Das segelnde Klassenzimmer - die Weltumsegelung der Kiwitt (13) Sturmtaktik auf dem Weg nach Panama Cruraçao achteraus Cruraçao wird immer kleiner und wir sind wieder auf See. Nach dem Landaufenthalt muss sich das Bordleben erst ein wenig einpendeln, aber wir kommen schnell in unseren gewohnten Rhythmus. Gegen Abend sichten wie Aruba, das wir über Nacht passieren. Irgendwann in den Morgenstunden verschwinden die letzten Lichter der Insel und als die Sonne aufgeht, ist rundherum nur noch Wasser. Eigentlich überkommt mich bei diesem Anblick immer eine tief Zufriedenheit und die Anspannungen der Tage vor der Abfahrt fallen von mir ab, aber diesmal ist es nicht ganz so. Auch wenn der Kurs mit gebührendem Abstand zur kolumbianischen Küste verläuft, gilt sie nach wie vor als Piratengebiet und so bleiben wir ein wenig angespannt. Die ersten zwei Tage der Reise sind traumhaft. Wir haben Bilderbuchwetter und das Meer zeigt sich von seiner besten Seite. Wir sind entspannt und die Zeit vergeht wie im Flug. Kaputter Spi-Baum und defekter Ruderautomat zwingen zum Bidrehen Sonntagabend nimmt auf einmal der Wind deutlich zu und die Wellen werden höher. Ich sitze gerade im Salon und schmiere mir ein Brot, als das Vorsegel wild zu schlagen beginnt. Ich springe auf und hüpfe ins Cockpit. Die Kiwitt ist aus dem Ruder gelaufen und das Vorsegel hat den reparierten Spinnakerbaum wieder in zwei Teile zerrissen. Sofort rufe ich Heike und bahne mir meinen Weg auf das Vorschiff. Die Kiwitt rollt furchtbar, da sie quer zur See liegt und ich muss mich sehr darauf konzentrieren nicht über Bord geworfen zu werden. Die nächste Herausforderung besteht darin, sich von dem noch anderthalb Meter langen Rest des Spinnakerbaums, der ja noch immer am Segel hängt, fern zu halten um nicht erschlagen zu werden. Heike steht an der Schotwinsch und versucht das Segel ein wenig zu bändigen. Erst im dritten Anlauf gelingt es mir den Rest des Baums zu bergen. Mit den Einzelteilen unterm Arm krieche ich zurück ins Cockpit. Um die Kiwitt aus ihrer misslichen Lage zu befreien, nehmen wir sofort wieder Kurs auf. Als ich den Autopiloten wieder einhänge, stelle ich fest, dass er nicht mehr funktioniert. Das war also der Grund dafür, dass die Kiwitt so unvermittelt aus dem Ruder gelaufen ist. Der Versuch, die lästige Aufgabe des Rudergehens auf unsere kleine Windsteueranlage zu übertragen, scheitert. Sie ist dem Druck der Wellen nicht gewachsen und kann unsere Nussschale nicht auf Kurs halten. Da es aber zum Reparieren des Autopiloten schon zu dunkel ist und wir wenig Lust haben über Nacht Ruder zu gehen, drehen wir bei. Wir holen also die Fock dicht und gehen auf den anderen Bug, so dass sie back steht. Das Ruder lasche ich auf der windabgewandten Seite fest. So liegt die Kiwitt bequem zu den Wellen und hebt und senkt sich gleichmäßig. Windgenerator macht Terror Circa eine Stunde später, mittlerweile ist es stockdunkel geworden, hören wir einen lauten Knall im Cockpit, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Lärm. Mit einer Taschenlampe bewaffnet reiße ich die Luke auf und klettere hinaus. Der Krachschläger ist unser kleiner Windgenerator. Warum er uns allerdings so erschrecken muss, weiß ich noch nicht. Am Achterstag klammernd und auf der Cockpitbank stehend drehe ich ihn aus dem Wind. Es dauert eine ganze Weile bis er zum Stehen kommt und dann sehe ich die Bescherung: ein ganzer Flügel ist herausgebrochen. Das auch noch! Keine Ahnung, wie das passieren konnte. Ich schnappe mir ein Bändsel und fixiere damit das Rotorblatt. Als ich wieder im Salon sitze hoffe ich, dass die Pechsträhne ein Ende hat. Erst der Baum, dann der Autopilot und jetzt der Windgenerator. Das müsste doch erst einmal reichen! Unter Fock neun Knoten Die Nacht verläuft Gott sei Dank ruhig, aber Wind und Wellen nehmen weiter zu und als ich am nächsten Morgen die geschützte Kajüte verlasse, befinde ich mich in einer Hexenküche. Meer und Himmel sind grau und aufgewühlt. Die Wellen kommen in immerwährender Folge angerauscht und die Kiwitt rollt stark. Vorsichtig mache ich einen Rundgang über Deck, kontrolliere Wanten und Stage, die festgezurrten Kanister auf dem Vordeck und natürlich das Vorsegel. Vor den Kanistern finde ich den Flügel des Windgenerators. Ein Wunder, dass er nicht im Wasser gelandet ist. Anschließend bringen wir die Kiwitt wieder auf Kurs und in dem Moment, in dem das Vorsegel nicht mehr back steht, beginnt sie loszustürmen. Der Wind ist achterlich und wir machen nur unter Fock über neun Knoten. Das ist für unser kleines Schiff viel zu viel, so dass es nicht lange dauert bis die Kiwitt auf dem Kamm einer Welle zu surfen beginnt und aus dem Ruder läuft. Die Erfahrung ist neu für mich. Obwohl ich am Ruder sitze, habe ich kaum eine Möglichkeit den Kurs zu beeinflussen. Man merkt, wie das Schiff beschleunigt wird und unter lautem Rauschen mit der Welle nach vorne schießt. Bei einer besonders steilen Welle passiert es dann, wir schlagen quer und die Kiwitt lehnt sich weit über. Mir gelingt es sie wieder auf Kurs zu bringen, aber die Wellen werden immer steiler und das Risiko zu kentern wird immer größer. Ich drücke Heike das Ruder in die Hand und suche nach der Sturmfock. Glücklicherweise ist sie schnell gefunden und nach zwei Minuten bin ich wieder im Cockpit. Gefährliches Manöver Wir besprechen kurz das Manöver und dann begebe ich mich vorsichtig aufs Vorschiff um alles vorzubereiten. Da die Kiwitt zwei parallele Vorstage hat, kann ich die Stagreiter der Sturmfock schon einmal einhängen. Anschließend lässt Heike die Fock herunter und ich beeile mich die Vorschoten ab- und anzuschlagen, damit der unkontrollierte Moment ohne Segel möglichst kurz bleibt. Noch ist ein wenig Fahrt im Schiff und wir können Kurs halten. Als die Sturmfock oben ist, übernehme ich wieder die Pinne. Wir laufen immer noch sechs bis sieben Knoten. Aufgrund der kleineren Segelfläche rollt das Schiff noch stärker und die Fock fällt immer wieder ein. Wenn der Wind sie wieder aufbläst, gibt es jedes Mal einen Schlag, dass die ganze Kiwitt erzittert. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass dieses Segel, das nicht größer ist als ein Badehandtuch, eine solche Gewalt hat. Peng, und wieder ein Peitschenschlag! Wenn wir so weitermachen, werden das Segel oder die Beschläge nicht lange halten. Ich beschließe es daher mit dem zweiten Spinnakerbaum auszubaumen. Mit einem fast drei Meter langen Baum auf dem Vordeck herum zu hantieren ist bei diesem Seegang allerdings ein ziemliches Abenteuer. Aber die Mühe lohnt sich, anschließend steht die Sturmfock wie ein Brett. Der Wind nimmt weiter zu und schnell machen wir wieder über neun Knoten und das mit dem winzigen Segel. Ich sitze am Ruder und versuche unser Schiff mit aller Kraft auf Kurs zu halten. Meistens gelingt es mir, aber ein paar Mal schlägt die Kiwitt quer und lehnt sich so weit über, dass ich auf der Rückenlehne der gegenüberliegenden Cockpitbank stehe. Unter Deck fallen dabei alle Teller und Töpfe aus dem Schrank. Die Situation fängt an wirklich gefährlich zu werden und ich überlege wie ich sie entschärfen kann. Beidrehen geht nicht mehr
Der Wind nimmt immer weiter zu und die Wellen donnern nur so neben uns her. Ich sitze Stunde um Stunde am Ruder und halte die Kiwitt auf Kurs. Irgendwann erinnert mich auch meine Blase daran, dass schon sehr viel Zeit vergangen ist und ich rufe Heike. Sie traut sich schon seit Stunden nicht mehr ans Ruder, aber jetzt muss sie für eine kurze Zeit übernehmen. Ich beteuere ihr, dass es mit den Leinen, die wir nachschleppen, einfacher geworden ist zu steuern und übergebe ihr die Pinne. Unter Deck herrscht das reinste Chaos. Dadurch, dass wir mehrmals so stark gekränkt haben, liegt alles kreuz und quer auf dem Salonboden herum. Dazu kommt, dass es warm und stickig ist, da man bei diesem Seegang weder Fenster noch Luke öffnen kann. Diese chaotische Sauna rollt dann auch noch ständig hin und her, so dass jede Bewegung zur Qual wird und einem der Schweiß sofort herunter läuft. An Aufräumen ist da überhaupt nicht zu denken. Auch der Toilettengang ist eine unangenehme Sache. Verkrampft versucht man nicht von der nächsten Welle vom eigentlich stillen Örtchen geschleudert zu werden. Dabei bewegt sich alles um einen herum auf und ab und in alle Richtungen, so dass der Gleichgewichtssinn schnell jede Orientierung verliert. Das wiederum schlägt schnell auf den Magen und so bin ich froh, Heike am Ruder wieder ablösen zu können. Brutale Naturgewalt
Die Geschichte aus den Kopfhörern beginnt sich mit meinen Träumen zu vermischen. Es geht um einen Flug über den Ozean und ich beginne vom Meer und dem Flugzeug zu träumen. Ich habe Mühe das Schiff auf Kurs zu halten. Plötzlich zischt es um mich herum und ein schwerer wulstiger Strang umschlingt meinen Hals und Oberkörper. Ich schrecke hoch und versuche mich zu befreien, doch es geht nicht, das Ding klammert sich an mich. Nein, das träume ich nicht! Doch es dauert eine ganze Weile, bis ich realisiere, was passiert ist. Durch die Unmengen an Wasser, die ich heute schon abbekommen habe, hat meine selbstaufblasbare Schwimmweste wohl gedacht, ich sei über Bord gefallen. Na ja, es hat auch etwas Gutes, denn jetzt bin ich wieder wach. Und da ich noch Ersatzpatronen habe, bringt mich der unfreiwillige Equipmenttest auch nicht wirklich in Schwierigkeiten. Im Grunde ist eine Schwimmweste bei diesem Wetter eh überflüssig. Wenn ich über Bord gehe, findet mich beim besten Willen keiner mehr. Das einzige, was wirklich etwas bringt, ist die integrierte Öse, mit der man sich einpicken kann. Da die Weste jetzt etwas sperrig ist, muss mir Heikes Weste erst einmal als Ersatz dienen. Überstanden Beim Morgengrauen lässt der Wind ein wenig nach und die Wellen werden gleichmäßiger. Da ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann, übergebe ich die Pinne an Heike und lege mich in die Salonkoje. Als ich wieder aufwache, ist es schon Mittag und es stürmt immer noch kräftig. Ich habe einen furchtbaren Hunger und fange an eine Kleinigkeit zu kochen. Nach dem Essen löse ich Heike wieder ab und sie macht einen Eintrag in die Seekarte. Wie nicht anders zu erwarten war, sind wir gut vorangekommen, da uns der Wind mit voller Geschwindigkeit in die richtige Richtung getrieben hat. Eine etwas langsamere Reisegeschwindigkeit bei ruhigerer See, hätten wir allerdings gerne in Kauf genommen. Gegen Abend hat sich die Situation dann so weit beruhigt, dass die Kiwitt wieder unter Windsteueranlage fahren kann. Wohlgemerkt mit der winzigen Sturmfock und den nachgeschleppten Leinen. Das Ganze funktioniert nicht perfekt und wir kommen etwa einmal die Stunde vom Kurs ab. Aber es ist eine riesige Erleichterung, nicht mehr ständig am Ruder sitzen zu müssen. Bei der Ruderwache kann man nun immer mal wieder für 20 Minuten dösen. Am Nachmittag des nächsten Tages kann ich die ersten Buchten der Leinen einholen. Hand über Hand, ein richtiger Knochenjob. Man glaubt gar nicht wie viel Zug ein nachgeschlepptes Tau entwickeln kann. Langsam nähern wir uns auch unserem Ziel und um einen Landfall bei Nacht zu vermeiden, müssen wir über Nacht beidrehen. Es ist schon stockdunkel und ich beobachte, wie sich die Kiwitt mit backstehender Sturmfock in den immer noch hohen Wellen verhält. Ein verwirrender Funkspruch Alles scheint in Ordnung. In dem Moment, als ich mich unter Deck begeben will, sehe ich am Horizont ein Leuchten. Ich behalte es eine Weile im Auge und es wird immer größer. Das ist doch nicht zu glauben. Seit Tagen kein Schiff weit und breit und jetzt, wo wir einfach nur noch schlafen wollen, kommt eins auf uns zu. Und was für eins – ein schwimmender Glaspalast. Ein riesiges Kreuzfahrtschiff, das taghell beleuchtet ist, passiert uns mit nur wenigen Kabellängen Abstand. Ein fantastischer Anblick, nachdem wir tagelang nur Wellen und graues Meer gesehen haben. Kurzerhand beschließen wir es anzufunken und nach einem aktuellen Wetterbericht zu fragen. Heike setzt also unser altersschwaches Funkgerät in Gang und versucht auf Kanal 16 Kontakt aufzunehmen. Leider bekommen wir keine Antwort. Beim dritten oder vierten Versuch befindet sich das Schiff auf unserer Höhe und plötzlich geht ein riesiger Suchscheinwerfer an und leuchtet übers Wasser bis er uns gefunden hat. Da liegen wir nun in der rauen See, von einem Hochhaus aus Glas angestrahlt. Das muss ein Bild sein, von da oben die winzig kleine Kiwitt viele Meter weiter unten zu sehen, ein Spielball der Wellen, klein und zerbrechlich. Was soll das? Warum der Scheinwerfer? Wollen sie uns ihren Gästen vorführen? Der Riese ist merklich langsamer geworden. Plötzlich schießt es mir durch den Kopf. Sie haben unseren Funkspruch erhalten, wir aber ihre Antwort nicht. Schnell funken wir, dass alles o.k. ist und wir nur einen Wetterbericht haben wollen. Kurz darauf geht der Scheinwerfer wieder aus und der schwimmende Goliath zieht weiter. Vor meinem geistigen Auge betrachte ich die Kiwitt vom Deck des Riesen. Eine Nussschale in der aufgewühlten See. Am Ziel
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