Back to the roots
Vielleicht kennen Sie das Phänomen: es gibt Augenblicke, in denen eine vermeintliche Kleinigkeit die Richtung der Lebenslinie vollkommen verändert. Das kann die Erzählung in einem Buch sein, ein Musikstück, ein Duft, der Blick in eine Landschaft oder in die Augen einer Frau ….
Bei uns, meiner Frau Carla und mir, war es – vor mehr als 50 Jahren – ein Selbstgespräch meiner Mutter, die leise vor sich hin sinnierte: „Vielleicht sollten wir mal ein Segelschiff kaufen.“ Es fielen nicht die Worte „Yacht“ oder „Meer“; trotzdem setzte sich diese scheinbar belanglose Bemerkung in unseren Köpfen fest und änderte unseren Lebenslauf komplett.
Meine Eltern lebten in Burghausen, einem Städtchen unmittelbar an der österreichischen Grenze, 50 Kilometer von Salzburg entfernt und ich bin dort aufgewachsen. Deshalb schoss mir durch den Kopf: Ja, aber der dortige Wöhrsee zu Füßen der größten Burg der Welt wäre selbst für das winzigste Segelschiffchen zu klein und außerdem gibt’s dort Wind höchstens bei einem Gewitter. Oder der Leitgeringer See, keine 20 Kilometer entfernt, aber auch hier herrscht die gleiche Windstille wie zu Füßen der Burg. Dann vielleicht gar der Waginger See, schon 30 Kilometer weit weg. Der war unter uns Buben damals nur als der wärmste See Bayerns bekannt. Ziemlich groß das Gewässer, immerhin hatten wir Buben nach einem Radlausflug unsere Mühe, ihn schwimmend zu durchqueren.
Aus der Kleinstadt an den See
Es war ein reiner Zufall: Im Jahre 1965 suchten wir in einem Münchener Sportgeschäft nach einer Campingausrüstung und fragten den Verkäufer, wo man ein "Segelschiff" kaufen könne . "Wenn ihr aus Burghausen seid, dann müsst ihr zur Bootswerft Mader in Fisching am Waginger See.“ Schon ein paar Tage später bestellten meine Eltern "beim Mader", einem vergrößerten Schreinerbetrieb, einen Zugvogel, ein kleines Kielboot, ideal für den Waginger See, der nur einen Spaziergang von der Werft entfernt liegt. Karla und ich waren begeistert, bis mir Zweifel kamen: "Was machen wir, wenn es regnet, schließlich hat der Zugvogel kein Dach überm Kopf?“
Lange Rede kurzer Sinn, der Mader Hartl ließ sich überreden, einen Jollenkreuzer aus Sperrholz zu bauen. Zwar mit 10.200 Mark doppelt so teuer wie der Kielzugvogel - kenterbar und ohne selbstlenzende Plicht -, aber eben mit einem weißen Dach.
Die Yacht wird auf Kiel gelegt
Bald sprach es sich in Burghausen herum: "Die Schenks lassen sich eine Segelyacht bauen!" Und unser Nachbar ödete mich mit der ständigen Frage an, ob denn die „Yacht“ schon „auf Kiel gelegt" sei? Die gleiche Frage stellten wir dann dem Mader Hartl in seiner Arbeitshalle, an einem Sonntag wohlgemerkt! Ich weiß es noch genau, es war der Tag nach dem berühmten, niederschmetternden "Wembley-Tor-Spiel".
Der Mader war vom Vortag noch stocksauer, deutete auf einen Stoß Bretter und murrte: Da schaugts hi, des is eier Boot!"
Das war exakt eine Woche vor dem Liefertermin. In der Folgezeit nervte ich den Hartl mit Bemerkungen wie: "Wohin kommt die Toilette? Ich hätte gern einen Gaskocher eingebaut." Und so fort. Sonderwünsche, die Hartl grundsätzlich mit der gemurmelten Erklärung "Das ist verboten!" abtat. Meine Bedenken, ein Sperrholzboot würde nur 10 Jahre alt werden, wie mir wohlmeinende "Fachleute" eingeflüstert hatten, konterte er besonders schroff: "Wer hat eich denn so einen Schmarrn erzählt?"
(Anmerkung: Tatsächlich schwimmt der "Gammler" auch heute noch auf dem Starnberger See - siehe unten -und sieht aus, als hätte er gerade die Werft verlassen: Maderqualität eben.)

An Bord geht's...
Eine Woche später, also genau rechtzeitig, war der "Gammler" mit der Segelnummer "S199" fertig, wir stiegen aufs Schiff und es war uns klar, das war ab jetzt unser neuer Lebensstil. Das schwebte mir jedenfalls vor, der ich noch nie eine einzige Mark selbst erarbeitet hatte. Ein wunderbarer Mahagonikreuzer der 16-qm-Jollenkreuzer-Klasse aus Sperrholz war entstanden und wurde vom Mader gleich in den See eingebracht. Was ein eigener, noch dazu kostenloser Liegeplatz wert ist, wussten wir damals noch nicht. "Und wenns auf dem Bodensee, dem schwäbischen Meer oder am Plattensee Urlaub machen wollt's, leih ich aich an Anhänger". Dankschön, Hartl!
Aber wir konnten ja gar nicht segeln!
Die Jugend nimmt bekanntlich das Recht für sich in Anspruch, so ungefähr alles in Frage zu stellen. Also: Segelfähigkeiten brauchten wir doch nicht für eine so simple Tätigkeit wie mit dem Schiff auf einem windarmen See rumzufahren. Und so stiegen wir an einem heißen Sommertag auf den Jollenkreuzer und fragten ungeniert einen der zahllosen Segler, die gerade ihre Jolle aufriggten, wie man die Segel "hochzieht". Rückblickend bin ich diesem Kameraden dankbar, denn keiner hat uns zurechtgewiesen, man solle doch erst einen Segelkurs belegen oder zumindest ein paar Knoten, den Palstek vielleicht, lernen, bevor wir uns auf dieses schöne Mahagonischiff stürzten, um es zweifellos bald zu versenken. Nein, es war auch der Respekt vor diesem riesigen Kajütboot, dass man uns ganz geduldig, ohne uns demoralisierende Fachausdrücke unterzujubeln, über den Vortrieb mittels Wind aufklärte. Und bald waren wir "auf See". Ein Glück, dass es für unsere ersten Meter auf dem Wasser keinen Sturm gab. Der Wind darf nicht von hinten kommen...
Aber irgendwie hat es schnell gefunkt und jede freie Minute trieben wir, mit dem Klassiker "Seemannschaft" in der Hand, auf dem See, lernten aus dem Buch ein Ankermanöver, wenn die Brise etwas stärker wurde, bekamen Segelunterricht durch Zurufen von anderen Finns oder Zugvögeln: Zum Beispiel: "Du musst so steuern, dass der Wind nicht von vorn kommt, aber auch nicht von ganz hinten, denn eine Halse ist für euch noch zu gefährlich!".
Täglich wurden wir vertrauter mit dem 700-Kilogramm-Boot, und die Krönung war nach so einem 12-Stunden-Segeltag das Abendessen mit Steak, medium-rare, aus der Pfanne. Bei Regen unter der Persenning hatten wir dann immer Wasser in den Augen, nicht aus Rührung über die Romantik des Segelns, sondern weil der Spirituskocher uns Tränen in die Augen trieb.
Bürschi übernimmt das Kommando.
Entscheidend für unser späteres Segelleben war aber ein junger Bursch,
vielleicht 13 Jahre jung - sein Rufname war, passend, "Bürschi" - , der eines Tages mit einer Angelroute auf dem Steg stand und ziemlich bestimmt verkündete, er wolle mitsegeln. Wir waren uns bewusst, dass wir von jedem was lernen konnten, und sei es von einem Angler. Aber der Bürschi verstand was vom Segeln, war er doch der Sohn vom Mader Hartl. Und so diskutierten wir bald konträr über die Ausweichregeln unter Segelschiffen, denn mein Wissen darüber hatte ich aus einem Segelbuch bezogen, das, wie ich bald merkte, völlig veraltet war.
Wir kamen vorwärts, lernten aus einer leichten Ramming mit Lackschaden, dass so ein bauchiges Schiff mit hochgezogenem Schwert nur schwer um die Kurve segeln kann, und "Wenden" beherrschten wir bald richtig gut. Das Anlegen per Aufschießer zum Steg überließen wir - vorerst - noch dem Bürschi. FD-Segler Schneider Max schwärmte uns vom Regattasegeln vor ("auch wennsd net Erster wirst, hast mit dem Racing eine Freud, weil irgendeinen überholtst halt doch"), lehrte uns auf Zuruf noch ein Halse, da dachten wir schon: "Also, jetzt sind wir wirklich perfekt im Segeln!"
Wie es dann mit dem Segeln weitergegangen ist, dürfte dem Leser bekannt sein...
Wiedersehen nach 57 Jahren, im...
Ein halbes Jahrhundert später, man wird im Alter ja sentimental, besuchte ich den Waginger Segelclub (WSC). An einem dieser unglaublich heißen Tage, wo in Städten oft die Schwimmbäder wegen Überfüllung geschlossen werden müssen. Neben dem Schubeck-Campingplatz (vollbelegt mit 7000 Campern) lag wie einst schon der WSC. Der Bootspark hatte sich gewaltig verändert, die FDs waren fast alle verschwunden, der Steg mit den Kielzugvögeln war nicht mehr so voll wie 1965, dazu jede Menge Finn-Dinghies an Land und Opti-Jollen unter bunten Planen. Und eine große Tempest-Flotte, alle auf einem Hänger. Wenig Segelbetrieb, was auch an einer kaum spürbaren Brise lag. Nur ein paar wenige Badegäste hatten es sich auf dem sattgrünen Rasen mit Handtüchern gemütlich gemacht. Ein veritables Clubhaus inmitten von 10 Tausend Quadratmetern Wiese beeindruckte mich, zumal Clubchef Elmar Schwarz stolz versicherte, dass dieses ungewöhnlich schöne (und richtig wertvolle) Strand-Anwesen voll im Eigentum des schuldenfreien Clubs mit seinen über 400 Mitgliedern steht.
Die erfolgreichste Sportbootwerft der Welt ist am Waginger See
Der "Bürschi", der mit der Angelroute, war inzwischen Chef der Maderwerft geworden, die auf unerhörte Erfolge zurückblicken kann. Auch wenn es viele nicht glauben, aber der einst kleine Schreinerbetrieb beim Waginger See im tiefsten Oberbayern dürfte eine der sportlich erfolgreichsten Werften der ganzen Welt sein. Nicht nur, dass zu den olympischen Segel-Spielen in Kiel sämtliche Finn-Dynghies vom "Mader" gebaut worden waren, nicht nur, dass die Maderschiffe mehrere Dutzend(!) olympische Medaillen errungen hatten (die unzähligen Weltmeistertitel im Segeln lassen wir hier mal weg), nicht nur dass Goldmedaillen in der Starbootklasse, bei den Tempests sowieso, errungen wurden, die besten Segler der Welt (der Ukrainer Mankin, die deutschen Goldjungs Jörg und Eckart Diesch) vertrauten dem Mader den Bau ihrer Schiffe an. Im Gästebuch, das mir Bürschi mit Befehlston in die Hände gedrückt hatte, finden sich die ganz Großen im Regattasport, sogar Dennis Conner, Gewinner der wertvollsten Segeltrophäe der gesamten Segel-Geschichte ("Mister Americas Cup"), hat es mal zum Mader an den Waginger See verschlagen.

Der Bürschi (rechts) hat mir dann auch ein kleines Geheimnis verraten: Er war als Bub Nichtschwimmer und so hatte ihm sein Vater, der Mader Hartl verboten, sich am See überhaupt nur aufzuhalten. Aber als die Schenks den Jollenkreuzer bei ihm kauften, ordnete er seinen Sohn Bürschi ab, auf die Schenks, die blutigen Segelanfänger, gut aufzupassen. Und so bekamen wir den Bürschi als ersten Segellehrer.
Baum vom Weltmeister an den Kopf!

Ja, "gesegelt" bin ich dann nach über 50 Jahren auf dem Waginger See auch wieder. Auf einer Tempest mit WSC-Boss Elmar Schwarz am Ruder (links) und Schatzmeister und Tempest-Weltmeister Max Reichert (rechts), dem Sohn vom Schneider Max. Wie vorhergesehen herrschte kaum Wind, und Elmar versuchte, das steife Groß auf den anderen Bug mit Hilfe des Großbaums zu schnalzen, als der Baum mich mit einem lauten blechernen Knall am Kopf traf. Im Sternenregen vor meinen Augen war mein erster Gedanke: "Wieder mal der Großbaum nicht mit dem Bullen gesichert!" Wir lachten herzlich darüber, aber insgeheim dachte ich mir dann doch, dass die Regatta-Segelei für mich nun doch ein wenig zu sportlich ist.
Dem Segelclub in Waging ein Vergelts Gott!
Trotzdem, es war ein beglückendes „Heimkommen,“ und mir ist bewusst, dass ich letztlich alles an wunderbaren Erlebnissen auf den Weltmeeren dem kleinen Waginger See und seinem Segelclub zu verdanken hab. Da war eine kleine Dankbarkeitsgeste an den Club und seine gut behütete Jugendabteilung wohl angebracht. Dass sich daraus einmal ein Junge oder ein Mädchen als Topsegler entwickelt, ist nicht sehr wahrscheinlich. Doch vielleicht lernt der eine oder andere beim sportlichen Segeln, dass Erfolge erarbeitet weden müssen. Und Niederlagen dazu dienen, vom respektierten Gegner zu lernen. Reichlich altmodisch, oder?
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