Das segelnde Klassenzimmer

 - die Weltumsegelung der Kiwitt (7)

Eine ganz neue Erfahrung: Seekrankheit

Sonne, leichter Wind und eine erstaunlich lange Dünung. Türkisfarbenes Wasser, blauer Himmel…. und inmitten dieses Panoramas:  die Kiwitt. So sah unser kleines Reich aus.

Nachdem Bernhard uns in Sète verlassen hatte, weil das nächste Schuljahr vor der Tür stand und er sich wieder auf den Weg nach Hause machen musste, segelten wir in Tagesetappen die spanische Küste entlang. Das Wetter war ideal. Aber mit dieser langen Dünung wiegte sich die Kiwitt gemächlich hin und her, und so dauerte es auch nicht lange, bis wir alle einen Anflug von Seekrankheit bekamen. Man kann sich das gar nicht vorstellen. Da ist man endlich am Ziel seiner Träume, das Wetter ist auch noch perfekt und trotzdem kann man das Erreichte nicht genießen.

Ich hatte im Jahr zuvor schon meine erste Erfahrung mit der Seekrankheit gemacht, als wir bei sehr ungemütlichem Wetter zwischen Vlieland und Terschelling  rausgekreuzt sind. Zwar hing ich nicht über der Reling oder einem Eimer, aber es ging mir lausig, und ich wollte einfach nur liegen. Obwohl mir kalt war, war es mir zu viel, mich mit der Decke zuzudecken, die bereits über meinen Beinen lag. Als ich Hunger hatte, war es mir zu anstrengend, die Hand zum Mund zu bewegen. Diese Antriebslosigkeit durch die Seekrankheit war eine ganz neue Erfahrung gewesen und ausgerechnet jetzt, an unseren ersten Tagen auf See, musste sie uns ereilen (naja, hätte man natürlich ahnen können). Malte und Heike ging es nicht besser als mir . Dazu kam, dass das ja nun meine ersten Seemeilen auf dem offenen Mittelmeer waren und ich nach Bernhards Abreise die Hauptverantwortung trug. 

Sobald wir abends einen Platz zum Festmachen oder Ankern gefunden hatten, war dieses Gefühl jedoch genauso schnell verschwunden, wie es gekommen war. Die Welt war wieder in Ordnung, und wir schauten uns die Häfen oder Dörfer der Umgebung an und genossen den Sommer.

Mit jedem weiteren Tag wurden wir sicherer und gewöhnten uns mehr und mehr an die Bewegungen der Kiwitt, so dass die Seekrankheit bald nur noch eine böse Erinnerung war. Sogar in Sachen Navigation steigerten wir uns langsam, auch wenn der Sicherheitsabstand zu Landmarken und Untiefen noch ausgesprochen groß war und wir meist weit aufs Meer hinaus fuhren. Den Satz „Seeraum ist Sicherheit“ hatte ich ziemlich verinnerlicht.

So kam es auch, dass wir die Westecke Mallorcas mit großem Abstand rundeten, um in die Bucht von Palma zu gelangen. Heute würde ich den Kurs deutlich enger abstecken und wäre noch immer weit davon entfernt, ein Risiko einzugehen.

Die Bordkasse wird erleichtert

Warum wir nach „Malle“ gefahren sind, hab ich mich oft gefragt. Es war das einzige Mal auf der Reise, dass ich wirklich bestohlen wurde. Portemonnaie, Ausweis und Telefon. Alles futsch. Eigentlich bin ich sehr vorsichtig und so leicht verschwindet bei mir nichts, aber irgendwann trifft es wohl jeden einmal. Der eigentliche Grund für unseren Stopp auf der Baleareninsel war ein flexibler Wassertank, den wir dringend brauchten und den Maltes Vater uns mitgebracht hatte. Dass  daraus eine Odyssee zu verschiedenen Polizeiwachen werden würde, konnte man ja nicht voraussehen. 

Der Weg nach Mallorca war immerhin ein kleines Abenteuer, schließlich waren es unsere ersten Nachtfahrten. Malte und Heike waren noch nie nachts auf dem Meer gewesen und ich selber nur als Mitsegler auf der Nordsee. Wir teilten also die Nächte ein, was zu dritt recht angenehm war, da jeder nur einmal Wache halten musste. Ich übernahm die erste, Malte die zweite und Heike die dritte. Da hatte ich natürlich die beste Wache, schlief allerdings die ganze Nacht im Cockpit, um den beiden anderen zur Seite zu stehen. 

Nachdem wir gemeinsam bei einem Cocktail den Sonnenuntergang betrachtet hatten, gingen die beiden anderen in die Koje. So eine Nacht auf See ist traumhaft, wenn das Boot lautlos durchs ruhige Wasser geschoben wird und der Mond die Szenerie silbrig ausleuchtet. Man kann sich gar nicht daran satt sehen, und nur wenn man es erlebt hat weiß man, wie faszinierend der Anblick ist. Bis…. Ja, bis der Mond dann untergeht und es stockdunkel wird. So dunkel, dass man kaum noch die Hand vor Augen sieht. Dann kostet es schon ein bisschen Überwindung, einfach so ins Dunkle hinein zu fahren. Ich hab mich dann aber schnell selber überzeugt, der Kurs ist klar, ohne Untiefen und andere Wasserfahrzeuge führen Lichter (was nicht selbstverständlich ist, wie ich in anderen Teilen der Welt noch feststellen sollte), also kein Grund zur Sorge. Außerdem entdeckt man ganz schnell eine andere Ablenkung, die erst bei dieser Dunkelheit ihre volle Schönheit entfalten kann: das Leuchten des Planktons in dem vom Schiff verwirbelten Wasser. In dieser Nacht sahen wir auch unsere ersten Delfine, die eine leuchtende Planktonspur im schwarzen Wasser hinterließen.

Von Mallorca aus ging es weiter Richtung Westen. Vor Formentera ankerten wir nur eine Nacht wegen des schlechten Windes. Am Mar Menor mussten wir stoppen, weil wir das Segel nähen lassen mussten (leider war das Ergebnis der Reparatur nicht von langer Dauer). Irgendwo auf dem Weg Richtung Gibraltar hörten wir das erste Mal die Deutsche Welle. Eine tolle Sache, wenn man mitten auf dem Meer ein paar Infos aus der Heimat bekommt. Doch der Wetterbericht brachte uns nicht nur ein wenig Heimat aufs Boot; die Meldungen „Köln sechs Grad und Regen, Berlin vier Grad und Nieselregen…“ (klingen bei über 28 Grad und Urlaubsstimmung gleich ganz anders) schafften es sogar, als geflügeltes Wort mit uns um die Welt zu reisen. Fortan hieß es immer, wenn uns die Sonne mal wieder so richtig auf den Buckel brannte: „Köln sechs Grad….“

Wir hatten natürlich nicht immer schönes Wetter, und an einem ausgesprochen unfreundlichen Tag mit grauem Himmel, aufgewühltem Meer und Nieselregen spielte sich eine Szene ab, die in einem Sketch von Otto auch nicht besser hätte sein können. Ringsum das graue Meer, Malte saß gut gelaunt in seiner Segeljacke im Cockpit und meinte: „Das Wetter ist doch ok, schlecht geht es mir erst, wenn es mir nass und kalt den Rücken runter läuft!“ Er hatte den Satz noch nicht ganz ausgesprochen, als es die Spitze einer Welle schaffte, das recht hohe Freibord der Kiwitt zu überwinden, und sich ein riesiger Schwall Seewasser in Maltes Kragen ergoss. Heike und ich konnten uns vor Lachen kaum halten, und auch Malte stimmte nach kurzem Fluchen mit ein. Wir nahmen den Vorfall als Wink und opferten, um weiteres Unheil zu verhindern, Neptun am Abend erst einmal einen ordentlichen Schnaps. Man kann ja nie wissen….

Langsam wurden wir ein eingespieltes Team und lernten, mit dem Boot umzugehen. Als Gibraltar in Sicht kam, waren wir schon richtig seetauglich. Trotzdem freuten wir uns auf ein paar Tage Aufenthalt am Tor zum Atlantik.  Gibraltar war unser erster Stopp, an dem wir auch tatsächlich einklarieren mussten. Nicht, dass das in Gibraltar ein großes Problem wäre: kurz anhalten am Zollsteg, Papiere zeigen, woher, wohin und fertig. Aber es zeigte uns, dass wir uns langsam, aber sicher von Europa wegbewegten. Da die Marina aus Kostengründen nicht in Frage kam, entschieden wir uns für den Ankerplatz, der uns nicht besonders schön – direkt neben der ins Meer verlängerten Landebahn des kleinen Flughafens – beherbergte. Aber immerhin habe ich nie mehr näher an startenden und landenden Flugzeugen geankert und kann somit auch dieses als ein einmaliges Erlebnis der Reise bezeichnen. 

Wir wollten ein paar Tage bleiben und es gab - wie eigentlich immer - einiges zu erledigen. Das Segel sollte noch mal fit gemacht werden, um die Reise zu überstehen, also brauchten wir einen Segelmacher. Außerdem wollte ich den Schlauch vom Dieseltank zum Dieselfilter ersetzen, weil ich ihn im Verdacht hatte, die Ursache dafür zu sein, dass der Motor immer mal wieder Luft ansaugte. Dieses Problem begleitete uns bereits seit der Abreise, und jeder von uns hörte schon am Geräusch des Motors, wann es mal wieder soweit war, und drehte schnell die richtige Schraube auf,  damit die Luft entweichen konnte und er nicht ausging. Eine Segellatte, ein paar Schäkel, viele weitere Kleinigkeiten und nicht zuletzt die Stadt und der Affenfelsen standen auch noch auf unserer Liste.

 

Der Segelmacher war schnell gefunden, und wir konnten die Segel nach zwei Tagen wieder abholen. Der Dieselschlauch war hingegen in Gibraltar nicht zu bekommen, und wir mussten dafür nach Spanien fahren. Das war eine ganz schöne Tourerei in irgendein Industriegebiet, wo uns schließlich der passende Schlauch gefertigt wurde. Beim Einbauen entdeckte ich dann den wahren Grund für das Leck. Beim Austauschen des Dieselfilters hatte ich irrtümlich eine Schraube gelöst, die ziemlich versteckt war, und sie nicht wieder angezogen… So macht man sich eben selber Probleme. Aber dieses war ja nun gelöst – das dachte ich damals zumindest…

 

Affentheater

Dass wir uns zur Besichtigung des Felsens  ausgerechnet einen Tag aussuchten, an dem das gesamte Personal auf dem Felsen streikte, war mal wieder Schicksal. Doch, wie fast immer, gab es auch hierbei eine positive Seite: Es gab an diesem Tag mehr Affen als Touristen. Wie garstig die sein können, wenn sie glauben, dass man irgendetwas zu essen versteckt hat, glaubt man erst, wenn man es sieht. Es reicht die Finger zu reiben, und sie kommen angesprungen. Macht man es über der Schulter eines anderen, wird der Leidtragende als Kletterbaum missbraucht.  Auch Taschen sind unheimlich interessant, und Malte hatte einen Stoffbeutel dabei. So kam es, wie es kommen musste: Ein ziemlich großer Affe hatte irgendwie den einen Henkel des Beutels zu fassen bekommen und zog zähnefletschend daran, in der Hoffnung, da sei etwas Essbares drin. Ihm gegenüber stand Malte, der mit einem nicht minder verbissenen Ausdruck im Gesicht den anderen Henkel in der Hand hielt und  dem Affen lautstark die Besitzverhältnisse erklärte. Da Malte zwar nicht die Lage, dafür jedoch den Henkel fest im Griff hatte, sah ich meine Aufgabe erst einmal darin, das Szenarium bildlich festzuhalten (leider ist dieser Schnappschuss nichts geworden), bevor ich dabei Hilfe leistete, den Affen in die Flucht zu schlagen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er vor den zwei großen „Affen“ kapitulierte und unter lautem Gekreische abzischte. Natürlich nicht, ohne etwas zu stibitzen, bevor er den Beutel losließ und dabei einen Großteil des Inhaltes über die Straße verteilte. Ein wahres Fest für die anderen Affen, die sich nicht lange bitten ließen, an der Party teilzunehmen. Glücklicherweise waren wir recht schnell im Einsammeln und konnten das meiste retten. Der Übeltäter hatte sich indessen bereits mit seiner erbeuteten Saftpackung auf eine Mauer zurückgezogen und drehte zufrieden den Deckel auf…

Am nächsten Vormittag wurde der Großeinkauf für die erste längere Überfahrt erledigt. Nachdem die Vorratschapps mit frischen Sachen aufgefüllt waren (jedenfalls dachten Malte und ich das, Heike hatte uns versichert, wir hätten noch genügend Eier an Bord , allerdings kamen uns dann 11 Eier für eine dreiköpfige Crew und circa 10 Tage Überfahrt doch recht wenig vor), wollten wir die Kiwitt in Ruhe aufklaren und uns dann noch einen angenehmen Abend machen.  Früh am nächsten Morgen sollte es losgehen.  Wir waren noch nicht ganz an Bord zurück, da fuhr ein kleines weißes Segelschiff unter deutscher Flagge auf uns zu.  An Bord waren Georg und Irene, die mit ihrer Futschikato, einer winzigen Shark 24, ebenfalls den Atlantik überqueren wollten. So viel wussten wir allerdings  zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Georg, der am Ruder stand, fragte, ob wir bald Richtung Kanaren los wollten. Als ich das bejahte erzählte er mir, dass sie sich gerade entschlossen hätten, heute noch zu fahren, weil der letzte Wetterbericht eine Winddrehung auf West angekündigt hatte. Nach ein paar Minuten wünschten wir den beiden auf ihrem Böotchen eine gute Fahrt und beratschlagten anschießend, was wir machen sollten.Nach einem kurzen Blick in den Tidenkalender dauerte es nicht lang und wir hatten uns entschieden: wir würden am späten Abend noch losfahren. Die zu erledigenden Arbeiten wurden aufgeteilt.  Malte und Heike kümmerten sich darum, alles seefest zu verstauen und machten anschießend unser Essen. Ich erledigte noch schnell ein paar kleine Reparaturen, die liegen geblieben waren, schlug die Segel wieder an und kümmerte mich ums Ausklarieren. Zwischendurch fuhren wir die Kiwitt noch zur Tankstelle und zum Wasser bunkern. Die Zeit verging wie im Flug und als wir endlich alles erledigt und gegessen hatten, dämmerte es schon. Wir gingen Anker auf und motorten aus der Bucht in die hereinbrechende Nacht.

 

Ein Kontinent liegt achteraus

Bei dem Gedanken, nachts die Straße von Gibraltar zu überqueren, war mir anfangs nicht so richtig wohl, aber als wir eine Weile auf See waren und alles gut lief, wurde es entspannter. Der Plan war, bis zum Ende des Verkehrstrennungsgebiets an der spanischen Küste entlang zu segeln und dann Kurs Süd-Süd-West weiter zu segeln.

Es war eine laue Nacht, klare Sicht und kaum Seegang. Der angenehme Wind wurde allerdings immer mal wieder so schwach, dass wir den Motor mitlaufen ließen, um zügig aus dem Einflussgebiet der Tidenströmungen heraus zu kommen. Aber alles in allem war es ein toller Start in den Atlantik.

Was ging mir da alles so durch den Kopf? Schließlich war es der Absprung vom Kontinent. Vor mir lag der weite Atlantik, und wir steuerten auf eine kleine Inselgruppe in einer Wasserwüste zu. Von hier wäre es ein Leichtes gewesen umzudrehen, von den Kanaren aus ist der Rückweg schon deutlich schwerer, besonders für ein so kleines Schiff. Ich hab an so vieles gedacht in diesem Moment, auch an meine Familie, an meine Großeltern, von denen ich mich jetzt mit ganz großen Schritten entfernte. Neben dem Gedankenchaos machte sich aber auch ein Hochgefühl breit, das dem kleinen Entdecker und Abenteurer in mir gehört, der an neue Ufer fahren und die Herausforderung dieser ersten großen Überfahrt meistern will und muss. Immerhin hatten wir für die knapp 650sm 6 bis 12 Tage einkalkuliert, da der Wind nicht sehr konstant gemeldet war und wir mit unseren 80l Diesel im Tank und 20l im Kanister auch nicht weit motoren konnten. Keiner von uns hatte schon mal für eine so lange Zeit nur Wasser gesehen. Und für Heike stellte sich die große Frage, ob diese Art des Reisens überhaupt etwas für sie war. Im Grunde stellte sie sich ja auch für mich, aber da habe ich mir keine Gedanken drüber gemacht. 

Die erste Nacht war überstanden und wir fanden uns auf dem Atlantik wieder. Um uns herum nur noch Wasser und ein schwacher, drehender Wind. Die Tage kamen, die Tage gingen und am dritten Tag war ich mir schon nicht mehr sicher, ob wir jetzt zwei oder drei Tage unterwegs waren. Überhaupt spielt Zeit auf See eine untergeordnete Rolle. Auf die Uhr schauen lohnt sich nicht, man kommt eben an, wenn man dort ist. Es waren tolle Tage. Die See war sehr ruhig und der Wind nicht sehr konstant. Wir machten oft nur 2,5 – 3 Knoten, aber da die Kiwitt auch bei guten Bedingungen nicht viel schneller als 5 wird, waren wir zufrieden. Beim Bergfest lagen wir bei völliger Flaute für einen ganzen Tag fest. An einem anderen Tag nutzten wir einen sintflutartigen Regenschauer erst einmal dazu, uns einzuseifen und zu duschen. Das ist ein echter Luxus, wenn man aufgrund der Wasserknappheit sonst nur Salzwasser zum Waschen hat.  Nach einer tollen und entspannten Überfahrt, auf der wir viel Spaß hatten, schmissen wir nach 11 Tagen und knapp 650sm abends vor der Isla de Lobos an der Nordspitze Fuerteventuras den Anker.

Demnächst: Kurs Amerika liegt an - hier gehts zur Fortsetzung!