Plotter oder
Smartphone? Ein Blick zurück
von Bobby Schenk
Da hat unser Fachorgan neulich die Frage
gestellt, ob man besser mit einem Plotter oder mit dem Smartphone navigieren
soll. Das sind vielleicht Probleme! Und Anlass, mal zurückzudenken, wie zu
einer Zeit, die noch gar nicht so lange her ist, auf Yachten - ach, was sage
ich - auf allen Hochseeschiffen der Welt, also auch auf Tankern,
Flugzeugträgern, Fischerbooten und so fort navigiert wurde, als noch nicht
zwei Dutzend Satelliten, die der amerikanischen Navy gehören, ununterbrochen
um den Globus rumgesaust sind.
Als Karla und ich um die Welt
segelten, war das GPS noch nicht erfunden und auch das Transitverfahren
(wer kennt das noch?) gab es noch nicht. Consol, Decca, gar Loran
existierten nur an heimischen Küsten, aber nicht an fast allen
Gewässern, die auf einer Weltumsegelung
überquert werden müssen. Wir
hatten nur einen Sextanten, eine Armbanduhr (wegen
der Robustheit war es nicht selten eine Taucheruhr) oder auch nur einen
Wecker und dazu einen - höchster Luxus - Radioempfänger, mit dem wir den
Zeitzeichensender WWV in Hawaii auf 15 oder 20 MHz rund um die Uhr
empfangen konnten - wenn es die Ausbreitungsbedingungen zuließen. Und
trotzdem navigierten wir durch Meeresengen, Riffeinfahrten, über den
ganzen Ozean - wenn die Sonne schien oder in der Dämmerung das Objektiv
des Sextanten einen kleinen Lichtpunkt am Firmament, einen
Navigationsstern, einfing.
Dennoch, Schiffbrüche
waren damals seltener als heute, wo viele den Ziffern auf der Anzeige
"blind" folgen und dann vielleicht die Untiefen auf dem Plotter rausgezoomt
haben - siehe die abenteuerliche
Strandung der VESTAS.
Da eine Weltumsegelung
mit der Yacht praktisch immer auf der Passatroute durchgeführt wurde, die
Zeiten von Chichester und Moitessier waren gerade angebrochen, galt die
Durchquerung der Torresstraße, der Meer-Enge zwischen Australien und Neuguinea,
als die Herausforderung schlechthin. Nicht wegen der starken Strömungen und
auch nicht, weil es dort so häufig stürmt,
sondern weil dies navigatorisch als ausserordentlich schwierig galt - was es auch
war.

Die den Pazifik mit dem Indischen Ozean verbindende mehr als 100
Seemeilen lange Seestraße war von Alters her zurecht gefürchtet wegen
ihrer an die 300 Koralleninseln und der unzähligen großflächigen und
kaum sichtbaren Riffs, die oft brandgefährlich nur einen oder zwei
Meter unter der Wasseroberfläche darauf warten, daß sie einer
zerbrechlichen Yacht den Schiffsrumpf aufschlitzen können.
Eine
Segelyacht konnte diese Passage mangels Leuchtfeuer oder gar
Flugfunkfeuer (NDBs = nondirectional beacon) nur durchlaufen, wenn sehr,
sehr lange gute Sichtverhältnisse herrschten, also vom frühesten
Morgenlicht bis eine Stunde oder so nach Sonnenuntergang und wenn der
Wind die Yacht in die richtige Richtung laufen ließ - und wenn sich die
Besatzung keinen einzigen Augenblick der Unaufmerksamkeit leistete.
Dann aber mußte die Torres-Straße unter Dach und Fach sein!
Das
bedeutete für uns Yachten, dass zu dem Zeitpunkt, wo es gerade hell wurde,
die Yacht am Eingang der Straße sein musste. Und hier begannen schon die
ersten Schwierigkeiten. Denn um den Eingang der Straße, den
Bligh
Entrance, überhaupt zu finden, konnte man sich nicht eine Küste
entlangtasten, sondern es galt erst mal, das 197 sm von Port Moresby
(Papua-Neu-Guinea) entfernte Bramble Cay, einen 200 m langen Sandstreifen bzw. dessen
Leuchtfeuer (besser gesagt eine
Leuchtfunzel) mitten in der Korallen-See auszumachen, dessen Leuchtweite
lediglich ein paar Seemeilen beträgt. Einerseits, um noch zu einem
Sternenfix zu kommen, andererseits, damit dann ab dem
Morgengrauen der
ganze Tag für die Durchquerung der Torresstraße zur Verfügung stand. Dies
aber funktioniert nur, wenn in der Weite des Ozeans auch zur rechten Zeit
die Fixstern-Konstellation günstig ist und, natürlich, die Sterne überhaupt
gemessen werden können. Denn die zur Verfügung stehende Zeit in der
Dämmerung, wo sowohl Stern als auch die Kimm eindeutig erkannt werden
können, bemisst sich in den Tropen nach wenigen Minuten.
Wie gesagt,
die sekundengenaue Zeit, ohne die eine präzise Astronavigation gar nicht
möglich ist, sollte ursprünglich die Armbanduhr, kontrolliert vom
WWV,
vorhalten. Doch bereits da gab es Probleme, denn gelegentlich hatten wir
keinen Zeitzeichenempfang, und die Genauigkeit der danach gestellten
Taucheruhr ging schon nach ein paar Dutzend Stunden verloren.
Aber
wir hatten nunmehr ganz was Modernes an Bord. Bei unserem Aufenthalt auf
Amerika Samoa hatten wir einen Funkamateur getroffen, der aus Langeweile
eine Quarzuhr erfunden und gebaut hatte, die hohe Genauigkeit versprach. Das
Problem - sie hatte einen enorm hohen Stromdurst. Da mag derjenige lächeln,
der bei Aldi eine Quarzuhr für 9 Euro erwirbt, bei der er alle fünf oder
zehn Jahre mal die Batterien wechseln muss. Aber damals war das
Digitalzeitalter gerade eben erst eingeläutet.
Für unsere Navigation
hatte das die bittere Konsequenz, dass wir ab Abfahrt in Port Moresby
(Papua-Neu-Guinea) die Maschine mitlaufen lassen mussten, nur, um unsere
alterschwache Batterie und damit die zigarrenkistengroße Leuchtziffer-Uhr am
Leben zu halten. Alles bloß, um Bramble Cay zu finden. Nebenbei: dieses selbstverständlich unbewohnte
Sandkorn im Ozean wird in die Weltgeschichte aus einem traurigen Grund
eingehen. Denn dort ist die "Bramble-Cay-Ratte" ausgestorben – als erste
Tierart, die der Klimakatastrophe zum Opfer gefallen ist - die Weisheit hab
ich von
Wikipedia, wo auch diese Funzel im Ozean abgebildet
ist.
Und, wie ist es gelaufen? Schauen wir mal ins
Logbuch der THALASSA:
19. 7. 1973 - Port Moresby - Seekarten sind immer noch nicht angekommen.
Unter Segel legen wir trotzdem ab, wir müssen hier weg, ob mit oder ohne
Seekarten. Mittags sind wir schon am Riff. Günstiger Wind. Keine rauhe See.
Abends kotze ich fast, als ich eine Stunde lang Stromfixe berechne. Fock 1,
Groß dreimal gerefft.
20. 7. Mittagsposition: 144 Grad 46 Minuten W,
9 Grad 02 Minuten Süd, Entfernung bis Bramble Cay 54 Seemeilen, Etmal 144sm,
Strom 0,3 Knoten WNW, rechtweisender Kurs Bramble Cay 260 Grad. Abends noch
guten Fix bekommen. 28 Seemeilen vor Bramble Cay, aber starker SSW-Strom.
Neuer Kurs 300. Gegen 10 Uhr kommt dann Backbord querab Feuer von Bramble
Cay in Sicht. Ich bestimme mit Feuer in der Kimm Standort. 13 Seemeilen zum
Feuer.
21.7. Wir warten auf die Morgendämmerung. Ein paarmal auf und
ab gesegelt. Dann um Bramble Cay rum. Dabei festgestellt, daß das Feuer nach
7 Seemeilen nicht mehr zu sehen war. Nachts Regen und starker Südost. Bei
Dämmerung Stephen's Island ausgemacht. Wir können jeden Kurs anliegen. Kurz
vor Dalrymple lange auf Kollisionskurs mit japanischern Dampfer von hinten.
Ich halte Signalpistole bereit. Der Kerl ändert nicht seinen Kurs. Ich
wende. Im nächsten Moment ändert er seinen Kurs nach derselben Seite. Ich
halse, der Japaner dreht Gott sei Dank weiter. Das war knapp!
Mittagsposition: Arden Island querab. Etmal 112 Seemeilen, trotz Stopp bei
Bramble Cay. Günstiger Wind. Kaum je unter 6 Knoten. Wunderbares
smaragdblaues Wasser. Schönes Segeln. Um 1630 mit 50 Meter Kette auf 10
Meter Grund bei Leuchtfeuer von Sue Island. Abends leider festgestellt, daß
auf unseren Karten die Tuesday-Inseln Nr. 1, 2, 3 und 4 nicht mehr drauf
sind. Kleiner Krach deswegen. Hätten vielleicht noch ein paar Tage auf die
Karten warten sollen. Ruhige Nacht, Ankerplatz viel besser als erwartet.
22. 7. Frühmorgens um 0700 schon los. Weniger Wind als gestern, aber
wieder dasselbe schöne Wetter. Segeln mit dem großen Löffel! Wenig Dünung.
Alles läuft wunderbar. Carla sieht eine große Seeschlange. Gegen 1500 OZ vor
Thursday Island. Offensichtlich eine Menge Strom. Wir bringen zwei Anker
aus. Zoll und Immigration kommen an Bord. Unheimlicher Schreibkram. Bevor
wir einlaufen, opfern wir noch Rasmus einen Schluck für die geglückte
Überfahrt über den Stillen Ozean, das große Meer.
Nicht besonders aufregend klingt das
Logbuch: Ein paar
Stromdreiecke, ein
Sternenfix, das wars. Den Rest
ersegelten wir dann terrestrisch von Insel zu Insel. War ja damals alles
selbstverständlich. Viele Jahre später sind wir mit unserem Kat Thalassa
dieselbe Strecke abgefahren, Tag und Nacht sicher geleitet vom GPS -
nicht der Rede wert.
Der Leser möge entscheiden, ob so eine
Passage mit Sextant und Armbanduhr auch
was für ihn wäre, und zwar ohne GPS, Plotter oder Smartphone?
Segelfreund Claas von der RIK fand die
damalige Passage schon etwas aufregender, vor
allem als er mit seinem Kimmkieler beim Bligh Entrance mit
Fullspeed auf dem
Riff nördlich von Bramble Cay, Daru, landete und mühsam abgeborgen werden
musste.
Er hatte eben den Ansteuerungspunkt Bramble Cay nicht "erwischt". 