Das
segelnde Klassenzimmer
- die Weltumsegelung der
Kiwitt (4)
Nachdem wir ja zur Untätigkeit verdammt waren, weil die Schleuse erst wieder ab sieben Uhr morgens Sportboote schleuste, gingen wir abends noch auf ein Bier nach Nijmegen in die Stadt. Das war schon komisch: Ich war noch keine
20 km Luftlinie von meinem Zuhause entfernt und trotzdem war es gefühlt schon unerreichbar. Es war ein schöner Abend, sommerlich warm und passend zu unserem Budget gingen wir die 4km zu Fuß. Später zurück auf der
Kiwitt gingen mir so viel Sachen durch den Kopf, der Tag war so vollgestopft mit Ereignissen, dass es lange dauerte bis ich eingeschlafen war.
Verhindert der Drempel
den Weg ins Mittelmeer?
Um halb sieben standen wir auf und mein erster Blick galt der Schleuse bzw. der Wasserstandanzeige. 1.19m über dem Drempel,
also der Schwelle, an die das geschlossene Schleusentor einer Schleuse stößt. Das hätte ja leer schon nicht gepasst. Mein erster Gedanke war: „also doch Biskaya“ und ich fing sofort an im Kopf zu kalkulieren, wie viele Meilen das wären, wie lange diese Strecke wohl dauern würde und ob sie Ende August - Anfang September noch ratsam ist. Dann fiel mir ein, dass Heike ja schon einen Flug nach Montpellier ans Mittelmeer gebucht hatte, wo sie zu uns stoßen wollte. Nachdem sich der erste Schreck gelegt hatte, beschloss ich es einfach zu versuchen. vielleicht war der Drempel ja doch 10 cm tiefer und wir würden es schaffen. Danach sollten wir keine Probleme mehr haben, da die Maas und die Kanäle durch die
Stauungen ja relativ konstante Wasserpegel haben. Fünf nach sieben schob sich die
Kiwitt also langsam in die Schleusenöffnung. Malte und Romana standen mit Fendern und Trossen bereit und waren genauso angespannt wie ich. Als wir die großen Türen passierten, ruckte es leicht und die Fahrt war sofort aus dem Schiff. Ich gab beherzt Gas, der Motor heulte auf und hinter uns wühlten wir eine braune Schlammbrühe auf. Ganz langsam setzte sich die
Kiwitt wieder in Bewegung und plötzlich schwamm sie in tiefem Wasser. Wir jubelten und machten an der Schleusenwand fest, die großen Tore schlossen sich und zusammen mit einem Binnenschiff ging es aufwärts.
Fünf Minuten später lag die allererste Schleuse dieser Reise hinter uns und wir fuhren über das glatte (und bedenkenlos tiefe) Wasser des Maas-Waal-Kanals. Wenige Meilen später bogen wir in die Maas ab und nahmen somit auch wieder Kurs Richtung Süden. Paradoxerweise näherte ich mich dann erst einmal wieder meiner Heimat. Am frühen Vormittag war Gennep erreicht, ab hier ging es immer weiter weg von Zuhause, zumindest bis Neuseeland. Die Fahrt auf der Maas war beschaulich, der Schiffsverkehr moderat und die Strömung schwach. Wir wechselten uns zu dritt mit dem Steuern ab, und in meinen Freiwachen fing ich an, die ganzen Kleinigkeiten zu erledigen, die noch gemacht werden mussten. Ein Punkt auf der Liste war das Anschließen des Wasserhahns für das Waschbecken am Bett (im Vorschiff gegenüber der Toilette). Die Schläuche waren an Bord, aber ich hatte es einfach vor der Abfahrt nicht mehr geschafft. Das Ganze war nicht so einfach, da die Stauräume unter den Sitzflächen natürlich randvoll mit Material waren. Wir hatten die kleine
Kiwitt mit Lebensmitteln für ein gutes dreiviertel Jahr beladen. Gemüse und Obstkonserven, Dosenbrot, Kartoffelbrei, Fleischkonserven und vieles mehr, was sich lange hält. Halt alles, was man für
lange Ozeanpassagen so braucht
- oder was wir dachten, dass man so braucht. Nun ja, um den Schlauch durch die Schapps zu verlegen, musste ich diese natürlich erst einmal größtenteils ausräumen und innerhalb weniger Minuten war das perfekte Chaos ausgebrochen. Nachdem ich den Schlauch gezogen hatte, ging das Puzzlespiel los. Wir hatten alle Konserven mit Ablaufdatum und Stauraum in ein Buch eingetragen, damit man sie auch nach Monaten noch gut wiederfinden konnte. Das bedeutete aber auch, dass ich jetzt wieder die richtigen Konserven an den richtigen Ort packen musste.
Süß- oder
Salzwasser? Der Finger-Trick funktioniert nicht überall.
Irgendwann war alles wieder an seinem Platz und ich machte mich daran, den Schlauch an den Wasserverteiler anzuschießen. Dazu nahm ich das entsprechende Bodenbrett heraus und bekam erst einmal einen großen Schrecken: Wasser! In der flachen Bilge standen gut 5 cm Wasser und
schwappte hin und her. Meine erste Reaktion war Finger rein und probieren, ob es salzig schmeckt. Das hatte Bernhard mir immer wieder gesagt, „wenn das Wasser nicht salzig schmeckt, dann hast du Zeit, den Fehler in Ruhe zu suchen. Es war natürlich nicht salzig, wie auch auf einem Fluss. Das Wasser war sehr sauber und klar und die Vermutung lag nahe, dass es an den gut 20 Jahre alten flexiblen Wassertanks lag. So kam es, dass wir an unserem ersten Tag schon damit beschäftigt waren die Bilge leer zu pumpen und gut 100 Liter Trinkwasser zu entsorgen. Nun ja, besser jetzt als auf See. Aber so ergab sich dann auch schon die nächste Aufgabe für die kommenden Tage: Die Tanks ausbauen und nach dem Leck suchen.
Am 3. Tag der Reise erreichten wir Maastricht. Als wir ankamen, zog eine bunte Parade über die Brücke, und da schon später Nachmittag war, beschlossen wir kurzerhand, hierzubleiben und uns das Spektakel anzuschauen.
Es war Introductieweek der holländischen Studenten und das versprach, lustig zu werden. Wir kochten Abendessen und gingen anschießend auf ein paar Bier in die Stadt. Überall war es voll, und wir zogen durch ein paar Kneipen. Da wir ja am nächsten Tag früh los wollten, machten wir uns bei Zeiten wieder auf den Weg nach Hause. Auf der alten Steinbrücke über der Maas stellten wir uns dann die Frage, ob man wohl ins Wasser springen könnte. Malte kletterte auf das sehr breite Steingeländer und witzelte rum, „Sollen wir es
ausprobieren?“. Angesichts des Risikos war das natürlich nicht ernst gemeint, aber da war es dann schon passiert. Ein betrunkener Student gab ihm einen kräftigen Schups und Malte verschwand platschend im Wasser und tauchte kurz darauf prustend wieder auf. Ich schaute mich kurz um, um mich zu vergewissern, dass kein Binnenschiff auf Kollisionskurs war (dieser Teil der Brücke war
Gott sei dank nur für Sportboote freigegeben, welche nachts eher rar sind) und sprang in dem Wissen, dass er einige Bier getrunken hatte hinterher. Die Zeit bis ich das Wasser erreichte, kam mir ewig vor, obwohl die Brücke eigentlich gar nicht so hoch ist. Schließlich landete auch ich klatschend im Wasser. Im gelblich-orangefarbenen Licht der Straßenlaternen, das über das glatte Wasser flackerte, entdeckte ich nicht weit von mir Malte. Ich schwamm zu ihm rüber und als wir uns anschauten, mussten wir beide erst einmal lachen, weil wir so belämmert dreinschauten. Gemeinsam schwammen wir Richtung Kai und kamen ganz in der Nähe der
Kiwitt raus. Uns ging es gut und wir hatten was zu erzählen, Maastricht behielten wir aber in keiner guten Erinnerung.
Kurz hinter Maastricht erreichten wir die belgische Grenze und die erste belgische Schleuse. Bewaffnet mit den Schiffspapieren machte ich mich auf den Weg zum Schleusenwärter. Hier musste ich dann 1,05 Euro bezahlen. Für diese „Gebühr“ bekam ich einen Zettel, den ich anschließend an jeder belgischen Schleuse abstempeln lassen musste.
In Belgien änderte sich das Bild der Maas. Der Fluss ist stärker zur Wasserstraße ausgebaut, und
der Schiffsverkehr nahm stark zu. Das Fahren war also nicht mehr so beschaulich wie in den Niederlanden. Der belgische Teil der Maas ist mehr von der Industrie dominiert, und der Fluss selbst ist oft einbetoniert. Jedenfalls ist das der Eindruck, der mir im Gedächtnis geblieben ist. Ansonsten konnten wir uns nicht beschweren: Das Wetter war toll – eigentlich fast schon zu heiß – und sonnig und wir schafften ein gutes Pensum, das wir noch in Strecke maßen und nicht in der Zahl der geschafften Schleusen, was sich bald ändern sollte.
Irgendwann ließ dann auch der Schiffsverkehr nach, die Windungen der Maas wurden enger und die Fahrt wieder beschaulich. An einem späten Nachmittag erreichten wir dann die französische Grenze, wo uns von einem netten Mitarbeiter der Kanalbehörde eine Fernbedienung für die automatischen Schleusen übergeben wurde. An diesem Abend machten wir vor der ersten typischen kleinen französischen Schleuse fest, da es schon zu spät und die Automatik abgeschaltet war.
Die Tage reihten sich aneinander, das Boot war mittlerweile organisiert (soweit das mit
drei Personen auf acht Metern möglich ist) und es stellte sich eine gewisse Routine ein. Wir machten weniger Strecke, aber dafür mehr Schleusen. Eigentlich hätte es auch einfach so bis zum Mittelmeer weitergehen können, aber es sollte natürlich anders kommen. Irgendwann kam er, der schwarze Tag. Es fing damit an, dass ich nach einer beendeten Schleusung
Gas gab und sich nichts tat. Der Motor heulte auf, aber anscheinend drehte die Schraube nicht. Kurzerhand hingen wir den
2.5-PS-Außenborder hinter die
Kiwitt und machten die Schleuse wieder frei. Der Fehler war schnell gefunden: Der Bolzen, der den Schaltzug mit dem Saildrive verbindet, hatte sich gelöst. Das Reparieren war etwas fummeliger, da man an die Stelle nur sehr schlecht herankommt (natürlich musste ich mal wieder die große Backskiste dafür ausräumen, wie bei jedem anderen Zwischenfall dieser Art auch…). Zusammen mit Malte hatte ich die
Kiwitt aber schnell wieder flott und nach einer halben Stunde ging es weiter.
Kanal
geschlossen - was nun?
Ein paar Schleusen weiter sprach uns einer der wenigen Schleusenwärter an und versuchte uns etwas zu sagen. Keiner von uns sprach Französisch und so versuchten wir es mit Händen und Füßen. Auf destination konnte ich ihm mit Méditerranée antworten. Der nette Mann winkte mich letzten Endes in das Häuschen und zeigte mir etwas auf der Karte. Was ich verstand war Ecluse, fermee und L’eau für mehr reichte mein nicht vorhandenes Französisch nicht aus. Da er dabei aber auf den südlichen Teil des Canal de l’Est zeigte und mit den Händen gestikulierte, dämmerte es mir. Er war wegen zu wenig Wasser geschlossen. Ich schaute ihn hilflos an, und er zeigte mir eine alternative Route über den Canal des Ardennes, den Canal de l’Aisne à la Marne, dann den Canal latéral à la Marne und schließlich den Canal de la Marne à la Saône zur Saône. Dafür mussten wir kurz hinter der Schleuse nach rechts abbiegen.
Es blieb uns ja nichts anderes übrig. Später trafen wir zwei Boote, die im südlichen Teil des Canal de l’Est festsaßen. Es war, aufgrund des heißen Sommers, nicht mehr genügend Wasser da, um die Schleusen zu betreiben. Das einzige, was den Besatzungen übrig blieb, war die Boote auf einen LKW zu verladen und ein Stück Richtung Süden zu transportieren. Das Ganze hätte uns knapp so viel gekostet wie ich für ein ganzes Jahr eingeplant hatte. Das konnte also nicht unsere Lösung sein.
Für uns bedeutete der niedrige Wasserstand einen ganz schön großen Umweg und was entscheidender war: über 30 zusätzliche Schleusen. Wenn wir
Eines auf der Fahrt durch Frankreich gelernt haben, ist es wohl das Schleusen. Stolze 235 Schleusen waren es letzten Endes. Einige mit Fernbedienung, andere mit Radar ausgelöst. Dann gab es welche, bei denen man an einem Schalter ziehen muss und bei fast 100 durften wir von Hand kurbeln.
Dass an diesem Tag noch der Gaszug Probleme machte und wir eine Schleusenwand gerammt haben, passt dann wohl auch noch ganz gut ins Bild.
Nach schlechten Tagen kommen aber auch wieder gute und so motorten wir gemächlich von morgens bis abends durch Frankreich. Das Leben wird gemütlich, wenn man mit einer Geschwindigkeit von maximal
acht km/h durchs Land reist. Wir meisterten eine Schleuse nach der anderen und unser persönlicher Rekord lag bei 27 an einem Tag. Auf dem Weg in den Süden passierten wir mehrere
Wasserscheiden und einige Scheitelhaltungen mit Tunnel. Der längste war 4.82 km. Das war ein neues Gefühl, mit einem Segelboot durch einen Berg zu fahren, und bei der Geschwindigkeit ist man eine knappe Dreiviertelstunde unterwegs.
Zwischendurch besuchte uns Bernhard und fuhr ein paar Kilometer mit. Er war mit seinem Wohnmobil zum Mittelmeer unterwegs und versorgte uns kurzerhand mit neuem Diesel. Das Tanken war nämlich nicht immer ganz so einfach, da die Tankstellen nur selten in Wassernähe standen.
Einige Male mussten wir auf Tauchstation gehen, weil sich Wasserpflanzen in der Schraube verfangen hatten und losgeschnitten werden mussten.
Als wir die Scheitelhaltung des Canal de la Marne à la Saône erreichten, war ein Wendepunkt und mit 340m über Normal Null auch ein „Höhepunkt“ unserer Fahrt erreicht. Ab hier sollte es nur noch abwärts gehen… bis zum Mittelmeer...
Wie man gesehen hat, die
"Süßwassermeilen" können ganz schön happig sein. Aber klar, die Kiwitt
schafft es im nächsten Teil ins "richtige" Meer. Es muss nur noch der
Mast gesetzt werden, dann ist die Acht-Meter-Sperrholzyacht wieder ein richtiges
Hochsee-Segelschiff. Aber auch hier bestimmt das bescheidene Budget die
Seemannschaft. Hier gehts zur Fortsetzung!

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