Ich kenn viele Weltumsegler-Geschichten. Meist
wiederholen sie sich. Oft läuft es ja nach diesem Schema ab: Man wartet, bis
die Rente fällig ist, vom Ersparten wird eine Yacht mit Allem Drum und Dran
gekauft, der erste Ozean wird mit Hilfe einer Betreuung durch die ARC
"bezwungen" und dann folgt man dem Tross. Häufig übernehmen
Sponsoren die Kosten einer solchen Reise, denn noch hat das breite Publikum
nicht begriffen, wie einfach eine Weltreise mit dem nötigen Kleingeld im
Hintergrund und einer perfekt ausgerüsteten Yacht ist. Und anschließend
schreibt man ein Buch und wird, so hofft man, berühmt. Zu unrecht. Ungerecht
deswegen, weil immer noch Segelreisen stattfinden, im Stillen natürlich, wo
(junge) Menschen sich durch Äußerlichkeiten wie fehlendes Geld, ohne größere
Kenntnisse im Segeln, ohne Sponsoren anzuschnorren, beschließen, etwas
Außerordentliches planen. Und es auch durchziehen. So ein ungewöhnlicher Kerl
ist Sebastian Pieters, von dem in mehreren Folgen die Rede sein wird. Freilich -
geholfen hat ihm sein Lehrer (siehe
hier), der damit seinem Lehrauftrag mehr als nachgekommen
ist. Es wäre schad, wenn diese einmalige Leistung untergehen würde. Ich ziehe meine Kappe vor den
beiden - Chapeau!
Bobby Schenk
Das
segelnde Klassenzimmer
- die Weltumsegelung der Kiwitt(1)
Die
Schnapsidee 
„Um die Welt segeln?“ Wie
kommt man auf so eine Schnapsidee?“ Diese Frage hab ich vor meiner Reise so
oft gehört.
Nun, wie kommt man auf so
eine Idee? Da muss ich ein bisschen früher anfangen, bevor es diesen konkreten
Plan überhaupt gab: in der Schulzeit. Damals ist mir klar geworden, dass ich
nach meiner Ausbildung auf jeden Fall eine größere Reise machen will. Mit dem
Rucksack durch Asien oder Südamerika war eine Idee, mit dem Fahrrad von
Deutschland nach Kapstadt ein anderer Plan und das Ganze sollte mindestens ein
Jahr dauern. In der Schule hatte ich auch einen Mathematiklehrer, der mit seinem
selbst gebauten 8m langen Schiff nach Neuseeland gesegelt war. Doch obwohl ich
vom Segeln begeistert war, lag der Gedanke an eine Segelreise, noch dazu in
dieser Größenordnung, fern. Bis dato beschränkten sich meine Segelerfahrungen
auch nur auf einige Jahre Opti-Segeln als Jugendlicher und eine Klassenfahrt auf
dem Ijsselmeer.
Wie kommt man dann dazu um
die Welt segeln zu wollen? Nach der Schule habe ich eine Ausbildung zum
Maschinenbaumechaniker gemacht und im ersten Ausbildungsjahres, an einem kalten
Herbstabend, entstand sie plötzlich. Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine
Schnapsidee.
Der
kleine Sebastian
wollte wissen, wo die Sonne versinkt!
Zusammen mit meinem besten Freund Malte philosophierte ich in einer gemütlichen
Kneipe über das Reisen. Dass uns dabei ein paar Bier und der ein oder andere
Schnaps inspirierten, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Der Gedanke erschien
uns einfach verlockend. Beide konnten wir segeln, das Ganze hatte etwas von
Abenteuer: einsame Inseln, fremde Menschen und die Weite des Meeres. Schon als
kleiner Junge wollte ich immer wissen, was da ist, wo die Sonne im Meer
versinkt. Warum es also nicht als großer Junge herausfinden? Ähnlich
romantisch sind die Vorstellungen wahrscheinlich bei den meisten, wenn sie von
einer Weltumseglung träumen. Doch die wichtigste Entscheidung des Abends war,
wieder Kontakt zu unserem ehemaligen Lehrer aufzunehmen. Schließlich hatte er
bereits die halbe Welt umsegelt und war daher genau unser Mann.
Gesagt getan. Ein paar Tage später machten Malte und ich uns auf dessen 125cc
Maschine, wir waren ja beide noch nicht volljährig, auf den Weg zu Bernhard
(ganz links),
unserem ehemaligen Lehrer und zukünftigen Mentor. Diese Fahrt war für die
anderen Verkehrsteilnehmer sicher ein amüsanter Anblick, denn mit 2,02m überragte
ich meinen eher kleinen Chauffeur fast um einen halben Meter. Für die Maschine
war es mit unserer Zwei-Mann-Besatzung eine Herausforderung. Und für uns beide
war sie der Anfang einer großen Reise, der Verwirklichung eines großen Traums.
Zusammen mit Bernhard fuhren wir dann zu seinem Boot, der Kiwitt (diesmal mit
seinem Auto), um auf einem Baggersee an der Ijssel ein bisschen ohne Segel zu
segeln. Wind war an diesem Tag leider Fehlanzeige. Es war diesig und kalt, aber
wir waren begeistert und traten den Rückweg mit einem Dutzend Segelbücher (ja,
zusätzlicher Ballast für die 125er) und Bernhards Versprechen an, uns Dias
seiner Reise zu zeigen. Ausgestattet mit Klassikern wie Taboo, Tagedieb und
Taugenichts sowie einigen Büchern von Erdmann, stürzten wir uns zumindest
schon einmal gedanklich ins Abenteuer. Mein erstes Buch war Taboo und die
Aussage von Wolfgang Hausner, mit einem Dollar pro Tag auszukommen, kam mir,
meiner finanziellen Ausgangslage entsprechend, sehr entgegen. Ein Plan, den ich
noch öfter anpassen sollte.
Im selben Winter schauten Malte und ich uns auf der boot in Düsseldorf Schiffe an. Einige große,
aber vor allem kleine – so zwischen 20 und 30 Fuß. Die Aussagen der Verkäufer
auf unsere Frage, wie hochseetauglich sie denn seien, waren meist sehr
ausweichend oder zumindest sehr zögernd. Doch da wir ja potenzielle Kunden
waren, lief es immer auf ein „machbar wäre das schon“ oder „im Grunde
geht das“ hinaus. Wir verließen die boot mit neuen Träumen und einer
weiteren Lektüre, die auch, zumindest vom Titel her, in unseren finanziellen
Rahmen passten: „Mit kleinem Geld auf großer Fahrt“.
Von da an wurden Anzeigen im
Internet beobachtet, Bücher gewälzt, Finanzpläne geschmiedet und wieder
verworfen und vor allem gespart. Viel kam bei Letzterem freilich nicht heraus,
da ich als Auszubildender im Handwerk nicht gerade ein Vermögen verdiente.
In den nächsten Jahren schauten sich Malte und ich gerade einmal zwei
Stahlschiffe an, die in unserer Gegend verkauft wurden. Dabei stellte sich mehr
und mehr heraus, dass ein solches Schiff um die 9 Meter Länge die einzig
finanzierbare Lösung für uns war. Und für mich als Maschinenbaumechaniker war
Stahl ja zudem auch noch ein sehr vertrautes Material.
Neuen Auftrieb gab mir auch
der Vortrag von Bernhard und seiner Frau Petra über ihre Reise mit der Kiwitt.
Die Erfahrungen aus erster Hand zu hören und seine Bilder zu sehen, war einfach
viel spannender und motivierender als die bloße Lektüre „fremder“
Geschichten.
Da Malte unseren großen Plan zu dieser Zeit nicht so zielstrebig verfolgte (was
sich ein paar Jahre später änderte), stellte ich mich darauf ein, ihn alleine
durchzuziehen. Für den Fall der Fälle beschloss ich auch Einhand zu segeln.
Nach dem Ende meiner
Ausbildung begann ich jedoch zunächst ein weiteres schulisches Projekt: mein
Fachabitur. Kurz nach Weihnachten ließen mich meine Eltern dann auch nicht mehr
länger auf die obligatorische Frage warten, was ich denn nach dem Abi machen
wolle. Im Grunde wussten sie, dass ich etwas von der Welt sehen wollte, ob mit
Rucksack, Fahrrad oder eben einem Segelboot. Ich hatte mir ja nicht umsonst
Blauwassersegeln von Bobby Schenk zum letzten Geburtstag schenken lassen. Mit
meinen Reiseplänen an sich hatten sie sich wohl abgefunden, doch dass ich
sofort die ganze Welt umsegeln würde, konnten (und wollten) sie sich nicht
vorstellen.
Obwohl diese Frage keine
wirkliche Überraschung war, erbat ich mir noch ein wenig Bedenkzeit. Dass ich
diese nicht wirklich brauchte, sollte an diesem Tag außer mir nur Bernhard
erfahren. Ich rief ihn an und teilte ihm fest entschlossen mit, dass ich mir ein
Boot kaufen und um die Welt segeln würde. Das nötige Geld wollte ich nach dem
Abi verdienen und plante dafür zwei bis drei Jahre ein. Um über die Umsetzung
meiner Pläne genauer zu sprechen, machten wir sofort einen Termin aus. Auf
diesen Tag X vertröstete ich auch meine verdutzten Eltern, als sie ein paar
Tage später erneut fragten.
An besagtem Tag fuhr ich,
diesmal komfortabel mit dem Auto, dann mit einem Berg ausgedruckter
Bootsangebote aus dem Internet, meinem bescheidenem Finanzplan und großen Träumen zu
Bernhard. Dort angekommen erzählte ich ihm, was ich vorhatte und wie ich es
umsetzen wollte. Ich zeigte ihm Angebote, rechnete ihm vor, was ich mir leisten
konnte und so weiter...Mitten im Gespräch, als er sich sicher war, dass mir
die ganze Sache auch wirklich ernst war, stellte er mir plötzlich die
unglaubliche Frage: „Willst du nicht mit der Kiwitt fahren,
schließlich hat sie meine Frau und mich immerhin um die halbe Welt, nach
Neuseeland gesegelt?“
Ein
Lehrer spinnt doch nicht, oder?
Meine prompte Reaktion auf diesen Vorschlag war „Du spinnst!“, und so fuhr
ich mit meinem Satz fort, ohne zu realisieren, was für ein Angebot er mir da
gerade gemacht hatte. Doch er führte die Idee weiter aus. Seit meinem Anruf in
der vergangenen Woche habe er sich viele Gedanken darüber gemacht und es auch
mit seiner Frau besprochen. Er habe die Kiwitt gebaut, um damit um die Welt zu
segeln und nicht, damit sie irgendwo an einem Steg liege. Doch für eine solche
Reise fehle ihm in den nächsten Jahren die Zeit. Dass in diesem Zuge endlich
auch mal der Vorsteven repariert würde, war ein weiterer Grund… naja
eigentlich war es eher ein Vorwand, der seiner Meinung nach für eine Reise mit
der Kiwitt sprach. Als mir so langsam dämmerte, dass er es tatsächlich ernst
meinte, war ich sprachlos. Und auch heute fehlen mir noch die Worte um das Gefühl
zu beschreiben, das ich in dem Moment erlebte, in dem ich der Erfüllung meiner
Wünsche, Hoffnungen und Träume auf einen Schlag so viel näher kam. Es war
einmalig.
Als ich meine Sprache
wiedergefunden hatte, lautete meine Antwort selbstverständlich „ja“, auch
wenn ich es noch immer nicht fassen konnte. Nun konnten die Vorbereitungen schon
viel konkreter werden. Für diesen Winter planten wir Unterricht, in dem mir
Bernhard schon möglichst viel von seinem Wissen weitergeben sollte, bevor wir
im folgenden Sommer die Theorie in die Praxis umsetzen wollten. Sechs Wochen
lang sollte es Richtung Ijsselmeer und Nordsee gehen. Auch die Sportbootführerscheine
standen auf der Liste, denn ich besaß bis dahin weder einen Motorboot- noch
irgendeinen Segelschein.
Zurück im Auto habe ich einfach nur laut gejohlt, ich wusste mir nicht anders
zu helfen. Den Nachhauseweg absolvierte ich wie in Trance, irgendwann stand ich
einfach im Wohnzimmer. Dort setzte ich mich erst einmal aufs Sofa, etwas trinken
und meine vor Aufregung zitternden Hände beruhigen (etwas, das nie wieder
vorgekommen ist). Im Haus war es schon ruhig, doch als meine Schwester kam und
mich fragte, was mit mir los sei, erzählte ich ihr die ganze Geschichte. Sie
war so begeistert, dass sie nicht lange zögerte und unsere Eltern aus dem
Schlaf riss. Als diese verschlafen im Wohnzimmer erschienen, erwarteten sie eine
gute Erklärung.
Ich erzählte das Ganze also
in dieser Nacht zum zweiten Mal, ohne mir darüber bewusst zu sein, dass ich
noch unzählige Male Rede und Antwort zu diesem Thema stehen würde. Meine Erklärung
reichte als Grund für die nächtliche Ruhestörung wohl aus, doch die
Begeisterung hielt sich bei beiden freilich in Grenzen. Sie wussten von meinen
Segelambitionen, waren jedoch fest davon ausgegangen, dass das Projekt an der
Umsetzung scheitern würde. Ich sollte die Nacht noch einmal über die Sache
schlafen, doch da gab es für mich nicht mehr viel zu überlegen. Dass ich in
dieser Nacht nur sehr wenig Schlaf gefunden habe, muss ich wohl nicht erwähnen.
In den nächsten Monaten hörte ich dann ständig die Frage: „Bist du verrückt?“.
Sie wechselte sich ab mit Sätzen wie „Das kannst du doch nicht machen!“
oder „Du weißt doch gar nicht, worauf du dich da einlässt!“. Ja, man
konnte fast den Eindruck bekommen, alle Leute dächten, ich hätte tatsächlich
nur eine Nacht darüber geschlafen und den Entschluss, um die Welt zu segeln von
heut auf morgen getroffen.
So nahmen viele wohl auch an, sie erzählten mir etwas Neues, wenn sie mir
berichteten, dass man bei einer Weltumsegelung nicht immer nur in Küstennähe
bleiben könne und versuchten mich mit dem Argument, dass es auf dem Meer ja gefährlich
sei, zur Vernunft zu bringen. Wie schwer es ist, den Leuten begreiflich zu
machen, dass es meist genau umgekehrt ist, nämlich die wenigsten Boote mitten
auf dem Meer untergehen, da sie dort nicht auf Grund laufen können, weiß
jeder, der dieses und ähnliche Argumente auch schon entkräften musste.
Man kann sich im wahrsten
Sinne des Wortes den Mund fusselig reden.
Ob der
junge unternehmungslustige Sebastian ohne Geld in der Tasche sich noch von
seiner besessenen Idee abbringen lässt, ob er tatsächlich in dem für heutige
Verhältnisse doch recht kleinem Sperrholzboot seines Lehrers losfährt, ob er
allein segeln oder ob er seine Weltumsegelung gar mit einer (weiblichen?) Crew
teilen möchte? Und wo er die finden will? In der nächsten Folge verrät
Sebastian es uns - zum Weiterlesen hier klicken!
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