsegelt. Nicht mit einer größeren Mannschaft und Einhand schon gar nicht. Ohne funktionsfähige Maschine, ohne Generator, ohne Elektronik, ohne einen elektrischen Ruderautomaten (weil gar kein elektrischer Strom vorhanden war), ohne Sender sowieso - Moitessier benutzte eine Steinschleuder, um einen Kurzbericht an seinen Verleger auf das Deck eines Frachters zu schießen - und ohne GPS, aber das war für den Seemann Moitessier sicher das allerkleinste Problem. Auch Kühlung war nicht vorhanden, allein die Frage der Verpflegung und des Trinkwassers (ohne Watermaker) schien bei einer Reisedauer von einem dreiviertel Jahr unlösbar.

Die JOSHUA an der Waterfront im Hafen von Papeete faszinierte mich, gerade weil sie so sehr von unseren Segel-Schul-Vorstellungen abwich. Für die YACHT schrieb ich damals einen Artikel über Bernard, übrigens mein zweiter in meinem Leben und der erste über Moitessier überhaupt in deutscher Sprache. Dabei konnte ich mir Eines nicht verkneifen: Den Hinweis, dass somit gewöhnliche Telefonmasten sich als durchaus tüchtige Masten erwiesen hatten. Dieser Satz wurde mir von der Redaktion rausgestrichen, obwohl ich doch das beste Argument in Papeete vor Augen hatte.

Gerade die Mastengeschichte zeigt sehr eindrucksvoll, dass es Bernard ständig darum ging, neue Problemlösungen zu finden: Bekannt ist sein Trick beim Sternemessen mit dem Sextanten geworden: "Beide Augen offen!" Oder die Erkenntnis, dass in der Nacht an Deck schwarze Beschläge besser zu sehen seien, oder dass sich eine Yacht im Sturm besser vom Innensteuerstand handhaben ließe. Die aus Letzterem massenhaft auf französischen Yachten resultierende Plexiglaskuppel ("Moitessierblase") verschwindet erst jetzt langsam von den Metallyachten aus französischer Fertigung, wie auch die anderen Erkenntnisse Bernards, welche sich nicht unbedingt allgemein durchgesetzt hatten.

Als Moitessier mir stundenlang schnorchelnd im dreckigen Hafenwasser von Papeete bei einer Ruderreparatur an der THALASSA geholfen hatte, war er ganz happy, dass er einen Trick gefunden hatte, um die Kontermutter am Ruderkoker zu blockieren: Bibbernd vor Kälte, strahlte er triumphierend: "It is verrry isy!"

Es war die Marotte von Moitessier, einfache, andere Lösungen zu finden (und das ist durchaus liebenswert gemeint), selbst wenn das zu gewöhnungsbedürftigen Handlungen führte: Als wir eines abends vom Essen beim Chinesen in Richtung Hafen heimgingen, nahm Moitessier seine Gebissplatte von den Zähnen und hielt sie vor Carla offen und ungeniert unter einen Rasensprenkler: "So einen guten Geschmack hast Du mit so einem Gebiss nicht mehr!"

Das war nicht nach meinem Geschmack. Aber ansonsten hat uns die Begegnung mit Moitessier zehn Jahre später inspiriert, seinen Spuren zu folgen. Mit unserer Stahlyacht THALASSA II segelten Carla und ich, wie die Moitessiers von Tahiti ums Kap Hoorn ins Mittelmeer, allerdings, anders als der große Franzose, mit einem Stop in Argentinien.

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