Das segelnde Klassenzimmer - die Weltumsegelung der Kiwitt (12) ABC-Inseln
Auf ins Karibische Meer! Das klingt nach Sonne, doch zur Begrüßung beginnt es in Strömen zu regnen, als wir uns von Trinidad entfernen. Nach einer guten halben Stunde fällt dann auch noch unser Autopilot aus. Der Tag scheint unter keinem guten Stern zu stehen. Kurzerhand schraube ich ihn auf, da sich schon ein paar Mal ein Draht im Inneren gelöst hat, doch diesmal kann ich nichts finden. So kommt es, dass sein 22 Jahre alter Kollege, eigentlich schon im Ruhestand, den Dienst übernehmen muss. Als wir die Landabdeckung von Trinidad verlassen, werden wir von einer durch kräftigen Wind recht aufgewühlten See begrüßt und bereits nach wenigen Minuten meldet sich das mir immer noch schwer im Magen liegende Frühstück. Mir geht es innerhalb einer Viertelstunde so schlecht, dass ich zu nichts mehr zu gebrauchen bin. Gut eingepackt, damit mir nicht zu kalt wird, verbringe ich die nächsten zweieinhalb Stunden auf der Salonbank. Seekrankheit ist eine wirklich unangenehme Sache, von der ich Gott sei Dank bisher weitestgehend verschont geblieben bin. Meine schlimmsten Erfahrungen mit ihr habe ich in dem Sommer vor dieser Reise gemacht. Ich war mit Bernhard und der Kiwitt für sechs Wochen auf Ijsselmeer und Nordsee unterwegs. Wir saßen bereits seit zwei Tagen in Vlieland im Hafen fest, als sich das Wetter etwas besserte und wir den Versuch starteten, Richtung Helgoland zu fahren. Nachdem sich die Kiwitt mühselig gegen den Wind zwischen Vlieland und Terschelling durchgekämpft hatte, empfing uns eine aufgewühlte Nordsee. Das war mein Magen nicht gewohnt. Zwar hing ich nicht über der Reling oder
der Pütz, aber es ging mir lausig. Das einzige, das etwas Linderung verschaffte, war sich hinzulegen. Wenn man richtig seekrank ist, ist man völlig antriebslos. So lag ich damals auf der Salonbank, mir war kalt und die Decke lag bei meinen Füßen bereit, doch ich konnte nicht die Kraft aufbringen, mich zuzudecken. Man dämmert nur so dahin und hofft, dass alles möglichst schnell vorbei geht. Auf unserer bisherigen Reise habe ich zum Glück die Erfahrung gemacht, dass mein Magen nach einigen Tagen auf See unempfindlich wird. Das Dumme ist nur, dass es mir in der aktuellen Situation nicht das Geringste nützte. Als es mir nach zweieinhalb Stunden noch schlechter geht, nehme ich zum ersten Mal auf dieser Reise zwei Tabletten gegen Übelkeit und eine Stunde später bin ich wieder putzmunter. Abends kann ich sogar endlich wieder das Meer genießen. Angelleine im Propeller Bei Sonnenaufgang haben wir den Salat. Nein, wir sind nicht zu weit gefahren. Wir haben beim Beidrehen die Angelleine nicht eingeholt und sie dann heute Nacht überfahren. Natürlich, wie konnte es auch anders sein, hat sie sich zu einem unfassbaren Knoten zusammengewickelt und hängt noch dazu in der Schraube. Mit dem Bootshaken lässt sich da nichts mehr machen und mir bleibt nichts anderes übrig, als mit einem Messer bewaffnet vor Curaçao über Bord zu springen und die Schraube frei zu schneiden. Ich hasse das. Schwimmen gehen auf See geht noch, aber mit der Taucherbrille in dieses unendliche Blau zu starren ist mir unheimlich. Da kann ich mir so oft ich will einreden, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass gerade jetzt ein riesiger Hai vorbeikommt, der einen Bärenhunger auf Segler hat. Ich bin immer wieder froh, wenn ich auf der Badeleiter stehe und eine kleine Pause machen kann. Nach einigen dieser ungeliebten Tauchgänge sind Schraube und Ruder befreit und wir können den Motor anwerfen. Wir fahren auf die Einfahrt von Spanish Water zu, die schon die ganze Zeit in Sichtweite war. Curaçao
Massen von Flamingos? ie Salinas St. Marie sind von Meerwasser geflutete Salinen, in denen es Flamingos geben soll und genau deswegen sind wir her gefahren. Wir wollen Flamingos sehen und haben dabei Bilder im Kopf von riesigen Flamingoscharen, die im knöcheltiefen Wasser stehen. Pustekuchen. An der riesigen Saline angekommen, müssen wir eine ganze Weile auf das Wasser hinaus starren, bis wir die Flamingos entdecken. Ganze sieben Stück zähle ich und die Szenerie ist weit von dem Bild in meinem Kopf entfernt. Na toll, kreuz und quer fahren wir über die Insel, aber so richtig erfolgreich ist unsere Besichtigungstour heute nicht. O.k., wir haben ein paar nette Leute getroffen, aber ansonsten? Wir beschließen uns auf den Rückweg nach Willemstad zu machen. Etwas erfolgreicher wird der Tag dann aber doch noch. In einem Internetcafé haben wir endlich eine Nachricht von Irene. Ich versuche, sie auf der Telefonnummer, die sie uns geschickt hat, anzurufen. Die Verbindung wird sofort aufgebaut und ich kann sie auch deutlich verstehen, allerdings stört es unser Gespräch deutlich, dass sie mich nicht hört. Nach einigen Hallo hallo hallo legt sie wieder auf. Ich versuche es erneut und das Spiel wiederholt sich. Beim dritten Mal klappt es dann endlich und wir verabreden uns für den nächsten Tag am Sea-Aquarium, weil sie heute Abend noch eine Besprechung hat. Als wir auf den Bus warten, um zum Spanish Water zurück zu fahren, taucht Irene plötzlich auf. Wir freuen uns riesig und begrüßen uns herzlich. Sie hat sich spontan entschieden, vor der Besprechung zu uns zu kommen. Nachdem wir ein paar Sätze miteinander gewechselt haben, stellen wir fest, dass es Irene sehr schwer fällt, mit uns Deutsch zu sprechen. Sie hat während ihrer Zeit in Curaçao, immerhin schon gut zwei Monate, so viel Niederländisch gesprochen, dass sie jetzt alles durcheinander wirft. Für mich ist das noch einfach, da ich ja sehr nah an der niederländischen Grenze groß geworden bin, Heike hat da deutlich mehr Probleme mit dem deutsch-holländischen Kauderwelsch. Zusammen fahren wir zum Sea-Aquarium und schauen uns dort ein wenig um. Irene erzählt uns von ihrer Arbeit und wir erhalten auch ein paar Neuigkeiten von Georg, der mit der Futschikato noch in den Grenadinen unterwegs ist und erst in ein paar Wochen nachkommen will. Später fährt Irene uns zurück zur Kiwitt und macht sich dann auf den Weg zu ihrer Besprechung. Die nächsten Tage unternehmen wir öfter was zusammen. Wir kochen ein paar Mal und verbringen gemütliche Abende bei Irene und ihrer Mitbewohnerin. Außerdem schauen wir uns noch ein wenig die Insel an, machen ein paar Strandtage und lassen es uns einfach gut gehen. Höhepunkt unseres Aufenthalts in Curaçao sind die anstehenden Karnevalszüge. Für mich als Niederrheiner darf die fünfte Jahreszeit im Kalender natürlich nicht fehlen. Umso mehr freue ich mich darüber, dass wir es pünktlich zur Karnevalszeit nach Curaçao geschafft haben. Den Zug wollen wir auch mit den beiden bewundern und daher besuchen sie uns heute auf dem Boot. Doch da wir während unserer Essensvorbereitungen vergessen, den Steg im Auge zu behalten, warten sie vergebens auf unseren angekündigten Dingi-Shuttleservice. Ich bekomme einen richtigen Schreck, als Irene plötzlich die Badeleiter hochgeklettert kommt. Fix mache ich das Beiboot startklar und fahre mit ihr zurück an Land, um ihre Kleider und natürlich auch ihre Mitbewohnerin einzusammeln. Nachdem Irene wieder trocken ist und wir gemeinsam gegessen haben, machen wir uns auf den Weg in die Stadt. Ich bin gespannt auf den großen Karnevalszug. Mein erster Eindruck: Es ist laut. Lauter als in Deutschland – viel lauter. Eigentlich ist Karneval in Deutschland harmlos dagegen. Und das, was da aus den Lautsprechern dröhnt, hat natürlich mit dem, was bei uns so ertönt, wenig zu tun. Ansonsten ist es eine riesige Party, alle sind ausgelassen und feiern miteinander. Karneval im T-Shirt
Die Zeit verfliegt mal wieder und bald kommt der Tag des Abschieds. Aber so einfach will Curaçao uns dann doch nicht loslassen. In der vorletzten Nacht bekomme ich auf einmal schreckliche Ohrenschmerzen und kann nicht mehr wirklich schlafen. Woher die Schmerzen auf einmal kommen, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Im Verdacht habe ich aber die Algen, die ich heute Mittag von der Ankerkette entfernt habe. Jeder Flecken Haut, der mit ihnen in Kontakt gekommen ist, fing nämlich an zu brennen. Da ich die Kette unter Wasser geputzt habe und sich schnell eine Wolke von Algen gebildet hat, juckte alles an mir vom Scheitel bis zur Sohle. Aber ob das der Grund für die Ohrenschmerzen ist? Am nächsten Morgen machen wir uns auf die Suche nach einem Ohrenarzt. Der ist schnell gefunden, allerdings spricht der gute Mann schlecht Englisch. Dafür sehr gut Holländisch, was in den Niederländischen Antillen nicht wirklich verwundert, und das kann ich zumindest ein bisschen verstehen. Das Ganze ist bühnenreif. Wild gestikulierend und mit einem Wortmix aus Englisch, Deutsch und Holländisch versuche ich mein Anliegen rüberzubringen. Die Antwort des Arztes fällt ebenso gestenreich aus und am Ende hoffen wir offensichtlich beide, dass wir uns einigermaßen richtig verstanden haben. Die Diagnose lautet, dass ich eine leichte Mittelohrentzündung habe. Ich mache dem Arzt klar, dass wir morgen gerne Auslaufen möchten und die nächsten fünf bis acht Tage auf See sein werden. Mit diesem Wissen verschreibt er mir ein paar Ohrentropfen, ein Mittel zum Inhalieren und einen Berg Antibiotika. Für 35 Gulden habe ich eine spannende Behandlung erlebt.
Der Einbau des flexiblen Wassertanks ist einfach, da er bei der Kiwitt quasi lose unter der Hundekoje liegt. Ich werfe den alten raus, baue einen etwas längeren Anschlussschlauch ein und fertig ist die Sache. Mit Kanistern bewaffnet geht es zum Steg, um Wasser zu holen. Jetzt kommt der spannende Moment. Kanister für Kanister füllt sich unser neuer Tank. Das dauert eine ganze Weile und ich fahre mehrfach mit dem Dingi hin und her, bis die 150 Liter geschafft sind. Luft anhalten. Alles ist trocken! Das ist schon einmal ein gutes Zeichen, jetzt müssen wir abwarten, ob das auch so bleibt. Wenn alles gut geht, ist die Kiwitt mit gut 250 Liter fester Tankkapazität jetzt wieder gut gerüstet. Zusätzlich haben wir in Kanistern noch 120 Liter an Bord. Da wir das Wasser eigentlich fast nur zum Trinken nutzen und alles andere mit Salzwasser machen, reicht diese Menge im Notfall für drei Monate. O.k., beim Kochen benutzen wir dann doch ein Gemisch aus Salz- und Süßwasser, da sonst alles versalzen wäre. Dafür waschen wir uns aber ausschließlich mit Salzwasser, betreiben die Toilette mit Salzwasser, spülen mit Salzwasser und so weiter. Die letzte Amtshandlung an diesem Tag besteht darin, bei einem benachbarten Boot einen aktuellen Wetterbericht zu erfragen. Was wir erfahren, steigert unsere Reiselaune. Für die nächsten drei Tage ist hervorragendes Segelwetter gemeldet, ein konstanter Wind aus Osten und Sonnenschein.
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