Weihnachten auf See - und Kap Hoorn voraus
Unser
aufregendstes Segelerlebnis
von
Bobby Schenk
Heiliger
Abend - zum hundertsten Mal blättere ich in dem grandiosen Buch von Bernard
Moitessier "Der logische Weg". Schließlich war es Bernard, der uns damals auf
unserer Weltumsegelung in Tahiti ermuntert hat, um Kap Hoorn zu segeln. Und jetzt, am
heiligen Abend liegt Kap Hoorn voraus. Zwar noch rund 2000 Meilen. Dazwischen aber
kein bisschen Land, wo man diesen Wahnsinns-Törn noch hätte abbrechen können. Trotz der gigantischen Entfernung zu dem berüchtigten
Kap ist es an Bord
der THALASSA II seit dem einen Monat, in dem wir unterwegs sind, das beherrschende
Thema.
Ich
muss an den Radarhändler in London denken, bei dem ich mich beschwert hatte,
dass mein Mast beim Einbau der Radarschüssel ziemlich perforiert worden war.
"Was wollen Sie, Sie beabsichtigen schließlich nicht, um Kap Hoorn zu
segeln."
Nein, das wollten wir
wirklich nicht, nie und nimmer. Sondern entweder in der Südsee hängen bleiben oder geruhsam auf der Passatroute nochmals um die
Welt segeln. Aber dann kam alles anders.
Zum
zweiten Mal hatte ich meine berufliche Laufbahn als Richter durch Kündigung
abgebrochen, um auszusteigen, wie ich meinem obersten Dienstherrn unverblümt ins Gesicht
sagte. Um irgendwo in der Südsee den Rest des Lebens unter Palmen zu verbringen. So
hatten wir, Karla und ich, uns das vorgestellt. Wir segelten also mit unserem 48-Fuß
langen Stahlschiff THALASSA II auf der Passatroute in die Südsee und kauften
dort ein veritables Anwesen direkt am Wasser bis zur Bergspitze hoch in der Cooks Bay in Moorea,
der "schönsten Insel der Welt" (so jedenfalls der große Fahrtensegler Eric Hiscock) mit
Palmen und sechzig Bananenstauden drauf. Jahrelang ließen wir dem
Faulenzerleben freien Lauf. Aber nachdem wir dutzend Mal die französischen
Südseeinseln abgefahren hatten, verloren wir zusehends die Lust, weiterhin so
rumzugammeln. Karla hatte - wie immer - die richtige Idee. Welche, nebenbei gesagt,
unser Leben nachhaltig veränderte: "Schreib doch ans Ministerium in München,
dass Du wieder anfangen möchtest".
Ohne große Hoffnungen
setzte ich mich an meine verrostete Schreibmaschine und tippte mit zwei Fingern: "An das
Bayrische Staatsministerium
der Justiz..."
Die
Antwort vom Stachus in München war kurz und bündig. "Dienstbeginn 1.Juni,
8 Uhr".
Da
saßen wir nun ziemlich ratlos unter Palmen: Nach Hause westwärts auf der
Passatroute? Die Frist war zu kurz, um die
halbe Welt auf der Passatroute zu umrunden. Das Schiff auf einen Frachter, der
es nach Europa zurückbringen sollte? Karla wehrte gleich ab: "So beendet
man keinen Segeltörn, das wäre eine Niederlage, dafür sind wir zu jung!"
Thema erledigt. Und so sagte ich, wenngleich mit einem etwas zwiespältigen
Gefühl, auch einem neuseeländischen Skipper ab, der unsere Yacht für 10 Tausend Mark
gemächlich ins Mittelmeer segeln sollte.
Karla
hatte ja recht, es gab nur eine
anständige Lösung: Kap Hoorn
der logische Weg!
Ich
erinnerte mich, dass uns Bernard in Tahiti unter Hinweis auf unser
damaliges 10-Meter-Schiff ermuntert hatte, mal um Kap Hoorn zu segeln. Also,
wenn er das uns und vor allem unserer damaligen Kunststoffyacht zugetraut hatte, dann sollte es mit
der nunmehr
größeren Stahlyacht, einer Suncost 48, erst recht möglich sein.
Aber der
beabsichtigte Törn durch die brüllenden Vierziger, die Roaring Fourties, würde
es in sich haben: Wie die Pilot Charts, also die Windkarten, ausweisen, hat man da
unten in der Gegend vor Chile in der guten Jahreszeit statistisch eine Sturmhäufigkeit von
nahezu 20
Prozent, was in der Praxis jede Woche einen Sturm verspricht. Und wenn man dort
von einem "Sturm" spricht, dann besteht der nicht nur aus 8, 9
Windstärken oder noch mehr, sondern hinzu kommen gigantische Wellen aus dem Westen. Denn nur
dort in den "Shrieking Fifties" ragen keine Landmassen in die
Straße der Stürme hinein,
die den Aufbau einer riesigen Dünung verhindern würden, sodass sich die nachlaufenden Seen ungestört
zu Wellenbergen formen können. Moitessier
beschreibt im erwähnten Buch sehr plastisch, wie sich das anfühlt und im Stahlschiff
auch anhört, wenn von achtern her Wassermassen über dem Schiff
zusammenbrechen und gegen das Heck hämmern.
Es
gibt ja jede Menge Literatur über diese berüchtigte Wasserstraße rund Kap Hoorn, worin
immer wieder deren Gefährlichkeit diskutiert wird. Und tatsächlich kann eine
Liste der dortigen Schiffbrüche schon sehr nachdenklich machen. Man lese mal
das Buch "Once is enough" von Miles und Beryl Smeeton, die beim Versuch von Westen
und der offenen See aus (also unser Kurs) mit ihrer stäbigen 46-Fuß-Yacht Tzu Hang
zweimal mit Kenterung vor diesem schrecklichen Kap gescheitert sind und es letztlich
aufgegeben haben, Kap Hoorn zu umrunden. In seinem Buch neigt
übrigens der Autor Smeeton zu der Meinung, dass Schiffe der Größe von Tzu Hang (und
damit auch der Größe unserer Yacht) in den offenen Gewässern von Kap Hoorn
nichts zu suchen hätten.
Es
ist auch bezeichnend und spricht allgemein für die extreme Gefährlichkeit
von Kap Hoorn, dass bereits das berühmte Kap der Guten
Hoffnung, das wir schon ein paar Jahre zuvor gerundet hatten,
"Kap der Stürme" genannt wird, obwohl es
mehr als tausend Meilen nördlicher als das
Kap Hoorn ins Meer ragt, also in einer vergleichsweise mäßigen Windzone.
Die
deutsche Yacht Ole
Hoop (Foto) - siehe in Who-is-Who im Weltumsegeln, die
viele Jahre später auf
ähnlicher Route wie unsere beabsichtigte unterwegs war, wollte das Kap
"zweimal" (warum ausgerechnet "zweimal", haben sie mir nicht
gesagt) umrunden. Ihre mutige Besatzung, die Weltumsegler Johanna und Klaus,
kann nicht mehr berichten, was da 90
Seemeilen vor Chile passiert ist, denn von der Ole Hoop hat man nur noch die Epirb
gefunden... Der berühmte amerikanische Fahrtensegler
Hal Roth ist mit seiner Yacht WHISPER
ebenfalls da unten gescheitert und hat sein Vorhaben, das Kap Hoorn zu runden,
abbrechen müssen. Und jeder kennt die Geschichte der Bounty, die unter dem verbissenen Captain Bligh, mehrere Monate(!)
vergeblich gegen diesen schrecklichen Felsen angekämpft hat und schließlich
erbittert nach Osten abgedreht ist, um
über das Kap der Guten Hoffnung doch noch in die Südsee zu gelangen.
Wenn
man sich von der offenen See aus dem Südamerikanischen Kontinent nähert, kann
man sich mit dem Wetter nicht arrangieren, man kann nicht lakonisch ankündigen
"dann fahren wir heute eben nicht hinaus", kann also nicht defensiv segeln,
sondern man muss die Stürme so nehmen wie sie kommen. Ganz anders ist es
natürlich, wenn
man in Feuerland in einer geschützten Bucht vor Anker wenige Seemeilen vom Kap
Hoorn entfernt auf gutes
Wetter warten kann und dann schnell mal in ein paar Stunden ums Kap
 herumfährt. Am Vorabend am Ankerplatz noch eine kleine
Grillparty (siehe Photos, aufgenommen 15 Meilen vom Kap entfernt!) veranstaltet und am nächsten Tag der "große"
20-Meilen-Törn zum Kap Hoorn mit Landausflug auf der Hoorn-Insel zu den
chilenischen Wachsoldaten.
Alles schon selbst ausprobiert.
Nun
aber, an diesem heiligen Abend, lag das Kap knapp 2000 Meilen voraus. Ins Logbuch trug ich
die Mittagsposition ein: 41°56' S und 112°27' W.
Vor
fast einem Monat schon hatten wir Tahiti verlassen. Die Vorbereitung war zum
Teil sehr einfach gewesen. Wir waren ja fast Bürger von Polynesien geworden, deshalb
waren noch ein paar Steuern zu zahlen, beim Zoll das Schiff abzumelden und vor
allem die Schuss-Waffen loszuwerden, die ich in Europa vermutlich nicht brauchen
würde. Im Polizeibüro durfte ich sie - gegen amtlich bescheinigte Quittung -
an meinen Fluglehrer verkaufen. Lässig, die Franzosen. Damals!
Vom Supermarkt ließen wir uns den Proviant an die Pier
bringen. Das machte keine Sorgen, denn auf unserem großen Stahlschiff hatten
wir praktisch immer so viel Konserven, dass wir im Falle eines Mastbruchs
ein halbes Jahr genug zu essen hätten. Ausserdem konnte ja Karla in
bescheidenem Umfang immerhin Salat züchten. 1000 Liter Wasser waren ebenfalls in
unserem langen Kiel untergebracht. Die hundert Meter lange Ankerkette wurde in die Backskiste verstaut,
um ihr Gewicht wegen des Seeverhaltens der Yacht nach mittschiffs zu bringen - wir würden sie ohnehin monatelang
nicht mehr brauchen. Heizung an Bord gab es nicht, dafür besorgten wir uns in
Deutschland einen Petroleum-Campingofen, denn in den Tropen, in Tahiti, war ein
Heizofen nun wirklich nicht aufzutreiben. Am Schiff war kaum was vorzubereiten,
denn unsere tüchtige THALASSA II war, auch für die damalige Zeit, spartanisch
ausgerüstet. Merke: Was nicht an Bord ist, kann auch
nicht kaputtgehen. Deshalb waren nicht vorhanden: Selbstholende Winschen, Windmesser, Rollfock, Rollgroß und
Heizung. Statt einem Speedometer oder einer elektrischen Logge vertrauten wir
einem uralten Walker Log. Und GPS war selbstverständlich auch nicht an Bord,
die Navigation mit Satelliten gab es noch nicht. Brauchten wir auch nicht, für
was hatte ich einen präzisen Bobby-Schenk-Sextanten(*) mit einem Radio fürs
Zeitzeichen.
Zu
unserer Sicherheit bastelte ich ein paar Nirostropps, die wir zum Vorschiff
spannten, damit wir uns später bei viel Seegang während unserer häufigen
Gangs zum Vorschiff beim Segelwechsel oder Reffen mit der Sicherheitsleine einhängen
konnten. Und zwar ohne gefährliches Umpicken.
So
fühlten wir uns bestens gerüstet, als wir am 28. November in Papeete den Anker
lichteten. Mulmig war uns allerdings schon. Die Ungewissheit, was uns an
schwierigen Wetterverhältnissen erwarten würde, nagte an uns.
Wir
kamen ganz zügig voran, die Etmale lagen meistens zwischen 100 und 150 Meilen
(schließlich war THALASSA II eine behäbige Fahrtenyacht), der
Wind meinte es gut auf unserem Weg südwärts. Besonders aufregend oder
anstrengend war der
Törn bis zu unserer Weihnachtsposition also nicht. Das hatten wir in erster Linie
der
Aries-Windsteueranlage zu verdanken, die unter allen Umständen das
20-Tonnen-Schiff auf Kurs hielt, sodass wir rund um die Uhr von der Knechtschaft
des Rudergehens befreit waren, was extrem wichtig war. THALASSA II hatte
von der Werft eine Hydraulik-Ruderanlage bekommen, die aber für die Aries zu
schwergängig gewesen wäre, um auf diese direkt zu wirken. Deshalb hatten mir die
tüchtigen Friesen eine ständige Notpinne montiert, auf die die Aries
per Seilzüge wirkte. Das funktionierte aber nur, wenn die Hydraulik mittels Ziehens eines Bolzens tief unten im Achterschiff,
wo ich jeweils runterkriechen musste, abgekoppelt war. Schnell mal das
Rad übernehmen, ging also nicht. Die brave Aries, damals 1500 Mark teuer, tat
treu ihren Dienst den gesamten Törn bis ins Mittelmeer über 14 Tausend
Seemeilen.
Noch
konnten wir Weihnachten "stilecht" mit einem Plastiktannenzweig und
Sektgläsern in der Hand feiern. Auf dem Boden uns gegenüber sitzend. Denn das
war der bequemste Platz im Seegang und Wind mit 7 Bft aus Süden. War irgendwie
doch ganz beschaulich. Dann die Weihnachtsüberraschung: Plötzlich mischte sich in das Rauschen des
Meeres und das Knallen der Wassermassen ans Achterschiff ein blechernes
Schlagen, das eindeutig
nicht zu den 30 Knoten Wind mit entsprechendem Seegang passte. Ich stürzte
nach oben, robbte aufs Vorschiff und erkannte die Ursache für die Unruhe: Das
vordere Backbord-Unterwant peitschte gegen den Alu-Mast und das stehende Gut.
Puh, das konnte den Mast kosten. Aber viel Segel waren ja nicht mehr oben,
sodass ich nur etwas abdrehte, ein wenig mehr Ruhe ins Schiff brachte und den
Stress vom Rigg herausnahm. Kleine Ursache, doch zu spät entdeckt hätte das
die Entmastung sein können. Was das in dieser eiskalten Wasserwüste ohne Sendeanlage
bedeutet, kann sich jeder selbst ausmalen.
Ab
da wurde es dann aber doch verdammt ungemütlich. Und kalt. Immer häufiger mussten wir
aufs Vorschiff zum Segelwechsel. Wunderbar bewährte sich hierbei das Kutterrigg.
So hatten wir viele Möglichkeiten, genau die richtige Segelgarderobe für jede
Windstärke zu tragen.
Ölzeug wurde nicht gebraucht. Denn wir saßen ja nicht stundenlang am Ruder.
Und
wenn es zum Reffen oder Segelwechseln kam, dann reichte meistens dazu eine
Person. Die zog sich splitternackt aus und blieb für ein paar Minuten auf dem
nassen Vorschiff im Kampf mit dem killenden Segel. Was sich in den Tropen
wunderbar bewährt hatte, nämlich ein gesandetes, daher rutschfestes
Deck, wurde
nun zum schmerzvollen Nachteil. Denn bei dem schrillen Wind wurde das steife
dicke Segeltuch des Klüvers, die Genua konnten wir schon lange nicht mehr
fahren, mit Kraft an die
Stagreiter und damit an die Drahtseile
gepresst, dass man sich - nackt - auf den "rutschfesten"
Boden legen musste, was mir einige offene Schürfwunden einbrachte. Und die
teilten mir
natürlich durch das Salzwasser besonders schmerzhaft ihre Präsenz mit,
was sich meist erst im wärmenden Cockpit
(der Campingofen! - siehe Foto) bemerkbar machte,
wenn ich mich dort abfrottierte, um dann den Faserpelz wieder
überzustreifen. Unser Campingofen konnte, da offene Flamme
(Vergiftungsgefahr!), nur im Freien, also im Cockpit betrieben werden. Eine
Bierdose untergeschoben reichte fast immer, um die Schräglage des Schiffes
auszugleichen. Wenn uns nicht immer wieder ein quälendes Gefühl (eine
Mischung aus Angst und Geborgenheit im Stahlschiff) ob der Richtigkeit unserer
Entscheidung für
diesen Törn beschlichen hätte, dann wäre es auf der THALASSA II eigentlich ganz gemütlich gewesen! Hierzu trug auch der Umstand bei, dass wir peinlich darauf
achteten, ja kein Salzwasser ins Innere zu bringen, ein weiterer Vorteil aus der
Nichtbenutzung des Ölzeugs.
Verglichen mit den widrigen äußeren Umständen war das Schiffsinnere durch unseren
kardanisch aufgehängten Tisch
im Salon richtig "wohnlich". Ich hatte die Werft gebeten, einen solchen einzubauen. Er funktionierte
wunderbar, unter allen Wetterbedingungen. Sicher war es gewöhnungsbedürftig,
immer diese schräge Tischplatte (die ja in Wahrheit die einzige gerade Fläche
im Schiff war) vor den Augen zu haben und im Seegang mit dem Suppenlöffel dem Essen
auf
und ab zu folgen. Neben den Mahlzeiten (Karla kochte täglich auf dem
kardanisch aufgehängten Petroleumkocher) hatte dieser Tisch noch den Vorteil,
dass immer eine sichere Ablagefläche für alle möglichen Gegenstände (Foto-
und Filmapparate) vorhanden war.
Pünktlich
mit dem Eintritt in die Roaring Fourties, also südlich von 40° Süd, begann sich
das Wetter deutlich zu verschlechtern. Aber der Wind blies weiterhin schön
achtern aus dem Westen. Platt vor dem Wind segelte die THALASSA II zunächst mit
der Genua, dann mit dem Klüver, dann mit dem Kuttersegel und schließlich nur
noch mit dem nackten Mast. Klar, dass die Yacht
wie wild im Seegang rollte, wenn das Groß zu groß zum Segeln geworden war.
Versuchsweise setzte ich dann gelegentlich das Sturmgroß (Trysegel), aber die
Wirkung war bescheiden bis spürbar Null.
Für den heimatlichen Segler sicher
ungewohnt, ja bedenklich, ist, wie wir refften oder die Segel wechselten: Das
geschah ausnahmslos vor dem Wind. Der erfahrene Segler weiß, dass auf diesem
Kurs die Schiffsbewegungen erheblich milder sind, als beispielsweise am Wind,
oder gar im Wind, wo das Vorschiff im Seegang der Vierziger sicher ein paar
Meter (mit dem Mann auf dem Vorschiff) auf und ab stampfen würde. Viel zu
gefährlich, wenn man dort arbeitend im Sekundentakt hochgeschleudert würde! Das
Segel selbst am Mast herunterziehen war meist nicht schwierig, man brauchte nur die
heftigen Schiffsbewegungen ausnutzen, um meterweise das Segel runterzuholen,
dann nämlich, wenn der nasse, steife Segelstoff eben nicht mehr am Mast aufklebte. Dass unter
diesen Umständen der Großbaum zum "Widow-Maker" wird (wie die Amis
sagen) ließ sich leicht vermeiden, indem wir immer(!) den
Bullenstander fuhren und durchgesetzt hielten. Selbstverständlich wurde immer
gehalst, um auf den anderen Bug zu gehen - egal bei welcher Windstärke. Eine
Wende im Sturm wäre wegen des Seegangs schlicht lebensgefährlich.
Wie
erwartet wurden im Sturm die Seeen immer höher (aber
auch länger), während die Yacht schließlich nur mit dem Windwiderstand des
Mastes ohne Segel dahinrauschte. Im Stahlschiff hörte man die
"Brecher" deutlich heranrollen, worauf fast immer ein
ohrenbetäubender, durch Mark und Bein gehender Schlag folgte. Moitessier hat das mit dem "Schlag mit dem
Gummihammer" treffend beschrieben. Uns war klar, dass dieser Lärm nur
vom Aufplatzen der riesigen Schaumkrone herrührte. Aber gelegentlich bekamen
wir dann doch bei kleineren Zwischenseen die Wucht von massivem Wasser, das
gegen das Achterschiff prallte, zu spüren. Dann bebte und zitterte die THALASSA
II, war dann für ein paar Sekunden ruhig, bis sie wieder Fahrt aufnahm und sich
aus
dem Plätschern an der Bugwand erneut das Donnern rausschälte. Besonders
nachts, wenn der Blick nach achtern in vollkommener Dunkelheit endete, war dies
unheimlich. Obwohl wir in dieser Art mehrer Tage lang ohne einen Quadratzentimeter Tuch dahinsurften, kamen wir auf ganz normale
Etmale um die 130 Seemeilen.
Richtig
große Brecher haben wir
Gott sei Dank nicht erlebt. Ein Stahlschiff würde das vielleicht noch mit
Mastverlust wegstecken, aber Holzschiffe wie zum Beispiel die Tzu Hang oder die Ole Hoop sind dann echt
gefährdet. Glücklicherweise kommen Wellen, die sich in ihrer ganzen Länge
brechen, auf offener See nicht häufig vor, auch nicht
in diesen stürmischen Gewässern, Man sollte nämlich berücksichtigen, dass
eine Welle lediglich auf- und abwärts bewegende Wasserteilchen ist. Erst, wenn sich
die See, meist an irgendeinem Hindernis, zum Beispiel einer Kreuzsee, tatsächlich bricht, entfalten die
viele hundert Tonnen schweren
Wassermassen eine vernichtende Kraft. Das kommt nur selten vor -
aber eben nicht "nie". Und so beruhigt man sich während eines solchen
Törns fortlaufend damit, dass die statistische Wahrscheinlichkeit eines
Unglücks
doch gering ist. Aber setzt man im Lotto nicht richtig Geld auf eine Chance, die
ebenfalls bei eins zu vierzehn Millionen liegt, und haben wir nicht jeden Montag ein
paar Gewinner? Jedenfalls ist es sicher, dass die vielen Unglücke
in den brüllenden Vierzigern, vor allem in der Nähe von Kap Hoorn,
auf derartige seltene Konstellationen einer in voller Länge brechenden See
zurückzuführen sind. Und das ist durchaus geeignet, einem während eines solchen Törns
nackte Angst einzujagen!
Wir
blickten aber auch oft stundenlang nach achtern und genossen den Anblick, wenn sich
wieder eine riesige See scheinbar achtern "brach" und minutenlang
fußballfeldgroße smaragdgrüne Wasserflächen zurückließ.
In
älteren Seekarten finden sich übrigens häufig sogenannte "Vigias".
Das sind zweifelhafte Seegebiete, deren Beobachtung bei Fahrensleuten den Verdacht auf Untiefen geweckt
hat. Im GPS-Zeitalter konnten fast alle derartigen Vigias als tiefes Wasser verifiziert werden. Wahrscheinlich
waren sie eben als hellgrüne Flächen nach dem Brechen von Seen falsch, als Land
oder Riff, interpretiert worden.
Die
Navigation war einfach. Denn wir bewegten uns ja auf hoher See, wo
Ungenauigkeiten der Sextantenmessung wegen der rauen See kaum ins Gewicht fielen.
Es gab zwar kaum jemals genau zur (Schiffs-)Mittagszeit den offenen Blick zur
Sonne, aber an jedem Tag, auch an grauen Tagen, rief mich Karla rauf zur Gestirnsmessung, wenn die Sonne zumindest für wenige Minuten sichtbar wurde. Das
reichte immer. Manchmal jedoch war der Horizont so
zerfranst, dass eine Kimm zum
Messen mit dem Sextanten nicht sichtbar war. Da half auch die hellste
Sonnenscheibe nichts, Astro-Navigation war so nicht
möglich.
Es konnte nicht ausbleiben, dass sich das lähmende Gefühl der Verlassenheit
einstellte. Denn wahrscheinlich waren wir die
einzigen Menschen im Umkreis von ein paar tausend Meilen. Mangels entsprechendem
Sender oder gar Epirb wären wir im Notfall auf diesem für uns doch sehr
großen 15-Meter-Schiff auf uns allein gestellt gewesen. Sicher, unser Stahlschiff
kann auch die größte Welle nicht vernichten. Aber was ist bei einem Mastbruch?
Besser nicht daran denken!
Selbstverständlich
hatten wir uns Gedanken gemacht, was zu tun ist, wenn wir den "Sturm aller
Stürme" erleben. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass man sich
darüber keine große Sorgen machen muss. Denn die Natur wird Dir den richtigen
Weg aus diesem Problem schon weisen. Man wird, schon instinktiv, weil das der
bequemste Weg aus der Misere ist, vor dem Sturm ablaufen und immer mehr Segel
wegnehmen (müssen), bis man nur noch mit dem blanken Mast vor dem Sturm
abläuft. Je nach Windstärke wird man dann so schnell werden, dass die
Rumpfgeschwindigkeit auch ohne Segel fortlaufend überschritten wird und die Gefahr
besteht, dass beim Abwärtssurfen der Bug ins Wasser einsticht
und abrupt
abgebremst wird. Kentergefahr! Es muss deshalb alles getan werden, um die
Geschwindigkeit zu bändigen. Erprobtes Mittel ist das Nachschleppen von
bremsenden Gegenständen, die da sind: Autoreifen, Trossen ohne oder mit
Buchten.
Früher
hat man in der Seefahrtsliteratur allgemein empfohlen, Öl
auszubringen, um die Seen zu glätten, Abgesehen davon, dass
die Wirksamkeit in schwerem Wetter sicher begrenzt sein wird, möchte ich nicht
das Geheule von ahnungslosen Umweltaposteln erleben, wenn ich das hier propagieren
würde.
 Am
8. Januar stehen wir 86 Seemeilen vor Kap Hoorn. Leider dreht der nun leichte Wind
so, dass wir unser Ziel nicht mehr anlegen können. Deshalb müssen wir viel
weiter nach Süden abdrehen als uns lieb ist. Dieser Umstand aber bringt uns
einen kleinen zusätzlichen Höhepunkt dieses Gewalttörns. Abends um 20 Uhr,
es ist wegen der hohen südlichen Breite noch taghell, ruft Karla
"Land Ahoi". Aber dies ist nicht das Cabo de Hornos, was sich da unscharf am
Horizont abzeichnet, sondern die unbewohnte Insel Diego
Ramirez. Noch viel südlicher
als die Südspitze von Südamerika
(siehe rechts oben auf Google earth).
Endlich
- frühmorgens,
um 1 Uhr am nächsten Tag stehen wir bei zufällig
sehr wenig Wind keine zwei Seemeilen
vom berüchtigten Kap Hoorn entfernt. Der Gipfel ist erreicht und wir sind erleichtert, glücklich und auch ein bisschen stolz.
Der Champagner fließt, den uns die deutsche Konsulin in Tahiti
für diese denkwürdigen Minuten mitgegeben hat. Eine Flaschenpost
wird gelauncht.
Und auf Verlangen von Karla trage ich ins Logbuch zum Dank an
den Gott der Westwinde ein:
"Danke
dem Riesen des Westens für die gnädige und huldvolle Behandlung der THALASSA
II".
Der
Logische Weg der THALASSA II von Kap Hoorn (Google-Foto oben) ist nach einem kurzen Stopp
in Mar del Plata (Argentinien) fortgesetzt worden. Nach 72 langenTagen nonstop auf See und nach
insgesamt über 14000 Seemeilen sind wir im Puerto Banus bei Malaga im Mittelmeer
eingelaufen. Rechtzeitig zum Dienstbeginn.
Dass dieser
gefährliche Törn so
reibungslos und erfolgreich verlaufen ist, verdanke ich drei Umständen:
-
meiner
tapferen, geduldigen Frau Karla, der besten Skipperin der Welt
-
dem wunderbaren Schiff THALASSA II, ein Meisterstück aus Friesland
-
der Gnade des Gottes des Westens
Und
zwar genau in dieser Reihenfolge!
Der
Riesentörn der Thalassa II ist mit einem reinen Fahrtenschiff in dieser Form
niemals
mehr wiederholt
worden. Es war unser aufregendstes Segelerlebnis. Und unser schönstes -
rückblickend.
(*)
Ein Bobby-Schenk-Sextant, genau wie er auf diesem Törn verwendet wurde. kommt
beim nächsten Schenk-Blauwasserseminar (siehe hier)
als Hauptgewinn unter den Seminarteilnehmern zur Auslosung!
Zur
Home-Page
Page by Bobby Schenk,
E-Mail: mail@bobbyschenk.de
Impressum und Datenschutzerklärung
|