Schwerer Wassereinbruch durch herausgefallene Fensterscheibe

von Wilfried Krusekopf


Der Autor dieses erschütternden Berichts, Wilfried Krusekopf, ist seit 35 Jahren auf Yachten unterwegs - als Fahrtensegler und Profiskipper. Der Fachjournalist segelt mit Schwerpunkt Nordatlantik/BRETAGNE. Von Wilfried Krusekopf sind folgende Bücher erschienen:
"Der Yachtskipper, Training für die optimale Schiffsführung", Delius-Klasing
"Praxiswissen für Chartersegler" Delius-Klasing
"Segeln bei Dunkelheit" , Praxistipps für Skipper und Crew auf Nachtfahrt, Pietsch-Verlag 


Eine unerwartete Katastrophe

An einem Nachmittag sind wir mit unserer jahrelang hochseerprobten CASSIOPEIA (35 Fuß, Baujahr 1988) in Le Palais, dem Haupthafen der Belle-Ile vor der französischen Atlantikküste ausgelaufen mit Ziel Port-Joinville zu der gut 50 Meilen südöstlich gelegenen Ile d'Yeu. Ein frischer Südwest bläst mit etwa 5 Bft, sodass wir zwar am Wind, aber immerhin ohne zu kreuzen, unser Ziel anliegen können. Zum Sonnenuntergang legt der Wind etwas zu und ich binde vorsichtshalber ein zweites Reff ins Groß. Seegang etwa ein bis eineinhalb Meter. Es sind noch etwa 20 Meilen bis Port Joinville. Das Boot stampft zwar recht grob in der bewegten See, nicht zuletzt weil der Tidenstrom gegen die vorherrschende Windrichtung steht, aber es gibt keinen Grund, sich irgendwelche Sorgen zu machen. Frank, der zweite Mann an Bord, ruht sich in der Achterkajüte etwas aus und ich halte Kurs in Richtung des Leuchtfeuers von Yeu, das inzwischen in der Dunkelheit auszumachen ist.

Plötzlich erblicke ich voller Entsetzen durch den geöffneten Niedergang ein silbriges, wild spritzendes Glitzern auf der Leeseite im Salon. Mit einem Knopfdruck übergebe ich das Ruder dem Autopiloten und zwei Sekunden später sehe ich unter Deck das Desaster: Das etwa 40 cm x 15 cm große Fenster im Rumpf unter der Scheuerleiste, durch das man etwa ab 20° Krängung normalerweise geschützt in die grüne See schaut, ist nur noch ein großes Loch, durch das sturzbachähnlich die See in den Salon hineinschießt. Ich springe den Niedergang hoch zurück zum Ruder, entkoppele den Autopiloten und gehe, so schnell ich kann, über Stag auf den anderen Bug, um das havarierte Fenster so hoch wie möglich über die Wasserlinie zu bringen. Frank ist natürlich inzwischen auch aus der Koje, erkennt sofort die Situation und drückt ein großes Salonkissen in das gähnende Loch.

Die Gefahr des weiteren Wassereinbruchs ist vorerst sehr provisorisch gebannt, doch führt dieser neue Kurs eher zu den Azoren als nach Ile d'Yeu. Was tun? Vermutlich hatte die Werft unseres Schiffes schon bei der Neuauslieferung gewisse Bedenken gehabt hinsichtlich der Seefestigkeit der Fenster im Rumpf, denn diese Bauserie wurde werftseitig von Anfang an in der Standardausrüstung mit zwei hölzernen Brettern ausgeliefert, die - in den Maßen etwas größer als die Rumpffenster - mittels einer ausgeklügelten Verschraubung von innen durch ein "geöffnetes" Fenster gesteckt werden konnten, um dann mit zwei drehbaren Innenbrettchen gesichert zu werden. Zum Glück konnte ich mich recht schnell an den Stauraum erinnern, in den ich vor vielen Jahren die Schlagbretter gelegt hatte und wo sie inzwischen fast in Vergessenheit geraten waren. Binnen weniger Minuten war das Loch von den Ausmaßen eines Schuhkartons ausreichend verschlossen und wir konnten es wagen, wieder zu wenden und zurück auf den alten Kurs in Richtung Hafen zu gehen. Angesichts des völlig durchnäßten Salons waren die kleinen Rinnsale, die zwischen Schlagbrett und Fensterrahmen nach wie vor ins Boot flossen, vernachlässigbar. Die Bilgepumpe hatte gut zu tun.

Drei Stunden später erreichten wir Port Joinville und konnten mitten in der Nacht mit dem Aufklaren beginnen. Unter Deck war im Salon natürlich alles klitschnass. Meine drei Werkzeugkisten unter der Salonkoje inklusive...Ich habe dann im Hafen den kompletten Salon leergeräumt, alles nasse auf den Ponton gebracht und mit Süßwasser abgespült, 3 Dosen WD 40 über meine Werkzeuge versprüht (habe immer genug mit an Bord) und ebenfalls den gesamten Salon mit dem Süßwasserschlauch abgespritzt. Zum Glück war das Wetter am nächsten Tag sonnig (Sommer) und das meiste trocknete schnell genug (Polster auf dem Steg). Nicht auszudenken, wenn mir dies während schlechten Wetters nachts mitten in der Biskaya 150 Meilen von nächsten Land bei Schwerwetter mit eingesteckten Niedergangsschotten passiert wäre. Wenn dann bei einer solchen Havarie niemand unter Deck ist, würde man das Leck möglicherweise erst bemerken, nachdem bereits soviel Wasser im Rumpf wäre, dass die Bootsbewegungen ungewöhnlich träge würden. Und das wäre dann möglicherweise zu spät.

Am nächsten Tag im Hafen, nachdem der Schreck einigermaßen verdaut war, wagte ich es, die anderen verbleibenden fünf Scheiben einer Belastungsprobe durch Drücken von innen auszusetzen. Tatsächlich war es ohne größere Anstrengung möglich, zwei weitere Scheiben von innen nach außen zu drücken. Ein paar technische Infos dazu: Die Fenster waren bei dieser Bauserie, wie auch heutzutage wieder auf einigen modernen Yachten zu sehen, in den Rumpf nur etwa einen guten halben Meter über der Wasserlinie eingeklebt. Wären die Scheiben zwischen einem Innenrahmen und einem Außenrahmen stabil eingesetzt worden, so wäre es vermutlich niemals zu dieser Havarie gekommen. Indes waren bei den eingebauten Fenstern die Scheiben lediglich von außen auf einen Flansch des Innenrahmens geklebt worden. Der Außenrahmen verdiente seinen Namen nicht, denn er diente lediglich dekorativen Zwecken und hielt in keiner Weise die Scheiben. Man kann zwar dem Hersteller zugute halten, dass in den 80er Jahren die Qualität der Klebstoffe nicht dem heutigen Niveau entsprach, aber dies wissend hätte man die äußere Aluminiumdekoration tatsächlich als Rahmen bauen sollen. Und auch bei heutigen modernen Yachten ist die Frage erlaubt, wie lange denn eine lediglich eingeklebte Scheibe der UV-Strahlung im Mittelmeer oder gar in den Tropen standhalten wird. Natürlich hatte ich nach dieser Erfahrung die Werft angeschrieben und eine ausführliche Beschreibung der Probleme geliefert.

Was meint die Werft?

Die Antwort des Werftchefs im Hinblick auf meinen Vorwurf der unverantwortlichen Verwendung nicht seefester Fenster im Rumpf nahe oberhalb der Wasserlinie beschränkte sich auf die Bemerkung, dass es zu den Pflichten eines jeden verantwortungsbewußten Skippers gehört, vor jedem Auslaufen auch die Festigkeit der Fenster zu prüfen. Kommentar überflüssig. Fakt ist, dass die Werft in allen nachfolgenden Serien keine Fenster mehr in den Rumpf unter der Scheuerleiste eingebaut hat. Auch bei heutzutage verfügbaren High-tech-Klebern muß ernsthaft in Frage gestellt werden, ob das Einbauen von lediglich geklebten Fenstern in den Rumpf von Yachten zu verantworten ist.

Lehre hieraus

Nachdem dieses Ereignis leider kein Einzelfall ist, siehe hier, muß Eignern und Skipper tatsächlich geraten werden, die Festigkeit von geklebten Stellen von Zeit zu Zeit zu überprüfen.